Kapitel 11

Erst beim Betreten des Schlosses merkte Harry, dass er in den letzten drei Wochen mehr oder weniger gefangen war. Obwohl es ihm riesigen Spaß gemacht hatte und er die Einschränkungen gar nicht gespürt hatte, so fühlte er sich jetzt doch befreit.
Jeden Winkel des Schlosses würde er wieder erkunden, auch wenn es nicht mehr viel gab, was ihm bisher verborgen geblieben war.
„Putzt euch gefälligst die Schuhe ab! Kaum die Hälfte der Schüler im Schloss und schon siehts hier aus wie im Schweinestall", wurde Harry abrupt von Filch, dem Hausmeister, aus seinen Erinnerungen gerissen.
"Hallo Harry, gute Ferien gehabt?", wurde er schüchtern von hinten angesprochen. Cho Chang stand hinter ihm und neben ihr ihre Freundin Marietta, die sich beschämt wegdrehte.
„Hi. Ja war ganz ok", antwortete er knapp, ohne eine höfliche Gegenfrage zu stellen.
„Na gut, man sieht sich", ging Cho weiter und hob zögerlich die Hand zum Abschied.
Eine Gruppe tuschelnder Drittklässler drückte sich an Harry und Hermine vorbei in die Große Halle.
„Hey Harry, Hermine", begrüßten Parvati und Lavender die beiden. „Padma hat im Zug von Umbridges Verurteilung erzählt. Mensch sag mal, wieso hast du uns nie was von ihren Strafarbeiten erzählt", fragte Lavender geschockt.
„Mir hat meine Tante davon erzählt", hakte sich auch Susan Bones mit ein und legte bedauernd ihre Hand auf Harrys Schulter.
„Was denkst du, ob wir mit der DA weiter machen dürfen?", stürmte nun Terry Boot über die Köpfe der anderen auf Harry ein.
„Langsam, langsam", hob er abwehrend die Hände. Er wusste gar nicht, wem er sich als erstes zuwenden sollte. Aber er freute sich wahnsinnig über die Herzlichkeit, mit der er hier wieder begrüßt wurde, so ganz anders als im letzten Jahr.
„Hopp hopp, geht an eure Haustische", klatschte Madam Hooch in die Hände und trieb die letzten Bummelanten in die Große Halle.
Neugierig schaute Harry zum Lehrertisch. Er konnte niemand neues entdecken. Hoffentlich hatte sie es sich nicht anders überlegt und sie würden wieder jemanden vom Ministerium vorgesetzt bekommen. Aber er wusste ja selbst noch nichts über diese Madam Bowman, vielleicht war sie auch so ein Drachen wie Umbridge oder ein unfähiges Modepüppchen, die nur ihre französische Haute Couture zur Schau tragen würde.
Kaum hatten alle Platz genommen, schwangen die Flügel der großen Eingangstür auch schon wieder auf. Eine lange Reihe von Erstklässlern wurde, wie immer von Prof. McGonagall angeführt, in die Große Halle geleitet. Schüchtern und zum Teil verängstigt stellten sich die Kleinen vor der versammelten Schule auf, voller Erwartungen, was nun mit ihnen gemacht werden würde. So wie es aussah, hatten auch einige von ihnen solche Geschichten wie Ron zu hören bekommen, dass sie mit einem Troll kämpfen müssten oder dass sie einen Zauberspruch vorführen müssten, wie Hermine es in ihrem ersten Jahr geglaubt hatte.
Prof. McGonagall stellte den Hocker mit dem alten zerlumpten Sprechenden Hut in die Gasse zwischen den aufgeregten Erstklässlern und den ebenso neugierig wartenden Schülern an den Haustischen.
„Dies ist der Sprechende Hut", begann sie verheißungsvoll an die Kleinen gerichtet. „Der wird euch, so wie alle anderen vor euch, in die Häuser aufteilen. Doch vorher lasst uns hören, was der Hut uns allen mitzuteilen hat."
Kaum hatte sie geendet, öffnete sich auch schon der Spalt oberhalb der Krempe und der Hut begann sein Lied in die Halle zu singen.

Vor über tausend Jahren war's
Als Gryffindor mich kaufte
In schwierigen Zeiten der Uneinigkeit
Man ‚Sprechender Hut' mich taufte.
An mir allein es sollte liegen
Sollt den Streit ich schlichten,
Die Schüler in die Häuser weisen
Die Uneinigkeiten richten.
Doch bin ich müde
Mir fehlt jedes Wort,
Kann nichts Gutes versprechen
Für diesen lebendigen Ort.
Einst war es Slytherin
Der die Zaubergemeinde zerstritt.
Wollt nur die Reinen lehren,
Doch die andern machten nicht mit.
Für Godric zählte nicht das Blut,
Verlangte lediglich Kühnheit und Mut,
Die Ravenclaw die Schlauen nahm
Und Hufflepuff den Rest bekam.
Als letzten Rat ich mitgeben will
Drauf solltet ihr vertraun',
Hier gibt's der Freunde viele
Müsst nur in die Herzen schaun'.
Jetzt setzt mich auf
Und lasst mich sprechen
Werd sehen was ich tun kann
Will keine Herzen brechen.

Gebannte Stille folgte, als der Hut sein Lied beendet hatte. Was hatte er diesmal mitteilen wollen?
Aber Prof. McGonagall ließ nicht lange Zeit, um darüber nachdenken zu können, als sie auch schon das Pergament entrollte und den ersten Namen aufrief.
„Adams, Marjorie."
Ein zierliches Mädchen mit roten Locken zwängte sich von hinten durch eine Gruppe von kräftigen Jungen. Kaum hatte sie Platz genommen, wurde sie auch schon nach Hufflepuff geschickt.
Archer, Phillip wurde zu einem Ravenclaw gemacht.
„Checker, Josephine."
Harry sah auf. Checker? War die Kleine etwa mit dem Mr Checker verwandt?
Ein Mädchen mit langem schwarzem Pferdeschwanz nahm auf dem Hocker Platz.
Auch sie kam nach Ravenclaw.
Damon und Ellerich wurden zu Slytherins, bevor Fletcher, Rosanne als erste nach Gryffindor kam.
Frost, Glover, Hartnett, Hobbinger, Hustler und McIntyre wurden von McGonagall aufgerufen.
Nervös sah sich Harry um, die Slytherins hatten schon dreimal soviel Neue bekommen, wie Gryffindor, darunter auch Kinder von Todessern, wie Mulciber und Nott, auf die Harry sowieso keinen Wert gelegt hätte.
„O'Hare, Melanie."
„Gryffindor!"
„Olson, Courtney."
„Ravenclaw!"
„Pringle, Jack."
„Gryffindor!"
„Na bitte, es geht doch", flüsterte er erleichtert zu Hermine, die auch schon ziemlich besorgt aussah.
„Westerman, Constance."
Sie wurde zu einer Hufflepuff gemacht.
Das letzte Kind was noch auf die Einteilung wartete, ein kleines blondes Mädchen mit kurzem Haar, wurde zu einem Gryffindor gemacht.
Mit einem undefinierbaren Ausdruck im Gesicht setzte sie den Hut ab und rannte quer durch die Halle auf den Slytherintisch zu.
„Hey, Bianca! Hier ist dein Tisch", war Hermine aufgesprungen und winkte sie zu sich.
Bianca ließ sich aber nicht beirren und stoppte am Ende des Tisches, wo ein paar größere Schüler etwas abseits vom Rest des Hauses saßen. Freudig klatschte sie einem davon in die Hand und umarmte ihn.
Verwirrte und neugierige Blicke begleiteten sie, als sie sich jetzt doch auf den Weg zum Gryffindortisch machte.
„Was war denn das?", fragte Hermine die Kleine, als sie sich neben ihr niederließ.
„Das ist mein Bruder. Oh ich freu mich so, dass ich auch endlich in Hogwarts bin und ihn nicht nur in den Ferien sehen kann."
„Aber er ist in Slytherin und du in Gryffindor", sah Hermine Bianca mit fragendem Blick an.
„Ja, das macht nichts, in Slytherin soll es sowieso so dunkel und kalt sein, dort hätte es mir nicht gefallen. Wir können uns ja auch woanders treffen", gab Bianca strahlend zur Antwort.
Ihr Gespräch wurde von Prof. Dumbledore unterbrochen, der alle Schüler herzlich in Hogwarts zurück begrüßte.
„Ich hoffe, und davon gehe ich eigentlich aus, dass wir in diesem Jahr glücklichere Umstände hier haben werden. Ich hätte euch noch gern unsere neue Lehrerin für das Fach Verteidigung gegen die Dunklen Künste vorgestellt, aber sie hat sich scheinbar etwas verspätet. Nun denn, das holen wir dann später nach. Lasst uns schauen, was uns die Hauselfen schönes zum Essen zusammen gezaubert haben", klatschte er in die Hände und auf den Tischen erschien das bekannte üppige Festmahl. „Haut rein", rief er fröhlich in die Halle und setzte sich wieder auf seinen Stuhl.
„Na super, die Hauselfen. Wenn wir die nicht hätten", sagte Hermine schnippisch, tat sich aber dennoch Essen auf ihren Teller. „Vielleicht find ich dies Jahr wieder mehr Zeit mich um B.Elfe.R. zu kümmern, im letzten Jahr hatten wir ja ziemlich viele andere Probleme."
Harry und Ron sagten bewusst nichts dazu und grinsten sich nur gesenkten Hauptes an.
„Ach ihr", gab Hermine Ron erbost eine Kopfnuss. Ihr war das Getue der beiden Jungen mal wieder nicht entgangen.
„Was denn? Ohne Hauselfen gäb es nicht so ein göttliches Mahl", entrüstete sich Ron.
„Falsch Ron Weasley, oder was glaubst du wer bei euch zu Hause kocht? Und außerdem geht es mir nicht darum, dass hier Hauselfen arbeiten, sondern darum, dass sie nicht bezahlt werden, falls du das schon vergessen hast", konterte Hermine mit einem überlegenen Blick.
„Aber die Hauselfen wollen es doch so", schaute Bianca fragend in die Runde. „Wir haben zwar selbst keinen, aber wir waren schon oft bei Leuten zu Besuch, die einen hatten."
„Ist es denn schön, dass ein Hauself keine Kleidung bekommt? Ist es schön, dass sich ein Hauself selbst schlägt, wenn er einen Fehler gemacht hat? Oder ist es schön, wenn ein Hauself behandelt wird wie ein Tier? Zudem leben die meisten Hauselfen getrennt von ihresgleichen, ohne jegliche Kontakte und sie sollen sich ihrem Herrn möglichst auch nicht zeigen. So sieht das Leben eines Hauselfen aus, in meinen Augen einfach nur trostlos und unwürdig", schien Hermine einen großen Vortrag beginnen zu wollen.
„Das ist ja schrecklich, wenn ich das gewusst hätte. Kann man denn gar nichts dagegen tun?", schlug sich Bianca entsetzt die Hand vor den Mund.
Mit einer anderen Art des Entsetzens wendeten Harry und Ron ihre Blicke von den Mädchen ab und hatten Not, nicht in lautes Gelächter auszubrechen. Hermine hatte soeben ihre erste echte Anhängerin für ihren Elfenrettungsclub gefunden.
„Und hier in Hogwarts gibt es tatsächlich Hauselfen?", fragte Bianca geschockt.
„Ja, die ganze Küche voll."
Mit angewidertem Blick schob Bianca den Teller von sich, als ob sie hier nie wieder etwas essen wollte.
„Aber denen hier geht es da echt noch gut. Wir kennen auch Hauselfen, die ganz andere Erfahrungen gemacht haben, ja die sogar selbst von ihren Herrn geschlagen wurden", antwortete Hermine beschwichtigend, denn Bianca hatte noch ihr ganzes Schulleben vor sich. Das würde sie ohne essen wohl kaum überstehen.
In Sekundenschnelle verschwanden die leeren Platten und die schmutzigen Teller und wurden mit den köstlichsten Nachtischen ausgetauscht.
„Na komm schon", tat Hermine ein Portion Schokoladenpudding auf und reichte ihn Bianca. „Meine ersten Reaktionen waren die selben wie deine, aber wenn das Zeug hier schlecht wird, haben wir den Hauselfen auch nicht damit geholfen."
„Du Neville, zeigst du mir nach dem Abendessen deine Bücher?", wandte sich Harry seinem Gegenüber zu.
„Ja klar, dafür hab ich sie doch mitgeschleppt. Bin schon gespannt, was du zu denen sagst."
„Hattest du zu meinem Geburtstag eigentlich gesehen, was ich von Hermine und Ron bekommen hab?"
„Hm, ja, ich glaub das war „1000 Wege die dunklen Wesen der Erde zu bekämpfen", oder? Das hab ich auch von Onkel Algie bekommen, aber weil ich mich erinnerte, dass du das hast, hab ich's zu Hause gelassen."
„Na ein Glück, sonst hättest du dir garantiert einen Bruch gehoben", schmunzelte Harry.
Die Tür zur Großen Halle flog mit einem Krachen auf.
Sämtliche Schüler und Lehrer vergaßen ihre Gespräche und ließen ihre Löffel fallen.
Wie von einem Rudel Werwölfe gehetzt, kam eine junge Frau herein gerannt. Panisch sah sie sich um, die Augen weit aufgerissen in ihrem Make-up verschmierten Gesicht. Die Haare standen wild nach allen Seiten ab und ihr knallroter Satinumhang war an einigen Stellen zerrissen.
„Um Himmels Willen, was ist denn mit ihnen passiert, Madam Bowman?", erhob sich Dumbledore als Erster und ging ihr helfend entgegen.
„Isch wurde angegriffen", schrie sie hysterisch. „Da draußen!" Zitternd wies sie Richtung Ausgang.
„Sie aben misch angeschrien und an mir erum gezerrt", sagte sie mit leicht französischem Akzent.
„Wer sind denn SIE?", fragte Dumbledore behutsam.
„Wo'er soll isch das wissen? Ich laufe gemütlisch von Ogsmeade nach Ogwarts und da kommen irgendwelsche Leute auf Pferden. Es war doch alles dunkel, kein Mondlischt hat mir den Weg gewiesen", hatte sie sich schon wieder etwas beruhigt, wohl wissend dass sie sich jetzt in Sicherheit befand.
„Meine Eule ist mir vor lauter Angst weggeflogen und mein Gepäck abe isch vor Schreck fallen lassen."
„Na das sind ja tolle Aussichten. Und die soll unsere neue Lehrerin für Verteidigung gegen die Dunklen Künste sein?", flüsterte Harry Hermine zu.
„Was echt? Woher willst du das wissen?"fragte Ron aufgebracht.
„Erstens wissen wir es schon seit ein paar Tagen und zweitens hat Prof. Dumbledore es vorhin in seiner Begrüßungsrede gesagt", sah Hermine ihn strafend an, weil er mal wieder nicht zugehört hatte.
„Am besten sie machen sich erstmal ein wenig frisch. Prof. McGonagall wird ihnen ihr Zimmer zeigen. Danach kommen sie wieder zu uns und stärken sich", schlug Dumbledore vor. „Poppy, würden sie Madam Bowman einen Beruhigungstrank holen?"
McGonagall legte behutsam einen Arm um die verstörte Verteidigungsprofessorin und geleitete sie aus der Großen Halle.
„Und wir werden uns auf den Weg machen und ihr Gepäck vom Weg aufsammeln", winkte er Prof. Snape und Hagrid zu sich. „Alle anderen, weiterfeiern!"

Nach über einer Stunde kehrte das Suchkommando zurück, ohne die Gepäckstücke gefunden zu haben.
Madam Bowman war mittlerweile auch wieder nach unten gekommen. Sie trug in der Zwischenzeit einen Umhang von Prof. McGonagall, der ihr allerdings nur bis knapp unter die Knie reichte, da sie gut einen Kopf größer war.
Sie hielt sich immer noch zitternd an einer Tasse Tee fest und sah gespannt auf die drei Herren, die keuchend in die Große Halle traten.
„Wir ham nichts gefunden, sin zweimal hin und her gelaufen, nichts", fand Hagrid als erster die Worte wieder.
„Isch bin bestohlen worden, auch das noch", weinte Madam Bowman verzweifelt los. „Meine ganzen schönen Kleider, alles weg."
„Wo war denn ungefähr die Stelle, an der sie überfallen wurden? Vielleicht sollten wir noch mal den Wegesrand näher absuchen", versuchte Dumbledore die aufgelöste junge Dame zu beruhigen.
„Das weiß isch doch nischt. Es waren überall Bäume, es war finster", schluchzte sie.
„Du meine Güte, sie wird doch wohl nicht durch den Verbotenen Wald gelaufen sein", fiel es McGonagall wie Schuppen von den Augen.
„Aber ja doch, das wird es sein und es waren bestimmt keine Reiter auf Pferden, sondern die Zentauren, denen sie begegnet ist", quakte Flitwick aufgeregt dazwischen.
„Verbotener Wald? Zentauren? Isch ätte tot sein können!"
„Wir konnten doch nicht ahnen, dass sie es vorziehen würden, nach Hogwarts zu laufen", verteidigte Snape die Lage.
„Was ätt isch tun sollen? Apparieren geht nischt und es stand niemand da, der misch abge'olt ätte."
„Stand denn keine Kutsche im Dorf?", fragte Prof. Dumbledore.
„Doch, da stand eine, aber da waren keine Pferde davor", antwortete Bowman verwirrt.
„Oh Gott, tut mir Leid, tut mir furchtbar Leid. Das ist alles meine Schuld. Ich hätte ihnen sagen müssen, dass Thestrale vor die Kutsche gespannt sind", entschuldigte sich Dumbledore tausend Mal bei der jungen Lehrerin.
Gebannt verfolgten die Schüler die Diskussion und tuschelten heftigst miteinander.
„Das ist ja wirklich ein toller Schuljahresbeginn. So wie für Umbridge das Jahr geendet hat, so beginnt es für die Neue", bemerkte Harry. „Mit Zentauren", antwortete er auf die fragenden Blicke der anderen und musste dabei schmunzelnd an die Szene im Krankensaal denken, als Umbridge von nachgemachtem Hufgeklapper aufgeschreckt worden war.