Kapitel 10

Mit etwas zittrigen Knien durchquerte Harry den Gemeinschaftsraum, wobei er am Rande registrierte, dass die meisten seiner Mitschüler offenbar schon Unterrichtsschluss hatten.

Die kahle Wand am Ende des kleinen Flurs öffnete sich, als er näher trat. Gegen die gegenüberliegende Wand lehnte der schwarzhaarige Siebzehnjährige mit der geschmackvollen, randlosen Brille und schaute ihm erwartungsvoll in die Augen.

Harry verwarf den Gedanken, einfach wieder umzukehren und so für kurze Zeit vor dem Gespräch zu flüchten. Automatisch trugen ihn seine Füße aus den Reihen der Slytherins. Mit einem schabenden Geräusch schloss sich die Wand hinter ihm und ließ somit keinen Rückweg mehr offen.

„Hi!", grüßte James ihn und seine Stimme klang rau und belegt.

Harry lächelte nur höflich, als Zeichen, dass er ihn verstanden hatte, denn er hatte das Gefühl seine Stimme nicht zu einem Gruß erheben zu können.

„Ich.. ich muss mit dir reden", meinte James unbeholfen. Er fuhr sich charakteristisch durch das verstrubbelte Haar und trat nervös von einem Fuß auf den Anderen.

Harry antwortete nicht, schaute ihn nur abwartend an.

„Nicht hier", entschied James. „Komm!"

Der Junge führte ihn in eine naheliegende Kammer, die er hinter ihnen sorgfällig verschloss. Hier drin war es etwas dunkler, dennoch erkannte Harry jeden der nervösen Gesichtszüge seines Vaters.

„Du.. du hast das doch nicht ernst gemeint, was du gesagt hast, oder?" Er zögerte. „Ich meine... ist dir eigentlich klar, was das bedeuten würde? Ich... Es kann einfach nicht wahr sein. Bitte sag mir, dass du gelogen hast!"

Harry atmete tief durch und wich den Blicke James' aus. „Ich habe nicht gelogen..."

„A-also bin ich tot und du kennst Peter, Sirius und Remus", erläuterte James die Fakten. „Wieso siehst du mir so verdammt ähnlich?"

Harry zögerte, dann flüsterte er seine Antwort ohne James in die Augen sehen zu können. „Vielleicht weil... ich der bin, für den du mich seit gestern Nacht hältst."

„Du bist verrückt! Du lügst! Das ist unmöglich!"

„Ich habe dir gesagt, was du wissen wolltest und jetzt musst du selbst entscheiden, was du glaubst und was nicht!"

Harry wandte sich der Tür zu und warf währenddessen seinem Vater einen vorsichtigen Blick zu. James war jetzt sehr blass und starrte ihn perplex an. Es schien, als wäre eine Welt für ihn untergegangen. Er lehnte sich an die Wand hinter ihm und ließ sich daran zu Boden gleiten, während er den Kopf in den Händen verbarg.

„Harry... Bitte warte..."

James' Stimme war sehr leise und erstickt, doch entschlossen. Harry zögerte mit seinem Vorhaben zu gehen.

„Vielleicht willst du lieber allein sein", meinte er vorsichtig.

„Ich habe die ganze Nacht und den halben Tag darüber nachgedacht, was wäre, wenn... wenn... du wirklich... mein Sohn sein solltest...", gestand er, doch noch immer schaute er Harry nicht an.

Harry atmete tief durch. Vielleicht war die Zeit für ein aufklärendes Gespräch doch nötig. Er stellte sich neben James an die Wand und auch er ließ sich daran zu Boden gleiten.

„Weißt du... ich habe dich nie wirklich bewusst kennen gelernt... Für dich muss das ganze hier um einiges Schlimmer sein...", meinte Harry unsicher.

James lachte kurz freudlos auf. „Man erfährt eben nicht jeden Tag sein genaues Todesdatum und sieht seinen 17-jährigen Sohn vor sich stehen, obwohl man selbst nicht viel älter ist." Er nahm die Hände von seinem Gesicht und lächelte Harry bitter an. „Wie heißt du eigentlich?"

„Harry... Harry James Potter."

„Ich nehme an, Sirius ist dein Pate."

„Ja. Wie gesagt, du bist früh gestorben und ich habe dich und Mom nicht kennen gelernt, aber Sirius, den kannte ich, jedenfalls bis er vor einigen Monaten starb."

„Das muss ein Schock für dich gewesen sein", stellte James fest.

„Er ist wie ein Vater für mich gewesen... Und jetzt hatte ich die Chance ihn zu retten... und dich und Mom. Ich habe mir geschworen nichts zu ändern, aber ich denke mein Unterbewusstsein hat da irgendwie nicht ganz mitspielen wollen." Er hielt kurz inne. „Vielleicht ist es besser so."

„Bist du bei Sirius aufgewachsen?", fragte James vorsichtig.

Harry schüttelte den Kopf. „Er ist direkt noch eurem Tod nach Askaban gebracht worden... Sie haben damals gedacht, er hätte euch verraten. Ich bin bei der Schwester meiner Mom, deren Ehemann und meinem Vetter aufgewachsen."

„Wer ist deine Mom überhaupt?", fragte James ungeduldig.

Harry lächelte geheimnisvoll. „Ich denke, dass wolltest du noch selbst herausfinden." Er überlegte kurz. „Vielleicht wirst du sie durch mein Eingreifen nicht einmal mehr Heiraten."

„Dann würdest du doch niemals geboren werden!", meinte James entsetzt.

„Daran, dass ich geboren werde kann niemand mehr etwas ändern. Wenn Voldemort allein in die Vergangenheit gereist wäre, hätte er es verhindern können, aber so..."

„Wegen eurem verbundenen Blut konnte er das nicht, oder?", hakte James nochmals nach. „Wirst er noch mächtiger werden? Voldemort meine ich."

„Oh ja", antwortete Harry seufzend.

„Wieso bist du ihm solch ein Dorn im Auge?"

Harry zögerte und dachte kurz über seine Antwort nach. Es war nicht einfach die Situation um ihn und Voldemort zu erklären. „Er hat versucht mich zu töten, als ich ein Jahr alt war. Er versuchte es, weil in einer Prophezeiung erzählt wurde, dass ich eine Bedrohung für ihn bin. An diesen Abend, an dem er unser Haus überfiel, starbt ihr für mich... du und Mom! Ich überlebte, bin der einzige Mensch, der je einen Todesfluch überlebt hat, und seine Macht brach... Von dem Tag an war er ein Schatten seiner selbst. Er war nicht tot, doch gelebt hat er auch nicht. Niemand wusste, was aus ihm geworden war und ich wurde als ihr ,Großer Held' gefeiert..."

„Bist... bist du berühmt?", fragte James gespannt.

Harry lachte kurz spöttisch auf. „Gezwungenermaßen... Das ist so lächerlich! Ich werde für etwas gefeiert, an das ich mich nicht erinnern kann..."

„Ist die Schwester deiner Mom eine Muggel? Bist du bei denen aufgewachsen?"

Harry nickte. „Sie hassen die Zauberei. Ich habe erst von ihr erfahren, als ich elf wurde. Quasi an meinem Geburtstag... Was ist mit deinen Eltern? Wieso bin ich nicht zu ihnen gekommen?"

James zuckte mit den Schultern. „Meine Mutter ist mit einem Jüngeren durchgebrannt als ich neun war – ich hab nie wieder etwas von ihr gehört. Und Dad ist da so eine Sache... Wäre ich jünger oder unselbstständiger gewesen, hätte er mich ins Heim gesteckt... Ich denke, er wollte kein zweites Kind. Vielleicht ist er auch tot." James machte nicht den Eindruck, als würde ihn dieser Umstand besonders viel ausmachen.

Sie schwiegen sich eine Weile an, in der jeder von ihnen versuchte seine Gedanken zu ordnen.

„Wie geht es Remus?"

„Er steht unter Schock. Redet nicht mit uns – redet eigentlich mit niemandem." Desinteressiert setzte er hinzu: „Und Sniefelus?"

„Als wenn es dich interessieren würde. Was ist da eigentlich zwischen dir und ihm? Was hast du gegen ihn?"

„Er ist ein Slytherin!", kam die schnelle unglaubwürdige Antwort. James wich seinem Blick aus und Harry wurde schnell klar, dass er ihm etwas vorenthielt.

„Ich bitte dich! Das kann doch nicht alles sein. Er ist in Ordnung... wirklich!"

James lächelte ertappt und zögerte mit seiner Antwort. „Ich weiß nicht, ob du es weißt, aber Sirius wurde von seiner Familie ausgestoßen, weil er nach Gryffindor kam. Ich habe ihm den Rücken freigehalten seit ich denken kann. Am Tag unsere Einschulung geriet er mit Lucius Malfoy aneinander. Der Kerl ist drei Jahre älter als wir und ganz Slytherin stand hinter ihm. Seine rechte Hand war Sniefelus und als Malfoy dann seine Entlassung hinter sich hatte, war Snape allein und niemand aus Slytherin stand mehr an seiner Seite... Sie haben ihn praktisch gestürzt und wir wollen uns bloß rächen."

„Und dann brach die Zeit der Rumtreiber an?" Es war eher eine Feststellung als Frage.

James nickte. „Und was ist mit dir? Wieso bist du so vernarrt in ihn?"

Harry zuckte mit den Schultern. „Ich kenn ihn aus meiner Zeit. Er ist Professor für Zaubertränke in Hogwarts... Er hasst mich! Ich war neugierig, wieso er so verbittert geworden ist."

„Wieso bist du überhaupt in Slytherin?"

„Ich hatte die Wahl zwischen beiden Häusern und weil ich euch am besten nicht über den Weg laufen wollte, hab ich mich für Slytherin entschieden. Es liegt an Voldemort... als er versuchte mich zu töten, erhielt ich... nun ja, Fähigkeiten von ihm..."

James erwiderte nichts. Vielleicht wurde ihm die ganze Angelegenheit auch langsam unheimlich, jedenfalls blieb er ruhig und wartete ab, ob Harry weitererzählen würde, doch dieser seufzte tief und erhob sich denn langsam.

„Was ist los?", fragte James überrascht und schaute erwartend zu ihm auf.

„Wir sollten gehen." Harry bot ihm seine helfende Hand an, die dieser sofort ergriff und sich auf die Beine ziehen ließ.

„Wohin?"

„In die Große Halle", meinte Harry wie selbstverständlich. „Der neue Lehrer wird heute begrüßt. Schon vergessen?"

„So spät schon?" Harry konnte ihm deutlich ansehen, dass er eigentlich nicht gewollt war Harry so bald gehen zu lassen. Scheinbar lagen noch viele unausgesprochene Worte zwischen ihnen...

Sie traten zusammen in den Flur hinaus.

„Wenn deine Leute dich mit einem Slytherin sehen, ist dein Ruf ganz schön im Eimer", stellte Harry fest.

James zuckte mit den Schultern. „Wie hast du es eigentlich geschafft ins Schloss zu apparieren?"

„Ich bin nicht appariert. Dieser Zauber von Voldemort hat mich hierher gebacht. Zwei Minuten zuvor stand ich noch in der Küche der Weasleys!"

„Weasley? Du kennst nicht zufällig Bill, oder?", fragte James interessiert. „Ist Erstklässer hier."

„Sein jüngerer Bruder Ron ist in meinem Jahrgang. Ich habe die Weihnachtsferien bei ihnen verbracht."

„Weihnachten war hier vor drei Wochen", meinte James etwas überrascht.

„Ich glaube es gibt nicht mehr viel, was mich hier überraschen könnte." Harry lächelte milde.

Sie betraten die Große Halle beinahe synchron und waren etwas überrascht als sie die Mehrzahl der Schüler bereits dort versammelt sahen. Harry konnte den misstrauischen Blick Snapes förmlich spüren, als er sich zu seinem Jahrgang an den Slytherin-Tisch setzt.

„Was hast du so lange mit Potter geredet?", fragte Max sofort.

„Ist der neue Lehrer schon da?", fragte Harry anstatt einer Antwort.

„Nein, ist er nicht, aber dafür –" Harry hört Vanessas Erzählungen nur mit einem Ohr. Er suchte in der Halle nach Remus, fand diesen jedoch nicht und zu seinem Erstaunen war auch Sirius nicht anwesend. James hatte sich zu Peter gesetzt und unterhielt sich jetzt mit einer hübschen Blondine, die ununterbrochen zu kichern schien.

Erst als Dumbledore seine Stimme erhob wanderte Harrys Aufmerksamkeit wieder in die Gegenwart zurück.

„Meine Lieben Schülerinnen und Schüler, ich darf Ihnen nun ihren neuen Lehrer für ,Verteidigung gegen die Dunklen Künste' vorstellen", sagte der bärtige Lehrer gutgelaunt. „Er ist ein Meister seines Faches und ich bin stolz darauf ihn in unserer Lehrerschaft zu wissen. Seine Name ist Sebastian Sky."

„Wow!", kommentierte Vanessa ehrfürchtig.

Die Tür der Halle war aufgeschwungen und ein hochgewachsener breitschultriger Mann stand vor der versammelten Schüler- und Lehrerschaft. Seine Haltung war gerade und autoritär. Die strengen, wachsamen Augen ruhten auf einzelnen Personen, während er mit langsamen, riesigen Schritten auf Dumbledore zuging. Der dunkle Umhang war fest an den Körper geschnürt worden und der große Hut weit ins Gesicht gezogen worden.

„Wer ist das?", fragte Harry unsicher.

„Du kennst Sebastian Sky nicht?", fragte Vanessa überrascht.

„Er ist Auror. Hat letztes Jahr vierundvierzig Todesser dingfestgemacht. Dafür bekam er den Orden des Merlin erster Klasse."

Inzwischen war der Hüne am Lehrertisch angelangt. Die Stimme mit der er sprach war laut, rauchig und überirdisch dunkel. Harry lief es kalt den Rücken hinunter. Er hätte schwören können, dass der Mann kein Mensch, sondern vielmehr ein Dementor war.

„Ich fühle mich geehrt in diesen Hallen unterrichten zu dürfen!", sprach er ruhig. Dann setzte er sich auf den freien Platz neben Minerva McGonagall und schwieg.

Ein langsam einsetzendes Mahlen hinter Harrys Schläfen kündigten nervenaufreibende Kopfschmerzen an. Als Dumbledore das Festessen eröffnete aß er nichts, sondern beeilte sich in seinen Schlafsaal zu gelangen. Mit jedem Schritt, den er ging, nahmen seine Kopfschmerzen zu und er hoffte nur noch in sein Bett zu gelangen, um sich endlich einen erholsamen Schlaf gönnen zu können.

Flüchtig fragte er sich, woher diese plötzlichen Kopfschmerzen kamen, doch schließlich verbannte er die Fragen aus seinem Kopf und ließ sich kraftlos in sein Bett fallen, ohne sich umgezogen zu haben.

Und ohne zu wissen, dass der nächste Tag einige Überraschungen in punkto Sebastian Sky bereit hielt, die mehr mit ihm zu tun haben würden, als ihm lieb sein könnte...


Also ich hab meine Schreibkrise überwunden und bin jetzt sehr gespannt auf Kommentare, weil ich dieses Kapitel irgendwie nicht recht einschätzen kann... Ich glaube, dieses Gespräch zwischen Vater und Sohn war heißbegehrt – Nun: hier habt ihr es!

Danke an Vroni, TheSnitch, Nici Black, VamHax, kathleen potter, milva, Pe, vero, Severina35, blub, Lara-Lynx, sunny, Cho, Merato, Kiina, Sweet-Dreams2, Fidi-1, Lily-doro schnabel, SelphieLeBlanc