Kapitel 2
Das große Schwarze Pferd bäumte sich majestätisch auf, bevor es in einen schnellen Galopp verfiel.
Die schlanken starken Beine berührten den Boden kaum ; Fast flog es dahin, über das hohe weiche Gras an den Ufern des Morthond. Der Himmel war von Wolken zerfetzt und die Sonne brach an einigen Stellen, hell, weiß und gleißend durch.
Die schwarze, lange Mähne des Pferdes flatterte im starken Wind, der ihm und dessen Reiter entgegen wehte.
Eine kleine Eule saß hoch oben auf dem Ast einer knorrigen Eiche und beobachtete schläfrig aus ihren gelben, halb geöffneten Augen ,wie das schwarze Pferd über die Ebene eilte.
Sein Reiter schmiegte sich sanft an den Rücken des Pferdes und paßte sich jeder Bewegung an.
Als sie kaum mehr eine halbe Meile von der Eiche entfernt waren, breitete die Eule ihre Flügel aus und strich lautlos über sie hinweg.
Der Reiter sah ihr nach, wie sie am hellen Horizont verschwand. Er zügelte sein Pferd, als sie den Waldrand erreichten. Der Reiter hatte die Hände locker über die Zügel gelegt und passierte die Bewegungen des Pferde geschickt aus. Der schwarze Hengst tänzelte kurz, und blieb dann Schweiß naß und schnaubend stehen.
Der Reiter tätschelte das Pferd , und schwang sich aus dem Sattel.
Mit der Leichtigkeit einer Katze landete er sanft auf dem blätterbedeckten Boden.
Er hob den Kopf und sog die frische Luft des Waldes ein. Die Bäume standen hier licht, und das Grün des Frühlings hatte noch nicht ganz das Grau des Winters vertrieben und dennoch war der Wald erfüllt mit neuem Leben.
Ein Lächeln huschte über das edle Gesicht des Reiters. Er war ein Elb und er betrachtete nur kurz, wenn auch intensiv die Umgebung und wünschte, das dieser Platz noch einen nächsten Frühling erleben würde. Er warf sein langes schwarzes Haar über die Schulter, ließ den Blick noch einmal wandern, und schwang sich dann zurück auf den Rücken des Pferdes.
Er schnalzte mit der Zunge, und gleich darauf preschten sie weiter.
Jetzt war es nicht mehr weit, bis nach Dol Amroth
Dunst hing noch über den Klippen an dem kühlen, frühen Morgen. Die ersten Vögel begannen zu singen und in den Ställen, etwas unterhalb der Festung, regten sich die Pferde. In den Ästen schimmerten Spinnennetze, die voller Tau hingen wie Tropfen aus schwerem Silber.
Das dumpfe Knarren des Tores unterbrach die Stille- ein Reiter auf einem großen hellbraunen Wallach ritt über den gepflasterten Hof. Der Hufschlag des Pferdes dröhnte durch die stille Morgenluft und stieg bis zu den höchsten Türmen von Dol Amroth.
In einem dieser Türme saß Raelynn auf ihrem Bett. Obwohl die Sonne gerade erst aufgegangen war, war sie schon wach, und angekleidet.
Stumm sah sie auf, als sie den Hufschlag vernahm. Vor diesem Geräusch hatte sie sich seit Tagen gefürchtet und es zugleich sehnlichst erwartet.
Sie warf ihren dicken schwarzen Zopf über die Schulter und stand ruhig auf.
Als sie sich aus dem hohen Fenster lehnte sah sie unten das große braune Pferd, das noch ganz verschwitzt von dem langen Ritt war.
Und sie konnte noch einen kurzen Blick auf den Reiter erhaschen, der gerade in die Festung geführt wurde. Auf seiner Brust glitzerte das Wappen von Minas Tirith.
Es war ein schöner Tag, der Himmel war saphirblau und die Sonne schien warm. Ein heftiger Wind zerrte an den Fahnen, die über der Festung wehten.
Bedächtig schritt Raelynn durch die langen Gänge der Burg. Sie hoffte darauf einen erneuten Blick auf den Neuankömmling zu erlangen. Gleich nach seiner Ankunft hatte Imrahil ihn in seine Gemächer rufen lassen, und seit dem war keiner von beiden aufgetaucht.
Raelynn hatte gehört, wie sich ihre Schwester Lothiriel mit einer anderen Frau im Hof unterhalten hatten. Sie wußte, das sie eine der wenigen war, die wußte was dieser Reiter zu bedeuten hatte, obwohl niemals jemand mit ihr darüber gesprochen hatte. Lothiriel war immer die erste, die die neuesten Gerüchte preisgeben konnte. Sie hielt die Fäden der Klatschbasen in der Hand.
In ganz Dol Amroth wurde darüber spekuliert was er wohl wollte und welche Nachrichten er brachte, und über einige dieser Gerüchte konnte Raelynn nur lächeln.
Sie blieb stehen. Wie lange müßte sie noch hier herum wandern, bis sie etwas erfahren würde.
Sie wollte nicht warten. Entschlossen strich sie ihr langes graues Kleid glatt und schritt zielstrebig zu den Gemächern ihres Vaters.
Fürst Imrahil zog an seiner Pfeife. Er saß in Gedanken versunken in seinem großen Sessel und zupfte an seinem schon ergrauten Bart.
Ihm gegenüber saß ein junger Mann, seine blonden kurzen Haare waren durcheinander, und seine Kleidung war voll Staub und gezeichnet von einem langen Ritt.
Er betrachtete den Fürsten eindringlich.
„Mein lieber Tairon," begann Imrahil schließlich „ Eure Nachricht hat mich keineswegs überrascht. Ich habe schon lange die schreckliche Ahnung, das so etwas passieren würde, und wie ihr mir Denethors Lage, eure Lage geschildert habt, gibt es nur wenig Hoffnung!"
Der junge Mann rührte sich nicht „ Der Feind ist in der Überzahl, und lauert vor den Toren," fuhr Imrahil fort „Sagt, wie ich handeln soll?"
Tairon sah den Fürsten fest an „Ihr solltet alles in eurer Macht stehende tun, um eurem Schwager zur Hilfe zukommen!"
Der Fürst lächelte. Das ungestüme Wesen, dieses jungen Mannes gefiel ihm.
„Ja, das sollte ich wohl tun," sagte er langsam „ und ich zögere keinen Moment, doch ich bezweifle das ich euch eine große Hilfe sein werde!"
„Jede Hilfe, ob groß oder klein, ist Willkommen!" sagte Tairon
„Wisst ihr," erwiderte Imrahil „Meine Ritter werden mir folgen, doch kann ich von den Anderen Soldaten kann ich nur etwa siebenhundert entbehren!"
Tairon atmete tief ein. Siebenhundert. Er hatte erwartet, das Dol Amroth mindestes mit fünfzehnhundert Soldaten half. Der Fürst hatte wohl die Enttäuschung im Gesicht des jungen Mannes gesehen, und er wurde ernst. „Tairon, das liebste was ich tun würde, wäre meinem Schwager mit einem Heer von dreitausend Mann zur Hilfe zukommen, doch meine Mittel sind beschränkt. Wir hatten einen harten Winter und schon die siebenhundert werden eine Belastung sein. Doch meine Männer sind gute Kämpfer, stark und tapfer, und habt ihr nicht gesagt das jede Hilfe Willkommen ist?"
„Natürlich, mein Herr, doch auch Denethor setzte große Hoffnung in die Truppen von Dol Amroth...."
„Ich kenne meinen Schwager!" unterbrach ihn Imrahil „ Das ist das Meiste was ich tun kann, und das werde ich gut tun. Spätestens in zwei Tagen werden wir aufbrechen!"
Es klopfte, und ohne eine Antwort abzuwarten schwang die hölzerne Tür auf.
Tairon stand auf, als die junge Frau eintrat
Ihr schwarzes schimmerndes Haar zu einem dicken Zopf geflochten, ihre grünen Augen im Dämmerlicht glitzern und ihre feinen Finger vor dem Schoß gefaltet, bot sie einen andächtigen Anblick.
Tairon verbeugte sich sogleich und hoffte auf ein Lächeln, doch bekam er nur ein leichtes Nicken und einen kurzen Blick.
„Vater verzeiht!" Sie hatte sich an den Fürsten gewandt „Verzeiht meine Störung, doch ich .....!"
Imrahil hob die Hand „Es ist Gut, Raelynn. Ich schätze deine Meinung!"
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, das Tairon niemals bei diesem strengen Herrn erwartet hätte.
Sanft faßte Imrahil die Hand seiner Tochter und sie ließ sich auf der Lehne seines Stuhles nieder.
„Tairon, darf ich Euch vorstellen, das ist meine Tochter Raelynn .Wir verdanken ihr so manchen weisen Rat!" Tairon senkte erneut den Kopf.
„Und das, Raelynn," fuhr der Fürst fort „Ist. Tairon. Ein Botschafter und Freund der königlichen Familie in Minas Tirith!" Raelynn sah den jungen Mann an und musterte ihn von Kopf bis Fuß. Doch bald wandte sie sich wieder ihrem Vater zu.
„Vater, sagt, was gedenkt ihr jetzt zu tun?" Sie sprach ruhig mit ihrem Vater. Sie war der genaue Gegensatz zu ihrer Schwester, Lothiriel, der er nur flüchtig auf dem Hof begegnet war.
Lothiriel hatte lockiges dunkelblondes Haar, graue Augen, und sprühte nur so vor Fröhlichkeit. Er hatte den Eindruck, das sie wohl pausenlos reden mußte, und Raelynn? Kühl und edel, vielleicht auch etwas melancholisch, und doch hatte sie etwas an sich, das einen aufsehen ließ, wenn sie sprach.
Sie konnte einem wohl gleichzeitig große Freude und großen Schrecken schenken.
„Mein Kind!" Imrahil sprach „Ich werde wohl für einige Zeit gehen müssen, um mit meinen Soldaten Minas Tirith zur Hilfe zukommen!" Er seufzte schwer. Raelynn legte ihm ihre Hand auf die Schulter, doch nicht sanft um ihn zu trösten sondern fest und sicher.
„Gut, geht, doch ich werde mit euch kommen! Ihr habt es versprochen!" Sie sah ihm fest in die Augen , und unter diesem Blick schien der starke Herrscher dahin zu schmelzen.
„Mein Kind, meine Tochter, du bist mir so lieb. Ich bitte dich, sei vernünftig wie deine Schwester und blieb hier!" Diese Blicke ließen einen Funken in Raelynns Augen springen.
„Meine Schwester!" sie lachte , und dieses Lachen, obgleich es wunderschön anzusehen war, ließ Tairon einen Schauer über den Rücken laufen „Meine Schwester. Ja, sie bleibt hier, doch sie will es nicht anders, Vater, ich bin nicht wie sie, ich habe keinen Spaß an diesem höfischen Leben, und das
ist nur einer der Gründe warum ich dich begleiten will.
