18. Kapitel
Cole und Prue gingen die Straße hinunter, bis sie das Hotel von Harry van Berg erreichten. Es handelte sich dabei um ein viktorianisches Backsteingebäude, dessen Fassade verschnörkelte, schmiedeeiserne Balkone zierten. Vor dem Eingang stand ein gelangweilter Angestellter im Livree, der sich aber nicht für die beiden zu interessieren schien. Sie gingen an ihm vorbei und betraten über den roten Plüschteppich die Lobby.
Erstaunt blickten sie sich um. Die geräumige Halle war über und über mit Kunstwerken vollgestopft. Die Wände waren fast komplett mit Gemälden bedeckt und neben jeder Sitzgelegenheit stand mindestens eine Skulptur. Aufgrund der übertriebenen Masse, kamen die vielen sehr guten Kunstwerke nicht richtig zur Geltung, während dem Betrachter die einfach nur schlecht Werke regelrecht ins Gesicht sprangen. Denn selbst auf der anderen Seite, wo sich der Rezeptionstresen befand, war jede freie Stelle über, neben und zwischen dem Brieffach und dem Schlüsselbrett mit Kunstwerken ausgefüllt.
Auf der linken Seite bewachten zwei zähnefletschende Löwen den schmiedeeisernen Rost des Kamins, und eine Gruppe von Plüschsesseln, deren hölzerne Lehnen geschnitzte Tiermotive zierten, lud zum Verweilen ein. Oberhalb des Kaminsimses hing eine weitere Holzschnitzerei mit einem Dschungelmotiv und auf dem Sims standen zwei antike Silbervasen. Vor dem Fenster gab es eine weitere Sitzgelegenheit und daneben befand sich eine Tafel mit Ankündigungen.
„Etwas übertrieben das ganze." meinte Cole spöttisch.
Prue nickte. „Wie wohl die Zimmer aussehen?"
Cole lächelte sie an. „Wollen wir es testen?"
„Hast du denn genug Geld dabei?" fragte Prue ironisch und schüttelte gleichzeitig ablehnend den Kopf. Dennoch blickte sie interessiert zu dem alten Lift am Ende der Halle, der zu den oberen Stockwerken führte. Er kam gerade mit einem Gong unten an und die Tür öffnete sich ratternd. Prue konnte nicht glauben, wer dort aus dem Fahrstuhl stieg und schubste Cole auf einen der Plüschsessel. Sie ließ sich auf ihn fallen und umarmte ihn, während sie vorsichtig an der Rückenlehne vorbei zur Rezeption schaute.
„Ich bin ja begeistert von deiner plötzlichen Zuneigung." raunte Cole ihr ins Ohr. „Aber könntest du sagen, was dort hinter meinem Rücken vorgeht?"
„David Morgan und eine ältere Frau sind gerade aus dem Lift gestiegen." wisperte Prue.
„Was?" Cole wollte sich aufrichten und um die Ecke zu blicken, doch Prue hielt ihn mit aller Kraft zurück.
„Oh nein," entfuhr es ihr „auch das noch!" David Morgan und die Frau kamen auf die Sitzecke zu. Prue drehte Coles Kopf herum und küsste ihn, während die beiden an ihnen vorbeigingen und sich auf zwei Sessel vor dem Kamin niederließen. Prue schaute durch ihre Haare und bemerkte, dass David Morgan sie genau im Blickfeld hatte, das turnte den Widerling wohl an, dachte sie wütend. Sie nahm Coles Gesicht zwischen ihre Hände und löste sich ein winziges Stück von ihm. „Morgan sitzt dort, vor dem Kamin." flüsterte sie und sah Cole in die Augen, die nur einige Zentimeter von ihren entfernt waren.
„Okay." meinte Cole und küsste sie wieder. „Ich denke wir haben keine andere Wahl."
Prue musste ihm lächelnd zustimmen und erwiderte seinen Kuss, die Situation hätte schlimmer sein können. Sie konzentrierte sich auf Cole und lauschte nur noch mit halbem Ohr. Daher bekam sie nicht mit, wie weitere Besucher die Halle durchquerten. Der dicke Teppich verschluckte ihre Schritte, so dass Cole und Prue nicht hörten, als die Zwei vor dem Kamin ankamen.
„Edward, Shel schön dass ihr endlich da seid." erklang die Stimme von David Morgan.
Cole blickte erschreckt hoch und Prue versteifte sich. „Edward Wingrove?" raunte Cole Prue ins Ohr.
Sie schaute zur Seite und nahm schemenhaft einen Mann wahr, der mit dem Rücken zu ihr stand. Kaum merklich zuckte sie mit den Schultern.
„Setzt euch doch, meine Lieben." verkündete die Frau neben Morgan.
Edward Wingrove sah sich zögerlich um. „Wollen wir uns wirklich hier unterhalten?" fragte er leise.
David Morgan lachte. „Die zwei haben besseres zu tun, als uns zu belauschen." verkündete er laut.
Prue verzog genervt das Gesicht, es war wirklich das letzte, sich von diesem Schleimer beim Küssen beobachten zu lassen. Noch schlimmer wäre es allerdings, wenn er sie erkennen würde. Sie schmiegte sich so nah wie an möglich an Cole, und versuchte mit ihrem Rücken der Gruppe so gut es ging die Sicht zu nehmen.
„Aber wenn es dich stört, dann können wir auch in's Restaurant gehen." schlug David vor. „Ich konnte ja nicht ahnen, dass um diese Zeit noch Gäste hier unten sind."
Die Gruppe stand auf und begab sich zum Ausgang, wobei Morgan so nah wie möglich am Sessel von Prue und Cole vorbeiging. „Ihr solltet euch lieber auf euer Zimmer verziehen." riet er ihnen laut und lachte zufrieden.
Prue und Cole sahen sich angewidert an. Doch beide gaben keinen Laut von sich, sondern verhielten sich ganz ruhig.
Als Prue kurze Zeit später um die Ecke blickte, war die Gruppe schon verschwunden. Erleichtert ließ sie sich auf dem Sessel gegenüber nieder und meinte ärgerlich. „Dieser ekelhafte Kerl."
„Das kannst du laut sagen. Ich wüsste nur zu gerne, was er mit Edward Wingrove zu tun hat." meinte Cole nachdenklich.
Bevor sie sich weiter darüber unterhalten konnten, stand plötzlich die Dame von der Rezeption neben ihnen. „Sind Sie Gäste hier?" fragte sie zögerlich.
Cole sah sie lächelnd an. „Leider nein, ihre Kollegin hat mir erzählt, dass Sie keine freien Zimmer mehr haben."
Die Frau schüttelte verwundert den Kopf. „Wer soll das denn gewesen sein?" fragte sie argwöhnisch.
„Also dann haben Sie noch Zimmer frei?" erkundigte sich Cole schnell.
„Aber sicher, wenn Sie mir bitte zum Tresen folgen wollen." Sie schritt voran und Cole stand auf.
Prue hielt ihn am Arm fest. „Ich finde nicht, dass wir hier übernachten sollten."
„Wieso nicht? Danny ist bei Dianne und ich würde zu gern wissen, ob die Gruppe noch einmal wiederkommt." erklärte er und ging zur Rezeption, wo er einen Anmeldezettel ausfüllen musste.
„Wo haben Sie ihr Gepäck?" fragte die Frau geschäftig.
Cole sah sich um. „Oh, das haben wir noch im Wagen, ich werde es später holen."
Die junge Frau lächelte. „Schon klar." meinte sie. „Eigentlich bieten wir hier keine Übernachtungen für so kurze Zeit an." teilte sie ihm mit, und es war klar, was sie damit sagen wollte. „Aber ich werde heute eine Ausnahme machen." Sie nahm einen der Schlüssel von der Wand und gab ihn Cole. „Zimmer 511 im 5. Stock. Bademäntel und Toilettenartikel finden Sie auf dem Zimmer."
Cole lächelte sie smart an „Vielen Dank! Könnten Sie mir auch sagen, ob hier in der Nähe noch ein Restaurant offen hat?"
Die junge Frau sah nachdenklich vor sich hin. „Die Straße runter sind ein paar Lokale, die zu dieser Stunde noch geöffnet haben. Wenn Sie die einheimische Küche bevorzugen, dann kann ich Ihnen nur das kleine Restaurant ganz am Ende der Straße empfehlen. Der Eingang ist etwas schwer zu finden, über einen Platz in einer Nebenstraße, aber es lohnt sich wirklich, viele unserer Gäste schwärmen von dem guten Essen und der gemütlichen Atmosphäre."
„Vielen Dank für den Tipp!" erklärte Cole und ging zurück zu Prue, die ihn skeptisch entgegenblickte. Als er kurz vor ihr stand, wedelte er mit dem Schlüssel. „Das Zimmer ist für uns bereit!"
„Nur ein Schlüssel?" fragte Prue gedehnt und stand auf. „Du willst mir doch nicht weismachen, dass sie nur noch dieses eine Zimmer hatten. Das wäre zu klischeehaft."
„Nein, das nicht," erklärte er mit einem zufriedenen Lächeln. „Aber leider hatte ich nur das Geld für ein Zimmer dabei."
„So ein Pech, dass du immer noch keine Kreditkarte hast!" meinte Prue ironisch und blickte zur jungen Frau an der Rezeption, die mit einem Grinsen zurückblickte. Prue wollte lieber nicht darüber nachdenken, was sie von ihnen hielt.
„Ja, jetzt weiß ich, warum ich so lange damit gewartet habe." erklärte Cole zufrieden. Er nahm Prues Arm und führte sie zum Ausgang. „Aber zuerst müssen wir versuchen, David Morgan zu finden."
Sie verließen das Hotel und gingen die Straße herunter. Kurz darauf kamen sie an einigen kleinen Schnellimbissen vorbei. Sie waren hell erleuchtet und durch die gläsernen Fenster konnte man von außen den gesamten Innenraum überblicken. Nur wenige Gäste waren um diese Uhrzeit anwesend, und daher war es nicht schwer, festzustellen, dass die Gruppe in keinen der Imbisse gegangen war.
Als Prue und Cole am Ende der Straße angekommen waren, blieben sie stehen und sahen sich um.
„Das war eindeutig die falsche Richtung, denn hier ist ganz sicher kein Restaurant mehr." teilte Prue ihm mit. „Also lass uns zurückgehen." entschied sie und wollte sich schon umdrehen, als Cole sie zurückhielt.
„Nein warte, die Frau an der Rezeption hat mir etwas von einem versteckten Restaurant erzählt." meinte er nachdenklich und blickte nach links in eine Nebenstraße. Und genau dort befand sich ein kleiner Platz, genau wie sie es ihm beschrieben hatte. Cole gab Prue ein Zeichen „Lass es uns noch dort versuchen." erklärte er und sie betraten den kleinen Platz.
Er war von Häusern umringt und einige Autos parkten im Schatten der zahlreichen Bäume. Die Beleuchtung war dürftig, da bei zwei der vier Lampen die Birnen anscheinend schon seit längerem den Geist aufgegeben hatten. Doch vom hinteren Teil des Platzes kam ein gedämpftes Licht aus den Fenstern eines Hauses. Als Cole es sich genauer ansah, erkannte er ein kleines Schild über dem Eingang, das auf ein Restaurant hindeutete.
„Da hinten könnte es sein." erklärte Cole und gemeinsam gingen sie in der Dunkelheit des Platzes in Richtung des Eingangs.
„Tonys" las Prue, als sie nah genug waren. „Nicht sehr originell. Aber wer weiß, vielleicht ist ja das Essen gut." Zielstrebig ging sie auf die Menükarte zu, die in einem beleuchteten Kasten neben der Tür hing. Cole folgte ihr und sie blieben interessiert davor stehen.
„Hm, nicht sehr vielversprechend." erkannte Prue schnell und sah Cole auffordernd an. „Kannst du irgendetwas erkennen?"
Cole sah sie fragend an „Was?"
„Das Fenster!" erklärte Prue kopfschüttelnd und zeigte hinter sich.
„Ach, das hast du noch nicht überprüft? " wollte Cole amüsiert wissen und blickte an der Gardine, die an den Seiten zusammengebunden war, vorbei in den Raum.
„Sehe ich so aus als hätte ich hinten Augen im Kopf." erkundigte Prue sich unterdessen.
„Keine Ahnung, bei euch Halliwells muss man auf alles gefasst sein." meinte Cole, während er weiter versuchte, in das Lokal zu sehen. Eine Vase in der Mitte des Fensters versperrte ihm ein wenig die Sicht, aber er konnte erkennen, dass vier Personen an dem Tisch saßen. „Also die Zahl passt schon mal." erklärte er gerade, als durch das auf kipp stehende Fenster plötzlich das Lachen von David Morgan drang. „Sie sind es." Cole sah Prue fragend an.
„Wenn wir hinter die Autos gehen, dann können sie uns nicht sehen, aber wir haben einen besseren Blickwinkel." wisperte Prue.
„Aber wir können nichts hören." warf Cole ein.
Prue ließ den Einwand nicht gelten und schüttelte den Kopf. „Das werden wir sowieso nicht, dafür reden sie nicht laut genug, also komm." Sie drehte sich um und ging zu einem der parkenden Autos.
Cole seufzte und folgte ihr widerwillig. Von ihrem neuen Standort aus konnten sie die vier Personen erkennen, die im Restaurant saßen. „David Morgan, Edward Wingrove und Shelly Carey." erkannte Cole verwundert. „Was macht Amys Mutter bloß hier, und wer ist die andere Frau?"
Prue zuckte die Schultern. „Vielleicht Morgans Mutter." mutmaßte sie.
Cole sah sie skeptisch an. „Die Frau ist dunkelhäutig, Prue." teilte er ihr mit.
„Ich weiß, aber genau das ist Morgans Mutter auch!" erklärte Prue zufrieden. „Judy hat mir davon erzählt."
„Oh," meinte Cole. „Aber das erklärt immer noch nicht, was die vier hier machen, und was sie überhaupt miteinander zu tun haben."
„Nein, wenn wir nur etwas hören könnten." seufzte Prue.
„Du wolltest doch unbedingt den Standort wechseln." erinnerte Cole sie und sah sich um. „Wenn wir nur in das Restaurant kommen könnten." Erklärte er nachdenklich, als plötzlich die Tür aufflog und Shelly Carey aus dem Restaurant gestürmt kam. Cole und Prue duckten sich hinter dem Wagen und hörten, wie bei jedem von Shellys Schritten, ihre hohen Hacken auf das Kopfsteinpflaster des Platzes klackten.
Kurz darauf öffnete sich die Tür erneut. „Shelly!" rief eine Stimme, die eindeutig zu Edward Wingrove gehörte. „Jetzt bleib doch stehen." Wingrove rannte hinter Shelly her und hielt sie augenscheinlich auf, denn das Klacken ihrer Schuhe verstummte. „Du weißt wie wichtig es ist. Wir tun es nur für Amy."
Lautes Schluchzen ertönte. „Nein, ich kann nicht glauben, dass dies der einzige Weg ist."
„Du weißt, dass es so ist, sonst würde ich es doch niemals erlauben." erklang Edwards laute Stimme. Dann wurde er ein wenig leiser, aber Cole und Prue vernahmen dennoch jedes Wort. „Sie ist schließlich auch meine Tochter."
Cole musste sich bemühen, keinen Laut von sich zu geben, so überrascht war er von dieser Neuigkeit. Prue ging es nicht anders. Sie sah Cole völlig verdattert an.
„Ich weiß." wisperte Shelly. „Aber ich kann jetzt keine Entscheidung darüber treffen. Bitte zwing mich nicht."
„Das werde ich nicht." Den Geräuschen nach zu urteilen, nahm Edward Shelly tröstend in den Arm. Zur gleichen Zeit öffnete sich die Tür erneut.
„Was ist nun?" erklang die harsche Stimme von David Morgan.
„Nicht jetzt David. Ich werde mich später mit dir in Verbindung setzen. Setzt euer Essen auf meine Rechnung." erklärte er großzügig. „Ich bringe Shelly erst einmal nach Hause."
„Ganz wie du willst Edward. Es ist eure Entscheidung." Die Tür schloss sich wieder und Shellys klackende Schritte wurden immer leiser, bis sie gar nicht mehr zu hören waren.
Cole und Prue sahen sich immer noch verblüfft an. „Sie ist seine Tochter?" entfuhr es Cole. „Ich kann es nicht glauben."
„Ich auch nicht." Prue sah Cole nachdenklich an. „Glaubst du sie weiß es?"
„Kann ich mir nicht vorstellen." überlegte Cole und verzog das Gesicht. „Edward Wingrove ist ihr Vater, also manche trifft es wirklich besonders hart."
„Tja, man kann sich seine Eltern eben nicht aussuchen." meinte Prue achselzuckend.
„Nein, wem sagst du das." Cole drehte sich um und entschied. „Komm, lass uns von hier verschwinden."
Sie gingen über den Platz und kamen wieder auf die Straße vor dem Hotel. Von Edward Wingrove und Shelly Carey war weit und breit nichts mehr zu sehen. Langsam gingen sie zurück zum Hotel.
„Ich würde zu gern wissen, ob Edwards guter Freund Donald Carey etwas davon weiß." meinte Cole schließlich.
„Sicherlich nicht." beantwortete er seine eigene Frage.
„Hm," überlegte Prue. „Und wenn Amy es nicht weiß, dann denke ich, solltest du es ihr auch nicht sagen."
Cole lächelte ironisch. „Du meinst also, es wäre keine erfreuliche Neuigkeit für sie, dass der gute Edward Wingrove ihr Daddy ist?"
„Wohl kaum, da sie schon annimmt, dass ihr Stiefvater sie im Gefängnis sehen will, wird es um so schlimmer für sie sein, dass ihr leiblicher Vater das genauso sieht." meinte Prue.
Cole schüttelte nachdenklich den Kopf. „Ich kann nur beim besten Willen nicht verstehen, was Shelly damit zu tun hat. Ich hatte wirklich angenommen, dass ihre Tochter ihr etwas bedeutet."
„Du kennst die genauen Umstände nicht, vielleicht denkt sie, sie tut das beste für sie." erklärte Prue nachdenklich.
„Also die eigene Tochter für immer im Gefängnis, was soll daran gut sein?" gab Cole zu bedenken.
Sie waren wieder vor dem Hotel angekommen und betraten die Lobby. Niemand war zu sehen, nur ein älterer Herr war in einem der Sessel anscheinend eingeschlafen, denn seine Zeitung war ihm vom Schoß gefallen.
Cole und Prue durchschritten die Halle und gingen auf den alten Lift zu. Die Frau an der Rezeption beachtete sie nicht weiter und sah auch nicht auf, als die Tür des Aufzugs quietschend aufging. Die beiden traten ein und fuhren in den 5. Stock. Oben angekommen holte Cole den Schlüssel hervor und hielt Ausschau nach dem richtigen Zimmer.
Als er es gefunden hatte, schloss er die Tür auf und öffnete sie, dann drehte er sich zu Prue um. „Wie wär's soll ich dich über die Schwelle tragen?" wollte er grinsend wissen.
Prue warf ihm einen mitleidigen Blick zu. „Als Dämon kannst du das natürlich nicht wissen, aber das machen nur Hochzeitspaare." klärte sie ihn auf. „Und soviel ich weiß sind wir das nicht und werden es auch nie sein."
„Man kann nie wissen." gab Cole lächelnd zu bedenken.
„Vergiss es." erklärte Prue genervt und quetschte sich an ihm vorbei, um den Raum zu betreten.
„Du kannst aber auch keinen Spaß verstehen." Mit einem Schulterzucken folgte Cole ihr in das Hotelzimmer und sah sich neugierig um.
Sie befanden sich in einem kleinen Flur, von dem links eine Tür zum Badezimmer führte. Rechts ging es durch einen offenen Eingang in das kombinierte Schlaf- und Wohnzimmer. Der Boden war mit einem hellen flauschigen Teppich ausgelegt und geradeaus war eine Sitzecke mit zwei Sesseln und einem Tisch. Rechts davon stand ein großes Himmelbett mit Rüschenbezug und antiken kleinen Nachtschränken an den Seiten. Eine breite gläserne Tür führte auf einen schmalen Balkon.
„Gar nicht so übel." entschied Prue und ließ sich auf einem der Sessel nieder. „Jedenfalls um einiges besser als die Halle."
„Nur das Rüschenbett erinnert noch daran." erklärte Cole und sah es sich skeptisch an. „Hm, was hältst du von einem kleinen Test, ob es auch bequem ist?" erkundigte er sich grinsend.
„Tu dir keinen Zwang an. Wenn du schon so müde bist." meinte Prue zuckersüß. „Ich werde währenddessen die Straße beobachten, denn das wollten wir hier doch eigentlich tun. Du kannst mich dann ja später ablösen."
„Keine Sorge, müde bin ich noch ganz und gar nicht." Cole ging auf die gläserne Balkontür zu und schob sie auf. Ein immer noch angenehm warmer Abendwind wehte ihm entgegen, als er den Balkon betrat. Er beugte sich über das hohe Geländer und blickte nach unten. Von dieser Position hatte er einen guten Blick auf die Straße, die vor dem Hotel entlangführte. Er drehte sich zu Prue um „Von hier aus können wir sehen, ob Morgan und die Frau zurück ins Hotel kommen."
Prue stand auf und trat neben ihn, um über das schmiedeeiserne Geländer auf die Straße zu schauen.
„Beobachtest du mal kurz die Straße?" forderte Cole Prue auf „Ich komme gleich wieder."
Prue nickte und Cole ging in den Raum zurück. Auf der Straße fuhren kaum noch Autos und aus einem der Fenster gegenüber drang leise Musik zu ihr. Prue ließ sich auf dem Boden nieder und lehnte sich an das Geländer. Wenn sie zur Seite blickte, konnte sie durch die Stäbe immer noch die Straße erkennen, entschied sie. Doch anstatt auf die Straße zu blicken, schaute Prue in den klaren Sternenhimmel.
Kurze Zeit später erschien Cole wieder auf dem Balkon und reichte ihr ein Glas Champagner.
Prue nahm es entgegen und sah ihn dabei skeptisch an. „Ich dachte, du hättest kein Geld mehr."
„Tja, das geht auch anders." Erklärte er mit einem Grinsen. Er ließ sich ebenfalls auf dem Boden des Balkons nieder. „Aber die nächsten Gäste werden sich sicher wundern, warum der Champagner so verwässert ist."
„Deine neue - alte Fähigkeit?" fragte Prue und blickte nachdenklich in ihr Glas. „Du weißt, was ich davon halte."
„Seit wann stellst du dich so an?" fragte er und nahm einen Schluck.
„Ich habe Dämonen noch nie vertraut." erklärte sie klar und deutlich. „Und im Gegensatz zu dir hätte ich nichts dagegen, wenn deine dämonischen Kräfte nie zurückkommen würden."
„Ich weiß. Doch sie sind anders." versuchte er zu erklären. „Es sind nur Kräfte, Prue, nichts böses, wirklich nicht. Und sie gehören einfach zu mir. Verstehst du das nicht?"
Prue zuckte mit den Schultern „Jedenfalls solltest du nicht so leichtfertig damit umgehen."
„Schon klar." Cole sah sie nachdenklich an. „Aber du solltest es trotzdem trinken!" riet er ihr. „Sonst wäre es nur Verschwendung, schließlich kann ich es nicht mehr rückgängig machen."
Prue sah auf das Glas in ihrer Hand und nahm schließlich einen Schluck. Der Champagner war nicht zu verachten und prickelte leicht auf ihrer Zunge. Man konnte es auch übertreiben, entschied sie und warf wieder mal einen Blick auf die Straße, wo immer noch nichts passierte.
Cole lehnte sich ebenfalls an das Geländer. „Sehr gemütlich ist es hier nicht." entschied er und stand wieder auf, um wenigstens ein paar Kissen zu holen. Als er zurück auf den Balkon kam, war Prue aufgestanden und schaute über das Geländer.
„Was ist?" wollte er aufgeregt wissen.
Prue drehte sich kurz um. „Jemand ist ins Hotel gegangen, aber ich glaube nicht, dass es Morgan war."
„Du glaubst?" fragte Cole ärgerlich und trat neben sie, um ebenfalls nach unten zu gucken. „Ich hätte wirklich gedacht, du würdest besser aufpassen."
„Ach ja? Du hättest ja nicht alle fünf Minuten wieder reinrennen müssen, wenn es dir so wichtig ist." erklärte Prue und entschied. „Denn im Grunde ist es doch egal, ob sie zurück ins Hotel kommen, oder nicht."
„Na gut! Vielleicht schon." meinte Cole, dennoch setzte er sich wieder hin und schob sich die Kissen in den Rücken.
„Aber schaden kann es auch nicht, wenn wir noch ein wenig nach ihnen Ausschau halten."
Prue nickte und blieb am Geländer stehen, um in die Nacht hinauszuschauen. Sie hatte auch keine Lust, ins Zimmer zu gehen. Die Sterne am Himmel leuchteten und der warme Nachtwind wehte leise Musik zu ihnen hinüber. Entspannt schloss sie die Augen.
Cole sah zu Prue hoch und wie er sie dort stehen sah, sah sie so unglaublich lebendig aus. Er wollte gar nicht daran denken, dass sie es vor kurzer Zeit nicht gewesen war. „Bist du froh, dass du wieder lebst?" fragte er leise und fügte mit einem Lächeln hinzu. „Trotz allem."
„Trotz allem." meinte Prue nachdenklich und blickte wieder auf die Straße, wo eine Katze gerade um die Ecke in einen Hinterhof lief. Ja, sie fühlte sich in diesem Augenblick unglaublich lebendig und sie konnte sich nicht vorstellen, das wieder aufzugeben. Trotz allem. Sie drehte sich zu ihm um. „Ich habe nie wirklich akzeptiert, dass es vorbei ist, dass ich wirklich tot bin."
„Das kann ich mir bei dir auch nicht vorstellen." meinte Cole lächelnd.
Prue kniete sich hin, um auf Coles Augenhöhe zu sein. „Ich nehme an, bei dir war das ähnlich."
„Das erste Mal ja. Da habe ich alles dafür gegeben, um wieder leben zu können." erklärte Cole nachdenklich. „Aber das letzte Mal," er schüttelte den Kopf. „Nein, da hatte ich eigentlich gar keine Motivation, etwas an meiner Lage zu ändern."
„Aber du hast es dennoch getan." meinte Prue.
Cole nickte. „Ja, und mir hätte nichts besseres passieren können." erklärte er leise.
Prue blieb weiter hocken und lehnte sich an das Geländer, da gegenüber von Cole kaum noch Platz für sie war. Sie fasste mit ihren Händen durch die kunstvoll gebogenen Eisenstangen um sich daran festzuhalten und blickte in den Raum. „Ich schätze ich gehe besser rein, hier ist ja offensichtlich kein Platz mehr."
Cole wies auf den Platz vor sich. „Komm doch hierher." schlug er ihr vor und beugte sich vor um sie zu sich zu ziehen.
Prue ließ es geschehen und lehnte sich schließlich an ihn, das war wesentlich besser als das harte schmiedeeiserne Geländer, entschied sie und als Cole seine Arme um sie legte, fühlte sich Prue gegen ihren Willen unglaublich geborgen.
Cole sah an ihr vorbei und entdeckte plötzlich das Amulett mit dem Zahn um ihren Hals. Sie hatte ihm erzählt, dass die Voodoopriesterin es ihr geschenkt hatte, dennoch wunderte es ihn, dass sie es immer noch trug. Er holte es mit einem Finger hervor und hielt es vor ihr Gesicht. „Du trägst es immer noch?" fragte er verwundert.
Prue zuckte leicht mit den Schultern, sie wusste selbst nicht, warum sie das hässliche Teil nicht abgenommen hatte. „Ja. Keine Ahnung warum eigentlich." gab sie zu. Cole ließ es wieder fallen und Prue nahm es in die Hand. „Ich sollte es wirklich abnehmen." entschied sie und wollte es sich vom Hals nehmen, aber Cole hielt ihre Hand fest.
„Nein lass, egal wie hässlich es ist. Falls auch nur die geringste Möglichkeit besteht, dass es dich wirklich beschützt, solltest du es tragen." entschied er.
Prue drehte ihren Kopf leicht zur Seite, damit sie ihn ansehen konnte. „Wieso?"
„Weil ich nicht will, dass dir etwas passiert." meinte er leise und küsste sie in den Nacken, schlagartig wurde ihm klar, dass dies die absolute Wahrheit war. Er konnte sich nicht vorstellen, was er tun würde, wenn sie plötzlich nicht mehr da wäre.
Prue musste gegen ihren Willen lächeln, wenn sie sich nur nicht so verflucht gut fühlen würde, lebendig und zufrieden, als hätte sie alles, was sie je gewollt hatte, was natürlich absolut nicht stimmte.
Keiner von beiden sagte etwas. Sie lauschten in die Nacht hinaus, hörten der leisen Musik zu und atmeten die süße Mailuft ein. Es gab nichts zu sagen, denn keiner von beiden würde zugeben, wie wohl er sich gerade fühlte. Das wäre noch viel schwerer, als zu akzeptieren, dass sie miteinander geschlafen hatten. Unkontrollierbare Leidenschaft war das eine, eine Tatsache, die man noch tolerieren konnte, sich aber in der Gesellschaft des anderen wohl zu fühlen war etwas ganz anderes.
Die Zeit verstrich und keiner von beiden wollte sich rühren. Sie hätten wohl bis zum Morgengrauen so dagesessen, wenn nicht in der Ferne eine Turmuhr plötzlich zwei Uhr geschlagen hätte. Dieses Geräusch holte Prue in die Wirklichkeit zurück. „Ich gehe jetzt rein." erklärte sie und schob Coles Arme beiseite um aufzustehen. „Du kannst ja meinetwegen bis zum Sonnenaufgang die Straße beobachten, wenn dich das glücklich macht."
Cole sah ihr hinterher und beobachtete, wie Prue auf die Badezimmertür zuging und dahinter verschwand. Nachdenklich blieb er, wo er war und schaute in den Nachthimmel. Solange das zwischen ihm und Prue nur reiner Spaß war, konnte er es genießen, aber mehr wollte er auf keinen Fall. Er hatte gesehen, wo das hinführte und er würde sich von keiner Halliwell jemals wieder um den kleinen Finger wickeln lassen, ganz sicher nicht. Er hatte kein Interesse daran sich noch einmal zu verlieben.
Cole lehnte seinen Kopf an das Geländer und dachte daran, wie er Prue noch vor kurzem in seinen Armen gehalten hatte. Ein Teil von ihm hatte einfach nur für den Rest seines Lebens dasitzen und sie festhalten wollen. Aber nein, es war doch verrückt, dass er etwas für sie empfand. Nein er würde es nicht erneut zulassen, er würde sich an seine Regeln, alles andere brachte nur unnötig Chaos in sein Leben. Denn wie hatte Amy so schön gesagt, Liebe ist Scheiße, auch die unbestreitbar angenehmen Seiten konnten das nicht aufwiegen.
Nachdenklich blickte er erneut auf die Straße. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Morgan und die Frau noch einmal zurück ins Hotel kommen würden, entweder sie hatten sie verpasst oder sie waren woanders hingegangen, dennoch konnte er sich nicht dazu entschließen, den Balkon zu verlassen.
