Kapitel 1

„Meine Herrin? Meine Herrin, wacht auf!"

Als sie wieder zu sich kam, lag das Mädchen immer noch auf den Steinen, die den Hof von Minas Tirith säumten. Leute beugten sich über sie, die direkt dem Film entsprungen zu sein schienen. Zwei Frauen und ein Mann, der ihr beim Aufstehen halfen, sahen sie besorgt an.

Sie drehte sich noch einmal um und erblickte nun nicht nur den Pelennor vor sich, sondern auch die bedrohlichen Wolken Mordors am Horizont.

„Das kann doch nicht sein...", begann sie zu stammeln, als ihre Stimme wiederkehrte.

„Geht es euch gut?", fragte vorsichtig der Mann.

„Natürlich geht es ihr gut, beeil dich, Taré , die Aussicht kannst du noch genießen, wenn du deine Arbeit vollbracht hast!" Sie drehte sich zu der rauen Stimme um und sah die dazugehörige Frau, eine robuste Dienstmagd, die mit verschränkten Armen auf sie zu warten schien.

„Was? Ich.. sie müssen mich verwechseln. Ich heiße..."

„Nun eil dich, Kind, der Truchsess wartet auf seine Speisen!" Mit gerafften Röcken zog sie das Mädchen hinter sich her. Dieses hatte das ungute Gefühl, diese Frau würde keine Widerworte akzeptieren. Sie hatte noch nicht mal Zeit, sich bei dem Mann zu bedanken.

„Einen Moment, wie bin ich denn überhaupt hierher gekommen, warum nennen sie mich Taré, wo bringen sie mich hin...."

Genervt von den löchernden Fragen, blieb die Frau plötzlich stehen und drehte sich gehetzt zu ihr um.

„Was soll das nun? Du bist natürlich Taré, Tochter des Oron , neunzehn Jahre alt und Dienstmagd des Truchsesses, reicht dir das? Wir haben keine Zeit für deine Spielchen, Kind, komm!"

Taré blieb einen Moment stocksteif stehen, bis sie der davoneilenden Frau hinterherlief.

In welchem Schlamassel steckte sie nun nur? Wie sollte sie der Magd erklären, dass sie nicht diejenige war, für die sie gehalten wurde? Während die beiden durch die hohen Flure liefen, zog Taré ihren Umhang fröstelnd an sich. Es musste Winter in Mittelerde sein und die Stoffe an ihrem Körper boten dem Wind, der eiskalt zwischen den Steinmauern pfiff, kaum Widerstand. Sie betraten einen langen, niedrigen Raum, in dem es angenehm warm war, doch auch stickig. Vereinzelt liefen Mägde herum, manche kochten, andere putzten.

„So, Taré, mach dich wieder an die Arbeit. Herr Denethor wünscht, sein Essen in einer Stunde zu empfangen und du hast noch nicht einmal das Gemüse gewaschen... Was stehst du noch im Weg?"

Hastig machte Taré Platz für die alte Frau, die sie kurzerhand alleine ließ. Unschlüssig stand sie vor den verschiedenen Töpfen, Kräutern, Messern und Lebensmitteln, bis sie sich beobachtete fühlte und den Blick eines jungen Mannes gewahr wurde, der sie unverwandt anstarrte. Als sie schüchtern den Kopf sinken ließ, trat er zu ihr.

„Gehe ich recht in der Annahme, dass ihr neu hier seid? Gut, allem Anschein nach sollt ihr dem Truchsess das Essen bereiten. Dort liegen eine tote Ente, Kohlgemüse, Mohrrüben und Obst." Auf ihren fragenden Ausdruck hin, krempelte er seufzend die Ärmel hoch und stellte sich neben sie. Der Mann überragte sie um einen Kopf, obwohl er höchstens sein konnte.

„Die Ente wird im Topf geschmort, das Gemüse gedämpft, das Obst gereinigt und auf einer Platte angerichtet. Wartete, ich helfe euch..."

Dankend lächelte sie ihn an, als er eine Schüssel mit Wasser holte.

„Ich danke euch, dies alles ist so....ungewohnt für mich."

„Mir ging es an meinem ersten Tag nicht anders, ich war Stallbursche und beim Satteln des ersten Pferdes ist es mir auf den Fuß getreten."

Taré konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.

„Das ist nicht lustig. Mein Schrei hat den halben Hofstaat aufgeweckt und ich wurde in die Küchenräume versetzt."

„Da musstet ihr wenigstens keinen Pferdedung mehr entsorgen."

„Das nicht, aber für einen heranwachsenden Jungen ziemt es sich nicht gerade, nur mit Frauen zusammen zu arbeiten. Wenigstens konnte ich auf jene Weise Erfahrungen sammeln. Heute habe ich dadurch eigentlich immer etwas zu tun.", antwortete er schmunzelnd und schmiss den geschnittenen Kohl in den Topf.

„Ich denke, den Rest schaffe ich alleine, ihr habt bestimmt noch viel zu erledigen..."

„Es war mir ein Vergnügen,....?"

„Oh, Taré ist mein Name." Sie streckte die Hand aus, erinnerte sich jedoch gleich daran, dass in Mittelerde keine Hände zur Bekanntmachung geschüttelt wurden.

Der Mann deutete eine Verbeugung an, bevor er nach hinten tänzelte.

„Meine Arbeit verlangt tatsächlich nach mir und nach euch, meine Herrin Taré ruft noch eine Ente, die gerupft werden will...", fügte er mit einem Zwinkern hinzu und verschwand daraufhin.

Taré fiel ein, dass sie ihn nicht nach seinem Namen gefragt hatte, doch er war bereits weg, so kehrte sie an ihre Anrichte zurück und betrachtete die Ente.

Die lockere Art des Mannes hatte ihre Spannung etwas gelockert und sie dachte sie zum ersten Mal daran, dass sich ihr größter Traum erfüllt hatte. Sie war in Mittelerde. Leider löste diese Tatsache nicht das Problem mit dem Federvieh. Mit zwei Fingern hob sie es hoch und zupfte mit der anderen Hand an einer Feder, bis sie endlich zu Boden fiel. Das würde einen langen Kampf geben, was täte sie nur für eine Mikrowelle.


Eineinhalb Stunden später stand sie schwitzend und mit zerzausten Haaren vor dem fertigen Mahl. Ein Meisterwerk war es nicht, aber es würde seinen Zweck erfüllen.

Tatsächlich musterte die alte Magd, welche übrigens Lehta hieß, das Essen nicht glücklich aber doch zufrieden. Stolz reckte sich Taré. Plötzlich fing sie eine Ohrfeige von Lehta ein.

„Das nächste Mal trägst du gefälligst eine Schürze, Mädchen, schau dir dein schmutziges Gewand an, die Zeit, die du für die Reinigung benötigen wirst, kannst du sparen, um die Flure zu putzen."

Mit der Hand an der schmerzenden Wange schluckte Taré eine Träne herunter. Noch nie hatte sie eine Ohrfeige bekommen, noch nicht einmal von ihren Eltern und das nur für einen dreckigen Rock.

„Nun wird mir nichts anderes übrigbleiben, als selber Denethor zu bedienen. Was hat dein Vater sich eigentlich gedacht, dich mir als Hilfe zu schicken. Geh und scheuer draußen die Pötte sauber." Mit den letzten Worten drückte sie ihr einen Eimer Wasser und Lappen in die Hand und deutete mit der anderen auf die riesigen Kessel.

„Wenn du damit fertig bist, hast du erst mal eine Ruhepause, bleib aber nicht zulange weg, ich kann es mir nicht leisten, ständig nach dir suchen zu müssen!"

Taré schleppte die schweren Kessel auf den Platz vor dem alten Steingemäuer. Beim Entfernen der Fettkrusten beobachtete sie das geschäftige Treiben. Im Schatten von Mordor verweilten die Einwohner Gondors nicht gerne auf der Straße, doch auch in den Häusern fühlten sie sich nicht sicher. Immer wieder fielen nervöse Blicke auf die schwarzen Berge im Osten, Kinder weinten überall. Taré wunderte sich, an welchem Tag sie hier gelandet sein mochte, der Stimmung nach zu urteilen, konnte die Schlacht am Pelennor nicht mehr weit in der Zukunft liegen. Mit Schrecken fiel ihr ein, dass sie so gut wie hilflos sein würde, wenn der Angriff erfolgen würde. Als Dienstmagd hatte sie weder Rüstung noch Schwert, um ihr Leben zu verteidigen.

Plötzlich sprang sie auf. Wenn Mordors Truppen wirklich bald vor den Toren stehen würden, musste sie die Menschen warnen! Doch wer würde ihr schon glauben? Sie entschied sich, den jungen Mann aus der Küche zu suchen, er war der Einzige, den sie hier kannte und dem sie so etwas sagen könnte.

Nachdem sie die Kessel wieder an ihren Platz gebracht hatte, hielt sie in der Küche nach einem Knecht Ausschau. Als sie einen erblickte, fragte sie ihn, ob er einen großen Mann mit dunklen Haaren und hellen Augen kannte, der in der Küche und im Stall arbeiten würde.

Der Bursche meinte lachend, dass es nur einen geben würde, der sich nicht schämte, Weiberarbeit zu verrichten. Quentur wäre im Stall zu finden.

Mit Erleichterung sah Taré ihn schon vor den Ställen sitzen und essen. Verwundert schaute er auf, als sie außer Atem vor ihm stand.

„Was ist geschehen. Stand die Ente wieder von den Toten auf?", aufgrund ihres Gesichtsausdruckes verstummte sein Lachen.

„Quentur, ist in den letzten Tagen ein Zauberer in Minas Tirith angekommen? Ein Zauberer, der einen Halbling bei sich hatte?"

„Wenn man den Gerüchten Glauben schenken kann, dann handelte es sich in der Tat um einen Zauberer, der heute durch die Stadt galoppierte.."

Taré blieb das Herz stehen. Gandalf war bereits in der Stadt, das bedeutete, heute Nacht würden die Orks aus Minas Morgul aufbrechen. Aber wann würde Faramir hier eintreffen? Das Buch hatte sie gelesen, doch ihr wollte vehement nicht einfallen, welcher Zeitraum zwischen Gandalfs Ankunft und der Schlacht lag. Beim Anblick von Quenturs Essen krampfte sich ihr Magen zusammen, was auch ihm nicht verborgen blieb.

„Beruhigt euch erst einmal, Taré. Hier, setzt euch und nehmt meine Schale."

Dankend nahm sie das Angebot an und verschlang geradezu die Suppe, wobei sie von Quentur beobachtete wurde, der noch nie eine Frau so speisen gesehen hatte.

„Geht es euch nun besser? Dann erklärt mir eure Aufregung und woher ihr diesen alten Mann kennt."

Taré holte tief Luft und schaute ihn dann an. Seine blauen Augen waren fragend auf sie gerichtet, aber sie musste ihre Worte mit Bedacht wählen.

„Woher ich den Zauberer kenne, ist unwichtig, aber das, was ich euch nun erzähle, müsst ihr mir unbedingt glauben, auch wenn es sich unglaublich anhören mag, doch uns steht große Gefahr bevor, versteht ihr mich, Quentur?"

„Nein, aber ich werde es versuchen."

„Gut. Ihr wisst bestimmt, das unser Truchsess Denethor ein verbitterter, alter Mann ist..."

Quentur legte ihr schnell die Hand auf den Mund und schaute sich um.

„Wie könnt ihr so etwas in der Öffentlichkeit von euch geben? Wenn euch einer der Soldaten gehört hätte...", flüsterte er ihr zu, seine Hand wieder sinken lassend.

Auch Taré senkte ihre Stimme.

„Aber es ist nun mal so. Der Zauberer heißt Gandalf und ritt nach Minas Tirith, um Denethor zu warnen und ihm zu raten, Rohan zu Hilfe zu rufen."

„Vor was hat der Zauberer gewarnt?"

„Die Armee Mordors wird heute Nacht in Richtung Minas Tirith ausrücken. In spätestens drei Tagen wird der Pelennor aus einem Meer von Orks, Trollen und anderen Unwesen bestehen. Denethor hört nicht auf den Rat Gandalfs, so dass wertvolle Zeit verloren gehen wird, in der man die Stadt gegen den Angriff rüsten könnte."

Quentur dachte eine Weile nach, bevor er den Kopf schüttelnd aufstand.

„Wenn uns wirklich eine solche Gefahr bevorstehen würde, dann würde Denethor handeln. Er liefert diese Stadt nicht dem Unheil aus!"

Taré stellte sich vor ihn.

„Denethor ist zu stolz, um auf den Rat anderer zu hören, übermorgen wird er seinen letzten Sohn sogar in den Tod schicken!"

„Woher seid ihr euch dessen so sicher? Seid ihr eine Art Seherin, noch nie habe ich solche Vorhersagen aus dem Mund einer Magd gehört."

Taré kniff enttäuscht die Lippen zusammen.

„Ich weiß, dass es sich unheimlich anhört. Etwas anderes habe ich auch nicht behauptet. Bitte, ihr müsst mir glauben, Quentur! Viele Unschuldige werden sterben, bis endlich Hilfe eintreffen wird!"

Quentur packte sein Sattelzeug wieder auf die Schultern.

„Nein, meine Herrin. Denethor mag zu stolz sein, aber er ist kein Ungeheuer, der sein Volk in Unheil stürzt! Ich weiß nicht, warum ihr uns so beunruhigt, die wir eh bereits keinen Frieden finden!", sagte er, während er sich zum Gehen wandte und Taré wieder allein zurückließ.


Den restlichen Tag blieb ihr nichts anderes übrig, als ihren Aufgaben nachzugehen. Die alte Lehta schenkte ihr auch keinen Glauben, sondern eine weitere Ohrfeige für ihre unkonzentrierte Arbeit. Nach ein paar Stunden waren Tarés Hände von der ungewohnten Arbeit zerschunden und bluteten ein wenig. Den Alltag einer Magd hatte sie sich nicht so hart vorgestellt. Die wenigen Minuten Freizeit reichten weder um Informationen über ihre Ankunft in Mittelerde herauszufinden, noch um die Leute dazu zu bringen, auf ihre Warnungen zu hören. Sie erntete nichts als Missbilligung.


Die Nacht war bereits hereingebrochen, als sich Quentur erschöpft von der harten Arbeit des Tages auf sein Bett fallen ließ. Und doch wollte ihn der Schlaf nicht von den Zweifeln erlösen, die den ganzen Tag schon seine Gedanken vernebelten. Seit dieses Mädchen ihm von der bevorstehenden Schlacht erzählte. Als kleiner Junge war der Truchsess sein Vorbild gewesen. Seine Stellung erlaubte es ihm nicht, Politiker zu werden und seine Eltern hatten zuviel Angst um sein Leben, als das sie ihn Soldat hätten werden lassen. So war er immer aufgeregt neben den Pferden gelaufen, wenn Denethor in früheren Zeiten zum Kampf ausgezogen war. Und später hatte er dessen Söhne neidisch beim Training beobachtet.

Panische Stimmen ließen Quentur aufhorchen. Als er seine Mutter vor dem Haus einen Schrei ausstoßen hörte, nahm er hastig einen Dolch und stürzte raus.

„Mutter? Was ist..."

Seine Mutter war geradezu erstarrt in ihrer Bewegung, den Blick nach Osten gerichtet, wie jeder einzelne Mensch in der Straße. Quentur drehte den Kopf in die gleiche Richtung und ließ geschockt den Dolch klirrend zu Boden fallen. Er warf sich schnell ein Hemd über.

„Quentur, wo willst du jetzt hin?"

Er war schon beinahe um die nächste Ecke verschwunden, doch seine Antwort hörte sie noch.

„Ich muss jemanden suchen!"