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Kapitel 3: Spiel nicht mit den Muggel-Kindern
Während Hermines Tage nach der Hochzeit erfüllt waren mit eiliger Geschäftigkeit, bestimmt durch ihr allabendliches Studium der magischen Heilkunst, die Pflege des bedauernswerten Severus´, wie sie ihn nannte, Besuche in diversen Bibliotheken, Gespräche mit kompetenten Medi-Hexen und Zauberern über das Phänomen der „mentalen Leere", zog die Zeit an Ron in einem dumpfen, grauen Nebel vorüber. Natürlich absolvierte er pflichtbewusst seine Auroren-Ausbildung, natürlich kümmerte er sich um den Professor, natürlich traf er sich ab und zu mit Harry – trotzdem beschlich ihn oft das Gefühl, nicht wirklich selbst zu handeln, sondern irgendwie neben sich zu stehen und jede Bewegung des linkischen, jungen Zauberers, der er einmal war, wie ein lauernder, nicht greifbarer Schatten zu beobachten, wobei des öfteren ein kalter Hauch der Verachtung für diesen Rotschopf seine Seele streifte.
Er war unkonzentriert und fühlte sich erschöpft. Dieser Zustand hatte sich so allmählich entwickelt, dass er ihn nicht einmal mehr bewusst registrierte. Es schien ihm normal, dass er die Aufgaben, die Mad-Eye Moody während des täglichen Auroren-Trainings von den jungen Anwärtern verlangte, nicht so gut bewerkstelligte wie die anderen. Seine Gedanken flogen einfach zu oft wie rasende Klatscher in seinem Kopf umher und es gelang ihm selten, den richtigen zu fassen.
So war es auch an diesem kühlen Novembermorgen, als Mad-Eye Moodys magisches Auge nacheinander jeden einzelnen der jungen Zauberer, die gebannt seinen Ausführungen lauschten, fixierte.
„Eine ganz wichtige Aufgabe des Auroren", schnarrte seine Stimme, „ist, dass er zu jeder Zeit und an jedem Ort mit Allem rechnen muss. Das bedeutet, er muss lernen, sich in jeder Situation zurecht zu finden, also auch in allen Gegebenheiten der Muggel-Welt."
„Das dürfte nicht so schwer sein", grinste Harry. Ron, dagegen, warf ihm einen wenig glücklichen Blick zu. Auch das noch! Ihm schien, als hätte ihr Mentor ausgerechnet ihn besonders durchdringend gemustert. Sicherlich war ihm nicht entgangen, wie fahrig er heute bei den praktischen Übungen gewesen war.
„Darum", fuhr Moody fort, „lernen wir an diesem Tag, uns so unauffällig wie möglich in ihrer Welt zu bewegen und mit den täglichen Dingen ihres Lebens zurecht zu kommen. Ich hoffe, Sie haben heute an die für Muggel übliche Kleidung gedacht."
„Mensch Ron", sagte Harry schließlich aufmunternd zu seinem Freund, nachdem alle unter ständigen Ermahnungen Mad-Eyes vor einem leerstehenden Gebäude außerhalb des Stadtzentrums appariert waren. „Zieh doch nicht so ein Gesicht – Hermine wird dir doch wohl einiges über die Muggel beigebracht haben, oder? Immerhin kannst du mittlerweile problemlos telefonieren!"
Ron antwortete nicht. Du kannst gut reden´, dachte er mit aufkeimender Wut, schließlich bist du ja bei den Muggeln aufgewachsen´. Moody hatte jeden von ihnen ausgestattet mit einem Bündel an Erklärungen und Anweisungen und nun sollten sie in alle Himmelsrichtungen ausschwärmen, um „unauffälligen Muggelkontakt"zu trainieren, wie er es nannte.
„Viel Glück, Ron", rief ihm Harry zum Abschied zu und verschwand in Richtung eines weitläufigen Parks rechts von ihnen. Ron trat zögernd von einem Bein auf das andere. Er spürte seinen Unwillen angesichts der unbekannten Situation beinahe körperlich. Die Muggel-Welt hatte etwas beängstigend Unkalkulierbares für ihn. Missmutig entrollte er das Pergament und studierte die Anweisungen: Gehen Sie die Straße in südlicher Richtung, suchen sie ein Muggel-Café auf und bestellen dort ein für Muggel typisches Getränk, beobachten Sie dabei die Gäste der Örtlichkeit und erfassen Sie jede Besonderheit schriftlich!"
Seufzend machte er sich auf den Weg. Es war ein trüber, regnerischer Tag und das trug nicht dazu bei, seine Stimmung zu heben. Glücklicherweise entdeckte er schon nach kurzer Zeit ein verwittertes, ehemals weißes Schild mit der einfachen Aufschrift „Sams"und nach einem Schulternstraffen trat er ein. Der Raum wirkte schäbig und er steuerte auf einen Tisch in der hintersten Ecke zu, ließ sich auf der Bank mit dem abgewetzten roten Lederbezug nieder. Es waren nur wenige Gäste zu sehen. Gut so, dachte Ron, die kann man auch studieren. Er griff nach der Karte auf dem Tisch und begann zu lesen. Hm, Tee? Nein, lieber ein ihm unbekanntes Muggelgetränk. Mal sehen, Cappu ... Cappe ...
„Was darf ich Ihnen bringen?"
Die weibliche Stimme war sehr klar und schlug eine Saite in ihm an, die vor langer Zeit erklungen und deren traurige Melodie schon längst von dem wilden Stakkato späterer Jahre übertönt worden war. Irritiert sah er auf und starrte in ein paar unglaublich blaue Augen, die ihn unter einem blonden Lockenkopf hervor neugierig musterten.
Einen kurzen Herzschlag lang schien die Welt still zu stehen.
Er war diesem Mädchen schon einmal begegnet! Er war ganz sicher. Diese Augen!
Während ihn das tiefe Blau gefangen nahm, setzten seine Gedanken die Puzzlestücke einer verloren geglaubten Erinnerung zusammen: diese blauen Augen hatten ihn schon früher mit jener unverhohlenen Neugier angesehen, die ihn zuerst wütend gemacht hatte, weil er dachte, sie wäre genau wie die anderen. Doch der Ausdruck in diesen Augen hatte sich gewandelt und so etwas wie Verstehen widergespiegelt, während die hirnlosen kleinen Muggel- Kinder weiterhin ihre Spottverse gesungen hatten:
Komm doch, schwarze Fledermaus, kriech aus deiner Höhle raus. Nehmen dir den Umhang weg, Fledermaus kriegt einen Schreck...
„Hör nicht auf sie. Die sind dumm", hatte sie einfach gesagt, als wäre es das natürlichste der Welt, die Ohren gegenüber der Dummheit zu schließen! Ihre Stimme war hell und freundlich gewesen, er hätte ihr den ganzen Tag zuhören können. Sehr viel später hatte sich der Ausdruck in ihren Augen wiederum gewandelt, wenn sie ihn ansah. Schalk blitzte darin und etwas wie Freude bei seinem Erscheinen und dann eine Emotion, die ihn verwirrte ...
Er lächelte bei dem Gedanken daran, doch das Lächeln erstarb, als sich ein dunkler Vorhang vor ihr Gesicht schob und er kannte die Worte schon vorher, die wie Schläge durch sein Bewusstsein klatschten:
„Spiel ... nicht .... mit .... den .... Muggelkindern!"
Nein, das wollte er nicht, er hasste sie doch auch, diese dummen, höhnenden Muggel! Nur sie, sie war anders, so ganz anders! Sie konnte so wunderschön lachen, ihre Augen sprühten Funken, wenn er versuchte, ihr Lächeln zu erwidern ...!
Und er gehorchte nicht! Er erduldete die Strafen mit aufkeimendem Trotz, wieder und wieder – bis...
„Geht es Ihnen gut?"fragte eine Stimme aus weiter Ferne. „ Ihre Bestellung!"
„Heather?"krächzte es aus Rons Mund.
Das Mädchen sah ihn merkwürdig an. „Sie müssen mich verwechseln", sagte sie schließlich, „mein Name ist Laura. Meine Mutter, die hieß tatsächlich Heather, aber sie ist lange tot."
„Tot?"diesmal kam nur ein Flüstern über seine Lippen.
„Ja, Sie haben sie bestimmt nicht gekannt, oder? Nun, was möchten Sie denn bestellen?"
„Äh, .... ein ... eine Cappucine...?"
„Ein Cappuccino? Kommt sofort!"Sie drehte sich kopfschüttelnd um. Ron starrte ihr hinterher, während in seinem Kopf ein verzweifelter Kampf gegen eine dieser üblen Erinnerungen tobte. Erinnerungen, die nicht wirklich die seinen waren – oder doch?
Heather ... Sie war der Anfang seines Aufbegehrens, der Anfang und das Ende...
Wie auf einer Bühne agierten die Spukgestalten in Rons Kopf, hilflos ließ er es geschehen, dass die grausamen Bilder durch seine Gedanken wirbelten:
„Kennst du die Regel?"
Er hatte seinen Vater noch nie so unbeherrscht gesehen. Stets vollzog er seine Erziehungsmaßnahmen mit stoischer Gelassenheit. Doch jetzt war es anders. Seine Wut gab seinem wie in Stein gemeißelten Gesicht einen diabolischen Anstrich. Die Züge waren verzerrt, die dunklen Augen sprühten tödliche Blitze.
„Ja, Vater"
„Wiederhole sie!"
„Ich darf mich nicht mit Muggeln abgeben!"
„Und hast du dich daran gehalten?"
„Nein..."
„Lauter!"
„Nein!"
Nun schrie er ebenfalls, schrie auch, um sich Mut zu machen für das, was kommen würde, schrie, weil er sonst vor Angst gezittert hätte. Und das wollte er nicht, diesmal nicht!
Sein Vater zog den Zauberstab, zischende Funken stoben in alle Richtungen aus seiner Spitze, seine Wut musste gewaltig sein. Ein Wink und er spürte, wie sein Körper gegen den Kaminsims geschleudert wurde, langsam daran zu Boden glitt.
„Ich will, dass du es dir für immer einprägst, was es bedeutet, sich an Regeln zu halten!"
Eine unsichtbare Hand zerrte ihn herum, auf den Bauch, und eine zentnerschwere Last drückte ihn gnadenlos nieder. Er vernahm das Geräusch von schwerem Eisen, das über den Stein gezogen wurde. Einen Moment lang herrschte Stille, nur das Knistern der Flammen und sein eigener keuchender Atem war zu hören. Er versuchte, gegen die Last auf seinem Körper anzukämpfen, doch vergeblich – ein Fluch, den er noch nicht kannte.
Dann erklang wieder die Stimme seines Vaters, ganz ruhig jetzt, mit gewohnter Kälte: „Du weißt offensichtlich nicht, was du deiner Familie schuldig bist, mein Sohn. Ich hoffe, du wirst aus dieser Lektion lernen."
Und bei diesen Worten hielt er ihm die kunstvoll stilisierte Schmiedearbeit am Ende des Schürhakens vor das Gesicht, zwei Schlangen, die umeinander gewunden den Buchstaben S ergaben. Eine unerträgliche Hitze ging davon aus, das glutrote Leuchten blendete seine Augen. Er blinzelte, versuchte sich zu wehren, aber es war ja zwecklos! Die Hitze des Metalls wanderte langsam über seine linke Wange, verhielt zwischen seinen Schulterblättern. Beinahe sanft wurde sein Haar beiseite geschoben, er spürte die Glut, spannte seinen Körper an - und dann bohrten sich eine Million glühender Nadeln in seinen Nacken, entflammten die Haut, verbrannten das Fleisch und damit für immer die Hoffnung auf ein Gefühl der Menschlichkeit von dem Mann, den er Vater nennen musste ....
Ein lauter Knall zerriss plötzlich die Bilderflut – er kam von seinem Stuhl, der polternd zu Boden fiel, nachdem Ron so unerwartet aufgesprungen war. Keuchend tastete er mit seiner Hand in den Nacken. Der Schmerz war noch so nachhaltig spürbar, dass er mit einigem Erstaunen die unversehrte glatte Haut registrierte. Verwirrt sah er sich um, erkannte, wo er sich befand. Alle Augenpaare in dem schummrigen Café waren auf ihn gerichtet.
Bloß weg hier! Mit fahrigen Bewegungen raffte er sein Bündel mit Moodys Anweisungen zusammen, legte irgendeine der Muggel-Münzen, die ihm zugeteilt worden waren, auf den Tisch und stolperte auf den Ausgang zu.
„Hey, Ihr Cappuccino ... !" rief jemand hinter ihm her, doch es war ihm egal. Als er das Freie erreichte, begann er zu rennen, weiter und weiter, bis ein stechender Schmerz in seiner Lunge ihn endlich zur Besinnung kommen ließ. Endlich drosselte er das Tempo, bis seine Füße ihn mit langsamen, schleppenden Schritten durch eine Umgebung trugen, die er nicht wirklich wahr nahm.
Was lief da ab? Holten ihn seine Alpträume schon tagsüber ein? Er kannte diese Vision, sie hatte ihn schon mehrmals nachts verfolgt. Er hatte diesen grausamen Schmerz schon gespürt, er kannte auch das ungute Gefühl des Hasses, das in ihm entflammte, als das glühende Eisen seine Haut zerstörte. Irgendetwas war da seit einiger Zeit in seinem Innern, das ihm Angst einflößte und das absolut nicht zu seinem Selbst gehörte, doch was war es? Beinahe schien es ihm, als ob Erinnerungs-Bruchstücke eines völlig Fremden in ihm gefangen waren und mit brutaler Gleichmäßigkeit versuchten, den Weg in die Freiheit zu finden, wie eine todbringende giftige Schlange.
Das Schlangen-Zeichen kam ihm wieder in den Sinn, es mochte eine Art Familienwappen gewesen sein. In seinen Träumen war ihm nie bewusst gewesen, was ihm diese Qual zugefügt hatte. Doch jetzt, tagsüber, in einem Muggel- Café in einer Seitenstraße Londons, hatte er es klar und deutlich vor sich gesehen! Und – es war ihm bekannt vorgekommen, genauso wie die Stimme und die Augen der Kellnerin. Heather - der Name war in seine Gedanken geflogen wie die Krähe, die laut krächzend ihre Kreise in dem grauen Wolkenhimmel über ihm zog.
Es begann zu nieseln und Ron beschleunigte sein Tempo wieder. Er fühlte sich nicht in der Lage, jetzt Harry und den anderen oder sogar Moody gegenüber zu treten. Er ging einfach weiter, der kühle Regen tat ihm gut und half ihm, ein wenig zur Besinnung zu kommen.
Die Schlangen, der Buchstabe, wo hatte er das schon einmal gesehen? Zwei Schlangen, die ein S bildeten – ein S....
Schlagartig blieb er stehen. Es hatte keinen Sinn, sich selbst zu belügen. Er wusste, wo er ein solches Zeichen schon einmal gesehen hatte. Er hatte mühsam versucht, die Ahnung nieder zu ringen, doch war sie immer wieder an die Oberfläche geschwommen, wie ein Ertrinkender, der nach Luft rang.
Zitternd atmete er ein und fuhr sich mit der Hand durch das regennasse Gesicht. Er musste Gewissheit haben, jetzt – sofort!
Und mit einiger Anstrengung schaffte er es, nach Hause zu apparieren, in dem Bewusstsein, in der Unterrichtseinheit „Unauffälliger Muggel-Kontakt" völlig versagt zu haben ...
- - -
„Du bist schon da?"Hermine verbarg ihre Überraschung nicht, als Ron, durchnässt und offensichtlich ziemlich durcheinander vor ihr stand. Ron murmelte etwas von Moodys dringlichen Ministeriumsangelegenheiten, ignorierte ihr verständnisloses Blinzeln und zwängte sich an ihr vorbei in die Küche. Dort verhielt er mitten in der Bewegung, als er Snape am Tisch sitzen sah.
„Alles in Ordnung mit dir?"
Herrje, wann hörte sie endlich auf, immer diese bohrenden Fragen zu stellen?"
„Ja, ja klar! Das Wetter ist nur fürchterlich! Heute wars ziemlich anstrengend."
„Hm ... wenn du schon da bist, kann ich vielleicht noch kurz bei Mum reinschauen, bevor ich zum Unterricht .... „
„Ja, tu das!"
„Bestimmt?"
„Bei Merlin, Hermine, nerv mich doch nicht"Rons erhob seine Stimme, „Grüß deine Mutter von mir!"
„Wie du meinst."Hermine war allem Anschein nach beleidigt, doch das war ihm in diesem Moment ziemlich egal. Er wollte allein sein, allein mit dem Professor. Er musste Gewissheit haben!
Ohne ein weiteres Wort und einen Abschiedskuss rauschte Hermine hinaus. Ron stieß pfeifend die Luft aus und lehnte sich an die Küchenwand, ließ aber Snape nicht aus den Augen. Sein Kopf war in diesem Augenblick so leer, wie der seines Gegenübers. Als er schließlich sprach, war seine Stimme rau.
„Professor Snape, ... Sir... Sie haben mir.... viel...viel Angst eingeflößt während unserer Schulzeit. Und.... und ich glaube, Sie tun es auch jetzt noch!"
Mit vorsichtigen Schritten näherte er sich der Gestalt am Küchentisch. Etwas Bedrohliches schien mit einem Mal von ihr auszugehen und ein leichtes Kribbeln kroch Rons Wirbelsäule hinab. Dennoch streckte er zögernd die Hand aus.
„Verzeihung, Sir, aber ich muss ...."
Das unweigerliches Schweigen des ehemaligen Zaubertränkemeisters ließ ihn schließlich mutiger werden. Er trat hinter ihn und seine ausgestreckte Hand schob vorsichtig den schwarzen Haarvorhang beiseite und legte so, Millimeter für Millimeter, seinen bleichen Nacken frei. Feine weiße Linien zogen sich über die Haut, vernarbte Zeugen einer grausamen Bestrafung, die Ron wieder und wieder in seinen Träumen durchlitten hatte und deren Anblick ihn wie ein Lähmungsfluch traf: zwei Schlangen, die sich spielerisch umeinander wanden und so den Buchstaben S ergaben ....
t.b.c.
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Seid ihr noch da? Wenn ja, meldet euch doch bitte mit einem kleinen Review....
