Kapitel 5

Am nächsten Morgen kitzelten die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne ihre Nase. Erschrocken sprang sie aus dem Bett und musste sich erst einmal setzen, denn der übermäßige Weingenuss des vorigen Abends zeigte nun seine Schattenseite. Trotzdem beeilte sie sich fertig zu werden und zu den Ställen zu gelangen. 

Dort angekommen sah sie den Elbenfürsten bei seinem Pferd. Sie hatte nicht erwartet ihn mit einer Mistgabel bewaffnet zu sehen, es passte einfach nicht zu einem Elb der so hochrangig war wie Glorfindel. Ihr fiel wieder ein wie sie sich am Abend zuvor verhalten hatten auf dem Flur und die Schamesröte stieg ihr ins Gesicht.

Wie auf ein Zeichen drehte Glorfindel sich zu ihr um.

"Guten Morgen Serena, ich bin überrascht zu sehen, dass du trotz des Weines so früh am Morgen schon wieder wach bist"

Er grinste sie schelmisch an.

Stolz strafft sie die Schultern um sich ja nicht anmerken zu lassen wie sehr der Elb ins Schwarze getroffen hatte. Sie ließ sich zeigen wo die Mistgabeln standen und machte sich an die Arbeit.

Glorfindel sah kurz amüsiert zu ihr rüber, sie hatte bei jedem Bücken einen Schweißausbruch, aber er bewunderte ihre Ausdauer.

Verbissen arbeitete sie bis die Sonne schon weit den Horizont hinaufgewandert war. Als Glorfindel ihr die Hand auf die Schulter legte zuckte sie erschrocken zusammen.

„Komm du hast doch noch nichts gegessen. Hier, ich habe einige Brote aus der Küche mitgenommen. Danach gehe zurück, Arwen erwartet dich in der Bibliothek."

Er führte sie vor den Stall und gemeinsam ließen sie sich auf einer kleinen Bank nieder. Schweigend aßen sie. Als Serena sich bedankt hatte und gehen wollte rief ihr Glorfindel noch hinterher, dass er sie nach dem Mittag zum Training an der Weide erwartete. Es könne sein, dass er etwas später käme, da er nicht wisse, wie viel Arbeit Herr Elrond noch für ihn habe.

Auf dem Weg zurück zum Haus wurde sie von Holzgeklapper abgelenkt. Serena folgte den Geräuschen bis sie an einen größeren Sandplatz kam auf dem sich Elronds Söhne im Schwertkampf maßen. Verwundert betrachtete sie das Treiben, nie zuvor hatte sie derartiges erlebt. Schnelle elegante Bewegungen, entfesselte Kraft und höchste Konzentration zeichnete den Kampf der Zwillinge aus. Als Elladan Serena erspähte, brach er die Übung jedoch ab und beide Brüder kamen zu ihr.

„Seid gegrüßt, habt Ihr schon einmal ein Schwert geführt?"

„Nein, ich habe solches nie gelernt, das einzige was ich eine Weile machte war waffenloser Kampf. Aber Interesse es zu lernen hätte ich schon."  

Beide schienen erstaunt.

„Ist es hier unüblich das Frauen kämpfen?"

Elladan war wie immer Wortführer: Nein, unüblich nicht, nur selten, und noch seltener im waffenlosen Kampf. Selbst Männer können sich meist nur bei einfachen Wirtshausschlägereien behaupten. Daher verwundert es mich, denn Ihr seid nicht sonderlich groß und müsstet im waffenlosen Kampf daher eher unterlegen sein. Und doch bin ich neugierig, Euer Können zu sehen." Erwartungsvoll blickten beide zu ihr.

Serena grinste in sich hinein: „Nun gut, ich werde mein Bestes geben Elladan."

Beide gingen wenige Meter auf den Platz und Elrohir blieb beobachtend am Rand stehen.

Serena ließ sich in Grundhaltung fallen: Gewicht aufs hintere Bein, leicht in die Knie und Hüfte nach vorne geschoben.

„Ich überlasse euch den Angriff Elladan."

Sie lächelt ihn an und wartete. Überraschend flink wollte der Elb sie mit einem Schwinger außer Gefecht setzen, doch Serena überließ sich ihren Reflexen.

Anstatt wie erwartet vor ihm zurück zu weichen, war das Mädchen plötzlich bei ihm und schlug ihm, während sie seinen Schwinger abfing, mit dem Handballen auf den Solar Plexus. Durch die Richtung und Wucht des Schlages verlor der Elb kurzfristig das Gleichgewicht. Noch bevor er sich erholen konnte kam schon der nächste, und wieder und wieder. Er hatte keine Chance und als er ernsthaft zu straucheln begann war sie plötzlich hinter ihm und ehe er sich versah, lag er auf dem Boden, sie über ihm und das Knie über seiner Kehle.

Der Nebel um ihr Bewusstsein lichtete sich erst, als Serena über dem Elb kniete.

„Seid Ihr jetzt überzeugt dass man nicht immer körperlich kräftig sein muss?"

Serena stand auf und bot Elladan die Hand, die er ergriff. Wieder auf den Beinen gingen beide zu Elrohir, welcher zu erstaunt war um etwas zu sagen.

„Ich hätte wirklich nicht erwartet dass Ihr mich so schnell zu Boden bringt. Denn Ihr seht gar nicht so kräftig aus, trotzdem verfehlten die Schläge ihre Wirkung nicht. Ich würde gerne erfahren wie Ihr dies bewerkstelligt."

Verlegen blickte sie zu Boden

„Das ist keine Frage der Kraft, sondern eher wie der Schlag ausgeführt wird. Wo man den Brennpunkt setzt. Ich möchte Euch ein Angebot machen: Ihr unterweist mich im Gebrauch von Schwert und Bogen und ich werde Euch lehren wie man ohne Waffen am vorteilhaftesten kämpft."

Erwartungsvoll blickte sie die Zwillinge an. Beide schienen zu überlegen ob sie sich von einer Frau unterrichten lassen wollten. Elladan war der Erste der sich entschieden hatte.

„Wie Ihr wünscht, morgen um die gleiche Zeit beginnen wir."

Als Serena endlich bei Arwen in der Bibliothek ankam war sie doch sehr neugierig was die wunderschöne Elbenmaid von ihr wollte.

„Seid gegrüßt, Frau Arwen, was kann ich für Euch tun?"

„Nicht so förmlich, nennt mich einfach Arwen. Mich haben Eure Erzählungen gestern fasziniert. Ich möchte noch viel mehr wissen, insbesondere über die Einstellung eurer Kultur zur Rolle der Frau. Ihr scheint nach ganz anderen Regeln groß geworden zu sein."

Erstaunt überlegte Serena was sie darauf antworten sollte.

„Ihr habt Recht, das Frauenbild der Gesellschaft in der ich aufwuchs unterscheidet sich deutlich von Eurem. Bei uns sind Frauen absolut gleichberechtigt. Es gibt sogar Familien in denen der Vater die Kindererziehung übernimmt, und die Frau für den Lebensunterhalt sorgt."

Serena brauchte nicht ihre empathischen Gaben um zu erkennen das Arwen leicht geschockt von der Vorstellung war. Zwar schienen die Elbenfrauen gleiche Rechte zu haben wie die Männer, aber die Kindererziehung war eindeutig ihre Domäne.

„Serena meint Ihr nicht dass es einem Kind schaden könnte wenn es von einem Mann und nicht einer Frau aufgezogen wird?"

So begann eine längere Diskussion, bei der Serena mehrfach kurz davor war ihre Beherrschung zu verlieren. Sie hatte noch nie viel Geduld mit solchen Ideen gehabt.

„Oh mein Gott, wie kann man nur so verbohrt sein, ich glaub es ja nicht. So was von in Vorurteilen verhaftet, und dann auch noch von einer Elbenmaid. Dabei hatte Tolkien sie als soooo perfekt dargestellt. Also ehrlich wie kann man nur."

„Ja ich freue mich auch dich zu sehen. Ich hoffe dass wir mit dem Training beginnen können nachdem du aufgehört hast dich über die Angehörigen meines Volkes aufzuregen. Danke!"

Verdattert betrachtete Serena Glorfindel, sie war so in ihrer Schimpftirade aufgegangen dass sie gar nicht bemerkt hatte dass er bereits an der Weide auf sie wartete. Errötend schlug sie die Augen nieder.

„Entschuldige ich wollte nicht respektlos sprechen. Aber ich bin einfach nicht die Geduldigste wenn ich weiß dass mein Gesprächspartner nicht dumm ist. Irgendwie bezweifle ich dass ich mich mit Frau Arwen verstehen werde." 

Glorfindel blickte sie überrascht an, er hätte nicht erwartet dass jemand so offen über Elronds Familie seine Meinung äußern würde. Erst recht nicht von einem Menschen. Wie als hätte sie seine Bestürzung gespürt versuchte sie eine Entschuldigung zu stammeln. Er hatte Mitleid mit ihrer Verlegenheit. Außerdem kannte er Arwen gut genug um zu wissen dass sie versucht hatte das Mädchen ein wenig zu reizen, um sie näher kennen zu lernen. Auch wenn Arwen nach außen ruhig und ausgeglichen wirkte konnte sie sehr temperamentvoll sein.

"Du bist es scheinbar gewohnt, deine Meinung frei zu äußern und ich kann an dieser Angewohnheit nichts ändern. Jedoch bitte ich dich, von ihr nicht vor jedermann gebrauch zu machen - nicht jeder hier, ist es gewöhnt, das man so offen mit ihm spricht. Dennoch, lass uns mit der Arbeit anfangen - Aditu wartet bereits auf dich."

Tatsächlich stand die Stute schon am Zaun und wieherte dem Mädchen freudig zu.

So verging der Sommer in Bruchtal. Morgens Stall ausmisten, danach mit den Zwillingen Kampftraining. Jedoch nur mit dem Schwert und waffenlos. Bogenschießen hatte sie schnell wieder aufgegeben, nachdem sie einmal beinahe Elrohir durchbohrt hatte. Zwei Tage später hatte sie sich den Bogen gegen die Stirn geschlagen, da sie die falsche Seite losgelassen hatte - Somit war es für alle drei klar, dass Serena sich besser vom Bogen fernhalten sollte.

 Nach dem Mittagessen trainierte sie, zumeist mit Glorfindel, die Pferde. Dieser war jedoch oftmals nicht anwesend, da er in Herrn Elronds Auftrag handelte. Und abends nach dem Essen lange Gespräche und Erzählungen.

Serena verstand sich mit allen gut, nur mit Arwen wollte sie nicht so richtig warm werden. Zum Glück kehrte sie jedoch schon nach kurzer Zeit nach Lothlorien zurück. Leider begab sich auch der Waldläufer sehr bald wieder auf Wanderschaft.

Zu Glorfindel entwickelte sie eine starke Freundschaft, etwas was Serena vorher noch nie kennen gelernt hatte, auch wenn sie es nicht über sich brachte ihm die Wahrheit über sich zu erzählen.

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