Eines musste man den Elben ja lassen, vom Essen verstanden sie sehr viel. Es wurde von allen Seiten her aufgetischt. Viele geschäftig aussehende Elben in schlichten Kleidern brachten Schüsseln, Teller und Schalen. Eine nette Elbin schenkte mir eine undefinierbare Flüssigkeit ein. Sie sah aus wie Wein, roch aber sehr süßlich. Als ich daran nippte, hatte ich mich wiedereinmal in den Elben getäuscht. Vorzüglich, es schmeckte wie Traubensaft mit Honig, und gar nicht nach Alkohol. Aber es war doch welcher drin, was ich leider erst später bemerkte.
Mir gegenüber saß eine Elbin mit schwarzem Haar und einem silbernen Stirnreif. Elrond sprach sehr viel mit ihr. Ich ging davon aus, das es sich um seine Tochter Arwen handelte. Wie ich später erfuhr, weilte sie zur Zeit bei ihrer Großmutter Galadriel in Lothlórien und war nur für ein paar Tage zu Besuch hier. Neben ihr saß eine blonde Elbin, die mir ständig freundlich zunickte. Sie kam mir etwas anders vor, als die Elben, die ich bis jetzt gesehen hatte. Sie war viel kleiner und hatte einen nicht ganz so eitlen Gesichtsausdruck.
Legolas bemerkte wohl, das ich mich über sie wunderte. „Das ist Niniél, sie ist eine Halbelbin und kommt aus einem der westlichen Königreiche. Ihre Mutter ist von Lord Elronds Familie. Sie ist hier, um von Lord Elrond eine angemessene Erziehung zu bekommen".
„Erziehung? Was soll das denn heißen?" Mit fragendem Gesicht sah ich ihn an. „Sie hat viel von ihrem Vater im Blut und ist sehr.., sagen wir mal, abenteuerlustig. Sie soll hier die Geschichte der Valar lernen und ..."
„Und wie man sich als eine Halbelbin benimmt?" Legolas nickte. Die hatten hier ja Sitten. Was sollte das denn, nur weil man sich nicht so stocksteif geben wollte, wurde man gleich in die Besserungsanstalt geschickt?
„Sie soll Euch, zusammen mit Lord Elrond, bei Eurer Aufgabe zur Hand gehen." Von seinem Namen aufmerksam geworden, blickte Elrond zu mir. „Aber damit fangen wir erst morgen an. Heute wollen wir auch nicht mehr von der Arbeit sprechen, die noch vor uns liegt. Lasset das Fest beginnen."
Den letzten Satz sagte er lauter, so daß gleich einige Elben aufstanden und anfingen Musik zu spielen. Die Tafel wurde wieder abgeräumt und beim aufstehen merkte ich, das ich doch ein Glas zu viel von dem Traubensaft getrunken hatte. Ich schwankte etwas auf den Beinen. Sofort ergriff Legolas meine Hand und legte mir seinen Arm um die Taille.
Ich wusste nicht, ob es vom Alkohol oder von seinem Arm war, aber da war wieder dieses Kribbeln in meinem Bauch. Ich tippte ja auf letzteres. Ich merkte, wie ich langsam rot wurde. Er war mir so nah, das ich seinen Atem an meinem Gesicht spüren konnte. Wenn wir jetzt allein gewesen wären, hätte ich mich sicher zu ihm umgedreht. Aber um uns herum fingen immer mehr Elben an zu tanzen.
„Danke, Legolas. Es geht wieder." Aber er machte keine Anstalten, mich los zu lassen. „Wollen wir uns draußen ein wenig setzen?" Nur du und ich? Oh, dieses Kribbeln wurde immer stärker. „Gern." Es klang etwas gequält, aber mehr brachte ich in diesem Moment nicht heraus.
Wir gingen durch einen der zahlreichen Torbögen nach draußen. Es war wohl schon fast Mitternacht und die Sterne leuchteten klar und hell vom Himmel. Ein leichter Wind wehte durch die Baumkronen. Wir gingen über die Terrasse zu einer Bank, die neben einer tiefhängenden Weide stand. Eine Weile saßen wir schweigend nebeneinander.
Er hielt mich noch immer im Arm und mit dem Daumen der anderen Hand strich er zärtlich über meinen Handrücken. Er empfand scheinbar viel für mich, was dem Bauchkribbeln in mir nicht gerade sehr viel Abhilfe schaffte. Ich mußte es ihm sagen, wenn auch nicht die ganze Wahrheit. „Legolas, ich muss dir etwas sagen".
Voller Erwartung blickten mich seine tiefen blauen Augen an. Ok, jetzt oder nie! „Ich kann mich an nichts mehr erinnern, was vor meinem Ritt vor drei Tagen war. Das letzte, was ich weiß, ist, das ich mit dem Pferd hier her geritten bin." Besorgnis machte sich in seinem Gesicht breit. „Das verstehe ich nicht."
Ich war gar nicht echt hier, das war nur ein Traum von mir. Ich kam aus einer Welt, wo Mittelerde in Büchern erfunden worden war und du existierst gar nicht wirklich. Würde er das verstehen? Sicher nicht. „Ich habe meine Erinnerung an meine Vergangenheit verloren. Und ich weiß nicht, wie ich sie wieder bekommen kann. Und sag nicht, die kommt schon wieder, das hat Ilianoth auch gesagt, und bis jetzt ist noch nichts passiert."
„Ihre erinnert Euch an gar nichts? Auch nicht an..." Er ließ meine Hand los und nahm seinen Arm von meiner Taille weg. „Nein, leider auch nicht an dich." Ein leichtes Aufblitzen war in seinen Augen zu sehen. „Leider? Ihr müsst mit Lord Elrond sprechen. Er wird wissen, was zu tun ist." Langsam stieg mir der Alkohol zu Kopf. Ich wurde müde und mir war kalt geworden, seit er mich nicht mehr im Arm hielt. „Ich werde jetzt besser schlafen gehen."
„Ich werde Euch zu Eurem Zimmer begleiten." Er stand auf und reichte mir seinen Arm. Ich hakte mich bei ihm ein, und schweigend gingen wir durch einige Räume und Flure. Allein hätte ich mein Zimmer sicher nie gefunden. In den Fluren waren überall an den Wänden Kerzen entzündet worden. Durch einige offenstehende Türen schimmerte Mondlicht. Leider viel zu schnell waren wir vor meiner Zimmertür angekommen.
Ich drehte mich mit dem Rücken zur Tür und sah, das seine Augen mich traurig ansahen. Er kam näher an mich heran und nah meine rechte Hand. Er hob sie ein wenig an und beugte sich über sie. Sein Kopf war jetzt ganz dicht an meinem. Ich konnte wieder seinen unbeschreiblichen Duft riechen. Er küsste meinen Handrücken und erhob sich wieder. Sein Atem streife dabei mein Gesicht.
„Ich wünsche Euch eine angenehme Nacht. Ich werde Lord Elrond über Euren Gedächtnisverlust unterrichten. Wenn es Euch recht ist, hole ich Euch morgen zum Frühstück ab?"
Und wie mir das recht war. Allein schon der Gedanke, das ich ihn gleich morgen früh wiedersehen würde, ließ mein Herz Purzelbäume schlagen. Ich setzte mein schönstes Lächeln auf. „Gerne, ich würde mich sehr freuen." Ein Lächeln huschte über sein Gesicht.
„Gute Nacht" Damit drehte er sich um und verschwand hinter der nächsten Ecke. Ich lehnte mich mit dem Rücken an die Tür, als die plötzlich aufgerissen wurde. Ich wäre beinah nach hinten umgekippt. „Ilianoth! Was machst du denn hier?"
„Ich hatte Stimmen gehört, und wollte nachsehen, ob Ihr es seid. Ich hatte Euer nasses Kleid gefunden und mir Sorgen um Euch gemacht".
„Ach so, das Kleid. Ja ich bin schwimmen gegangen." Schuldbewusst blickte ich zu Boden. „Mit dem Kleid?" Ja, sehr glaubwürdig klang das nicht. Ich hätte mir das sicher auch nicht geglaubt. „Und warum tragt Ihr jetzt dieses Kleid? Ihr sagtet doch, Ihr wollt Euch mit der Entscheidung noch Zeit lassen".
Jetzt wurde ich aber langsam sauer. Wenn die mir jetzt nicht sofort sagte, was das mit dem Kleid sollte, dann zog ich mir morgen einen Kartoffelsack an.
Meinem Blick entnahm sie wohl, das ich mich wirklich nicht mehr erinnern konnte. „Ihr könnt Euch also immer noch nicht an das Vergangene erinnern?" Fragte sie mit einem bedauernden Unterton in der Stimme. „Nein, kannst du mich bitte aufklären, was es mit dem Kleid auf sich hat?"
„Nun, dieses Kleid schenkte Euch Prinz Legolas. Ihr solltet es tragen, wenn Ihr Euch für ihn entscheiden habt." Was, für ihn entscheiden? Warum hing den da auch kein Zettel dran? Woher sollte ich das denn wissen? Oh Mist, jetzt wusste ich auch, warum er so enttäuscht geschaut hatte, als er begriffen hatte, das ich nicht wusste, was ich da für ein Kleid trug.
„Ilianoth, bitte erzähle mir, was ich hier mache. Was ist meine Aufgabe, von der Lord Elrond immer erzählt und wieso sollte ich mich für Legolas entscheiden?" Sie zog die beiden Stühle von Schreibtisch heran und bat mich, Platz zu nehmen. Ok, das würde also eine längere Geschichte werden.
„Ihr seid einen Nachkomme der Maia Melian. Sie war es, die um Doriath einen Banngürtel legte und so nichts böses hineinließ. In Euch steckt auch diese Kraft. Und da das Böse in Mittelerde immer mehr an Stärke zunimmt, habt Ihr mit dem Rat der Elben und Zauberer beschlossen, wie damals einen Banngürtel zu legen. Aber nicht nur um ein Reich, sondern für ganz Mittelerde, um das Böse für immer fern zu halten. Aus alten Schriften geht hervor, das Ihr dazu in der Lage seit."
OH MEIN GOTT, was war ich? Das darf doch nicht war sein. Ich sollte ganz Mittelerde verzaubern und konnt noch nicht einmal den einfachsten Kartentrick. „Und was hat es jetzt mit Legolas auf sich?"
„Um die ganze Kraft in Euch zu wecken und hervor zu bringen, müßt Ihr ein Kind, aus tiefster Liebe gezeugt, in Euch tragen. Nur dann gelangt Ihr zu der vollen Kraft und Stärke die Euch die Valar gegeben haben." Sagte sie leise. „Und wie bin ich an Legolas geraten?"
„Ihr hattet viele Begleiter in Eurem bisherigen Dasein, aber Euer Herz habt Ihr noch keinem geschenkt. Prinz Legolas ist Euch bei einem Fest seines Vaters begegnet. Anfangs wart Ihr mit seiner Gegenwart nicht einverstanden und Ihr seid ihm aus dem Weg gegangen. Aber nach einigen Tagen verbrachtet Ihr ein wenig Zeit mit ihm und wart ihm nicht mehr so abgeneigt gegenüber. Und als wir nach einer Woche wieder hier in Bruchtal waren, sagtet Ihr zu mir, das Ihr ihn vermissen würdet. Und Ihr glaubtet, das er der sein könnte, dem Ihr Euer Herz schenken würdet. Er selber wusste von Eurer Aufgabe nichts. Sein Vater jedoch war über Euch informiert. Und als er hörte, das Ihr an seinem Sohn Interesse kund tatet, ließ er seinen Sohn zu sich rufen. Er fragte ihn, wie es um seine Zuneigung für Euch stand. Wie mir berichtet wurde, war er sehr erfreut über Euer Interesse und machte sich sogleich auf den Weg hier nach Bruchtal. Zwei Tage, bevor Ihr von Eurem Pferd gestürzt seid, ist er angekommen."
Hey, ich war immer noch allein vom Pferd gekommen. Und ich war doch nur ohnmächtig geworden, das würde ja noch erlaubt sein. Ilianoth stand auf und rückte ihren Stuhl wieder an den Schreibtisch. „Ich werde Euch jetzt allein lassen. Ich bin ja nebenan in meinem Zimmer. Ruft mich, wenn Ihr noch etwas braucht."
„Ja, danke. Gute Nacht" Erst jetzt sah ich, das neben dem Kleiderschrank, hinter einem der Vorhänge, noch eine Tür war. Ilianoth verschwand durch diese, und ich saß wieder allein in meinem Zimmer.
