Der Himmel im Norden war schwarz geworden. Im Westen, wo die Sonne stand, war er glühend, und unheilverkündende Streifen hingen wie blutiger Seetang am Horizont.
Im Osten schob sich, wie eine Decke aus grauem Blei, ein Gewitter herauf, vor der zerfaserte Wolkenfetzen standen wie blau ausgelaufene Tinte. Und daneben zog schwefelgelber Dunst daher, in dem es vor Blitzen zuckte und funkelte.
„Es scheint," meinte Jera „wir werden schlechte Wetter bekommen!"
Othala sah sich nach allen Seiten um.
„Ja," sagte sie „es sieht bedenklich aus. Aber wir müssen trotzdem weiter!"
„Vernünftig wär's," sagte Jera und betrachtete missmutig den gelb schwarzen Himmel „wir suchten uns einen Unterschlupf. Ich sage dir, hier in dieser Gegend und bei so einem Wetter, das ist kein Spaß; Vor allem da wir so nah am schwarzen Turm sind."
„Ja, Minas Morgul. Ich spüre es," die alte Frau senkte ihre Stimme zu einem Flüstern „ Schwarz sind die Zeiten und der dunkle Herrscher rührt sich in seiner Festung!"
„Unsinn!" schalt Jera sie „ es wird schon alles gut gehen!" Sie streckte die Hand aus „Ich spüre die ersten Regentropfen! Lass uns in einer Höhle Schutz suchen!"
Der Regen wurde stärker und durchnäßte die Kleidung. Langsam sammelten sie ihre Habseligkeiten zusammen.
Es wehte ein kräftiger Wind über die Ebene. Hier hatte er freies Feld bis zum Wald. Dieser Platz gehörte nicht mehr zu den freien Königreichen. Es war Niemandsland; Grenzgebiet. Verlassen und verwildert.
Nebel kroch über die zerklüfteten Felder und der Himmel verdunkelte sich.
Kein Lebendes Wesen regte sich , nur die beiden Frauen, die eine mit langen braunen Haare, schon von grauen Strähnen durchzogen, die andere mit einem rotblonden Zopf wanderten über die Ebene.
Zwischen einer umgestürzten Kiefer und einem Felsblock blieb Jera stehen.. Sie wandte ihren Kopf und sah sich um.
„Was hast du?" fragte die Alte, und hob ihre müden Augen.
„Oh!" stieß Jera mit einem keuchen aus „Dort!" sie hob ihre zarte schmale Hand und wies mit ihrem weißen Finger auf den Felsen.
Dort saß ein kleines Mädchen, nackt und bloß, saß sie da und betrachtete die vorbeiziehenden Wanderer.
Ihr langes schwarzes Haar hüllte sie wie ein Mantel ein und ihr kleines Gesicht schien das eines kleinen hilflosen Mädchens, doch ihre Augen, meergrüne Augen, sahen die beiden Frauen scharf an.
Es wehte ein kalter Wind vom Meer herauf. Er brachte Feuchtigkeit und den Geschmack von Salz auf den Lippen. Er brauste über die schwarzen Felsen und hinüber über das freie Feld.
Auf der Grenze zwischen Fels und Wiese lag eine Festung mit ihren schwarzen Palisaden, aus schwarzen Stein erbaut.
Es war eine prächtige Festung, obwohl sie nicht den schönsten Anschein hatte. Sie war stark und fest in den Fels gebaut und trotzte dem Wind, der Jahrhunderte an ihre Mauern schlug.
Hier gab es nur das Meer und die weiten Wiesen.
Imrahil, der Lehnsherr von Belfalas und Fürst von DolAmroth, saß an diesem stürmischen Abend in einem großen Zimmer, mit Blick auf das schäumende schwarze Meer.
Er sah seine Tochter die breite Treppe herab steigen. Seine Tochter, nicht sein Fleisch und Blut, aber seine Tochter. Sie war sein Juwel, das er liebte, als hätte er ein Herz aus Gold, und in diesem Herzen war nur Platz für seine Frau, Jera, und seine Töchter Lothiriel und vor allem Raelynn
Schwarz haarig und erhaben betrat sie den Raum, ein verlorenes Kind in einer verlorenen Zeit.
Sie war schon immer anders gewesen. Nachdenklich und besonnen.
Der Qualm des Feuers lag in der trockenen Luft. Das Feuer warf flackernde Schatten auf die langen Wandteppich. Er zeigte ein Jagdszene.
Raelynn setzte sich zu ihrem Vater an den kleinen runden Tisch und sah zu wie er an seiner Pfeife zog.
„Wo bist du gewesen?" fragte Imrahil „Geht es dir nicht gut? Ich habe dich beim Abendessen vermisst!"
Raelynn legte ihm ihre schmale, weiße Hand auf den Arm. „Ich habe mich nicht wohl gefühlt!"
Imrahil hob eine silberne Karaffe und goß Wein in einen Becher.
„Das ist guter Wein!" sagte er und drehte den Becher in der Hand, bevor er ihn seiner Tochter reichte.
Sie nahm einen Schluck; bedächtig und konzentriert.
Er betrachtete sie mit einem liebevollen Blick. Schön war sie, und kühl, wie eine Blume im Schnee.
Sie sah auf „Ich will mit dir gehen!"
Langsam drehte er den Kopf zu ihr. Sie sah ihn stumm an, mit ihren unergründlichen grünen Augen, in denen man sich verlieren konnte. Grüne Augen. In Belfalas waren die Menschen braunhaarig und grauäugig.
„Ich bleibe nicht hier allein, und warte, warte auf das Ende, oder auf den Anfang. Tatenlos in jedem Fall!"
Er sagte nichts und blickte sie nur weiterhin an.
„Stolzes Kind!" sagte er lächelnd „ Dein Platz ist hier, hier in Sicherheit, sieh dir deine Schwester an, sie reißt sich nicht darum in den Krieg zuziehen!"
Jetzt sprang ein unwilliger Funke in ihre Augen; Ihr Blick verhärtete sich, ohne das sich ihr Gesichtsausdruck änderte. Einige Augenblicke herrschte Stille.
Im Feuer brach krachend ein Scheit entzwei.
„Dir ist es wirklich ernst!" stellte Imrahil ruhig fest „Nun gut, geh mit mir, wenn du ein ordentliches Schwert führen kannst!" Er lachte in sich hinein. Das war gut. Raelynn war zu gut um sie in irgendwelchen sinnlosen Kriegen zu verlieren. Sie war stolz und unnahbar, und noch dazu klug. Nicht jeder hatte so eine Tochter. Nur gut, das sie hier nicht viel von den Kämpfen mitbekamen.
Ein fast unmerkliches Lächeln huschte über Raelynns Gesicht.
„Natürlich Vater!" sagte sie und erhob sich langsam. „Wenn das eure Bedingungen sind...!"
Sie machte eine schnelle Bewegung, ein sirrendes Geräusch war zu hören, und in der Mitte des Wandteppich, stak Imrahils silberner Dolch.
Langsam wandte sie ihrem verwirrten Vater den Rücken zu und schritt die lange Treppe hinauf, ein Lächeln auf den Lippen.
