30. Kapitel
Nachdenklich ging Prue auf das Kellerfenster zu, wenn sie sich ganz dünn machte, dann würde sie sich vielleicht hindurchquetschen können. Zuversichtlich stieg sie auf die Statue und öffnete das stumpfe Fenster, gleich war es etwas heller im Keller und Prue konnte wenigstens die Umrisse der einzelnen Gegenstände erkennen. Sie drehte sich um und sah zu dem Regal. Dort standen mehr als 20 Donnersteine und es war ihr unmöglich, sie alle mitzunehmen. Dummerweise hatte sie keine Tasche dabei, ihr Handy klemmte an ihrem Gürtel und ihre Hosentaschen waren viel zu eng, um darin einen Donnerstein zu verstauen. Seufzend ging sie zurück zu den Steinen und sah sich um.
„Kann es hier nicht irgendwo eine Art Tasche geben." fluchte sie leise vor sich hin. Zwar war es auch keine angenehme Vorstellung, mit einem Haufen von eingeschlossenen Dämonen durch die Gegend zu laufen, aber Prue wollte es auch nicht riskieren, Cole womöglich hier zu lassen und den falschen Stein mitzunehmen. Was sollte sie nur tun? Ob Belva sie vielleicht irgendwie katalogisiert hatte? Sie suchte nach einem Zettel oder einem Hinweis auf den Donnersteinen, aber sie fand nichts, was ihr weiterhalf.
Verzweifelt sah sie die dunklen Steine an. „Hallo Cole, bist du da irgendwo drin?" fragte sie leise und blickte sie hypnotisierend an, aber nichts geschah. Verdammt, es musste doch eine Lösung geben, überlegte sie wütend, konnte er ihr nicht irgendwie ein Zeichen geben. Nachdenklich strich sie mit der Hand über die glatte Oberfläche der Steine.
Schließlich wusste sie es, sie musste ganz ihrem Gefühl vertrauen, das war die Lösung, ganz einfach, und doch so kompliziert. Sie schloss die Augen und bemühte sich, sich ganz auf ihre Empfindungen für Cole zu konzentrieren. Langsam strich sie über die Steine, sie fühlte die kühle Oberfläche und verlor sich schließlich ganz in ihren Gefühlen. Schließlich stoppte sie und fing an zu lächeln. Sie nahm einen der Steine hoch und hielt ihn sich vor das Gesicht. „Hallo Cole." meinte sie. „Keine Sorge, dir wird nichts passieren, ich bin ja jetzt da."
Sie ging zurück zu dem Fenster und stieg auf die Statue, ohne noch einmal zurückzublicken legte sie den Stein auf den Boden neben dem Fenster und versuchte sich hinauszuziehen. Wenn sie zurück zu den anderen Donnersteinen blicken würde, dann würde sie nur Zweifel bekommen, ob sie tatsächlich den richtigen Stein genommen hatte, und für Zweifel hatte sie einfach keine Zeit. Sie hielt sich an dem Ast eines Busches fest, der vor dem Fenster wuchs und zog sich hoch. Lockere Erde rieselte in den Keller und Prue riss sich ihr Shirt an einem herausstehenden Nagel auf, aber nach einigen Anstrengungen hatte sie es endlich geschafft.
Erleichtert lag sie draußen vor dem Kellerfenster und rang eine Weile nach Atem. Schließlich blickte sie auf den Busch, der direkt vor dem Kellerfenster wuchs. Er war oben so dicht an das Haus gewachsen, dass sie keine Chance hatte aufzustehen. Sie nahm den Stein in die Hand und kroch auf allen Vieren am Haus entlang, bis sie endlich wieder stehen konnte. „Das habe ich alles dir zu verdanken." erklärte sie dem Stein ärgerlich. „Ich hab' dir doch gesagt, du sollst vorsichtig sein." Sie klopfte den Dreck von ihren Sachen und sah den Stein an, sie vermisste es schmerzlich, dass ihr niemand widersprach. „Ich hol' dich da raus, ganz bestimmt, nur erstmal müssen wir von hier verschwinden, bevor Belva oder Morgan uns erwischen." erklärte sie ihm und schlich an den Bäumen entlang zum Vordereingang.
Entsetzt stoppte sie, als sie David Morgan und seine Mutter auf der Veranda sitzen sah. Sie hatten Stühle und einen Tisch hinaus gestellt und sahen gar nicht danach aus, als wollten sie in nächster Zukunft diesen Platz wieder verlassen. Seufzend drehte Prue sich um und ging erneut zwischen den Sträuchern und Bäumen entlang, um zum Grundstück hinter dem Haus zu kommen. Als sie endlich hinter den letzten Bäumen hervor kam, sah sie zu ihrer Überraschung, dass das Grundstück an einem Fluss endete. Vor ihr lag nur noch ein Stück Rasen, dann folgte schon eine Reihe Schilf und dahinter befand sich ein breiter Fluss.
Prue blickte sich um und sah, dass man sie von dieser Position aus, leicht vom Haus beobachten konnte, aber da David Morgan mit seiner Mutter auf der Veranda saß, bestand wohl kaum die Gefahr entdeckt zu werden, entschied sie und lief so schnell es ging zum Wasser hinunter.
Dort angekommen blickte sie angeekelt auf die schlammige Masse, die an dieser Stelle an das Ufer schwappte. „Na wundervoll, können die hier nicht mal ein bisschen Ordnung halten." seufzte sie. Wenn sie ein Grundstück an einem Fluss hätte, dann sähe das Ufer anders aus. Gott, sie hatte wirklich keine Lust, durch diesen Matsch zu waten. Langsam ging sie an den Rand des Zaunes und stieg auf einen Stein, der mit Schlick überzogen war. Er war so glitschig, dass sie sofort wieder davon herunterglitt. Wenn sie nicht wenigstens beide Hände frei hätte, dann würde sie es nie schaffen.
Sie blickte auf den Donnerstein und warf ihn schließlich in hohem Bogen über den Maschendrahtzaun. Prue sah zu, wie er unbeschadet im Gras auf dem Nachbargrundstück landete und machte sie dann auf den Weg. Sie hielt sich mit einer Hand an dem Zaun fest und balancierte mit der anderen von einem Stein zum anderen. Zum Wasser hin flachte der Zaun immer mehr ab, und als Prue sich nicht mehr daran festhalten konnte, glitt sie in das immer noch leicht sumpfige Wasser. Sie machte sich lieber keine Gedanken darüber, was alles darin unterwegs sein konnte, widerliches Ungeziefer oder sogar Schlangen oder noch schlimmer Alligatoren. Sie watete durch das Wasser, bis sie endlich über die Reste des Zauns steigen konnte. Auf der anderen Seite war das Ufer weniger schlammig und Prue beeilte sich an Land zu kommen. Ihre Schuhe waren plitschnass und ihre Hose bis zu den Knien dreckig. „Na toll, einfach super." erklärte sie und suchte auf dem Boden nach dem Donnerstein.
Als Prue den schwarzen Stein im Gras glitzern sah, hob sie ihn schnell auf und hielt ihn sich vors Gesicht. „Ich hoffe du weißt zu schätzen, was ich hier dir zuliebe alles tue." erklärte sie ärgerlich und sah sich um. Sie stand in einem kleinen Gehölz, und wenn sie zur rechten Seite blickte, konnte sie immer noch das Grundstück der Morgans erkennen. Sie musste schleunigst von hier verschwinden, entschied Prue und ging tiefer zwischen die Bäume entlang. Sie wollte sich, so weit es ging von Belvas Grundstück entfernen und gleichzeitig in die Richtung gehen, in der sie die Straße vermutete. Sie lauschte ob sie ein paar fahrende Autos hören konnte, aber die Bäume verschluckten alles, sie konnte nur die Geräusche der Natur vernehmen. Prue stieg über die Wurzeln der Bäume und betrachtete fasziniert das Sonnenlicht, das durch das Laub der Bäume in verschiedenen Mustern auf den Boden fiel.
Kurze Zeit später kam Prue auf einen schmalen Weg, von dem sie annahm, dass er sie zur Straße bringen würde. Sie folgte ihm einige Zeit und kam kurz darauf auf einer staubigen Landstraße an. Vorsichtig blickte sie nach rechts. Sie war sich ziemlich sicher, dass David Morgan diesen Weg genommen hatte, doch die Straße machte an dieser Stelle einen Knick und sie konnte das Grundstück der Morgans nicht mehr erkennen.
Dennoch musste sie so schnell wie möglich von hier verschwinden, entschied Prue. „Wo sind wir hier nur gelandet?" fragte sie den Stein. Nachdem sie keine Antwort erhielt, blickte sie auf die Zuckerrohrfelder, die sich scheinbar endlos entlang der Straße erstreckten. Seufzend entschied sie sich, die Straße in westlicher Richtung zu nehmen. Sie machte sich auf den Weg und hoffte das irgendwann ein Wagen vorbeikommen würde, solange es nicht der Wagen von David Morgan war. Der Staub blieb an ihren immer noch feuchten Schuhen kleben und die Sonne brannte vom Himmel.
„Gott ist das mühselig." stöhnte sie, als sie plötzlich ein lautes Geräusch hinter sich hörte. Alarmiert sah sie sich um und erblickte einen riesigen Traktor, der genau auf sie zugefahren kam. Sie sprang zur Seite und begann zu winken. Als der Traktor auf ihrer Höhe war, hielt er an und ein älterer Mann beugte sich aus dem Fenster. „Was hat Sie denn hierher verschlagen?" fragte er überrascht.
„Mein Wagen hat den Geist aufgegeben." erklärte Prue ihm. „Können Sie mich vielleicht ein Stück mitnehmen?"
Der Mann nickte. „Kein Problem, na dann steigen Sie mal ein."
Prue ging um den Traktor herum und erklomm die Stufen, bis sie sich auf dem harten Sitz neben dem Bauern niederlassen konnte. „Vielen Dank!" meinte sie.
Der Farmer nickte nur und fuhr langsam weiter. „Ich kann Sie nach Bogalusa bringen." erklärte er und Prue musste sich anstrengen, ihn durch den Lärm des Traktors zu verstehen. „Sie haben wirklich Glück, dass ich heute auf meinem Acker war, es gibt Tage, da benutzt diese Straße kein Mensch."
„Ja, manchmal bin ich wirklich ein Glückspilz." meinte Prue sarkastisch und blickte auf den Stein auf ihrem Schoß.
Der Bauer folgte ihrem Blick. „Was haben Sie da denn Schönes?" fragte er interessiert. „So wie der glitzert muss es ein ganz besonder Stein sein."
Prue grinste. „Ja, das ist er."
„Wo haben Sie ihn her?" erkundigte sich der Mann.
„Ich habe ihn nach langem Suchen endlich gefunden." erklärte Prue und blickte aus dem Fenster, ein Auto kam von hinten angerast und der Fahrer hupte, um den Farmer darauf aufmerksam zu machen, dass er vorbei wollte.
„Diese Städter," ärgerte sich der Mann und rührte sich nicht vom Fleck. „Haben niemals Zeit und tun so als würde die ganze Welt ihnen gehören."
Der Fahrer hupte erneut und Prue brauchte sich gar nicht umzusehen, sie konnte sich auch so schon vorstellen, um wen es sich dabei handelte. Als sie bei der kleinen Einfahrt zu einem Feld vorbeikamen, nutzte David Morgan sofort die Möglichkeit und überholte den Traktor. Nachdenklich blickte Prue dem Wagen hinterher.
Als sie nach einer holperigen Fahrt endlich in einem Vorort der kleinen Stadt ankamen, ließ der Farmer Prue in der Nähe einer Autowerkstatt raus. Sie bedankte sich noch einmal bei ihm und sah zu, wie der Trecker langsam davonfuhr. Als sie ihn nicht mehr sehen konnte, sah sie sich um. Auf der linken Seite war neben der Tankstelle ein kleines Cafe an der Straße und ein Waschsalon. Gegenüber erblickte sie einen Blumenladen und einen Platz auf dem ein paar Busse standen. Eine Bushaltestelle befand sich am Rand des Platzes.
Erfreut ging Prue darauf zu und suchte nach einem Fahrplan, als sie nichts finden konnte, sah sie sich nach jemandem um, den sie fragen konnte. „Verzeihung." wandte sie sich an einen Mann, der in einem der Busse saß. „Wohin fahren diese Busse?"
Der Mann blickte sie irritiert an. „Das sind nur die Schulbusse der Region." erklärte er. „Haben Sie das nicht an der Farbe erkannt?"
Prue zuckte mit den Schultern, sie war viel zu erleichtert gewesen, einen Bus zu finden, dass sie darauf nicht weiter geachtet hatte. „Eine Buslinie gibt es hier dann wohl nicht?" fragte sie ohne viel Hoffnung.
Der Mann schüttelte den Kopf. „Nicht mehr." erklärte er und widmete sich wieder seiner Zeitung.
Nachdenklich ging Prue zurück zu der Bushaltestelle, um sich wenigstens auf die Bank zu setzten. Dann holte sie ihr Handy heraus, um Amy anzurufen. Als die junge Frau sich atemlos meldete, erwartete Prue schon das Schlimmste. „Amy, ist alles in Ordnung?" fragte sie alarmiert.
„Ach Prue, du bist es." meinte sie. „Ja, alles ist ruhig hier. Kein ungebetener Besuch. Du musst dir keine Sorgen machen."
„Und warum warst du dann gerade so atemlos?" wollte Prue wissen.
„Ich war in der Küche und hatte das Telefon oben gelassen, das ist alles. Es ist wirklich alles ruhig und friedlich hier, uns geht es gut." teilte Amy ihr mit. „Aber was ist mit dir?"
„Tja, ganz davon abgesehen, dass ich hier irgendwo in der Pampa festsitze, ist alles okay." erklärte sie und sah die Straße hinunter, Amy hatte keinen Wagen und sie wollte sie auch nicht unnötig aus dem Haus holen, darum meinte sie. „Aber ich finde schon einen Weg, wie ich nach Hause kommen kann."
„Und was ist mit Cole?" erkundigte Amy sich zaghaft. „Weißt du, was mit ihm passiert ist?"
Prue blickte auf den Stein. „Ja, das weiß ich. Ich habe den Donnerstein gefunden."
Nachdem Amy aufgelegt hatte, entschied Prue sich, Judy anzurufen. Als sie sie endlich erreichte, hatte Judy offensichtlich wenig Zeit, denn sie stellte Prue keine Fragen, sondern notierte sich schnell die Adresse und versprach ihr, sie nach Arbeitsschluss abzuholen. Prue verstaute ihr Handy wieder und sah sich um. Wie sollte sie nur die Wartezeit herumbekommen, bis Judy hier war? Sie entschied sich in das kleine Cafe zu gehen, um etwas zu essen. Prue stand auf und ging über die Straße, um das Cafe zu betreten. Es war nicht allzu voll am frühen Nachmittag und sie fand einen leeren Platz am Fester. Sie setzte sich auf die Bank und legte den Stein neben sich, auf den Tisch.
Eine Bedienung erschien und Prue bestellte etwas zu essen. Als die Kellnerin mit der Bestellung zurückkam, warf sie einen faszinierten Blick auf den Donnerstein. „Der ist wirklich ein Prachtstück." erklärte sie entzückt.
„Ja, nicht wahr." meinte Prue. „Es ist ein sehr seltener Stein."
„Das sehe ich, wissen sie ich sammele Steine, und ich halte immer Ausschau nach ausgefallenen Exemplaren." meinte sie und griff nach dem Stein, bevor Prue sie daran hindern konnte. „Sehr schön, und so ebenmäßig, was wollen sie dafür haben, ich würde ihn gerne in meine Sammlung aufnehmen."
Prue schüttelte den Kopf. „Nein, den gebe ich für kein Geld der Welt her." erklärte sie resolut und streckte fordernd die Hand aus.
Die Kellnerin gab ihr den Stein zurück und sah sie zweifelnd an. „Bedeutet er ihnen so viel?"
„Ja," meinte Prue lächelnd. „Seltsam nicht?"
Kopfschüttelnd ging die Frau zurück an den Tresen und Prue widmete sich ihrem Essen. Genüsslich aß sie ihren Hamburger mit Pommes Frites und fand schließlich eine Zeitung auf der Eckbank, mit der sie sich die Zeit vertrieb, bis der frühabendliche Besucherstrom einsetzte. Das Cafe füllte sich zusehends und Prue beschloss zu bezahlen und lieber an der Haltestelle auf Judy zu warten, als in dem überfüllten Cafe.
Sie überquerte die Straße und setzte sich auf die Bank. Nachdenklich sah sie den Donnerstein an. „Die Kellnerin wollte dich kaufen, vielleicht hätte ich ja sagen sollen, dann würdest du für immer in ihrer Vitrine stehen." teilte sie ihm mit und seufzte. „Kannst du dich nicht irgendwie bemerkbar machen? Dieser andere Dämon konnte es schließlich auch." Sie wartete auf ein Zeichen, aber nichts geschah.
„Vielleicht braucht der Stein ja nur einen Ritz." meinte sie nachdenklich und stand auf. Mit aller Kraft, die sie hatte, warf sie ihn auf den Asphalt. Der Stein sprang auf und kullerte dann auf die Straße.
„Hm, sind das etwa Widerworte?" fragte sie belustigt und blickte dem Stein nach, der mitten auf der Straße liegenblieb, als sie plötzlich das Geräusch eines herannahenden Bulldozers vernahm. „Oh nein." entfuhr es ihr entsetzt und sie blickte in die Richtung, aus der das Gefährt in rasender Geschwindigkeit näherkam. Verzweifelt versuchte sie den Stein mit einer Handbewegung von der Straße zu befördern, aber scheinbar reagierte er nicht auf ihre magischen Fähigkeiten, denn er blieb, wo er war. Der Bulldozer kam immer näher und Prue begann hektisch zu winken, um ihn zum Anhalten zu bringen, aber der Fahrer kümmerte sich nicht um sie. Er heizte auf den Donnerstein zu, und Prue schloss die Augen.
Sie verzog das Gesicht und lauschte, bis der Wagen vorbei war, dann öffnete sie vorsichtig ihre Augen. Sie befürchtete schon, dass von dem Stein nur noch Staub übrig sein würde, aber zu ihrer Überraschung lag er immer noch unversehrt auf der Straße. Erleichtert hob Prue ihn auf und trug ihn zurück zu der Bank. Sie unterzog ihn einer gründlichen Untersuchung, doch sie konnte nicht den kleinsten Ritz feststellen.
„Wie soll ich dich nur daraus befreien, wenn es noch nicht einmal der Bulldozer geschafft hat?" fragte sie leise. „Aber ich werde schon einen Weg finden, vertrau' mir einfach." erklärte sie zuversichtlich und fügte mit einem Lächeln hinzu. „Denn ... ich liebe dich."
Sie strich langsam über die glatte Oberfläche des Donnersteins. „Das wolltest du doch hören, nicht wahr?" fragte Prue immer noch lächelnd, als sie sich plötzlich beobachtet fühlte. Sie blickte auf und sah nicht weit entfernt vor dem Blumenladen einen Mann stehen, der sie mit offenem Mund anstarrte.
„Was glotzen sie denn so blöd?" fuhr sie ihn an, und der Mann verschwand verschreckt in dem Laden.
„Himmel, jetzt spreche ich schon mit Steinen." meinte Prue und sah sich um. „Ich muss zusehen, das ich nicht in die nächste Anstalt eingeliefert werde, schließlich sind wir hier auf dem Land."
Während Prue ungeduldig auf Judy wartete, schauten immer mehr Besucher des Blumenladens verstohlen zu ihr herüber. „Hier darf man noch nicht mal in Ruhe auf der Bank einer Haltestelle sitzen, an der kein Bus hält und mit einem Stein reden." fluchte sie wütend vor sich hin und sprang erleichtert auf, als sie endlich Judys Wagen erblickte.
Judy öffnete die Tür und Prue stieg eilig ein. „Bring' mich bloß so schnell es geht von hier weg." forderte Prue sie auf.
„Wieso, hast du etwa eine Bank überfallen?" erkundigte Judy sich amüsiert.
„Du hast es erfasst, und dann habe ich stundenlang auf der Bank gesessen und auf einen Bus gewartet, der leider nicht kam." erklärte Prue sarkastisch und blickte Judy an. „Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass du endlich hier bist."
„Kein Ursache!" meinte Judy und wendete auf dem Rund der alten Haltestelle. „Und auf der Rückfahrt haben wir viel Zeit, damit du mir erklären kannst, warum du in diesem Kaff gelandet bist, wo du doch angeblich sterbenskrank im Bett liegst."
„Wer behauptet denn ich sei sterbenskrank?" fragte Prue überrascht.
Judy zuckte mit den Schultern und blickte auf die Straße. „Vivian hat so etwas verbreitet und Peterson war schon richtig besorgt." erklärte sie. „Und jetzt treffe ich dich hier. Und wie es scheint bist du gesund und munter."
„Es war ein ziemlich heftiger Infekt, der aber zum Glück schnell vorbeiging." teilte Prue ihr mit. „Und jetzt geht es mir schon wieder besser."
„Aha und was wolltest du hier? Dich erholen?" wollte Judy skeptisch wissen.
Prue lachte. „Du sagst es." antwortete sie schlicht.
Judy warf ihr einen Blick zu. „So ein Quatsch."
„Nein, wirklich, es ist doch schön hier, so ruhig." Prue sah aus dem Fenster auf die Zuckerrohrfelder, an denen sie gerade vorbeifuhren. „Und diese endlose Weite."
„Hm," meinte Judy skeptisch. „Also wenn ich dich so ansehe, dann scheinst du durch irgendeinen Morast gewatet zu sein, also was hast du hier wirklich gesucht?"
Prue blickte auf den Donnerstein. „Diesen Stein." erklärte sie wahrheitsgemäß.
„Na klar." meinte Judy und blickte kurz zu Prue. „Darum hältst du ihn auch so krampfhaft fest, als würde gleich jemand vorbeikommen, um ihn dir zu entreißen."
„Genau, und das lasse ich nicht zu." erwiderte Prue.
„Super," Judy sah sie skeptisch an. „Wahrscheinlich hast du immer noch Fieber und gehörst einfach nur in's Bett." entschied sie.
Prue widersprach dem nicht und lehnte sich entspannt zurück. Sie erreichten den Highway und fuhren zurück in Richtung New Orleans. Langsam setzte die Dämmerung ein, doch der Verkehr hatte sich bereits gelegt und sie kamen zügig vorwärts. Sie erreichten New Orleans und Judy fuhr in Richtung von Prues Viertel. Im Wagen war es ruhig, bis Judy sich noch einmal an Prue wandte. „Ich wollte noch wissen, wie es nun mit Samstag Abend steht." erkundigte sie sich.
„Hm, was meinst du?" fragte Prue verwirrt.
„Aber Prue, ihr wolltet doch Samstag Abend zu uns zum Barbecue kommen, ich habe dich am Montag doch eingeladen." meinte Judy und schüttelte leicht mit dem Kopf.
„Ach so ja, weißt du, ich fürchte das wird nichts." erklärte sie ihrer Freundin entschuldigend.
„Aber wieso denn nicht? Ist es wegen deiner Krankheit? Also wenn es dir noch nicht so gut geht, dann hättest du vielleicht nicht unbedingt auf's Land fahren sollen." ärgerte Judy sich.
„Nein das ist es nicht." meinte Prue leise.
Judy sah sie von der Seite aus an. „Ist es wegen Cole? Habt ihr immer noch Streit."
Prue lächelte leicht. „Nein, haben wir nicht." erklärte sie. „Und ich verspreche dir, dass ich, wenn es nur irgendwie möglich ist, kommen werde."
„Und Cole?" fragte Judy. „Hast du ihn überhaupt schon gefragt."
Prue schüttelte den Kopf. „Nein, habe ich nicht." gab sie zu.
„Aber dann kannst du doch gar nicht wissen, ob er mitkommen will." meinte Judy ärgerlich. „Wir freuen uns schon so darauf, und wenn du ihn darum bittest, dann kommt er schon mit."
„Ganz sicher." Prue blickte skeptisch auf den Stein auf ihrem Schoß und stellte sich vor, wie sie ihn fragen sollte. 'Hey Cole, kommst du mit zu Judys Barbecue?' fragte sie in Gedanken, doch wie zu erwarten, rührte der Stein sich nicht. „Er antwortet nicht." erklärte Prue grinsend und musste sich beherrschen, nicht anzufangen, zu lachen. „Aber er hat ja keine andere Wahl, ich bringe ihn einfach mit."
„Gut," meinte Judy irritiert. „Dann erwarte ich euch um 19.00 Uhr im Haus meiner Eltern und ich hoffe ihr seid hungrig."
Jetzt konnte Prue sich nicht mehr zurückhalten. Sie fing lauthals an zu lachen, die Vorstellung von dem Donnerstein, der auf der Bank saß und vor ihm ein Hamburger auf dem Tisch, das war einfach zuviel. „Also weißt du Judy, ich denke nicht, dass Cole etwa essen kann." erklärte sie lachend.
Judy schüttelte den Kopf. „Du bist eindeutig nicht gesund. Du gehörst nach Hause in's Bett, oder sind das die Nebenwirkungen von irgendwelchen Pillen?"
„Tut mir leid," meinte Prue und versuchte sich wieder zu beruhigen. Doch Lachen war immer noch besser, als bei der Vorstellung anzufangen zu heulen.
Als sie vor Prues Zuhause ankamen, stieg Judy aus und begleitete Prue hinein. Amy kam mit Danny auf dem Arm sofort auf sie zugeeilt und Prue nahm ihn erleichtert auf den Arm.
Währenddessen stellte Judy sich vor. „Hallo, du musst Amy sein. Ich bin Judy, eine Freundin von Prue." Sie reichte Amy ihre Hand.
„Hallo." meinte Amy zögerlich und sah Prue nachdenklich an. „Wie geht es dir? Ist alles in Ordnung?"
Bevor Prue antworten konnte, mischte Judy sich ein. „Du hättest Prue gar nicht erst aus dem Bett lassen dürfen, sie phantasiert." meinte sie kopfschüttelnd.
Amy sah sie zustimmend an. „Hm, dann sollten wir wohl besser hoch gehen."
Judy nickte. „Geht nur, ich finde schon alleine raus." meinte sie und sah noch einmal Prue an. „Und vergiss nicht das Barbecue morgen Abend."
Als Judy verschwunden war, sah Amy Prue aufgeregt an. „Also was ist nun, hast du Cole gefunden?"
„Ich schätze schon." erklärte Prue und warf ihr den Donnerstein zu, den sie zwischenzeitlich auf den kleinen Tisch gelegt hatte.
„Oh," Amy fing ihn auf und sah sich den Stein verwundert an. „Hallo Cole, wie geht es dir?" fragte sie, doch als sie keine Antwort bekam, blickte sie Prue fragend an. „Macht er sich irgendwie bemerkbar?"
Prue schüttelte den Kopf. „Nein leider nicht." erklärte sie und ging mit Danny ins Wohnzimmer.
Amy folgte ihr und blickte immer noch interessiert den Donnerstein an. „Aha, und woher weißt du dann so genau, dass Cole da drinnen ist? Ich meine es könnte doch auch ein ganz anderer Dämon sein."
Wütend nahm Prue ihr den Stein wieder ab. „Ich weiß es ganz einfach." erklärte sie unmissverständlich, obwohl Amy ihre geheimsten Befürchtungen ausgesprochen hatte. Nicht auszudenken, wenn sie anstatt Cole einen gefährlichen Dämon mitgenommen hatte. Aber daran durfte sie gar nicht erst denken. Sie hatte ihrem Gefühl vertraut und sie hatte keinen Grund, daran zu zweifeln. Sie blickte den Stein nachdenklich an. „Wenn ich nur wüsste, wie ich ihn da wieder herausholen kann."
„Kann man den Stein nicht irgendwie zerstören?" wollte Amy wissen. „In dem anderen war doch auch ein Ritz."
Prue lachte unglücklich. „Hm, ich weiß auch nicht, wie der zustande gekommen ist, denn ich schätze eigentlich ist er so gut wie unzerstörbar. Ein Bulldozer konnte ihm jedenfalls nichts anhaben und meine Zauberkräfte auch nicht." Sie legte den Stein auf den Tisch und versuchte erneut, ihn mit ihren Zauberkräften zu bewegen, aber er blieb wo er war.
„Ein Bulldozer?" erkundigte Amy sich unterdessen entsetzt. „Du hast ihn unter einen Bulldozer gelegt?"
Prue zuckte mit den Schultern. „Einen Test war es wert." erklärte sie und blickte Danny an. „Na du." meinte sie. „Ist wenigstens mit dir alles in Ordnug?"
„Ja er ist ganz ruhig, er weiß ja auch nicht, dass sein Vater in einem Stein gefangen ist." seufzte Amy. „Er hat heute nur ständig nach diesem blöden Zauberstab Ausschau gehalten."
„Natürlich." Prue sah ihn zufrieden an. „Der Zauberstab und das Buch, vielleicht wissen sie die Lösung." Entschlossen sah sich sich nach dem Buch und dem Stab um und ging hinaus in den Garten.
Amy folgte ihr. „Was hast du vor?"
Prue setzte sich unter die Kastanie und schlug das Buch auf der Seite über den Donnerstein auf. Dann nahm sie den Stab in die Hand. Danny, den sie immer noch auf dem Schoß hatte, wollte danach greifen, aber Prue hielt ihn davon ab. „Nein Schatz, ich brauche ihn, um deinem Vater zu helfen. Das verstehst du doch?" Und als ob der kleine Junge sie genau verstanden hatte, gab er Ruhe und blickte sie aufmerksam an.
„Also, jetzt wollen wir doch mal sehen, wie wir Cole befreien können." teilte sie ihm mit und fuhr mit dem Zauberstab über die Seite. Erneut bildeten sich kleine Sternchen unter dem Stab und auf der Seite erschienen die ersten Buchstaben. Langsam fuhr sie über die einzelnen Zeilen, bis der Zauberstab nicht mehr weiterschrieb.„Das hat ja prima funktioniert." erklärte Prue zufrieden und küsste ihren kleinem Neffen auf den Kopf. „Aber jetzt lass uns erstmal wieder reingehen."
Sie gingen zurück ins Wohnzimmer und Prue ließ sich auf dem Sofa nieder. Vor ihr auf dem Tisch lag das aufgeschlagene Zauberbuch. Als Amy sich ebenfalls gesetzt hatte, begann Prue zu lesen.
„Um jemanden aus einem Donnerstein zu befreien, bereitet man eine Veneno-Mischung zu. Diese besteht zu gleichen Teilen aus der Fruchtessenz des Mazanillobaums, Kugelfischgift, Gift des Stechapfels, Schlagen- und Krötengift." Prue blickte Amy an. „Das ist ja eine extrem tödliche Mischung." erklärte sie mit Respekt und las kopfschüttelnd weiter. „In einen Kochtopf füllt man genau soviel Wasser auf, bis der Donnerstein bedeckt ist. Wenn die Essenz anfängt zu kochen, fügt man noch Knochensplitter und Haare eines Toten hinzu. Der Donnerstein muss so lange kochen, bis er beginnt sich zu verfärben. Dann muss der Sud sofort abgegossen werden, denn sonst dringt die giftige Flüssigkeit durch die poröse Oberfläche in den Stein und tötet den Eingeschlossenen." Prue sah entsetzt auf und Amy blickte erschrocken zurück.
„Das kann ich nicht machen." erklärte Prue unmissverständlich.
Amy nickte verständnisvoll. „Ich verstehe dich, es ist ganz schön gefährlich, woher soll man wissen, wann der richtige Moment gekommen ist und nachher ist es zu spät und...."
„Das ist es nicht Amy." unterbrach Prue sie konsequent. „Hast du denn nicht zugehört? - Leichenteile - Das ist schwarze Magie!"
Amy zuckte mit den Schultern. „Es ist doch für Cole." erklärte sie zögerlich.
„Trotzdem, ich wende keine schwarze Magie an, niemals." teilte Prue ihr strikt mit.
„Das bedeutet, du willst ihn in diesem Stein lassen?" wollte Amy verwundert wissen.
„Das habe ich nicht gesagt." erklärte Prue. „Ich muss eben einen anderen Weg finden."
„Ach ja?" fragte Amy nicht gerade überzeugt. „Und wie? Wahrscheinlich braucht man diese extremen Mittel, um ihn zu befreien. Du hast doch schon gesagt, dass es keinen Weg gibt um den Stein zu zerstören."
„Aber den muss es geben. Schwarze Magie kann nicht der einzige Weg sein." überlegte Prue entschlossen.
Amy schloss das Buch und zeigte auf den Titel. „Dieser Zauberspruch ist für dich bestimmt, und zwar genau für diesen einen Grund. Wahrscheinlich ist es gar keine schwarze Magie."
„Glaub' mir Amy, mit sowas kenne ich mich leider viel zu gut aus." teilte Prue ihr unmissverständlich mit. „Du wirst sehen, schon morgen habe ich einen anderen Plan."
„Und wenn dir nichts einfällt? Wirst du Cole dann etwa für alle Ewigkeiten in dem Stein sitzen lassen?" wollte Amy mürrisch wissen.
Prue schüttelte den Kopf. „Ich habe den Eindruck du willst mir ein schlechtes Gewissen einreden, nur weil ich das Richtige tue."
„Klar, und nur du weißt natürlich, was richtig, und was falsch ist." erklärte Amy wütend. „Weißt du, es scheint mir, als würde es dir gefallen, dass er in dem Stein da festsitzt, dann kannst du ihn besser kontrollieren."
„Bemüh' dich gar nicht erst, ich mache es nicht." meinte Prue äußerlich ganz gelassen.
„Toll, dann teil' Danny schon mal mit, dass er sich daran gewöhnen muss, dass sein Vater in einem Donnerstein festsitzt." fuhr Amy sie an. „Und du kannst den Stein gleich mit in's Bett nehmen, vielleicht gefällt dir sowas ja."
Prue seufzte genervt „Das reicht jetzt Amy, ich weiß nun mal, dass das nicht die geeignete Methode ist." Ohne ein weiteres Wort zu sagen, verließ Amy wütend das Zimmer und trampelte die Treppe hoch.
Prue schüttelte den Kopf. „Was erlaubt die sich eigentlich." fragte sie sich und blickte unglücklich zu dem Donnerstein. „Ich kann das nicht tun Cole, das verstehst du doch. Ich kann keine schwarze Magie anwenden." erklärte sie unglücklich. „Aber keine Sorge, ich finde schon einen Weg."
