Niamh hob widerwillig den Kopf vom Bett, als sie hörte, wie jemand eintrat. Es war ihre Mutter.
„Niamh, Liebes...es tut mir so leid, aber wir haben keine andere Wahl. Letztendlich würdest du selber darunter leiden, nicht irgendwann in den Genuss des Geldes zu kommen."
Niamh schwieg verstockt und nestelte an der Bettdecke herum.
„Du wirst dich bestimmt schnell einleben", sagte Gilea Kedward fast bittend.
„Wie soll ich das? Die sind da alle ganz anders als ich. Bestimmt werde ich die Lachnummer schlechthin sein."
„Sieh doch nicht alles so negativ. Ich bin sicher, dass du bald neue Freunde finden wirst..."
Als ob man ihre Freunde so einfach durch andere ersetzen könnte!
„Lass mich allein", unterbrach Niamh ihre Mutter grob.
Gilea prallte innerlich zurück. „Nun gut", antwortete sie gekränkt. „Aber denk dran, deine Großmutter holt dich gleich ab, um mit dir deine Schulsachen einzukaufen."
Niamh sass schweigend, mit verschränkten Armen, neben Silvadora auf dem Rücksitz von deren Aston Martin.
Sie hatte geglaubt, ihr trotziges Schweigen würde ihre Großmutter belasten, doch offenbar verspürte die alte Dame selbst keinerlei Bedürfnis nach einer Unterhaltung mit ihrer Enkelin.
„Wir sind da",verkündete Silvadora schließlich herrisch und stieg aus. Niamh tat es ihr gleich und folgte ihrer Großmutter lustlos zu einer Art Pub, das „Tropfender Kessel" hiess. Was sollte das nun wieder?
„Ich dachte, wir wollten Schulsachen kaufen", nörgelte sie.
Silvadora antwortete nicht, sondern schob Niamh nur unsanft in das Pub hinein.
Kurz darauf, -Niamh hätte nicht genau sagen können, wie sie dort hingelangt waren, ihre Großmutter hatte sie in den Hinterhof des Tropfenden Kessels geführt, wo sie dann einen Mauerstein mit ihrem Zauberstab angetippt hatte und die Mauer daraufhin zurückwich- fanden sie sich auf einer belebten Strasse namens Winkelgasse wieder.
Niamh versuchte, Gleichgültigkeit zu demonstrieren, konnte aber ihr Staunen nicht ganz verbergen. Hier gab es nur Läden für Zaubereibedarf.
Und es wimmelte von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Begleitung ihrer Eltern.
„Alles Hogwarts- Schüler", erklärte Silvadora. „Vielleicht kannst du schon einige Freundschaften schließen."
„Toll", murmelte Niamh ironisch.
Sie hatte bereits festgestellt, dass ihr Verdacht, was Handys anging, zu stimmen schien. Sie hatte noch kein einziges entdeckt, und das war nicht gerade dazu geeignet, ihre Laune zu heben.
Ihre Großmutter schleppte sie von Laden zu Laden, und bald waren sie beladen mit Tüten, Kisten und Taschen.
Aus purem Trotz hatte Niamh den Rat Silvadoras, sich für eine Eule zu entscheiden, ignoriert und eine Katze gewählt.
„Ich darf also in der ersten Klasse beginnen. Alle anderen sind zwölf, und ich vierzehn. Ganz große Klasse!" sagte Niamh giftig.
Nachdem das Schweigen ihre Großmutter nicht beeindruckt hatte, versuchte Niamh nun, sie auf andere Weise zu verärgern.
„Nein, durchaus nicht, Niamh. Ich habe mich mit Dumbledore besprochen. Du wirst deinem Alter entsprechend in die dritte Klasse eingeschult."
„Ui, super!" kam es erneut ironisch von Niamh. „Da werde ich sicher auch sofort den Anschluss an den Lehrstoff finden. Ich meine, die zwei Jahre Vorsprung, die die anderen haben, was ist das schon?"
„Dafür habe ich gesorgt. Du wirst täglich Nachhilfestunden in allen Fächern erhalten, um möglichst schnell das Wichtigste aufzuholen. Ich muss dir wohl nicht sagen, dass ich für diesen Extraunterricht eine Menge Geld investieren muss", gab Silvadora kühl Auskunft.
Niamhs Laune wurde immer mieser. Nicht nur, dass ihre Großmutter sich nicht reizen liess und auf alles eine Antwort wusste, stimmte die Aussicht, den ganzen Tag über lernen zu müssen, bis ihr der Schädel qualmte, sie auch nicht unbedingt fröhlicher.
Aber so schnell gab Niamh nicht auf. Das war nicht ihre Art.
„Wie ungemein großzügig von dir. Bei soviel freier Zeit werde ich garantiert massig Gelegenheit haben, meine Mitschüler kennenzulernen und mich vielleicht mit dem einen oder anderen anzufreunden", sagte sie bissig.
„Du kannst sofort damit anfangen, Niamh", konterte Silvadora. „Ich habe nämlich noch einige private Besorgungen zu erledigen. Wir treffen uns in einer halben Stunde wieder genau hier."
Schon war sie verschwunden, und Niamh stand da wie bestellt und nicht abgeholt.
Sie sah sich verdattert um und zog sich dann erstmal mit ihren Einkaufstüten an den Rand der Winkelgasse zurück, wo sie sich an eine Hauswand lehnte und die Szenerie beobachtete.
„Wer ist denn das?" fragte Hermine neugierig und sah zu dem hellblonden, schmalen Mädchen hinüber, das einsam da herumstand und verdammt schlecht gelaunt aussah.
„Keine Ahnung", Harry zuckte mit den Schultern. „Hab sie noch nie gesehen."
„Aber sie hat Sachen für Hogwarts eingekauft", bohrte Hermine weiter. „Das heisst, sie kommt auf unsere Schule."
„Bisschen spät, oder? Sie sieht jedenfalls nicht wie ne Erstklässlerin aus", stellte Ron kaugummikauend fest.
„Auf jeden Fall sieht sie zu gut für dich aus, Weaselby", ertönte da ein arrogantes Schnarren. „Nicht, dass dazu viel gehören würde, aber..."
Hermine verdrehte entnervt die Augen. „Halt doch dein blödes Schandmaul, Malfoy!" keifte sie.
Draco Malfoy schob sich süffisant grinsend an der kleinen Gruppe vorbei. „Leider kann ich euch nicht länger Gesellschaft leisten. Mein Vater will mir nämlich einen neuen Besen kaufen."
„Schon wieder?" entfuhr es Harry.
„Neidisch, Potter?" feixte Draco. „Du weißt doch, für mich immer nur das Beste. Aber wie dumm von mir, ich müsste wissen, dass du das nicht nachvollziehen kannst. Für dich tut es ja auch Minderwertiges, wenn ich mir deine Freunde so ansehe..."
Sein Blick glitt verächtlich über Ron und Ginny Weasley, um dann an Hermine hängenzubleiben.
Ron war puterrot angelaufen, was einen beißenden Kontrast zu seinem orangeroten Haar bildete. „Pass auf, was du sagst, Malfoy", ereiferte er sich.
„Ach ja? Und wenn nicht? Platzt du dann vor Wut?" Malfoy und sein Gefolge lachten höhnisch, bevor sie sich zum Gehen wandten.
Ron wollte ihnen mit geballten Fäusten nach, aber Harry hielt ihn zurück. „Lass sein, Ron", seufzte er. „Er ists nicht wert."
Niamh hatte die Szene mitverfolgt, auch wenn sie zu weit entfernt stand, um mitzubekommen, was gesprochen worden war. Sie schüttelte den Kopf. Manche Dinge schienen doch an allen Schulen gleich zu sein.
