45. Kapitel

Ärgerlich feuerte Prue eine der Flaschen gegen die vermauerte Tür. Sie zerschellte daran und die freigesetzte Seele erhellte kurzzeitig den Raum, bis sie einen Weg in die Freiheit fand und verschwand. „Wieso können sie hier raus und wir nicht?" wollte Prue frustriert wissen.

„Seelen halten keine Mauern auf." erklärte Cole in Gedanken versunken.

„Die Flaschen aber schon." meinte Prue wütend und feuerte mit aller Kraft eine Flasche nach der anderen gegen die Mauer.

„Das ist Glas, etwas völlig anderes. Außerdem war es Morgans Zauber und Belva hat kein Interesse mehr daran." erklärte Cole und sah dabei zu, wie eine Seele nach der anderen entkam.

Als Prue schließlich die letzte Flasche zerstört hatte, wurde es in ihrem Gefängnis wieder stockdunkel. Prue fühlte sich dadurch, dass sie die Seelen befreit hatte, kein bisschen besser. Wütend wandte sie sich an Cole. „Warum tust du eigentlich nichts?"

„Ich denke nach, oder versuche es wenigstens, bei dem Krach hier." teilte er ihr ruhig mit.

„Nachdenken? Na das ist ja mal ganz war Neues bei dir." meinte sie spöttisch. „Für gewöhnlich handelst du doch schon, bevor du auch nur einen Gedanken verschwendest."

Cole versuchte sie zu erkennen, was ihm in der Dunkelheit schwerfiel. „Was soll ich denn deiner Meinung nach tun?"

„Mit einem Energieball ein Loch in die Wand reißen." schlug Prue vor.

Mit einem spöttischen Blick, den Prue nicht sah, stand er auf und feuerte einen Energieball gegen die Wand. Doch anstatt einige Backsteine zu lockern oder gar ein Loch in die Wand zu reißen, prallte der Energieball an einer unsichtbaren Hürde ab und flog zurück in die Mitte des Raumes. Das Spielchen wiederholte sich an der entgegengesetzten Mauer und Cole hastete zu Prue, um sie auf den Boden zu werfen, als der Energieball plötzlich in ihre Richtung abdrehte.

Dicht auf den Boden gepresst warteten sie so lange, bis der Energieball langsam immer mehr an Kraft verlor und schließlich verpuffte.

Vorsichtig richtete Cole sich auf und lehnte sich frustriert mit dem Rücken an die Wand. Dabei ließ er Prue nicht eine Sekunde los. Und auch Prue klammerte sich an ihm fest. Sie war verzweifelt und sie brauchte jetzt einfach etwas Trost. Frustriert lehnte sie sich an die rauhe Wand, als sie auf einmal bemerkte, dass eine warme Flüssigkeit ihre Hand entlanglief. Blitzschnell schaltete Prue ihre Taschenlampe an und erkannte zu ihrer Überraschung einen Glassplitter in ihrem Arm. Verwundert runzelte sie die Stirn, sie hatte überhaupt nicht bemerkt, wie er eingedrungen war.

Cole folgte ihrem Blick und nahm ihre Hand. „Oh nein, auch das noch. Tut es sehr weh?" fragte er besorgt und sah sich um, der gesamte Boden musste mit den Glassplittern der Flaschen übersät sein.

Prue schüttelte überrascht den Kopf, sie spürte keinerlei Schmerzen. „Nein!" meinte sie und holte ein Taschentuch aus ihrer Hosentasche. Dann zog sie rasch den Splitter aus der Wunde und versuchte die Blutung zu stoppen.

Sie machte das alles so ruhig und gefasst, dass Cole sie forschend ansah. „Hast du noch weitere Verletzungen?"

Prue sah in dem schwachen Licht an sich herunter, doch sie konnte nichts erkennen. „Nein, und du?" Sie leuchtete seine Arme und Beine entlang, doch sie fand keine weiteren Glassplitter. Zufrieden machte sie das Licht wieder aus und lehnte sich erneut an die Wand.

Cole legte seinen Arm um sie und zog sie näher an sich. „Wir werden einen Weg finden Prue, wir dürfen nur nichts überstürzen." flüsterte er ihr leise ins Haar.

„Ja, und da sind immer noch Zadie und Amy." versuchte Prue sich aufzumuntern.

„Genau." stimmte Cole ihr zu. Doch keiner von beiden sprach den Gedanken aus, der ihnen am meisten Angst einjagte, dass Danny damit nämlich noch lange nicht in Sicherheit war. Belvas Sohn war tot und sie würde sich dafür rächen, ganz gleich, ob Amy es verhindern konnte, dass sie Ayida anrief. Belva würde versuchen Danny zu töten, auch wenn es das Letzte war, das sie tun würde.

Nachdenklich steckte Cole das Röhrchen mit Dannys Haar zurück in seine Jackentasche, als er einen anderen Gegenstand in die Hand bekam. Den Donnerstein, den er in Zadies Küche aufgehoben hatte. Langsam fuhr Cole mit seinen Fingern über die glatte Oberfläche des Steins und spürte auf einmal die Ritze, die entstanden war, und die ihm die Möglichkeit gegeben hatte zu entkommen. Er holte ihn aus der Tasche und nahm ihn von einer Hand in die andere. Es musste eine Bedeutung haben, dass er ihn mitgenommen hatte, und plötzlich kam ihm ein Gedanke. Im Dunkeln sah er zu Prue hinüber. Es würde ihr nicht gefallen, sie würde Einwände haben, aber sie hatten keine Wahl. „Prue." begann er leise. „Ich habe da eine Idee."

Prue hörte sofort auf vor sich hin zu grübeln. „Was ist? Los sag schon."

Er nahm ihre Hand und legte den Donnerstein hinein. „Das ist der Stein in dem ich gefangen war." erklärte er.

Prue schaltete das Licht ein und sah ihn sich an, er hatte wieder seine normale Färbung angenommen, doch ein schmaler Ritz zierte nun die Rückseite. „Ich weiß. Und?" Prue blickte neugierig auf.

„Siehst du den Ritz dort?" wollte Cole wissen, und als Prue nickte, fuhr er fort. „Durch diese Öffnung hat man die Möglichkeit, den Stein zu betreten und auch wieder zu verlassen." erklärte Cole und warf Prue einen entschlossenen Blick zu, er musste sie einfach überzeugen, bei seinem Plan mitzumachen. Er wusste mit Bestimmtheit, dass sie Danny gegen alles schützen würde, ganz gleich woher die Gefahr kommen würde, ihr eigenes Wohl wäre ihr dabei gleichgültig, Danny wäre bei ihr sicher. „Belva hat gesagt, dass sie uns trennen kann, wenn wir gemeinsam hinausschimmern. Aber wenn du in diesem Donnerstein wärst, dann würde sie deine Präsenz nicht bemerken, sie hätte keinen Zugriff auf dich."

Prue versuchte zu verstehen, was er ihr damit sagen wollte. „Warte, willst du etwa vorschlagen, dass ich in den Donnerstein reise?"

Cole nickte. „Ja, keine angenehme Vorstellung, ich weiß. Aber dann kann ich dich mit nach draußen nehmen."

Prue kniff die Augen zusammen und sah ihn ungläubig an. „Du meinst mit in den Donnerstein vor der Tür."

Cole nickte. „Ja, du würdest dann nicht unter ihrem Zauber stehen, und wenn sie mich freilässt, dann könntest du ganz einfach entkommen. Durch den Spalt kann man erkennen, ob es hell wird, oder ob..."

Prue hob ihre Hand, um ihn aufzuhalten. „Moment mal, willst du damit etwa andeuten, dass du zulassen willst, dass Belva dich ihrem Zauber unterwirft?" fragte sie ungläubig.

Cole nickte. „Genau! Belva hat für uns eine wichtige Rolle in ihrer Zeremonie vorgesehen, also werden wir dort anwesend sein." erklärte er und schaute sie dabei unablässig an. Er wandte nicht für eine Sekunde den Blick ab. „Und du wirst Danny befreien."

Ungläubig schüttelte Prue den Kopf. „Stell dir das nicht so einfach vor, du weißt doch gar nicht, was Belva von dir verlangt. Ob du dagegen ankommen kannst."

„Nein." Cole blickte kurz nach unten und sah sie dann wieder an. „Aber du kannst mich stoppen."

„Nein." entrüstet schaltete Prue das Licht aus, um ihn nicht mehr ansehen zu müssen. „Weißt du, was du da von mir verlangst?" wollte sie wütend wissen. „Du nimmst in Kauf, dass ich dich töten muss."

Cole suchte im Dunkeln nach ihren Händen. „Das habe ich mit keinem Wort gesagt." erklärte er ruhig.

„Nein, aber darauf läuft es hinaus." klärte sie ihn auf. „Aber ich will nicht noch jemanden verlieren, ich hatte schon zu viele Verluste in meinem Leben, noch einen ertrag' ich nicht."

„Doch Prue, du bist stark." teilte er ihr überzeugt mit. Wenn er darüber nachdachte, war er erstaunt darüber, welche Verluste ein Mensch verkraften konnte, wo er schon bei einem so kläglich versagt hatte.

„Aber ich werde es um keinen Preis der Welt erneut zulassen." erklärte Prue resolut. „Ich werde weder Danny noch dich verlieren."

„Und das wirst du auch nicht. Denn du warst es doch, die felsenfest davon überzeugt war, dass ich selbst unter Belvas Zauber Danny nichts antun könnte." versuchte Cole sie zu überzeugen.

„Und du warst überzeugt, dass du es doch tun würdest, weil manche Zauber einfach stärker sind, als man selbst." erinnerte sie ihn.

Cole lächelte. „Dann zeig' mir doch, dass du wie immer Recht hast."

„Das ist kein Spiel Cole." meinte Prue ärgerlich. „Uns wird etwas Besseres einfallen."

Cole zuckte mit den Achseln. „Gut, aber wir haben nicht ewig Zeit. Wir wissen nicht wie spät es ist und wie schnell die Zeit vergeht."

Prue versuchte ihre Möglichkeiten aus dem Gefängnis zu entkommen durchzugehen und auch die Chancen, die sich ergeben würden, wenn sie tatsächlich in dem Donnerstein reiste. Aber dummerweise endete jedes einzelne dieser Szenarien in einer Tragödie. Frustriert stand sie auf und begann auf und ab zu gehen.

Die Glasscherben knackten unter ihren Schritten und Cole sagte keinen Ton. Er wartete ruhig ab und versuchte gar nicht erst weiter mit ihr zu diskutieren, er hatte ihr seinen Standpunkt klar gemacht und wusste, dass sie früher oder später zustimmen würde. Und dann war es viel früher, als er für möglich gehalten hatte.

Plötzlich blieb Prue stehen und drehte sich zu ihm um. „Gut!" meinte sie mit einem zufriedenen Lächeln, das er in der Dunkelheit nicht sehen konnte. „Ich werde es tun."

„Das ging aber schnell." entfuhr es Cole überrascht und er konnte die leichte Enttäuschung darüber nicht ganz unterdrücken.

Prue ging auf ihn zu und schaltete wieder das Licht an. „Wieso dieser Tonfall? Ich dachte du wolltest es so?"

Cole stand achselzuckend auf. „Ich war nur überrascht, dass du so leicht nachgegeben hast. Das ist alles." erklärte er schnell und legte den Donnerstein auf den Boden vor ihre Füße. „Siehst du die Ritze dort, durch sie kannst du später erkennen, wann Belva mich wieder freigelassen hat, selbst wenn es dunkel ist, wird der kleinste Lichtstrahl durch die Lücke scheinen. Ich habe ihn auch gesehen." teilte er ihr gefasst mit und sah sie an. „Es ist beängstigend da drin, aber du weißt ja, dass du bald wieder freikommst."

Prue nickte und blickte auf den Stein, das hoffte sie zumindest. „Wann soll ich es tun?" fragte sie entschlossen und sah auf.

„So früh wie möglich." meinte Cole nachdenklich, als sich ihre Blicke trafen. „Es wird schon gutgehen." versuchte er sie mit einem ermutigenden Lächeln zu überzeugen.

„Sicher!" erklärte Prue gefasst und verzog keine Miene. „Soll ich dir die Taschenlampe hierlassen?" fragte sie geschäftig und legte sie auf den Boden, damit das Licht genau auf die Spalte im Donnerstein schien. „Gut dann werde ich jetzt... "

„Nein warte." hielt Cole sie auf und nahm ihre Hand um ihr das Röhrchen mit Dannys Haarlocke zu geben. „Pass darauf auf."

Die Art, wie es das sagte, erweckte in Prue den Wunsch, ihm zu sagen, dass ihr Plan ganz anders aussah, als seiner. Doch sie widerstand diesem Impuls und schlag stattdessen ihre Arme um seinen Hals. „Belva hat nicht die Macht, uns das hier kaputt zu machen, verlass dich darauf." flüsterte sie ihm ins Ohr.

Cole nickte und drückte sie noch fester an sich, so dass er ihren Herzschlag spüren konnte. Er wusste, dass es seine Aufgabe war, dafür zu sorgen, dass Danny und Prue das hier überlebten, alles andere war egal. Er küsste sie, und zwang sich nicht daran zu denken, ob es vielleicht das letzte Mal war.

Prue erwiderte seinen Kuss und konnte nicht aufhören, ihn zu küssen. Es gab ihr Kraft und sie fühlte sich bereit, alle Schwierigkeiten zu überstehen. Sie standen eine Ewigkeit so da und keiner von beiden wollte den ersten Schritt machen, sich zu trennen.

Schließlich flackerte die Taschenlampe und Prue trat einen Schritt zurück. „Ich fürchte jetzt muss ich gehen, sonst habe ich gar kein Licht mehr und finde den Eingang nicht." erklärte sie ruhig und sah ihn mit einem Lächeln an. „Wünsch' mir Glück für meine Reise." forderte sie ihn auf.

Cole trat gefasst einen Schritt zurück und beobachtete angespannt, wie Prue sich auf ihre Astralreise in das Innere des Donnersteins machte. Als sie verschwunden war, nahm er mit dem letzten Flackern der Taschenlampe den Stein in die Hand und trat schließlich auf den Ausgang zu.

Unterdessen befand Prue sich im Inneren des Donnersteins und musste dem Drang widerstehen, ihn sofort wieder zu verlassen. Der Moment, als sich die steinernen Wände um sie geschlossen hatten, war beängstigend gewesen und nur die Gewissheit, dass dort ein Ausgang war, gab ihr für einen Moment genügend Sicherheit, um sich zu beruhigen. Doch lange würde dieser nicht mehr da sein. Sie fühlte sich wie eingezwängt, alles war stockdunkel, auch wenn Cole recht hatte, und sie kurzzeitig noch den schwachen Schimmer der Taschenlampe sehen konnte. Doch plötzlich war es stockdunkel und sie spürte, dass sie nun tatsächlich im Gefängnis festsaß, denn ein weiterer Donnerstein umschloss sie.

Als Cole sich endlich entschlossen hatte, sich nach draußen zu schimmern, hatte ihn sofort der Sog des Donnersteins erfasst. Seltsamerweise war es dieses Mal nicht so erschreckend gewesen, wie das erste Mal, denn er wusste ganz genau, was mit ihm geschah. Als sich jedoch die dunklen massiven Wände des Steins um ihn schlossen, fühlte er eine erdrückende Hilflosigkeit und Wut. Visionen was alles passieren könnte, prasselten auf ihn nieder. Er wollte hinaus und hatte doch keine Chance zu entkommen. Das Gefühl war so entmutigend, dass er sich zwingen musste, ihm nicht nachzugeben.

Aber plötzlich änderte sich die Atmosphäre grundlegend. Er spürte, dass er nicht mehr allein war. Prue! Im ersten Augenblick war er wütend, sie hatte es die ganze Zeit vorgehabt, wieso war er nicht misstrauisch geworden, als sie so widerspruchslos zugestimmt hatte.

Als Prue sicher gewesen war, dass sie nicht nur in einem Donnerstein gefangen war, hatte sie noch eine Weile gewartet. Sie wollte ganz sicher gehen, dass sie sich nicht zu früh auf den Weg machte, damit nichts schief gehen konnte.

Als sie ihren Stein schließlich durch die Ritze verließ, verschluckte sie die dunkle Höhle des nächsten sogleich, doch so beängstigend das Gefühl auch war, sie war nicht allein. Auf einmal konnte sie Cole mit jeder Faser spüren, sie merkte wie sich seine Überraschung in Freude, Verwirrung und dann Ärger verwandelte und hätte gegrinst, wenn ihr das in ihrem körperlosen Zustand möglich gewesen wäre. Hatte er etwa angenommen, sie würde ihn in sein Unglück rennen lassen, nein, ganz gewiss nicht.

Als sie ruhelos in der Dunkelheit des Gefängnisses herumgegangen war, war ihr plötzlich die Lösung eingefallen. Wenn sie zusammen im Donnerstein sein würden, dann würde sie Belvas Zauber gemeinsam treffen und die Kraft würde sich somit halbieren. Und gegen die halbe Zauberkraft von Belva kamen sie beide locker an, davon war sie überzeugt. Das sie damit auch falsch liegen konnte, zog sie gar nicht erst in Betracht und anstatt sinnlose Diskussionen mit Cole zu führen, hatte sie ihren Plan ganz einfach in die Tat umgesetzt.

Und nun waren sie hier, in einem Raum, der viel zu klein war, für zwei so starke Persönlichkeiten. Sie waren pure Energie, die auf dem engen Raum miteinander verschlungen, verbunden, eins waren. Sie spürten sich überall, denn sie hatten kaum Platz und es war unmöglich zu sagen, wo sie begann und er aufhörte.

Sie waren sich so nah, wie noch niemals zuvor einem Menschen und dieses Gefühl war gleichzeitig unbeschreiblich und beängstigend. Cole konnte all ihre längst vergessenen Verluste, Schmerzen, Trauer, Reue und Schuld fühlen, aber auch ihre Freude und Liebe. Verwundert überlegte er, dass sie die gleiche Möglichkeit hatte und wollte erschrocken zurückweichen, doch das war unmöglich.

Prue selbst war verwundert darüber wie sehr es sie faszinierte, in seine dunkelsten Winkel vorzustoßen, Zorn, Wut, Schmerz, eine beängstigende Dunkelheit, und doch auch Licht. Aber plötzlich kam ihr der Gedanke, dass auch er die Möglichkeit hatte, all ihre gut kaschierten Unzulänglichkeiten zu erkennen und sie wollte das Ganze stoppen. Doch es gab keine Chance mehr, irgendetwas zu verstecken, alle Geheimnisse lagen schonungslos offen.

Sie bemerkten, wie sehr sie das beide beunruhigte, denn wer wollte schon, dass jemand ihm bis ins tiefste Innere sehen konnte, wer wollte nicht seine kleinen Geheimnisse behalten. Sie wussten sofort, dass es ihnen beiden so ging, und das beruhigte sie ein wenig, denn auf der anderen Seite war da auch die Neugier, den anderen zu erkennen. Sie sahen einander, wie sie wirklich waren und es war leichter, nichts mehr zu verbergen, als sie jemals gedacht hatten. Sie versuchten sich zu entspannen und den Zauber des Augenblicks genießen. Denn keiner von beiden konnte sich erinnern, jemals in seinem Leben solch einen Frieden empfunden zu haben wie in diesem Augenblick und das ausgerechnet in dem Höllenloch von Donnerstein.

Als es früher Abend wurde und Amy immer noch nicht zurückgekommen war, begann Zadie unruhig auf und ab zu gehen. Sie hatte nichts mehr von Cole und Prue gehört und machte sich langsam Sorgen. Wenn nun etwas schief gegangen war und sie Belva in die Hände gefallen waren. Vielleicht war es ihrer Schwester sogar schon gelungen, Amy zu vernichten. Zadie seufzte, wenn sie wenigstens die Loa anrufen und um Unterstützung beten könnte, aber als Untoter war ihr das unmöglich.

Endlich hörte sie ein Geräusch an der Tür und eilte in die Halle. Amy erschien lachend in der Tür und verstummte sofort, als sie Zadies Gesicht sah. „Was ist los? Haben sie Danny gefunden?" fragte sie besorgt, wie hatte sie nur so einen schönen Nachmittag verbringen können, während Danny in den Händen von Belva war, schalt sie sich. Das sah ihr überhaupt nicht ähnlich.

„Nein." Zadie schüttelte den Kopf. „Seitdem sie zur Plantage aufgebrochen sind, um Danny zu finden, habe ich nichts mehr von ihnen gehört." meinte sie seufzend und sah Amy erleichtert an. „Aber jetzt bist wenigstens du wieder da."

Amy lächelte unglücklich. „Ja, aber im Kampf gegen diese Voodoopriesterin bringe ich nicht besonders viel." erklärte sie achselzuckend.

„Das werden wir noch sehen." Entschlossen sah sich Zadie nach den Wagenschlüsseln um. „Wir sollten jetzt erst einmal zu dieser Plantage fahren und sehen, ob wir Cole und Prue finden."

„Schon wieder die Plantage von ...." Amy stockte plötzlich. Als sie den Nachmittag mit Josh verbracht hatte, hatte sie ihre eigenen Probleme ganz aus den Augen verloren.

Zadie unterbrach ihre Gedanken. „Ja genau die. Weißt du, wo das ist?"

Amy nickte. „Leider nur zu gut." meinte sie leise und sah Josh unsicher an. „Du willst sicher lieber nach Hause, oder?"

„Nein, wenn ihr meine Hilfe gebrauchen könnt, dann komme ich gerne mit." erklärte er entschlossen.

Zadie musterte ihn nachdenklich. „Nun junger Mann, es könnte gefährlich werden. Aber Hilfe können wir immer gebrauchen."

„Na dann lasst uns losfahren." entgegnete Josh und sie verließen das Haus.

Als sie einige Zeit später auf dem Plantagengelände ankamen, fanden sie Coles leeren Wagen auf dem kleinen Platz. Amy parkte daneben und stieg aus, um einen Blick in den Innenraum zu werfen. „Nichts!" erkannte sie frustriert und sah sich um. „Wo sie wohl sind?"

„Sie wollten das alte Herrenhaus überprüfen." teilte Zadie ihr mit und sah sich neugierig um. Dies war also die Plantage, auf der ihre Vorfahren als Sklaven gearbeitet hatten. Eine merkwürdige Vorstellung, und wahrscheinlich war es der Platz, an dem ihre Schwester Ayida heraufbeschwören wollte. Zadie seufzte. Das passte alles zusammen, der Ort könnte stimmen, nur den richtigen Platz mussten sie noch finden.

„Dann sollten wir uns dort wahrscheinlich erst einmal umschauen." beschloss Amy derweil und winkte die beiden zu sich herüber. „Kommt ich kenne den Weg zum Herrenhaus."

Sie nahmen den gleichen Weg wie Prue und Cole Stunden zuvor, der einzige Unterschied war, dass es langsam anfing zu dämmern und sie sich bemühen mussten, nicht über Steine oder Baumwurzeln zu stolpern.

Ohne darüber nachzudenken nahm Josh eine Zigarette heraus und die Flamme seines Feuerzeugs erhellte für kurze Zeit die Umgebung.

Amy sah sich unwillig um, doch sie sagte keinen Ton, obwohl sie es nicht besonders gut fand, dass er die schöne frische Waldluft verderben musste.

Zadie lächelte, als sie Amys Gesichtsausdruck sah. „Ich glaube Amy ist keine Freundin vom Rauchen." erklärte sie.

„Du hast es erfasst." murmelte Amy, während sie weiterging.

„Ich weiß, aber wir sind ja draußen." entschuldigte Josh sich, er brauchte jetzt einfach eine Zigarette. „Tut mir leid, aber ich hab' mich schon die ganze Zeit beherrscht."

„Oh, ich glaube da könnte ich dir helfen." meinte Zadie zufrieden. „Zuhause habe ich verschiedene Mittel um Nichtraucher zu werden, und du weißt ja wo ich wohne." erklärte sie und stoppte, als sie auf einmal das peinliche Schweigen der beiden vernahm. Stimmt, sie würde nicht in ihr Zuhause zurückkehren, ihr letzter Weg war der ins Grab. Energisch schüttelte sie den Kopf. Sie durfte sich nicht mit diesen düsteren Gedanken verrückt machen, ihr Ziel musste es sein ihre Schwester zu stoppen.

Schweigend gingen sie weiter und Zadie blickte nachdenklich auf Joshs Rücken. „Weißt du, mir ist wieder eingefallen dass es da vor Jahren einen weißen Jungen gab, der immer vor meinem Haus stehengeblieben ist und es wie ein Weltwunder betrachtet hat." Als sie Josh leise grummeln hörte, meinte sie weiter. „Und immer wenn ich die Tür aufgemacht habe, war er wie vom Erdboden verschluckt."

„Naja ich hatte da so einiges gehört." gab Josh unwillig zu.

Zadie lächelte. „Und da bist du lieber weggelaufen, als dich der alten Hexe zu zeigen?"

„Also so war es nun auch wieder nicht." wimmelte Josh ab.

„Ach nein?" Das brachte Zadie tatsächlich zum Lachen. „Aber soviel ich mich erinnere hatte der Junge dunkle Haare."

„Sie sind von der Sonne gebleicht." erklärte Josh leicht genervt.

Amy lachte und drehte sich zu ihm um. „Also selbst wenn ich in den Ferien am Meer war, ist das mit meinen noch nie passiert."

Schließlich erreichten sie den Hügel und gingen die Straße zum Herrenhaus hinunter. Amy betrachtete mit betrübtem Blick die Bäume, deren knorrige Äste sich im leicht aufgekommenden Wind bewegten. Leise und vorsichtig gingen sie auf das Herrenhaus zu. Die Ruine lag verlassen in dem langsam schwindenen Tageslicht.

„Hier haben meine Vorfahren gewohnt." meinte Amy plötzlich beeindruckt und sah an den hohen Säulen empor. Auch wenn sie sich mit dem Gedanken, dass Edward Wingrove ihr Vater war, nicht wirklich anfreunden konnte, dann war dies doch ein unglaubliches Gefühl.

Zadie lächelte. „Und meine waren ihre Sklaven, kurios, nicht wahr?"

Amy blieb stehen und sah sie erschrocken an. „Wirklich? Das tut mir leid, ich wusste nicht..."

Doch Zadie winkte ab. „Keine Sorge Kleines, dass war weit vor meiner Zeit." meinte sie lächelnd und schaute in die Runde. „Wenn ich nur wüsste, wo Belva ihr kleines Ritual abhalten will."

„Vielleicht in der Nähe der ehemaligen Sklavenhütten." schlug Josh vor, als Zadie plötzlich den Finger auf den Mund legte. Sie zog die beiden hinter eine der noch halb intakten Wände und lugte vorsichtig um die Ecke. Josh und Amy sagten derweil kein Wort und sahen sich nur fragend an.

Zadie hatte es geahnt, aber jetzt sah sie sie in ihrer ganzen Pracht, Belva. Sie trug ein wallendes Gewand, das prachtvoll mit Pailletten, Federn und Spiegelscherben besetzt war. Goldene Perlenschnüre hingen an ihrem Hals-, Arm- und Beinausschnitt herab und klirrten bei jedem ihrer Schritte. Auf ihrem Kopf trug sie einen ebensolchen Turban.

Zadie atmete tief durch, da war sie, ihre eigene Schwester, die Voodoozauberin, die sie in einen Zombie verwandelt hatte. Zadie schauderte und versuchte wieder ganz ruhig zu werden. Wenn sie Belva gespürt hatte, dann gelang es vielleicht auch ihr. Doch Belva war so mit sich selbst und ihrer bevorstehenden Zeremonie beschäftigt, dass sie die Umgebung rund herum nicht völlig wahrnahm.

Sie schritt mit ihrem Gefolge, bestehend aus einigen weißgekleideten Gestalten, in die entgegengesetzte Richtung des Gebäudes.

Zadie blickte wieder zu ihren beiden Begleitern. „Das war sie." raunte sie ihnen zu und sah Amy aufmerksam an. „Weißt, du, was jetzt zu tun ist?"

Amy schüttelte den Kopf und sah sie verwirrt an. „Nein, ich habe keine Ahnung, meinst du sie hat auch Cole und Prue gefangen?"

„Anzunehmen." Zadie seufzte, Amy schien nicht zu wissen, was zu tun war. Ob die Loa sich geirrt hatten? Aber nein, die Götter irrten sich nie, sie musste nur Vertrauen haben. „Wir sollten uns ruhig verhalten und abwarten, was geschieht." beschloss sie und sah erneut vorsichtig um die Ecke. Danny war nicht in der Gruppe gewesen. Es war anzunehmen, dass Belva ihn an einem anderen Ort untergebracht hatte, denn Zadie wusste, dass Opfer einem stundenlangen Ritual unterzogen wurden, bevor sie würdig waren, den Loa geopfert zu werden.

Es verging einige Zeit in der nichts geschah, doch plötzlich hörten sie wieder Geräusche. Belvas Perlen klimperten. „Er denkt also, er hat eine Chance gegen mich, nun das wird spaßig." erklang Belvas Stimme und traf Zadie bis ins Mark. „Leider hatte die junge Dame nicht genug Mut sich mir zu stellen."

„Er wird dafür büßen, was er mit meinem David gemacht hat, die Frau ist mir egal." meinte die junge Frau neben ihr in weinerlichem Tonfall.

„Isabell, wir werden siegen, Ayida wird alles vernichten, unsere Rache wird grausam sein." erklärte Belva und lachte irre.

Josh und Amy sah sich erschrocken an. Die Schritte der Gruppe wurden leiser und Amy, Josh und Zadie kamen langsam wieder hinter ihrem Versteck hervor.

„Wir müssen sie verfolgen, sie gehen sicher zum Ritualplatz." erklärte Zadie entschieden.

„Ist diese Frau wahnsinnig, oder was meinte sie mit 'sie wird alle vernichten'." wollte Josh wissen, als sie zurück auf die Straße traten. Ein Stück entfernt konnten sie noch erkennen, wie die Gruppe hinter dem Hügel im Wald verschwand.

„Sie meinte es genau so, wie sie es gesagt hat." klärte Zadie unterdessen Josh auf. „Sie hat vor, die Menschheit zu vernichten und sie hat die Macht, es auch zu tun." erneut sah sie Amy an, doch diese schien von ihrer Berufung immer noch nichts zu spüren.

Josh kniff die Augen zusammen. „Also ich weiß wirklich nicht, was ich davon jetzt halten soll." meinte er und sah hilfesuchend zu Amy.

Diese zuckte ebenso hilflos mit den Schultern. „Ich weiß es auch nicht, ich weiß nur, dass wir erstmal dieser Gruppe folgen müssen, denn sie bringt uns hoffentlich zu Cole, Prue und Danny. Dann sehen wir weiter."

Zadie lächelte leicht. „Du hast es erfasst Kind."

Sie gingen bis zum Ende des Hügels und wollten denselben Weg nehmen, wie die Gruppe vor ihnen, doch zu ihrer Überraschung war dort eine unüberwindbare Ansammlung von Bäumen und Sträuchern.

Verwirrt sahen sie sich an. „Aber sie sind doch hier langgegangen." meinte Amy verblüfft.

Josh nickte und blickte hinauf zu den hohen Bäumen. „Das dachte ich auch, aber wie es scheint, haben wir uns wohl geirrt, hier ist kein durchkommen."

Zadie seufzte und blickte den Wall aus Bäumen an. „Das war Belva, sie will sich vor der Welt abschirmen."

„Und was machen wir nun?" wollte Amy entmutigt wissen.

„Wir müssen einen anderen Weg zum Ritualplatz finden." erklärte Zadie und sah Amy lange an. „Er muss in der Nähe von einem Gewässer sein, weißt du wo das sein könnte?"

Amy nickte. „Ja, es gibt hier einen See. Da muss es sein." Sie sah sich um und ging zurück zum Herrenhaus. „Kommt, wenn sie uns diesen Weg versperrt hat, dann nehmen wir eben einen anderen."