Kapitel 9

Vor dem Blicken seines Vaters und dessen besten Freund flüchtend, begab Harry sich rasch in den Gemeinschaftsraum der Slytherin. James hatte nichts gesagt, doch seine Augen hatten gesprochen. Ohne ein Wort des Abschieds verließ er die Beiden.

Überrascht stellte er fest, dass der Gemeinschaftsraum noch relativ gefüllt schien, obwohl es bereits nach ein Uhr war. Das Feuer warf unheimliche, tanzende Schatten an die Wände. Einige Köpfe wandten sich ihm zu, als er eintrat.

„Hey, McDougal, du bist doch aus der Sechsten, oder?", rief ihm einer der Jungs zu.

Harry seufzte, denn scheinbar würde er doch nicht so leicht ins Bett kommen.

„Ja, bin ich", meinte er schlicht und hoffte so den Anderen loszusein. Wie selbstverständlich steuerte er auf seinen Schlafsaal zu.

„Kannst du uns helfen?"

Erst jetzt stellte Harry fest, dass die Jungs und Mädchen scheinbar alle in etwa dasselbe Alter hatten. Und sie sahen um einige Jahre jünger aus als er.

„Wobei?", fragte er unvermittelt.

Der schwarzhaarige Junge, der in angesprochen hatte holte sein Buch von einem der Tische und schlug eine Seite auf. Die Überschrift ließ Harry innerlich aufstöhnen ,Schockzauber – Reducto'

„Sollen morgen ein Referat drüber halten", erklärte der Blauäugige etwas zerknirscht. „Wir haben alles recherchiert, aber den Zauber kriegt keiner von uns richtig hin."

Harry zog eine Augenbraue hoch. „Kein Wunder, dass ist Stoff aus dem Ende des Fünften. Welche Klasse seit ihr?", fragte er während er die Seite aus dem Buch kurz überflog.

„Aus der Dritten."

Harry grinste. „Was habt ihr ausgeheckt und wer hat euch erwischt?"

„Wir wollten Moodys Büro in die Luft jagen, na ja, er hat uns erwischt", meinte er verknirscht.

„Woran habt ihr den Zauber ausprobiert?"

„Ähm... an uns, also gegenseitig...", meinte ein blondes Mädchen unsicher.

„Ihr solltet besser irgendetwas in ein Tier verwandeln und ihn daran testen – ist einfacher." Mit diesen Worten schwang er seinen Zauberstab und eine leere Vase wurde zu einer grauen Maus.

Der Junge versuchte es und war mehr als erleichtert als es ihm gelang. Er lächelte und streckte Harry die Hand entgegen.

„Regulus Black", stellte er sich vor. „Danke!"

Harry stutzte nur kurz, ergriff dann die Hand des Jüngeren. „Kein Problem."

Dieser Junge sollte einmal ein Todesser werden? So recht konnte Harry sich den selbstbewussten Regulus nicht als einen Diener Voldemort vorstellen. Vielleicht würde irgendetwas passieren, was die Welt des Jungen gewaltig auf den Kopf stellen könnte... Es interessierte ihn nicht wirklich.

„Habt ihr sonst noch Fragen?", erkundete Harry sich der Höflichkeit halber.

Regulus verneinte und dankte ihm abermals, woraufhin Harry sich zu seinem Schlafsaal aufmachte.

Undeutliches Getuschel drang zu ihm durch, als er den Raum betrat.

„Harry?", flüsterte Jemand, „Harry, bist du das?"

Der Angesprochene stöhnte innerlich genervt auf.

„Ja, bin ich."

Sofort wurde das Licht eingeschaltet und Harry musste die Hand über die Augen legen, um nicht geblendet zu werden.

„Was ist heute Nacht passiert? Das ganze Kerker spricht davon, dass du einen Werwolf gesehen hast – an den Gerüchten ist doch nichts dran, oder?", fragte Max sofort.

Nun seufzte Harry laut auf. Hogwarts war berüchtigt für das schnelle Verbreiten von Gerüchten. Wer hatte wohl etwas davon mitbekommen und es erzählt? Hatte Moody vielleicht etwas zu viel geredet?

„Nein", meinte er nur tonlos und ging zu seinem Bett hinüber.

„Was nein?", fragte Max nach.

„An den Gerüchten ist nichts dran", sagte Harry etwas aggressiv.

Er zog sich um und legte sich ins Bett. Noch bevor er die Decke über sich gezogen hatte, war er eingeschlafen...

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Der nächste Morgen kam für Harry viel zu früh. Er verschlief, obwohl Max ihn drei Mal versucht hatte zu wecken. Er ließ das Frühstück ausfallen, um vor dem Unterricht noch schnell bei Severus vorbeischauen zu können, doch der zukünftige Zaubertrankprofessor schlief noch tief und fest.

Eilends rannte er die Treppen hinauf in den fünften Stock und erreichte den Klassenraum mit dem Stundenklingeln. McGonagall warf ihm einen flüchtigen, vorwurfsvollen Blick zu. Die Ravenclaws schauten überrascht, doch die Slytherins schienen erleichtert, ihn zu sehen.

„In der heutigen Unterrichtsstunde werden wir uns mit Illusionszauber auseinander setzten. Das Thema wird Sie noch bis Ende diesen Jahres verfolgen."

Noch immer musterten ihn die anderen Schüler.

Harry beugte sich zu Vanessa hinüber.

„Was ist denn los?", flüsterte er ihr zu.

„Sie denken, du bist heute Nacht von einem Werwolf gebissen worden", flüsterte sie unsicher zurück, ganz so als wüsste sie nicht, ob sie dem Gerücht glauben schenken sollte.

Harry schüttelte voller Unglauben den Kopf. Hogwarts würde mit Sicherheit sehr schnell die Wahrheit erfahren, dass nicht er sondern Severus gebissen wurde und dann hätte der Junge erst recht keine Freund mehr.

„Ich bin nicht –"

„Mister McDougal, möchten Sie Ihre Mitschüler vielleicht an diesen überaus interessantem Gespräch teilhaben lassen?", fragte die Professorin mit strenger Stimme.

„Nein, Professor."

„Dann seien Sie still und folgen Sie dem Unterricht!"

Harry nickte stumm, kramte Pergament und Feder heraus und schrieb in Stichpunkten mit, was McGonagall ihnen über die Zauber erklärte.

Gegen Ende der Stunde, hob Mandy den Arm. „Professor, wir haben jetzt Verteidigung, aber Professor Devel ist gefeuert worden..."

„Heute Abend wird Professor Dumbledore Ihnen die neue Lehrkraft vorstellen. Solange ist Verteidigung für Sie eine Freistunde."

Harry konnte nicht sagen, warum es ihm bei dem Gedanken an die neue Lehrkraft eiskalt den Rücken hinablief, doch irgendetwas sagte ihm, dass er diese Person kannte.

Abrupt wurde er aus seinen Gedanken gerissen, als Vanessa mit ihrer Hand vor seinen Augen herumfuchtelte.

„Träumst du?", fragte sie und Harry meinte einen Hauch vor Sorge herauszuhören.

„Ja.. nein." Über seine eigene Verwirrtheit schüttelte er ausnüchternd den Kopf. „Alles klar." Er erhob sich, wie die Anderen der Klasse.

„Komm, wir müssen zu Kräuterkunde", forderte Max ihn auf. Harry wunderte es, dass der Junge ihn nicht sofort ausfragte, doch die Rolle wurde schnell von den Mädchen übernommen. Er erzählte ihnen, er sei des Nachts in die Küche geschlichen und habe sich auf dem Rückweg verlaufen. Das draußen vorm Schloss ein Werwolf herumlief, hätte er nicht mitgekommen. Seine Mitschüler schienen ihm zu glauben.

Kurz bevor sie das Gewächshaus erreicht hatten, erkannte er, dass Lily Evans unter den Schülern war, die ihm entgegenkamen: Es war der fünfte Jahrgang der Gryffindors. Die hübsche Rothaarige entdeckte ihn und hielt ihn kurz auf. In ihren sanften Gesichtszügen konnte Harry deutlich ihre Sorgen erkennen.

„Ist es wahr?", fragte sie mitleidig. Ihre großen, smaragdgrünen Augen – die den seinen so ähnelten – leuchteten beunruhigt.

„Ich bin in Ordnung und bestimmt kein Werwolf", meinte Harry und lächelte ein wenig, doch als er an Severus und dessen Schicksal dachte, verblasste das Lächeln und er musste schwer schlucken. Er nahm sich vor auf jeden Fall nach dem Mittag beim Meister der Zaubertränke vorbei zu schauen.

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Der Vormittag verging schnell und ereignislos. Harry hatte keinen Unterricht mit James und Sirius gehabt und war weder zum Frühstück noch zum Mittag in der großen Halle erschienen.

Jetzt befand er sich auf dem Weg zum Krankenflügel und er fragte sich, ob man Remus inzwischen gefunden hatte, doch seine Frage wurde sofort beantwortet, als er die Tür des Raumes öffnete.

Remus, dessen dunkelblondes Haar ihm wirr ins Gesicht hing, saß apathisch auf einem der Betten, die Beine dicht an den Körper gezogen und lauschte offenbar den Worten Madame Pomfreys und Dumbledores. Sein Blick war glasig und unfokussiert. Stumme Tränen rannten seine Wangen hinab.

„Mister McDougal!", schnarrte plötzlich eine Stimme zu seiner Rechten. „Was haben Sie hier zu suchen?"

Mit gefährlich verengten Augen starrte Moody ihn von der Seite an.

„Ich wollte zu Severus."

„Mister Snape ist in seinem Schlafsaal", half ihm Dumbledore mit einem aufmunternden Lächeln. Harry nickte dankbar und verschwand wieder.

Einige Minuten später stand er etwas unentschlossen im Gemeinschaftsraum der Slytherins. In welcher Verfassung würde der den Jungen wohl vorfinden. Die ersten Minuten seines Nachmittagunterrichts würde er wohl jetzt schon verpassen, doch ihm war es egal, wenn er die Stunden ganz ausfallen ließ. Ohne anzuklopfen betrat er seinen Schlafsaal und war mehr als überrascht.

Er wusste nicht, was ihn mehr irritierte: Die Tatsache, dass Severus ihn zufrieden grinsend ansah, als er näher trat oder dass er gerade versuchte ein Muggelkreuzworträtsel auszufüllen.

„Severus?", fragte er unsicher. „Alles klar?"

„Sicher, sicher, alles bestens", trällerte der Angesprochene und lächelte von einem Ohr zum anderen, bevor er sich wieder dem Rätsel zuwandte. „Muggelfortbewegungsmittel mit vier Buchstaben!"

„Sev... Vielleicht solltest du in den Krankenflügel zurück."

Severus sah verwundert auf. „Nein, nein, keine Sorge, mir geht's gut."

„Zu gut, fürchte ich", nuschelte Harry. „Wieso kommst du jetzt plötzlich so gut damit klar, was du bist?"

Das Gesicht des Anderen veränderte sich, er wurde ernster, so als wäre ihm plötzlich etwas Wichtiges eingefallen. „Ich hab euch gestern gehört, Harry."

„Was meinst du?" Ehrliche Verwirrung lag in seiner Stimme.

„Potter ist nicht dumm, er will es nicht wahrhaben, aber er ist nicht dumm. Er wird sich einen Reim darauf machen können, was du gesagt hast."

Harrys Herz versagte seinen Dienst. Er musste für einige Sekunden die Augen schließen, um das nagende Schwindelgefühl zu verdrängen. Seine Beine gaben nach und er ließ sich einfach auf eines der Betten fallen. Severus sprach weiter.

„Ich wollte nicht lauschen, aber du hattest die Tür hinter dir nicht geschlossen und ich bin dir hinterher... Ich hab alles gehört."

Noch immer konnte Harry kein Wort herausbringen. Er hatte gewusst, dass es für ihn ein Entsetzen werden würde, wenn jemand es laut ausspräche, doch diesen regelrechten Schock hatte er nicht erwartet.

„Ich denke, dass Black es weiß... Aber er wird den Teufel tun und es Potter sagen. Vielleicht stellt er dich einmal zur Rede, ich weiß es nicht...", redete Severus unbekümmert weiter. „Du hast mich belogen, als du sagtest, dass ihr nicht verwandt seid. Eure Ähnlichkeit ist aber auch wirklich verdammt groß."

Harry ließ sich einfach nach hinten fallen. Seine Gedanken schienen Achterbahn zu fahren, bei dem Gedanken daran, wie er sich herausreden konnte, doch ihm fiel absolut nichts ein – sein Kopf schien wie leer gefegt zu sein.

Wie sollte er noch leugnen, was Severus gehört hatte. Plötzlich hatte er das Gefühl sich übergeben zu müssen, bei dem Gedanken daran, dass der Junge so fröhlich sein könnte, weil er ihn erpressen wollte. Doch schon im nächsten Moment wurde ihm klar, dass dies Severus niemals so in Euphorie versetzen könnte.

Als er seine Stimme nach schier endloser Zeit wiederfand klang sie brüchig und trocken. „Wir-wirst du es Jemandem verraten?", fragte er leise. Er öffnete seine Augen wieder und sah den Anderen unsicher und flehend an.

Der Gesichtsausdruck Snapes veränderte sich von Gleichgültigkeit zu Besorgnis. „Dumbledore weiß doch davon, oder?", fragte er vorsichtig.

Harry stutzte. Wieso machte ausgerechnet Snape sich darum Gedanken, ob Dumbledore Bescheid wusste oder nicht? Dennoch nickte er bestimmt als Antwort auf Severus' Frage.

„Dann werde ich es auch Niemandem sagen", meinte er unbekümmert. Dann lächelte er wieder fröhlich. „Ich versprech's dir."

„Sag mal", begann Harry, „auf welchen Drogen bist du da eigentlich?" Er sagte dies nicht weil er wirklich glaubte, dass Snape Drogen nahm, sondern viel mehr, weil er keine Fragen beantworten wollte.

„Eutarium", sagte Severus schulterzuckend. „Wie ist dein wirklicher Name?"

Harry starrte ihn mit offenem Mund an. „Du.. du nimmst Drogen?", fragte er entsetzt.

„Manchmal... Sie sind nicht gefährlicher als Zigaretten und machen bei weitem nicht so abhängig, ohne sie würde ich es hier nicht aushalten, aber jetzt lenk nicht ab!" Mit diesen Worten schloss er seine Zeitschrift und sah ihn aus seinen dunklen Augen aufmerksam an, sein Gesicht zierte ein geduldiges Lächeln.

„Mein Name ist Harry... Harry James Potter. "

„Wer ist deine Mutter?", fragte Severus weiter.

„Ich will nicht darüber reden, woher ich komme und was mit mir oder Ihnen geschieht", sagte Harry entschieden.

„Du hast ,Ihnen' gesagt. Es scheint so, als würden wir uns nicht besonders gut kennen", stellte Severus fest. Seine Stimme schien etwas Bedauerndes zu enthalten.

„Naja, so kann man das nicht nennen... Sagen wir einfach, wir können uns nicht besonders gut leiden –"Er wurde abrupt durch das Aufreißen das Tür unterbrochen.

Max sah überrascht von Severus und Harry und fragte sich offensichtlich, was die Beiden miteinander zu tun hatten, doch schon nach wenigen Augenblicken schien er sich daran zu erinnern, weswegen er gekommen war.

„Hey, Harry! Potter wartet vor dem Gemeinschaftsraum auf dich, frag mich nicht wieso, aber es scheint dringend zu sein, wenn er extra hierher – in das Nest der Schlangen – kommt." Max zwinkerte ihm zu und machte eine auffordernde Handbewegung.

Harry wechselte einen Blick mit Severus, der ihn wohl durch ein aufdringliches Lächeln aufmuntern wollte, und atmete noch einmal kräftig ein und aus. Er würde wohl oder übel mit James reden müssen, ob er wollte oder nicht, spielte keine Rolle...


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