15. Kapitel
Als Prue am späten Nachmittag nach Hause kam, teilte Mrs. Jennings ihr mit, dass Cole mit Danny in den Park gegangen war. Und dass sie Prue von Cole daran erinnern sollte, sich Gedanken über die gewisse Angelegenheit zu machen. Mrs. Jennings zog fragend die Augenbrauen hoch, aber Prue nickte nur.
Sie brachte ihre Sachen in ihr Zimmer und beschloss seufzend auf den Dachboden zu gehen, um einen Blick in Mrs. Turners Zauberbuch zu werfen. Als sie die Tür öffnete, bedauerte sie ihren Entschluss sofort. Draußen herrschten sicher um die 30 °C und auf dem Speicher war es noch drückender. Sie schob eins der Fenster hoch, aber auch von hier kam kaum ein Windstoß. Prue schaute aus dem schmalen Fenster auf die Kastanie, deren Äste und Blätter sich so gut wie gar nicht bewegten.
Genervt drehte sie sich um und ging zu dem Altar. Von unten hörte sie, wie Mrs. Jennings ihr zurief, dass sie gehen würde. Prue rief zurück und lauschte, bis die Tür ins Schloss fiel. Jetzt war sie ganz alleine im Haus. Nachdenklich nahm sie das alte Buch in die Hand und blätterte es im Stehen durch. Auf den ersten Blick kam ihr nichts bekannt vor. Sie legte es wieder zur Seite und sah sich um, überall lag Gerümpel herum. Ohne lange zu überlegen, hob Prue ihre Hand und schleuderte den nächstbesten Gegenstand gegen die Wand. Krachend zerschellte die Vase an der Wand. Keine so gute Idee, dachte Prue sich und versuchte, das Kissen auf dem Sessel ein bisschen anzuheben. Erneut hatte sie keine Probleme damit. Seufzend ließ sie sich in dem staubigen Sessel nieder und nahm das Kissen in den Arm. Sie musste es wohl oder über akzeptieren, dass sie auch hier magische Fähigkeiten besaß, auf jeden Fall die Telekinese. Ob sie auch zur Astralprojektion fähig war oder Zaubersprüche wirksam wären, wollte sie gar nicht erst wissen. So hatte sie den Deal nicht gemacht, sie wusste einfach nicht, wie sie damit umgehen sollte. Magie und ihre Schwestern, das gehörte einfach zusammen, alleine gab Magie einfach keinen Sinn für sie.
Eine Stunde später saß sie immer noch auf dem Sessel und war zu keinem Entschluss gekommen. Cole und Danny waren immer noch nicht zurück und Prue hatte keine Lust, sich zu bewegen. Schließlich stand sie auf und ging in die Küche. Mrs. Jennings hatte nur für sie etwas zu essen hingestellt, daher nahm sie an, dass Cole mit Danny länger wegbleiben wollte. Immer noch in Gedanken öffnete Prue den Kühlschrank und stellte fest, dass kein Orangensaft mehr da war. Sie blickte sich um und fand auf der Küchenablage schön säuberlich gestapelt die Bons der letzten Einkäufe. Clara war an diesem Tag einkaufen gewesen, aber von Orangensaft war nichts zu entdecken. Ärgerlich erinnerte sich Prue, dass sie sie extra an diesem Morgen daran erinnert hatte, der würde sie etwas erzählen. Aber halt stop nein, sie hatte es ihr sagen wollen, aber nachdem Clara ihr Bett machen wollte, hatte sie es ganz vergessen. Wütend auf sich selbst, nahm sie ihren Autoschlüssel und beschloss, schnell in den nächsten Supermarkt zu fahren. Als sie gerade um die nächste Kreuzung fuhr, kamen ihr Cole und Danny entgegen, sie sah ihnen kurz nach, beschloss dann aber, trotzdem kurz einkaufen zu fahren.
Als Prue kurze Zeit später auf dem überfüllten Parkplatz ankam, bereute sie ihren Entschluss bereits. Zur Abendzeit war der Laden mehr als überfüllt. Sie stürzte sich zwischen die übrigen Einkäufer und hatte gerade einen Karton mit Saft in ihren Wagen gehievt, als sie Vivian Wingrove entdeckte. Die junge Frau benahm sich unglaublich auffällig und es war offensichtlich, dass sie sich nicht für die Lebensmittel interessierte. Prue ließ ihren Wagen an der Seite stehen und folgte Vivian, die verstohlen zu einem Angestelltenausgang ging, der sich im hinteren Teil der Obst- und Gemüseabteilung befand. Vivian drehte sich vorsichtig um, und Prue versteckte sich hinter einem der Obststände. Ein Mann, der dachte, sie wolle ihm die letzte Melone vor der Nase wegschnappen, sah sie wütend an.
„Nun nehmen Sie sie schon." fuhr Prue ihn an und trat zur Seite, um ihm den Vortritt zu lassen. Die Melone interessierte sie nun wirklich nicht, sollte er damit doch selig werden. Hastig griff der Mann nach der Melone und verließ vor sich hin schimpfend die Abteilung.
Prue sah ihm kopfschüttelnd hinterher und als sie das nächste Mal um die Ecke sah, war Vivian bereits verschwunden. Langsam ging sie auf den Ausgang zu, so lange hatte ihr kleiner Disput mit dem Mann doch gar nicht gedauert, dachte sie überrascht. Die Tür bewegte sich noch leicht, was dafür sprach, dass Vivian erst vor kurzem dadurch verschwunden war. Prue sah sich ebenfalls um. Es befanden sich nur wenige Kunden in der Abteilung und diese waren mit ihren Einkäufen und dem Prüfen der Waren beschäftigt. Ohne lange zu überlegen, öffnete sie die Tür und schlüpfte hindurch.
Sie befand sich auf dem hinteren Hof des Geschäftes, den ein hoher Zaun umschloss. Kisten und Verpackungen stapelten sich am Rand und Lastwagen parkten auf dem großen Platz und wurden entladen oder fuhren wieder ab. Prue sah sich um, sie konnte sich nicht vorstellen, was Vivian hier wollte. Schließlich entdeckte sie sie. Sie stand am Rand und redete mit einem der Arbeiter. Der Mann zeigte in eine Richtung und zeichnete etwas auf ein Stück Papier, das er Vivian reichte. Diese bedankte sich überschwänglich und gab ihm verstohlen einen Geldschein. Der Mann nickte und Vivian ging auf eine verschlossene Tür zu, die auf die rückwärtige Straße des Supermarktes führte.
Mittlerweile war die Sonne bereits untergegangen, hier im Süden dauerte die Dämmerung nicht lange. Doch Prue kümmerte sich nicht darum, sie folgte Vivian im Schatten der Lastwagen und sah zu, wie die Tür nach draußen sich durch ein Summen öffnete. Vivian drückte dagegen und Prue sah sich schnell um. Sie entdeckte einen größeren Stein und hob ihren Arm, um ihn auf den unteren Rahmen der Tür zu befördern, so dass sie nicht ins Schloss fallen konnte. Niemand schien es bemerkt zu haben. Vivian verschwand durch die Tür und die übrigen Arbeiter waren mit den Lebensmittelkartons beschäftigt. Ohne weiter darüber nachzudenken ging Prue auf die Tür zu, sie kickte den Stein zur Seite und stand schließlich auf der anderen Seite des Zaunes. Sie sah sich um und erblickte Vivian, wie sie in einer der Gassen verschwand. Schnell folgte Prue ihr und fluchte leise darüber, dass sie noch ihre Hausslipper trug, die für lange Wege wirklich nicht geeignet waren. Sie bog in die schmale Gasse, die mit einem unebenen Kopfsteinpflaster gepflastert war. Der Boden dampfte noch von der Hitze des Tages und Prues dünne Sohlen ließen sie jeden Stein schmerzhaft spüren.
Vivian bog um die nächste Ecke und langsam verlor Prue die Orientierung. Sie sah sich um und stellte fest, dass sie sich in einem der ärmlichen Werftenvierteln befand. Sie kam an billigen teils heruntergekommenen Holzbuden vorbei, die auf unkrautüberwucherten Grundstücken standen. Auf der linken Seite befand sich eine verfallene Lagerhalle mit Autowracks, während rechts weitere einstöckige Buden den Weg säumten. Die Geländer der Veranden waren meist kaputt und aus zahlreichen Häusern drang Lärm auf die Straße. Die Straßenbeleuchtung funktionierte an einigen Stellen nicht mehr richtig und Prue wäre fast umgekehrt, wenn Vivian nicht plötzlich vor einem der Holzhäuser stehen geblieben wäre. Prue versteckte sich hinter einem Büsch und sah zu, wie Vivian auf ihren Zettel blickte. Sie schaute hoch und ging zielstrebig die drei Stufen der brüchigen Treppe zur Eingangstür hoch. Sie klopfte an und wurde kurz darauf hineingelassen.
Prue kam hinter dem Busch hervor und ging vorsichtig auf die Tür zu. Auf einem Schild neben dem Eingang stand Mme. Zadie, nichts weiter. Prue lauschte, in der Ferne bellte ein Hund, aber aus dem Haus drang kein Laut. Vorsichtig stieg sie die Treppe wieder hinunter und sah sich um. Das gesamte Grundstück war von keinem Zaun begrenzt. Darum hatte sie keine Mühe, auf die andere Seite des Hauses zu schleichen.
Kurze Zeit später stand sie auf einem Stück Rasen, das bei weitem nicht so unkrautüberwuchert war, wie das der Nachbarn. Prue schaute auf das Haus. Es war einstöckig und nicht besonders groß. Im hinteren Teil befanden sich im Erdgeschoss zwei Räume, von denen einer beleuchtet war. Vorhänge waren vor die breite Glastür gezogen, aber Prue konnte in dem Zimmer zwei Menschen erkennen. Vorsichtig trat sie näher und lauschte.
„Warum wenden Sie sich damit nicht an meine Schwester Miss Wingrove?" ertönte die kräftige Stimme einer Frau. „Wie ich Ihnen bereits gesagt habe, kann ich Ihnen in dieser Angelegenheit nicht helfen."
Leise zischende Laute erklangen, die augenscheinlich von Vivian stammen mussten.
„Es ist mir egal, dass Ihr Vater nichts davon wissen soll." erklärte die andere Frau. „Ich mache so etwas nicht."
Erneut Gegrummel von Vivian.
„Nein!" erklang es daraufhin. „Versuchen Sie es doch auf die herkömmliche Weise, Sie sind eine schöne Frau Miss Wingrove, da wird Ihnen das doch nicht allzu schwer fallen."
„Wenigstens irgendein Mittel" hörte Prue Vivian kreischen.
Eine zeitlang war es still und die Schatten verschwanden in den hinteren Teil des Raumes. Prue lauschte in die Nacht hinaus, sie fragte sich schon, ob Vivian ohne, dass sie es bemerkt hatte, das Haus verlassen hatte. Wenn Vivian bereits verschwunden war, dann sähe es schlecht für Prue aus, denn sie hatte keine Ahnung, wie sie zurück zu ihrem Auto kommen sollte. Sie hatte in dem Gewirr der Gassen völlig die Orientierung verloren, und selbst für sie war dies kein Viertel wo sie zu nächtlicher Stunde gerne alleine durch die Gegend irren wollte. Seufzend entschloss sie sich, zurück auf die Straße zu gehen, um zu sehen, ob sie Vivian noch erblicken könnte, als der Schatten einer Frau erneut hinter dem Vorhang erschien.
„Ich weiß dass Sie da draußen sind." erklang die tiefe Stimmer der Frau und bevor Prue verschwinden konnte, wurden die Vorhänge zur Seite geschoben. Eine imposante dunkelhäutige Frau stand in der Tür und sah Prue fragend an.
Da Prue nirgendwo einen Platz zum Verstecken sah, tat sie das beste, was ihr in dieser Situation einfiel. Schließlich war Angriff die beste Verteidigung, entschied sie und ging ohne zu zögern auf die Frau zu, die bereits die Tür geöffnet hatte.
„Kommen Sie doch herein." Bat die Frau und trat zur Seite.
Prue trat ein und sah sich um. Sie befand sich in einem überfüllten Raum. Überall an den Wänden hingen Masken und Bilder, auf zahlreichen Regalen lagen Amulette, Steine, Schlangenfiguren, Fläschchen und Dosen mit Pulvern und Töpfe mit undefinierbarem Inhalt. Neben der Glastür stand ein großer Altar mit zahlreichen Figuren und Heiligenbildchen. In der Mitte des Raumes befand sich ein breiter runder Tisch, an dem auf der einen Seite ein kunstvoll geschnitzter Holzstuhl stand und auf der anderen zwei schlichte Stühle.
Die Frau ging auf den Tisch zu und bat Prue Platz zu nehmen. Sie selbst ging auf die andere Seite des Tisches und ließ sich auf dem Sitzkissen des Holzstuhls nieder. Prue nahm ebenfalls Platz und betrachtete die Frau nun eingehend. Sie trug ein wallendes buntes Gewand und ein imposantes Tuch auf dem Kopf. Sie war recht korpulent und älter, als Prue von weitem gedacht hatte. Sie trug verschiedene Ketten und Amulette um den Hals und an ihren Armen befanden sich zahlreiche, meist goldene Armreifen, die bei jeder ihrer Bewegungen klimperten.
„Nun, wollen Sie mir denn gar nicht erzählen, was Sie in meinem Garten zu suchen hatten?" fragte sie und zeigte bei ihrem Lächeln eine Reihe strahlend weißer Zähne.
Prue ging nicht auf die Frage ein. „Woher wussten Sie, dass ich dort war?"
„Oh, ich habe es gespürt." meinte die Frau leise. „Und ich möchte Sie warnen, Vivian Wingrove könnte gefährlich werden. Sie sollten sich in Acht nehmen."
„Was wollte sie hier?" fragte Prue, und kümmerte sich nicht weiter, um die Warnung, mit Vivian würde sie schon fertig werden.
„Ich rede nicht über die Belange meiner Kunden, aber ich kann Ihnen sagen, dass sie nicht bekommen hat, was sie wollte." erklärte die Frau.
Prue sah sie aufmerksam an. „Sie sind..."
„Eine Voodoopriesterin." vollendete diese den Satz. „Und obwohl ich weiß, dass viele Weiße das als Aberglaube abtun, bin ich überzeugt, dass Sie keine davon sind." Sie sah Prue forschend an. „Sie haben ihre eigenen Erfahrungen mit Magie gemacht, habe ich recht?"
Prue sah die Frau skeptisch an, doch dann nickte sie zögerlich.
„Ja, Sie waren eine mächtige Hexe, aber etwas ist passiert." die Frau schloss die Augen und erschauderte plötzlich. Sie öffnete die Augen und sah Prue erschrocken an. „Ich spüre den Tod." meinte sie entsetzt und schüttelte den Kopf. „Damit sollte man nicht spielen."
„Ich habe nicht damit gespielt." erklärte Prue mit fester Stimme. „Ich weiß, dass man mit Magie nicht leichtfertig umgehen darf."
„Ja," erklärte die Frau seufzend, die jetzt um einiges älter aussah. „Manche lernen das leider nie." Sie ergriff Prues Hand und schloss erneut die Augen. Prue widerstand dem Impuls, ihre Hand wegzuziehen und wartete ruhig ab. Nach einer Weile öffneten sich die Augen der Frau wieder und sie wirkte um einiges beruhigter. „Sie haben eine natürliche Kraftquelle aufgetan." teilte sie Prue erleichtert mit. „Alles ist, wie es sein soll."
„Was wollen Sie damit sagen?" fragte Prue überrascht.
„Eine reine Naturquelle gibt Ihnen nur die magischen Kräfte zurück, die für Sie bestimmt sind." erklärte die Frau und sah Prue spöttisch an. „Soweit ich sehe, müssten Sie das als mächtige weiße Hexe eigentlich wissen."
Prue war perplex. „Und der Ältestenrat und die ..."
„Gegen eine natürliche Kraftquelle sind selbst sie machtlos, sie beherrschen nicht alles." Zadie lächelte. „Sie sind nicht allmächtig, obwohl sie das gerne wären."
Prue musste erst einmal verdauen, das diese Frau etwas vom Ältestenrat wusste. Sie sah sie skeptisch an und fragte. „Und der Ältestenrat akzeptiert, was Sie hier tun, dass Sie..."
Bevor Prue ausreden konnte, hob die Frau ihre Hand, um sie zu stoppen. „Mit denen habe ich nichts zu tun. Sie respektieren mich und viele meiner Schwestern nicht, das Dunkle an der Voodookunst ist ihnen ein Dorn im Auge. Dabei praktiziere ich nur das weiße, gute Voodoo. Ich habe mich der Rada-Tradition verpflichtet. Trotzdem haben sie sich von uns abgewandt." erklärte sie resolut.
Prue schaute sich nachdenklich um. „Aber sie scheinen sehr mächtig zu sein."
Die Frau lachte auf. „Oh ja, und gerade darum haben alle Angst vor mir und lassen mich in Ruhe."
Prue blickte sie nachdenklich an. „Und darum können Sie auch Magie verkaufen." erklärte sie angewidert.
Die Frau lachte erneut. „Ach Kind." meinte sie. „Die meisten meiner Kunden wollen nur einen guten Rat, und gegen heilende Salben oder ähnliche Medizinen werden Sie wohl nichts einzuwenden haben. Manche Männer brauchen Potenzmittel und viele Menschen wollen ein Liebesöl oder Follow-me-Drops. Aber nichts von alldem ist schädlich, doch wenn der entsprechende Kunde daran glaubt, vielleicht kann es Wunder bewirken." erklärte sie zufrieden.
„Verkaufen Sie keine wirklichen Zaubermittel?" fragte Prue skeptisch.
„Ich bin damit sehr vorsichtig. Nur wenn ich die genauen Umstände kenne und das Risiko und den Nutzen einschätzen kann." erwiderte die Frau ruhig. „Außerdem besitze ich natürlich eine Art Zauberapotheke, aus der ich heilkräftige Pulver und Tinkturen für jede Gelegenheit hervorziehen kann." fuhr sie mit einem Grinsen fort. „Die meisten Mittel dienen jedoch ausdrücklich der Bekämpfung von 'Krankheiten übernatürlicher Herkunft'. Obwohl ich zugeben muss, dass das ein sehr dehnbarer Begriff ist."
„Hätten Sie auch etwas für einen Wahrheitszauber?" erkundigte sich Prue neugierig, auch wenn sie kein Interesse daran hatte, der Frau etwas abzukaufen.
Die Voodoopriesterin sah sie überrascht an. „In der Tat, ich verfüge über solch ein Tonikum, aber es muss sparsam und sehr vorsichtig eingesetzt werden." Sie stand auf und ging auf eins ihrer überfüllten Regale zu, um ein Fläschen hervorzuholen. „Aber ich denke in dieser Hinsicht muss ich mir bei Ihnen keine Sorgen machen." Erklärte sie spöttisch und setzte sich wieder hin. Dann tropfte sie mit einer Pipette drei Tropfen in eine schmale Phiole. „Ein Tropfen aufgelöst in Flüssigkeit reicht, und der Betroffene wird zwei Stunden lang gezwungen sein, die Wahrheit zu sagen."
Prue nahm die Phiole entgegen. Sie war sich nicht sicher, was sie damit machen würde. „Was bekommen Sie dafür?" fragte sie schließlich und blickte die Frau an.
„Wollen Sie mich beleidigen?" fragte diese ärgerlich. „Wenn ich helfen kann, dann tue ich das unentgeltlich. Und ich bin überzeugt, dass Sie die Tropfen nur zum Wohle aller einsetzen werden."
Prue nickte. „Danke, da haben Sie recht." Sie stand auf und wollte auf die Tür zum Garten zugehen, als Mme. Zadie sie aufhielt.
„Warten Sie," forderte sie Prue auf und kam auf sie zu. Sie nahm eins ihrer Amulette ab, die sie um den Hals trug und hängte es Prue um. „Es wird die negativen Energien in positive verwandeln." erklärte sie mit einem Lächeln.
„Danke!" meinte Prue und nahm den Anhänger in die Hand, der sich als eine Art Zahn herausstellte. Sie ließ ihn leicht angewidert wieder los und blickte Mme. Zadie mit einem entschuldigenden Lächeln an. „Könnten Sie mir jetzt vielleicht noch den Weg zum Einkaufszentrum erklären?"
Als Prue nach einer Odyssee, bei der sie sich zweimal verlaufen hatte, bis sie endlich ihren Wagen wiedergefunden hatte, ohne Orangensaft nach Hause kam, hörte sie keinen Laut im Haus. Vorsichtig schlich sie sich in die Halle. Sie sah Licht im Wohnzimmer, aber sie hatte in diesem Augenblick kein Interesse an Gesellschaft. Sie ging langsam die Treppe hoch und blickte leise in Dannys Zimmer. Er schlief friedlich in seinem Bett zusammen mit seinen Stofftieren. Vorsichtig ging sie auf ihn zu und gab ihm einen Kuss auf die Stirn, dann verließ sie das Zimmer wieder und betrat ihr Schlafzimmer. Frustriert warf sich auf ihr Bett und blickte gedankenverloren an die Zimmerdecke. Sie hatte kein Licht angemacht, aber der Mond schien durch das Fenster und warf die Schatten der Bäume an die Decke. Prue wusste nicht, wie sie mit den Dingen, die ihr Mme. Zadie erzählt hatte, fertig werden sollte, und da war niemand, der ihr helfen konnte. Keine ihrer Schwestern, kein Leo, ja noch nicht einmal ein Buch der Schatten, das sie fragen konnte. Sie war ganz alleine, oh Gott, sie vermisste sie alle so sehr. Mit wem sollte sie darüber reden? Gab es hier wirklich irgendwo eine Kraftquelle, die ihr ihre magischen Kräfte zurückgab? Und die Ältesten konnten nichts dagegen tun? War es gefährlich für Danny? Was sollte sie nur tun?
Sie starrte weiterhin an die Decke, als auf einmal ein weiteres Licht in ihr Zimmer schien. Sie drehte ihren Kopf zur Seite und sah Cole in der Tür stehen.
„Seit wann bist du wieder zurück?" Fragte er und kam unaufgefordert in ihr Zimmer.
„Ich bin gerade erst gekommen, wieso interessiert dich das?" Fragte Prue brüsk und setzte sich wieder auf.
„Ich habe mir Sorgen gemacht," erklärte Cole. „Ich wusste schließlich nicht, wo du so schnell hingefahren bist."
Sorgen, das wurde ja immer schlimmer, wütend griff Prue nach ihrer Tasche und warf ihm die kleine Phiole zu. „Ich habe ein Wahrheitsserum für dich besorgt. Das wolltest du doch unbedingt." erklärte sie missmutig. „Sonst noch Fragen?"
Cole sah überrascht auf die kleine Flasche und setzte sich neben Prue auf's Bett. „Was ist denn los?" fragte er skeptisch, er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Prue extra dafür spät abends aus dem Haus gelaufen war.
„Ich habe eine Voodoopriesterin getroffen." meinte sie ohne weitere Erklärungen und schlug wütend mit der Faust auf das Bett. „Verdammt, wieso hat alles so kommen müssen?" Sie sah Cole frustriert an. „Wieso musste ich sterben, was habe ich nur falsch gemacht?"
„Nichts, du hast gar nichts falsch gemacht. Du wolltest nur deine Schwester retten und das hast du getan." erklärte Cole mit fester Stimme.
„Und warum habe ich nicht besser auf sie achtgeben können? Warum habe ich zugelassen, dass es so weit kommt?" fragte sie mit bitterer Stimme.
„Du hast alles getan, was du konntest. Es war nicht deine Schuld." Cole sah sie eindringlich an. „Prue, die Vergangenheit tut nur weh, wenn man sie nicht ruhen läßt. Wenn man ständig darüber nachdenkt, was man getan und was man versäumt hat. Doch das bringt nichts."
Prue schüttelte den Kopf und lachte traurig. „Oh ja, für dich ist das einfach, du hast schließlich nichts zurückgelassen, was dir etwas bedeutet hätte, dem du etwas bedeutet hättest."
Cole zuckte mit den Schultern. „Nein, wohl nicht. Aber das ändert nichts an der Situation. Es bringt nichts, ein ganzes Leben damit zu verbringen, herauszufinden, was man falsch gemacht hat."
„Dir würde es aber ganz gut tun." erwiderte Prue in einen leicht gehässigen Tonfall.
„Ich weiß." erklärte Cole unbeeindruckt. Er verstand sehr gut, dass es schwer für sie war und warum auch immer, er wollte ihr irgendwie helfen. „Doch ich halte mich nicht mit meinen Fehlern auf, ich kann das alles nicht mehr ändern. Und du solltest das auch akzeptieren." Er sah ihr direkt in die Augen. „Wir leben nicht in der Vergangenheit, wir leben hier und jetzt. Und hier und jetzt gibt es nur dich und mich."
Prue wusste, dass er recht hatte, und sie wusste, was jetzt kommen würde, aber sie hatte nichts dagegen. Sie begann, ihn zu küssen und sich gleichzeitig ihre Bluse auszuziehen. Das einzige, was sie jetzt noch fühlen wollte, waren seine Hände und seine Lippen auf ihrer Haut, das würde all die Schmerzen, die die Gedanken an die Vergangenheit mit sich brachten, verschwinden lassen. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, nahm er sie in die Arme und vergrub seine Hände in ihrem Haar. Ihre Lippen berührten sich erneut und als sein Mund auf ihrem lag, registrierte Prue nur noch die Wärme, die von seinen Lippen in ihren Körper strömte. Seine Zähne streiften über ihre Schultern, seine Hände über ihren Körper und alle Verluste der Vergangenheit, all ihre Trauer und ihre Ängste waren für diesen Augenblick wie weggeblasen.
Als Prue am frühen Morgen vom Vogelzwitschern aufwachte, und Cole immer noch neben ihr lag, seufzte sie leise. Nachdem sie sich leidenschaftlich geliebt hatten, hatte sie keinen Gedanken daran verschwendet, ihn weg zu schicken, sie war noch zu sehr über die Intensität ihrer Gefühle überrascht gewesen. Dennoch hatte sie nie vorgehabt, ihn mit in ihr Bett zu nehmen.
„Was ist?" flüsterte seine Stimme in ihr Ohr.
„Ich denke du solltest lieber gehen." erklärte sie resolut.
„Warum?" fragte er und strich mit der Hand über ihre nackte Schulter.
„Weil ich dich hier nicht haben will." meinte Prue und drehte sich zu ihm um. „Du bist nicht der Richtige für mich, Cole."
„Ich weiß" erklärte er ruhig und fuhr fort ihren Arm entlang zu streicheln. „Aber was ist das schon, der Richtige?" Er blickte sie nicht an, sondern folgte mit seinen Augen seiner Hand. Er war sich immer sicher gewesen, dass Phoebe die Richtige für ihn war, und was hatte ihm das genutzt? Nichts, es hatte alles nur viel schlimmer gemacht, als es sowieso schon war.
„Bitte geh jetzt!" forderte Prue ihn erneut auf.
„Na gut." meinte Cole. Er stand auf und suchte seine Sachen zusammen, inklusive der Phiole. Als er an der Tür war, blieb er stehen und drehte sich noch einmal zu ihr um. „Wenn du einen Rat von jemandem annehmen willst, der darin Erfahrung hat: der Richtige bringt dir nur ein gebrochenes Herz. Also darum solltest du es vielleicht lieber mal mit dem Falschen versuchen." Ohne auf ihre Antwort zu warten, verließ er ihr Schlafzimmer, denn er erkannte schlagartig, was er damit eigentlich gesagt hatte.
