Kapitel 4: Severus II
Hermione und ich betraten die Große Halle zusammen. Es war noch früh, und nur ein paar Schüler waren anwesend, die mit trüben Augen auf ihr Essen sahen, während sie aßen. Die Große Halle war etwas anders als alle sie vor dem Krieg gekannt hatten. Natürlich war sie wiederaufgebaut worden, aber nichts Wiederaufgebautes sieht jemals wieder genau gleich aus. Es war schwierig, die Unterschiede aufzuzeigen, aber es gab sie. Die Halle war irgendwie … strahlender. Ich seufzte und setzte mich auf meinen Platz in der Mitte des Lehrertischs. Hermione setzte sich neben mich, was nicht ihr üblicher Platz war. Ich beschwerte mich jedoch nicht. Ich wollte sie im Auge behalten, da ich ihr nicht traute.
„Wirklich, Hermione!", rief Minerva von Hermiones anderer Seite. Diskret betrachtete ich den Gesichtsausdruck der stellvertretenden Schulleiterin, und plötzlich wusste ich, weshalb Hermione sich amüsierte. Ein Grinsen zuckte um meine Lippen, aber ich hielt es resolut zurück.
„Seltsamer Fall von Zeitreise", erklärte ich, ehe die Ersatz-Hermione antworten konnte. „Ich werde bei der Konferenz heute Abend alles erklären."
Da ich auf meinen Teller schaute, verpasste ich Hermiones wütenden Blick, aber ich wusste sowieso, dass sie mir einen zugeworfen hatte. Ich hatte ihr den Spaß verdorben. Ich schaute noch ein wenig länger auf meinen Teller, dann sagte ich, was ich zum Frühstück haben wollte. Einige Sekunden später erschien es, und ich fing an zu essen.
Am Lehrertisch herrschte an diesem Morgen ungewöhnliches Schweigen. Hermione hatte sich dafür entschieden, still zu sein, und dafür war ich dankbar. Als die übrigen Professoren zum Frühstück hereinkamen, starrten sie Hermione verwirrt an. Soweit ich sehen konnte, sah es niemand aus der Schülerschaft. Sie waren alle zu sehr damit beschäftigt, miteinander zu schwatzen. Ich überlegte, wie sie reagieren würden, wenn sie merkten, dass ihre Lieblingsprofessorin gerade um zehn Jahre gealtert war. Ich fragte mich, wie sie es ihnen erklären würde, und ich fragte mich, ob sie die ganze Wahrheit sagte. Ich war ziemlich sicher, dass sie tatsächlich in der Zeit zurückgereist war, aber ob ihr jüngeres Ich in die Zukunft gereist war, und sie wirklich den Grund nicht kannte, bezweifelte ich. Sobald der Unterricht für den Tag vorüber war, hatte ich vor, ein langes Gespräch mit ihr zu führen. Ein sehr langes Gespräch.
Ich ließ einen Hauselfen Eulen zu allen Professoren schicken, um sie über die Lehrerkonferenz zu informieren. Hermione wies ich an, eineinhalb Stunden vorher zu mir in mein Büro zu kommen. Ich war leicht beruhigt zu erfahren, dass sie in der Zukunft immer noch in Hogwarts angestellt war – eine Stelle weniger, über die ich mir Sorgen machen musste. Dies bedeutete auch, dass der Fluch, den der Dunkle Lord auf die Stelle gelegt hatte, mit seinem Tod verschwunden war. Zumindest … dachte ich, sie hätte angedeutet, dass sie noch unterrichtete. Ich würde sie während des Treffens danach fragen müssen.
Ich saß an meinem Schreibtisch, demjenigen, hinter dem Albus so viele Male gesessen hatte, während ich vor ihm auf- und abgegangen war oder mich auf einen der Stühle vor dem Schreibtisch hatte fallen lassen. Abwesend schaute ich ins Leere, als sie an meine Tür klopfte – es störte mich nicht mehr, an dem Platz zu residieren, von dem ich immer noch das Gefühl hatte, er gehöre Albus. Um die Wahrheit zu sagen, waren meine Gedanken bei Lily. Ich konnte sie immer noch deutlich vor meinem geistigen Auge sehen – eine Tatsache, die ohne Zweifel nur deswegen bestand, weil ich noch Fotos von ihr hatte. Aus irgendeinem Grund war sie mir heute immer wieder durch den Kopf gegangen, hatte mich abgelenkt und den alten Schmerz über ihren Tod in meinem Herzen wieder aufleben lassen … Ich würde mir selbst nie verzeihen.
„Herein", sagte ich einen Augenblick, nachdem Hermione geklopft hatte, und gestattete mir so genug Zeit, mich aufzurichten und einen ernsthaften Gesichtsausdruck aufzusetzen. Gleich würde ich einige Antworten bekommen.
Anmutig trat sie ein — irgendwie ließ älter zu sein sie größer aussehen, und sie setzte sich auf einen Stuhl mir gegenüber. Ihr Gesichtsausdruck war unbeschwert, aber ernst, auch wenn ich glaubte, in ihren Augen ein Funkeln zu entdecken … Ihre Erheiterung war noch immer da, aber versteckt. Einen Augenblick lang war ich froh, dass die Hermione dieser Zeit nicht so war, und dass ich zehn Jahre Zeit hatte, bis sie zu dieser Frau wurde.
„Hermione", sagte ich wieder mit einem seltsamen Gefühl, ihren Vornamen zu nennen, auch wenn sie es wieder nicht zu bemerken schien. „Ich will jetzt die ganze Wahrheit von Ihnen. Es gibt Dinge, die Sie verschweigen, und ich brauche kein Veritaserum, um zu wissen, ob jemand die Wahrheit sagt oder nicht."
Sie schwieg und wartete einfach darauf, dass ich fortfuhr. Ich hatte irgendeine Art von abfälliger Bemerkung erwartet, ließ es aber ruhen und sprach weiter.
„Um es klarzustellen … Sie sind genau zehn Jahre in der Zeit zurückgereist? In der Zukunft sind Sie abends zuvor in Ihr Bett schlafen gegangen, und Sie sind heute Morgen in den Räumen, im Bett der Hermione Granger der Gegenwart aufgewacht?", fragte ich und wählte meine Worte mit Bedacht.
„Korrekt", sagte sie. Ihre Stimme verriet keinerlei Emotion. Ich fragte mich, wann der verbale Schlagabtausch beginnen würde. Wie lange würde es dauern, bis sie ihre Erheiterung nicht mehr unterdrücken konnte?
Ich seufzte und fragte: „Sie haben keinen Zeitumkehrer benutzt?"
„Nein", antwortete sie. „Die Reise ist während des Schlafens passiert, genau wie beim letzten Mal."
Für einen Moment war ich verwirrt, aber dann wurde mir klar, dass sie sich auf ihre eigene Zeitlinie bezog. Denn wenn sie die Wahrheit sagte, war ihr gegenwärtiges Ich jetzt in der Zukunft und war auf die gleiche Weise gereist. Es ergab keinen Sinn. Zeitreisen funktionierten so einfach nicht, und sie waren nur in eine Richtung möglich. In die Vergangenheit. Sie sollte all dies ebenfalls wissen – in ihrem dritten Jahr hatte ich den Verdacht gehegt, dass sie einen Zeitumkehrer benutzte, auch wenn dies nie bestätigt worden war. Vielleicht würde ich jetzt darüber auch etwas erfahren. Sirius Black mochte unschuldig gewesen sein, aber es machte mich immer noch zornig, wenn ich daran dachte, wie die drei mir einen Strich durch die Rechnung gemacht hatten.
„Hmm", beschloss ich zu sagen, und ich schaute nachdenklich drein, ehe ich frage: „Sie sind sicher, dass die gegenwärtige Hermione nicht mehr hier ist … einfach örtlich und nicht zeitlich irgendwohin verlagert?"
„Ich bin sicher", sagte sie. „Denn wie die Beweise gezeigt haben, kann die Zeit nicht wirklich verändert werden. Die Zukunft ist genauso in Stein gemeißelt wie die Vergangenheit. Wenn ich dieses Mal nicht in de Zukunft gegangen wäre, dann wäre ich nicht hier."
Das stimmte, aber sie ging nicht darauf ein, dass ich ihr nicht vollständig glauben mochte. Natürlich, wenn es wahr war, was sie sagte, dann wusste sie dies bereits. Vielleicht war sie deswegen still. Wie viel wusste sie über die kommenden fünf Monate? Sie hatte sie noch nicht durchlebt, ihr war nur darüber berichtet worden.
„Wie haben Ihre Schüler reagiert?", fragte ich sie schließlich und beschloss, für einen Augenblick das Thema zu wechseln. Außerdem war ich neugierig.
„Amüsiert", sagte sie mit einem Grinsen. Verdammt sei dieses Grinsen.
„Außerdem frustriert", sagte sie, dieses Mal mit einem echten Lächeln. „Einige von ihnen haben herausgefunden, dass ich mit zehn Jahren mehr Lehrerfahrung nicht so leicht herumzuschubsen bin."
Aha. Also unterrichtete sie tatsächlich noch.
„Unterrichten Sie in der Zukunft immer noch Verteidigung gegen die Dunklen Künste?", fragte ich sicherheitshalber.
Sie nickte, dann sagte sie: „Hör zu … Severus, ich lüge nicht. Ich bin wirklich in die Zukunft gereist, so unwahrscheinlich es scheint. Mein jüngeres Ich wandert nicht irgendwo alleine und verloren auf der Welt herum. Glaubst du wirklich, ich würde mir das antun?"
„Wenn es bereits geschehen ist, schon", verwies ich.
Sie seufzte und sagte: „Aber es wäre nicht passiert. Das ist der Punkt. Aber wir brauchen wirklich nicht alle diese Vermutungen durchzugehen. Du wirst mir letztlich glauben, warum nicht jetzt? Ich werde mit dir die ganzen üblichen Nachforschungen anstellen … wer weiß, vielleicht kann ich eine Erklärung finden und habe erst heute in zehn Jahren die Gelegenheit, es dir zu erklären … Aber ich lüge nicht, und es ist wirklich passiert."
„Es gibt keinen … speziellen Grund, weshalb Sie zurückkommen müssen? Dies ist vollständig außerhalb Ihrer Kontrolle?", forderte ich, weil ich fragen wollte, ehe ihre Wortwahl mich wieder misstrauisch machte. Etwas nagte in meinem Hinterkopf an mir. Sie war zu vertraulich mit mir …, aber darüber nachzudenken, würde warten müssen.
„Kein Grund", seufzte sie, dann lächelte sie mich an, und plötzlich blitzte Lilys Gesicht vor meinen Augen auf, als mir klar wurde, dass Hermione hübsch war … und dieses Lächeln … Sie hatte gerade gelächelt, als sei dieses Lächeln für mich gedacht, und für mich allein. Mein Unbehagen kehrte mit voller Kraft zurück.
„Sie kommen nicht zurück, um zu versuchen, eine fürchterliche Zukunft zu ändern?", fragte ich schnell, um mich abzulenken, und erkannte dabei, dass meine Frage einer ihrer Erklärungen von zuvor widersprach …, dass die Vergangenheit und die Zukunft in Stein gemeißelt waren.
„Nein." Sie schüttelte den Kopf. „Kein Grund …, keine Warnung vor einem von den Toten auferstandenen Voldemort oder irgendeinem neuen dunklen Zauberer … Keine Katastrophe. Kein Horror. In zehn Jahren, Severus, ist die Welt ein wunderbarer Ort zum Leben."
Dann lächelte sie wieder dasselbe intime Lächeln. Ich beschloss, es zu ignorieren, und ich starrte sie einfach an und verbarg mein Unbehagen hinter einem emotionslosen Blick.
„Dann werde ich geduldig und zufrieden darauf warten", sagte ich, und ich wusste, dass das Gespräch beendet war, auch wenn ich das Gefühl hatte, dass ich sie bei weitem nicht so sehr hatte befragen können, wie ich geplant hatte. Sie war charismatischer als die jüngere Hermione. Ich hegte den schleichenden Verdacht, dass sie mich ausgetrickst hatte.
Die Lehrerkonferenz lief glatter, als ich erwartet hatte. Ich stand einfach auf, fasste zusammen, was Hermione mir gesagt hatte, und ließ die Diskussion dann beginnen. Das meiste davon war harmlos: Hermione wurde von allen Seiten des Raumes mit Fragen nach dem warum und wie bombardiert, und wie die Zukunft war. Die meisten Fragen zur Zukunft parierte sie mit vagen Antworten, und sie konnte das Wie und Warum ihrer Situation nicht erläutern, daher währte die Fragerei nicht lange.
Es dauerte nur eine halbe Stunde, bis es vorbei war und alle außer Hermione und Minerva gingen. Ich schätzte die Frau mehr als zu der Zeit, als Albus noch gelebt hatte. Minerva war intuitiv und einfallsreich – sie hatte gewusst, dass ich gewollt hatte, dass sie blieb. Manchmal fragte ich mich, ob sie wegen meiner Position als Schulleiter gekränkt war, auch wenn sie mir versicherte, dass sie völlig zufrieden damit war, bis ich mich zurückzog, um mehr Verantwortung zu übernehmen. Ich war mir noch nicht sicher, ob ich ihr glauben sollte, aber ich akzeptierte ihre Worte, weil dies der einzige Weg war, um mir Seelenfrieden zu verschaffen.
„Minerva?", fragte ich und sah sie an, während der letzte Professor das Zimmer verließ. Ich hielt meine Lehrerkonferenzen immer in den Kerkern ab, denn es hielt die Leute davon ab zu bleiben. Sollten sie in ihrer eigenen Zeit Geselligkeit pflegen, nicht in meiner.
„Ich glaube, sie sagt die Wahrheit", sagte Minerva und lächelte Hermione sanft an. „Und ich sehe keinen Grund, an ihr zu zweifeln."
Natürlich hatte Minerva Hermione immer bevorzugt … Aber gleichzeitig hatte sie recht. Die Hermione, die wir kannten, war mit Sicherheit vertrauenswürdig, obgleich zehn Jahre eine Menge Zeit waren, in der jemand sich ändern konnte. Dennoch nahm ich an, dass sie das nicht getan hatte. Ich seufzte und räumte ein, dass das, was Hermione gesagt hatte, das Unvermeidliche war.
„In Ordnung dann", sagte ich und ging ein paar Schritte durch das Zimmer auf und ab. „Was sollen wir deswegen unternehmen?"
„Wir können nichts tun als warten", sagte Hermione schnell. „Es werden fünf Monate sein, egal, was geschieht."
„Bist du sicher, dass nicht deine eigene Handlungsweise das so veranlasst?", fragte Minerva.
Hermione sah leicht erschrocken aus, und ich spürte eine kurze Woge von Triumph; also wusste sie letzten Endes nicht alles. Aber dann fasste sie sich wieder und schüttelte den Kopf.
„Ja, ich bin sicher", sagte sie, sah aber nicht so aus. „Severus sagte, wir haben nichts herausgefunden, und ich weiß, dass wir das in der Zukunft auch nicht geschafft haben."
Ich brauchte einen Moment, um die genaue Bedeutung ihrer Worte zu verstehen. Was sie meinte, war, dass ich – wenn ihr jüngeres Ich zurückkehrte – der jüngeren Hermione sagte, dass ich selbst und diese Hermione nichts herausgefunden hatten. Es war verwirrend, wenn sie über die Gegenwart als die Vergangenheit sprach. Der zweite Teil bedeutete, dass in der Zukunft … anscheinend wieder mit mir, ihr jüngeres und mein älteres Ich es ebenfalls nicht schafften, die Ursache oder den Grund für die Zeitreisen zu entdecken. Ein kleiner Schauer lief mir über den Rücken, als mir klar wurde, dass es nicht nur fünf Monate waren, wie sie gesagt hatte. Für sie waren es fünf Monate, aber nachdem sie weg war, würde ich heute in zehn Jahren alles noch einmal erleben. Ich fragte mich, wie es wäre, die Hermione, die ich kannte, sich langsam in diese Hermione verändern zu sehen, und dann in der Zukunft die jüngere Hermione für fünf Monate noch einmal zu sehen zu bekommen.
Ich schaute zu Minerva. Sie sah ebenfalls leicht verwirrt aus.
„Es ist doch sicher erstaunlich", sagte sie, „zehn Jahre durch die Zeit zu reisen? Noch nie dagewesen. Ich habe Schwierigkeiten, die Tatsache zu akzeptieren, dass ich mindestens zehn Jahre werde warten müssen, um zu erfahren, wie es passiert. Und auch in die Zukunft zu reisen …"
„Ich weiß", sagte Hermione mit einem Lächeln. „Ich habe darauf gewartet. Ich wünschte, ich könnte euch sagen, wir hätten es in der Zukunft herausgefunden, aber wenn wir es in der Zukunft herausgefunden hätten, hätte ich es euch mitgeteilt, und müsste ich es nicht herausfinden, weil ich es bereits gewusst hätte …"
Sie ließ es sich so leicht zu verstehen anhören. Über den Tag hatten sich Kopfschmerzen in meinem Kopf aufgebaut. Ich beschloss, dass ich Zeitreisen hasste. Zu chaotisch und verwirrend. Selbst hatte ich nie einen Zeitumkehrer benutzt, aber ich hatte genügend Bücher darüber gelesen, um von dem Gedanken daran gründlich ernüchtert zu sein.
Schweigen lag über dem Raum, und dann lachte Hermione plötzlich. Minerva und ich starrten sie an.
Sie seufzte und sagte: „Ich habe mich gerade daran erinnert, dass mein früheres Ich jetzt durch die Zukunft geht … In meiner Zeit, meine ich. Dieses Mal ist es so viel einfacher."
Ich sah sie stirnrunzelnd an. Natürlich war es einfacher. Sie wusste, was kam.
