Die Dursleys
Melisande's Hill war ein kleines Dorf auf einem Hügel im Südwesten Englands. Es war kein gewöhnlicher Ort, nicht einmal in der Zauberergemeinschaft, denn Melisande's Hill war ausschließlich von Magie umgeben und viele der berühmteren Hexen und Zauberer hatten es vorgezogen, in diese eigentlich sehr ruhige und abgeschottete Gegend zu ziehen. Nichtzauberer, die Muggel, wie man sie nannte, hatten keine Chance hier auch nur in die Nähe zu gelangen.
Es gab eine schmale, aber doch lange Straße, die direkt hinunter ins Tal nach Melisande's Hollow, führte, die Eastcorn Alley.
Da die beiden Dörfer so verdeckt von der Außenwelt lagen, konnte die Straße, die sie verband, sogar häufig von Zauberern mit Besen benutzt werden, nur wenige gingen zu Fuß, wenn sie mal Einkäufe im Tal zu tätigen hatten.
An der Eastcorn Alley gab es jedoch noch etwas Besonderes. Wenn Besucher in das Dorf Melisande's Hill kamen, machten sie häufig vor dem Haus mit der Nummer drei halt und betrachteten es eine Weile interessiert.
Für ein Zaubererhaus war die Nummer drei sogar recht gewöhnlich und jeder der nicht wusste, wem denn das Haus gehörte, wäre sicher einfach vorbeigegangen. Schließlich erkannte man von außen auch nichts, was die anderen Häuser in der Nachbarschaft nicht auch hatten. Sie alle wirkten gut bewohnbar und gemütlich, waren normal groß und hatten im Hinterhof einen Garten.
In der Eastcorn Alley Nummer drei jedoch lebten die Potters, eine der wohl bekanntesten Familien in der Zaubererwelt, mit ihren drei Kindern, James, Albus und Lily. Das Jahr über besuchten diese die Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei, doch nun war es Anfang August und derzeit hatten sie Sommerferien, die sie natürlich zu Hause bei ihren Eltern verbrachten.
Bisher hatten sie diese auch sehr genossen, doch heute war ein Tag, den sie mehr als jeden anderen hassten. Heute war der Tag, an dem sie ihre etwas entfernten Muggelverwandten in Surrey besuchen würden.
„James, steh nun endlich auf!", fluchte Ginny, die schon zum dritten Mal an diesem Morgen im Zimmer ihres ersten Sohnes stand und versuchte ihn aus dem Bett zu bekommen.
„Aber Mum", jammerte James und zog sich die Decke über den Kopf. „Ich will nicht mit zu den Dursleys."
Seine Stimme klang durch die dicke Bettwäsche etwas dumpf.
„Das ist mir egal", sagte seine Mutter streng und zog ihm die Decke weg.
Er vergrub seinen Kopf in dem Kissen unter ihm.
„Du bist grausam", hörte sie ihn nuscheln.
Während Ginny mit James beschäftigt war, standen Harry und die elfjährige Lily in der Zimmertür. Harry schmunzelte bei dem Anblick, doch Lilys Blick war gequält. Sie konnte ihren großen Bruder nur zu gut verstehen und am liebsten, wäre sie heute morgen auch gar nicht erst aufgestanden, doch es half ja nichts. Sie hatten Harrys Cousin Dudley schon zugesagt und nun mussten sie auch kommen, dafür würde ihre Mutter schon sorgen.
Unsicher blickte Lily zu ihrem Vater hoch.
„Was ist eigentlich mit Al?", fragte sie.
„Ich bin schon fast fertig", kam es auf einmal gedämpft hinter Albus' Zimmertür hindurch.
„Gut", sagte Harry mit einem Blick auf den nun mit seiner Mutter kämpfenden James und seufzte leise.
„Ginny, lass mich nochmal mit ihm reden", schlug er ihr vor und trat ins Zimmer hinein.
Ginny ließ von James ab und trat zur Seite, doch der warf ihr daraufhin einen so vernichtenden Blick zu, dass sie sich umdrehte und wütend aus dem Zimmer stürmte.
„Komm mit nach unten, Lily", befahl sie dabei und Lily entschied, dass es besser war zu tun, was sie sagte, weshalb sie die Tür zu James' Zimmer schloss und hinter ihrer Mutter her nach unten lief.
„Jedes Mal ist es dasselbe", fluchte diese, während sie in einer Truhe nach den Autoschlüsseln kramte.
Ihr Auto benutzten die Potters wirklich nur ganz selten und auch nur dann, wenn sie in eine Gegend fuhren, in der fast ausschließlich Muggel lebten.
Lily setzte sich währenddessen schweigend auf die Treppe und wartete.
Nach einiger Zeit kam Albus herunter und setzte sich neben sie.
Misstrauisch betrachtete Lily die ausgebeulten Taschen seiner Hose, über die Albus zwar die Hand hielt, doch er konnte sie nur spärlich verdecken und Lily ahnte bereits, was er plante, sagte jedoch nichts.
Als James endlich als letzter die Treppe hinuntergestiegen war, gab Ginny Harry den Autoschlüssel und sie gingen allesamt zum Auto, das Harry auf dem Hof geparkt hatte. Sie alle stiegen ein und die Fahrt konnte losgehen.
Es war ein weiter Weg nach Little Whinging, doch nicht so weit wie nach King's Cross in London und sie kamen nach gefühlt kurzer Zeit vor dem Haus der Dursleys im Lingusterweg Nummer sechs an.
Harry stellte seufzend das Auto ab und stieg als erster aus dem Wagen aus, danach Ginny und schließlich James, Albus und Lily. Draußen auf dem Gehsteig schüttelten sie sich die von der Fahrt steif gewordenen Gliedmaßen und Lily ließ ihren Blick durch die Nachbarschaft wandern.
Fast jedes Jahr besuchten sie ihre Verwandten einmal und, wann immer sie hier waren, hatte sich Lilys Meinung nach überhaupt nichts verändert. Little Whinging und der Ligusterweg war der vermutlich langweiligste Ort auf Erden und Lily konnte nicht verstehen, wie ihr Vater es hier all die Jahre in seiner Kindheit ausgehalten hatte. Fast jedes Haus sah gleich aus, hatte den gleichen Vorgarten, den gleichen Gartenzaun, den gleichen perfekt gemähten Rasen. Je genauer Lily die Straße beobachtete, desto mehr fiel ihr auf, wie wenig sie und ihre Familie hier hineinpassten.
Als sie hinter ihrem Vater her auf die Haustür von Nummer sechs zu lief, vernahm Lily wie Albus James etwas zuflüsterte, ganz leise nur, sodass es niemand außer ihnen hätte hören können, doch Lily konnte sich denken, über was die beiden sprachen.
Kurze Zeit später wurde die Tür von einem muskulösen blonden Mann geöffnet. Lily blinzelte. Es war Dudley, Harrys Cousin, der im Vergleich zu Lily einfach unfassbar riesig und stämmig war. Fröhlich zog Dudley Harry in eine Umarmung, wobei er ihm mehrmals kräftig auf den Rücken schlug, wobei Lily den Eindruck bekam, dass Harry kurz der Atem wegblieb. Anschließend betraten sie das Haus, das, wenn Lily den Erzählungen ihres Vaters Glauben schenken konnte, ganz genauso aussah wie Nummer vier, in dem er aufgewachsen war.
Dudley winkte sie weiter in die Küche, in der ein großer Tisch stand, an dem bereits drei andere Personen saßen, zwei Kinder und eine dünne, aber große Frau. Sie alle hatten blonde Haare, wie Dudley.
Dudleys Ehefrau hieß Pheline und Lily fand sie sogar irgendwie sympathisch, ganz im Gegensatz zu Dudleys Kindern. Harold, der auf dem besten Wege war, genauso dick zu werden wie breit, saß rechts neben seiner Mutter und hatte einen überheblichen Blick aufgesetzt und die spindeldürre Petunia, die einen ziemlich langen Hals hatte, wie Lily jedes Mal aufs Neue feststellen musste, tat so als wären die Potters gar nicht da und betrachtete nur ihre Fingernägel, die sie wohl gerade neu lackiert haben musste.
Petunia war ein Jahr älter als Lily und Harold war gerade 15 geworden. Bei dem Anblick der beiden konnte Lily nur die Augen verdrehen. Mit ihren Großcousins hatte sie keine schönen Kindheitsmomente geteilt.
„Setzt euch doch", bat Dudley.
„Meine Eltern sind sicher bald hier", fügte er hinzu, als wäre es eine erfreuliche Nachricht.
Die Potters setzten sich allesamt an den Tisch und auch Dudley ließ sich nieder.
Wenn ihr etwas möchtet, dürft ihr euch gern etwas nehmen", sagte er und hob eine Kaffeekanne hoch.
Lily stellte fest, dass er ein wenig aufgeregt war, aber das war er bisher bei jedem ihrer Besuche gewesen. Anscheinend würde er es nie ablegen.
Er schüttete jedem, der wollte, Kaffee ein und platzierte die Kanne dann wieder auf dem Tisch.
Gerade, als er den Potters auch etwas Torte anbieten wollte, klingelte es an der Tür.
„Das müssen sie sein", sagte er, entschuldigte sich und stand auf.
Lily nahm sich in der Zeit etwas von dem Schokoladenkuchen, der direkt vor ihrer Nase stand, und ihr Großcousin Harold warf ihr darauf nur einen vernichtenden Blick zu. So fett wie er war, hatte er sicher gedacht, der ganze Kuchen bleibe für ihn allein, und Lily lächelte ihn böse an, aber so, dass es keiner mitbekam.
Harold war fast noch eingebildeter als Nott, dachte Lily. Sie wusste auch nicht, wieso sie jetzt gerade an ihren Schulfeind denken musste.
Was er in den Ferien wohl machte?
Was machten Slytherins in den Ferien überhaupt?
Sicher ihre Hauselfen quälen...
Eilig schob sie den Gedanken beiseite und machte sich daran, ihren Kuchen zu essen, während Dudley nun mit zwei weiteren Personen wieder das Esszimmer betrat.
Es waren Vernon und Petunia Dursley.
Sofort standen Harry und Ginny auf, um den beiden die Hände zu schütteln, doch die beiden Dursleys wirkten bei der ganzen Sache ziemlich verkrampft. Mr Dursley blickte gerade so, als wären Lilys Eltern in irgendeiner Weise gefährlich und sie könnten ihm und seiner Frau etwas Schlimmes antun.
Als auch die beiden sich an den Tisch gesetzt hatten, fragte Harry Dudley, wie es denn mit seiner Arbeit liefe. Dieser fing daraufhin an zu erzählen und hielt ihnen einen endlos langen Vortrag über seine Firma. Lily wünschte sich insgeheim, ihr Vater hätte nicht gefragt.
Dudley war nach der Schule nämlich in die Firma seines Vaters eingestiegen, die nur früher Bohrmaschinen verkauft hatte. Mittlerweile jedoch verkauften sie elektrische Geräte jeglicher Art und mit Energiesparlampen konnte man derzeit wohl ein großartiges Geschäft machen. Lily fragte sich, was zum Teufel, denn nun Energiesparlampen waren, doch aus Angst, auch so einen Vortrag gehalten zu bekommen, füllte sie sich lieber schweigend ein Stückchen Schokoladenkuchen nach dem anderen auf, bis sie glaubte zu platzen.
Großtante Petunia hatte sich seltsamerweise möglichst weit weg von ihr gesetzt. Das tat sie jedes Mal und Lily war es ein Rätsel. Einmal hatte sie sogar lieber neben ihrem Bruder James gesessen, der zu dem Zeitpunkt damit beschäftigt war, mit seinem Zauberstab den Dreck unter seinen Nägeln wegzukratzen, was dazu geführt hatte, dass er hin und wieder Funken versprüht hatte, und Lily wusste, dass Großtante Petunias Schlimmste Angst Magie war. Neugierig genug zu fragen, woher Petunias besondere Abneigung ihr gegenüber also kam, war Lily nicht.
Während des Essens jedoch schien Petunia sie allerdings immer zu beobachten, auch wenn sie jedes Mal, wenn Lily zu ihr aufsah, eilig in eine andere Richtung schaute, war Lily sich dennoch ganz sicher.
Das Gespräch drehte sich die meiste Zeit über die Arbeit und über Dudleys Boxwettkämpfe, an denen er regelmäßig teilnahm, und Lily wurde es mit der Zeit ziemlich langweilig am Tisch, doch was sollte sie tun? Ihre Großcousine Petunia hatte begonnen ihrem Bruder Harold seltsame Sachen zuzuflüstern, denn sie kicherten wie zwei alberne Schulmädchen und Lily war außerdem aufgefallen, dass sowohl James als auch Albus die beiden genau beobachteten, doch sie hoffte nicht, dass sie vorhatten, was Lily dachte.
„Wollt ihr nicht hoch auf die Zimmer gehen?", bot ihnen Pheline auf einmal an und sprach damit hauptsächlich zu Harold, Petunia, James, Albus und Lily.
„Es ist doch sicher langweilig hier unten. Na los, geht schon!", forderte sie die Kinder auf.
Großonkel Vernon und Großtante Petunia schauten, als hätten sie nicht richtig gehört, doch Harold und Petunia standen von ihren Stühlen auf und gingen den drei Potters voraus.
Wahrscheinlich hatte ihre Mutter sie vorher bestochen, damit sie das taten, sonst hätten sie James, Albus und Lily sicher nicht freiwillig auf ihre Zimmer gelassen.
Sie gingen hinaus in den Flur, von dort aus stiegen sie eine Treppe hinauf, gingen einen weiteren Flur entlang und betraten schließlich ein piekfein ordentliches Zimmer.
Neben einem gemachten Bett beinhaltete es eine Menge Spielzeug und viele sonderbare Geräte, die Lily nie zuvor irgendwo gesehen hatte.
„Hübsches Zimmer", gab James von sich und schaute sich ein wenig um.
Er war der Erste, der etwas sagte.
„Ja, und das soll auch so bleiben", fauchte Petunia und trat ein paar Schritte vor.
Sie baute sich regelrecht vor den Dreien auf.
Ein paar Sekunden lang war es ruhig und man konnte die Vögel draußen zwitschern hören, doch dann fing James plötzlich an zu lachen. Er lachte und hielt sich den Bauch dabei. Lily blickte zu ihm, doch ihr war nicht nach Lachen zu Mute, auch wenn sie verstehen konnte, warum er es tat. Es war einfach zu komisch, wie die kleine Petunia mit ihrem überheblichen Blick vor ihnen stand und versuchte sie davon abzuhalten, das Zimmer zu verwüsten.
„Habt ihr Lust auf eine Runde Zauberschnippschnapp?", fragte Albus und blickte ernst in die Runde.
„Wir spielen nicht mit eurem abnormen Zeugs", spie Harold aus und zog seine Schwester von den drei Zauberern weg.
James zuckte nur die Schultern und setzte sich auf den Boden, Albus holte unterdessen die Karten aus seiner Hosentasche und Lily stand unschlüssig im Raum, bis James auch sie auf den Boden zog.
„Spiel mit", zischte er ihr zu.
Nachdem Albus die Karten gemischt hatte, setzte er sich ebenfalls in den Kreis und teilte jedem gleich viele Karten aus.
„Seid ihr sicher, dass ihr nicht mitmachen wollt?", fragte James die beiden Dursleys breit grinsend.
„Todsicher, ihr Freaks! Grandpa Vernon hat uns genau erzählt, wie euresgleichen ist", sagte Petunia, „Ihr sucht nur nach der nächstbesten Gelegenheit, euch in die Luft zu jagen, wie eure dämlichen Großeltern."
Albus sah sie eine Weile lang abschätzig an, doch schließlich legte er bloß die erste Karte ab und sie begangen das Spiel. Alle drei Potterkinder verkniffen sich um des lieben Friedens willen ein Kommentar zum Thema Großeltern. Es würde ohnehin niemanden weiterführen.
Lily musste zugeben, dass sie schon eine Weile kein Zauberschnippschnapp mehr gespielt hatte. Das letzte Mal war mit Colin und Eric im Zug nach Hause gewesen, denn bisher hatte sie die Ferien eher mit dem Schreiben von Briefen und dem Spielen von Quidditch bei ihnen draußen im Garten verbracht.
Ja, Lily hatte sich vorgenommen mehr zu trainieren, damit ihre Eltern ihr einen neuen Besen kauften. Ein wichtiger Teil ihrer Ferien waren außerdem die Abende gewesen, denn seit Lilys Erlebnis im letzten Jahr hatte sich ihr Vater endlich dazu durchgerungen seinen drei Kindern zu erzählen, was damals im Krieg wirklich passiert war, und es schien, als hätte er wirklich kein Detail ausgelassen. Lily war fasziniert von all dem gewesen. Sie war unglaublich stolz auf ihren Vater, denn er hatte offenbar mit Tante Hermione und Onkel Ron die gesamte Zauberergemeinschaft gerettet. Dennoch war es ihr immer noch unbegreiflich, dass man ihr das all die Jahre verschwiegen hatte.
Ihr Vater aber hatte sich so erklärt, dass er dachte, es sei das Beste für sie, nicht so sehr im Ruhm aufzuwachsen, da er sich auch oft gewünscht hatte, ganz normal sein zu können.
Lily konnte die anderen Schüler, die sie in der Schule immer anstarrten, nun nur allzu gut verstehen, obwohl sie selbst, wenn man von der Sache mit Walker am Ende des letzten Jahres absah, eigentlich gar nichts getan hatte.
James, Albus und Lily spielten mehrere Partien hintereinander, Albus fehlten beide Augenbrauen, da eine Karte direkt vor seinem Gesicht explodiert war. James war an den anderen Körperstellen schon fast so schwarz wie sein Haar und Lilys Kleidung hatte erheblichen Schaden genommen. Ihr Rock war unten angekokelt und durch ihr Hemd zogen sich an den Seiten große Löcher. Trotzdem machte es noch immer großen Spaß und es war weitaus besser als unten am Tisch zu sitzen.
Die beiden Dursley-Kinder standen jedoch nur in der Ecke und betrachteten die Potters abschätzig. Jedes Mal, wenn eine Karte explodierte, zuckten sie kurz zusammen und traten oft auch noch einen Schritt zurück, da es den beiden so vorkam, als würden die Explosionen der Karten mit der Zeit heftiger werden. In Wirklichkeit jedoch bildeten sie sich das alles nur ein.
„Lasst uns lieber hinaus in den Garten gehen", sagte die kleine Petunia auf einmal und wandte den Kopf zum Fenster. Harold sah sie entgeistert an.
„Los kommt mit, es ist so schönes Wetter!"
Energisch zog sie auch ihren älteren Bruder am Arm zur Tür hinaus.
„Was soll denn das? Willst du, dass die Nachbarn sehen, mit was für komischen Leuten wir es zu tun haben? Grandma und Grandpa werden sich in Grund und Boden schämen müssen", flüsterte Harold ihr zu, doch laut genug, dass James, Albus und Lily es hören konnten.
Sie sahen sich kurz an, standen dann jedoch alle drei auf, um den Dursleys zu folgen. Dabei rutschte Albus noch etwas aus der Tasche. Das eine sah rein äußerlich wie eine Muggelzigarettenschachtel aus und das andere wie ein kleiner schwarzer Ball. Beides prallte auf dem Boden auf, die Schachtel öffnete sich und ließ viele kleine schwarze Stäbe zum Vorschein kommen. Abrupt sprang Lily zur Seite, denn einen Moment später ertönte ein lauter Knall.
Sie kniff die Augen zusammen und versuchte ihren Kopf mit den Armen zu schützen. Dichter Rauch durchzog das Zimmer und machte das Atmen schwer. Lily hörte Fußgetrappel im unteren Stockwerk. Bestimmt hatten ihre Eltern es mitbekommen.
Nach einiger Zeit wurde die Tür aufgerissen und es war lautes Husten mehrerer Personen zu vernehmen. Lily öffnete die Augen, musste sie jedoch gleich wieder schließen, denn um sie herum war alles schwarz und ihren Augen brannten.
„Muuuuum!", hörte Lily Petunia schrill kreischen.
„Mum, Dad, wo seid ihr?", ertönte Albus Stimme in der Dunkelheit.
„Aua, das war mein Ohr, du Idiot!", sagte James.
Mit zusammengekniffenen Augen stand auch Lily aus der Ecke auf, in die sie sich eben geworfen hatte und taumelte nun mit den Armen weit nach vorn gestreckt, um sich den Weg zu ertasten, zur Tür, wobei sie ebenfalls mit Albus zusammenkrachte.
Die Stimmen ihrer Eltern murmelten irgendwas und Lily konnte sich denken, dass sie versuchten, den gerade entstandenen Schaden wieder zusammenzufügen.
Großonkel Vernon schimpfte im Hintergrund etwas von „Unerhört!" und „Im Leben nie erlaubt", doch seine Gattin Petunia redete beruhigend auf ihn ein und er verstummte nach einiger Zeit.
Es dauerte nicht lange und Lily hatte sich endlich aus dem dunklen Nebel in den hell erleuchteten Flur befreit. Neben ihr standen James und Albus, die feixend auf Petunia hinabsahen, die inzwischen sehr aufgelöst schien, und Lily glaubte, sie würde jede Sekunde in Tränen ausbrechen.
Als auch endlich Harold, der sich in seiner Angst wimmernd hinter dem Fernseher eingeklemmt hatte, aus dem Zimmer gerettet worden war, gingen sie alle zurück nach unten.
Lilys Mutter überschlug sich mit ihren Entschuldigungen an die Dursleys und versprach ihnen hoch und heilig, dass der Rauch sich in ein paar Stunden legen und sie ihnen den Schaden notfalls ersetzen würden.
Pheline Dursley jedoch sagte, es sei alles kein Problem, es gäbe schließlich Schlimmeres und Ginny brauche sich keine Sorgen zu machen.
Letztendlich entschied Harry, dass es das Beste war, wenn sie sich nun einfach alle zurück in den Wagen setzten und wieder nach Hause fahren würden, weshalb sie sich von den Dursleys verabschiedeten und so schnell sie konnten den Lingusterweg verließen.
„Wartet nur, bis wir nach Hause kommen!", drohte Ginny, „Dann könnt ihr was erleben!"
Ihr Gesicht hatte eine scharlachrote Färbung angenommen, die sich furchtbar mit ihren Haaren biss.
James, Albus und Lily konnten daran erkennen, dass sie wirklich sehr wütend war und es nicht besonders rosig für die drei aussah.
Die ganze Rückfahrt über war Lily hin und hergerissen zwischen Belustigung und einem schlechten Gewissen, was sie ziemlich unruhig machte. Zu ihrer Erleichterung aber konnte sie feststellen, dass es ihren Brüdern ganz genauso ging wie ihr. James, der rechts von ihr saß, hatte sich seine flache Hand auf den Mund gepresst und versteckte dahinter ein breites Grinsen und Albus, der links von ihr saß, biss sich in eine geballte Faust, um nicht vor Lachen loszuprusten.
Als sie schließlich zu Hause angekommen waren und die Eastcorn Alley Nummer drei betreten hatten, fiel die Strafpredigt ihrer Mutter jedoch aus. Sie schien sich so weit abreagiert zu haben und Lily verzog sich schnellstmöglich hinauf in ihr Zimmer, um weiterem Ärger zu entgehen.
Alles in allem war der Besuch bei den Dursleys gar nicht mal so übel gewesen, dachte sie, während sie die Stufen hinaufstieg.
James und Albus folgten ihr eilig. Die beiden hatten ein breites Lächeln aufgesetzt und schienen rundum zufrieden mit sich zu sein, was nicht anders zu erwarten gewesen war.
Doch Lily schien ihren Ohren nicht zu trauen.
Gerade hatte sie ihre Zimmertür geöffnet, als von unten aus dem Wohnzimmer her das laut schallende Lachen ihrer Eltern hervordrang und allen voran das ihrer Mutter!
