Kapitel 6 oder Niniél und viel zu lernen
Als ich die Tür öffnete, sah ich wieder diese blauen Augen.
„Legolas."
„Ich hole Euch, wie versprochen, zum Frühstück ab. Seid Ihr fertig?"
„Ja, und ich hab mächtigen Hunger."
Er grinste mich an und schon hatte ich mich wieder bei ihm eingehakt. Daran könnte ich mich echt gewöhnen. Langsam fand ich immer mehr Gefallen an ihm. Er war immer so nett und fürsorglich zu mir. Und er sah so verdammt gut aus. Ob Elrond ihm von meiner Vision erzählt hatte? Dann würde er wissen, das ich mich wohl für ihn entschieden hatte. Zumindest sagte das die Vision. Ich konnte mich ja noch anders entscheiden.
Wir kamen in einem kleinen Saal an. Es waren mehrere Tische im Raum verteilt. Nur an wenigen saßen ein paar Elben und aßen.
„Wo möchtet Ihr Euch setzten?"
Oh, cool, diesmal darf ich mir das sogar aussuchen.
„Ihr könnt auch draußen auf der Terrasse frühstücken."
„Ja, das würde ich sehr gerne. Draußen ist es sicher angenehmer. Danke."
Wir gingen auf die Terrassen, wo auch sogleich zwei Elbin Essen und einen Krug Wasser brachten. Legolas zog mir einen Stuhl vom Tisch und ich setze mich.
„Ich werde Euch jetzt aber keine Gesellschaft leisten. Ich habe Niniél gebeten, dies zu tun. Ich werde mich in der Zwischenzeit um Euer Pferd kümmern."
Von drinnen kam die kleine Elbin von gestern Abend und setzte sich zu mir an den Tisch.
„Oh.., ok. Wann sehen wir uns wieder?"
Man wird ja noch fragen dürfen, wenn ich wahrscheinlich mit ihm... , na ja, das Kind.
„Ich würde mich freuen, Euch nach der Arbeit in der Bibliothek zu einem Spaziergang einladen zu dürfen."
„Das klingt sehr verlocken. Ich nehme die Einladung gerne an."
Er lächelte mich an, verbeugte sich vor mir und ging über eine Treppe von der Terrasse. Einen Moment lang sah ich ihm noch nach. Er sah so stolz und stark aus, wie er an dem Brunnen vor der Treppe langging. Und erst dieser Hintern.
„Ich hoffe, es stört nicht, das ich mit hier frühstücke?"
Ich drehte mich um, Niniél, die hatte ich bei all dem schmachten total vergessen.
„Nein, ganz und gar nicht. Ich bin froh, wenn ich nicht alleine sein muß."
„Das ist gut, ich komme mir hier auch manchmal richtig einsam vor. Immer nur lernen und Disziplin. Das ist auf die Dauer ganz schön eintönig."
Hey, die gefällt mir. Die scheint ja echt nett zu sein. Nicht so steif und edel wie die anderen hier.
„Du kommst nicht von hier, richtig? Legolas hat mir erzählt, warum du hier bist."
„Nein, ich komme aus einem kleinen Reich bei den blauen Bergen, nahe der Grauen Anfurten. Mein Vater stammt aus Rohan, und meine Mutter ist aus der Familie von Elrond."
„Und was genau sollst du hier eigentlich?"
„Ich war meiner Familie zu viel unterwegs. Ich bin oft tagelang mit meinem Pferd unterwegs gewesen um die Gegend zu bereisen und irgendwas zu erleben. Zu hause ist mir einfach die Decke auf den Kopf gefallen. Ich habe auch oft das kleine Volk im Auenland besucht. Auf meinem Weg hierher bin ich sogar in Bree gewesen. Das war echt aufregend. Da waren die verschiedensten Völker in dem Gasthaus."
„Das Gasthaus zum tänzelnden Pony?"
„Ja, genau, du kennst es?"
„Ja, aber ich war noch nie selber dort".
Was ja nicht einmal gelogen war.
„Ich bin wirklich froh, das wir uns kennen gelernt haben. Du bist ganz anders, als die meisten Elben hier."
Sie erzählte mir, während wir unser Frühstück aßen, was sie schon alles erlebt hatte. Sie war viel mit ihrem Pferd unterwegs gewesen und hatte Hobbits, Zwerge und auch Waldläufer gesehen. Ob sie wohl auch Aragorn kannte? Und ob sie Bilbo schon mal über den Weg gelaufen war? Ich fragte sie sehr wenig, weil sie froh zu sein schien, in mir einen dankbaren Zuhörer gefunden zu haben. Ich vergaß völlig die Zeit und hörte gerade, wie Niniél von den Orks erzählte, die sie einmal gesehen hatte, als plötzlich Ilianoth hinter mir stand.
„Lord Elrond erwartet Euch bereits."
„Oh, daran hatte ich gar nicht mehr gedacht. Wir kommen sofort."
Sie ging wieder ins Haus und die zwei Elbin von vorhin fingen an, unseren Tisch abzuräumen.
„Na gut, dann also wieder lernen, lernen und nochmals lernen."
Ich mußte grinsen, als Niniél das sagte. Sie erinnerte mich sehr an meine Zeit in der Schule. Ich hatte es auch immer gehasst. Ich mußte auch immer, meiner Meinung nach, viel zu viel lernen und hatte kaum Zeit mit Freunden was zu unternehmen.
Da ich den Weg nicht kannte, hakte ich mich bei ihr unter. Sie kicherte, grinste mich an und gemeinsam gingen wir herumalbernd zur Bibliothek.
Die Tür stand offen, als wir ankamen. Wir traten ein. Es war ein großer, heller Raum, der viele Fenster zu allen Seiten hatte. Überall an den Wänden standen Regale mit Büchern, Schriftrollen und einzelnen Papierstücken. Ein großer Schreibtisch stand am ende des Raumes. Elrond saß daran und studierte gerade ein größeres Stück Papier. Es war die Karte von Mittelerde, die ich mitgebracht hatte. Als er uns bemerkte sah er von der Karte auf.
„Niniél, bring mir bitte die Bücher, an denen wir zuletzt gearbeitet hatten."
Niniél ging zu einigen Regalen und stapelte einige Bücher in ihren Arm.
„Lady Melian, setzt Euch doch bitte. Ich habe mir die Karte von dem fahrenden Händler etwas genauer angesehen. Mir ist da etwas aufgefallen."
Ich setzt mich vor seinen Schreibtisch auf einen Stuhl.
„Was ist di...,Euch denn aufgefallen?"
Ups, jetzt hätte ich beinahe dir gesagt. Bei ihm muß ich wohl auch die höflichere Ansprache nehmen.
„Mir ist aufgefallen, das die Grenzen der einzelnen Reiche überhaupt nicht eingezeichnet sind. Es ist nirgends auch nur eine Andeutung einer Grenze zu sehen. Und in Zeiten wie dieser wird es wohl keinen Kartenschreiber geben, der diese nicht einzeichnet."
„Vielleicht ist es eine ältere Karte?"
„Nein, es muß eine erst vor kurzer Zeit gezeichnete sein. Das gesamte Auenland ist sehr genau eingezeichnet, und über die vollen Ausmaße vom Auenland haben die Kartenschreiber erst vor einiger Zeit erfahren. Das ist alles sehr merkwürdig."
Hm, ich konnte mir da keinen Reim drauf machen, daß das so merkwürdig zu sein schien. Wenn ich mich recht erinnere, sieht die Karte genau so aus, wie die, die in meinem Wohnzimmer hängt.
Niniél kam inzwischen mit einem großen Stapel Bücher an den Tisch. Sie setzte sich neben mich und begann, jedes der Bücher aufzuschlagen und an bestimmte Stellen zu blättern.
Die nächsten Stunden verbrachten wir damit, über den Banngürtel von Doriath und seine Entstehung zu lesen. Elrond erzählte mir, wie die damalige Melian ihre Kräfte dafür benutze und wie sie ihn entstehen ließ. Es war wohl so eine Art Zeremonie dafür nötig, um den Banngürtel für ganz Mittelerde zu erschaffen.
Ich hab gerade einmal die Hälfte von dem, was ich erfahren hatte, behalten und verstanden. Soviel Magie und Macht und all das..., das war echt zu viel auf einmal. Ich erwischte mich immer wieder, wie ich an Legolas denken mußte. Was er jetzt wohl gerade machte. Er wollte doch mein Pferd reiten. Ja, reiten, das wäre jetzt genau das richtige. Wie Legolas wohl auf dem Pferd aussieht?
Man kann mir erzählen, was man will, Elben können Gedanken lesen.
Elrond klappte ein dickes Buch zu und sah mir in die Augen.
„Ich denke, für heute haben wir genug getan. Ihr solltet wieder nach draußen gehen, Ihr seid schon ganz blass geworden."
Hab ich's nicht gesagt, Gedanken lesen. Ich erhob mich und schaute zu Niniél. Sie wollte auch gerade aufstehen.
„Niniél, du hast noch zu tun. Ihr werdet euch erst beim Abendmahl sehen. Lady Melian wird sich in die Begleitung von Prinz Legolas begeben, da ist deine Anwesenheit nicht erforderlich."
Oh je, das find ich jetzt aber fies. Sie hat auch die ganze Zeit hier gesessen und gelesen. Und wahrscheinlich hat sie sogar mehr begriffen, wie ich. Nicht nur wahrscheinlich. Sie tat mir schrecklich leid, als sie losging um noch mehr Bücher und Schriftrollen zu holen.
„Seit bitte nicht so streng zu ihr. Lord Elrond. Sie ist so liebenswert. Ich bin gern in ihrer Gesellschaft."
Er zog die Augenbrauen hoch, aber er lächelte. Ich drehte mich um und ging aus der Bibliothek.
Auf dem Flur begegnete ich einer der Elbin, die ich bei Frühstück gesehen hatte. Ich fragte sie, ob sie mir den Weg zum Pferdestall zeigen könnte. Da sie auch auf dem Weg dahin war, begleitet sie mich. Draußen war die Luft herrlich. Die Sonne stand hoch oben am Himmel und schien durch die Blätter der Baumkronen. Es muß kurz nach Mittag gewesen sein. Wir gingen an einem bereich vorbei, wo einige Elben Schießübungen mit dem Bogen machten. Etwas weiter saßen einige Elbinen unter einem Baum im Schatten und sangen ein wunderschön klingendes Lied.
„So, da wären wir."
Sie blieb stehen und deutete auf die Stallungen.
„Habt vielen Dank für deine Hilfe."
Ich ging auf eine der Türen des Stalles zu. Ein freundliches Wiehern kam mir entgegen. Im Stall war es hell und sauber. Die Pferde standen in großen Boxen ohne Gitter oder ähnliches. Es duftete nach frischem Heu. Ich blieb vor der Box stehen, in der der Schimmel stand, auf dem ich geritten war. Neben ihm in der Box stand die kleine braune Stute, von der mir Niniél erzählt hatte, das es ihre sein. Sie war wirklich hübsch. Ein kräftiger Braunton, fast schwarze Mähne und eine lange weiße Blässe. Mein Schimmel begrüßte mich freundlich und legte mir seinen Kopf auf die Schulter. Er war frisch gestriegelt, aber nicht geritten worden. Mein Blick viel auf das Sattelzeug neben seiner Box.
„Na, wie wär's mit uns beiden. Machen wir einen kleinen Ritt?"
Aufmunternd schnaubte er und scharrte mit den Huf.
„Ancórdar hat seine Herrin sehr vermisst."
Erschrocken drehte ich mich um. Legolas stand hinter mir. Er trat an die Box und strich dem Schimmel über seinen kräftigen Hals.
„Ich möchte mit ihm ausreiten. Ich bin schon so lange nicht mehr geritten."
„Ihr solltet Euch doch noch schonen. Aber wenn Ihr unbedingt wollt, nehmt eines von Lord Elronds Pferden. Ancórdar ist noch zu kräftig für Euch."
Für wen hält der mich, das ich nicht mit dem Pferd fertig werde. Der sollte mich mal auf meinem Pony sehen, wenn das wieder Rodeo spielt.
„Nein, ich werde mein Pferd reiten. Du hast selber gesagt, das er mich vermisst hat. Ich werd schon nicht runterfallen. Du kannst mich ja begleiten."
Ich blitze ihn mit den Augen an, dreht mich um und griff nach dem Sattel.
„ Lasst mich das für Euch machen. Ihr müßt Euch ja auch noch umziehen. Und begleiten tue ich Euch auf jeden Fall."
Er stand ganz dich hinter mir, so das ich seinen Atem an meinem Hals spüren konnte. Langsam dreht ich mich zu ihm um. Eigentlich wollte ich mich nicht geschlagen gebe, aber mit dem Kleid konnte ich wirklich nicht reiten gehen.
„Einverstanden."
Er griff unter den Sattel, um ihn mir anzunehmen. Dabei trafen sich unsere Hände. Es fühlte sich an wie ein Stromschlag und ich merkte, wie ich langsam wieder rot wurde.
Ich drückte ihm den Sattel in die Hand und rannte aus dem Stall ohne mich noch einmal umzusehen.
Gott, wie peinlich, ich führe mich auf wie ein Teenager, schoss es mir durch den Kopf.
Auf dem Platz vor dem Stall sah ich Ilianoth. Ich rannte zu ihr rüber.
„Ilianoth, du mußt mir helfen. Ich will ausreiten und brauch dringend was anderes zum anziehen."
„Seit Ihr Euch auch sicher, das ihr schon wieder bei vollen Kräften seit?"
„Ja doch, mir geht es gut. Und außerdem reite ich ja nicht allein, Legolas begleitet mich."
Diese ständige Sorge ging mir langsam auf dem Keks.
Ein breites Grinsen legte sich über ihr Gesicht.
„Ich habe Euer grünes Reitkleid schon bereit gelegt. Ich dachte mir schon, das Ihr nicht lange auf Euer Pferd verzichten könnt."
Und da hatte sie völlig recht. Die drei Tage ohne reiten kamen mir wie eine halbe Ewigkeit vor.
Wie gingen zusammen in mein Zimmer und sie half mir wieder beim anziehen. Ich zog ein Hemd und eine Leggins an. Darüber einen langen Mantel, der geschlossen wie ein Kleid aussah. Er hatte vorne und hinten hohe Schlitze, so das er an beiden Seiten des Pferdes runterhängen konnte, ohne das ich nur in den engen Hosen auf dem Pferd saß.
Ich beeilte mich, schnell wieder zum Stall zu kommen. Auf dem Weg dort hin sah ich Niniél, wie sie mit einigen anderen Elben Schießübungen mit dem Bogen machte. Hatte sie Elrond doch entlassen. Ich grinste vor mich hin, als ich sie fröhlich mit den anderen schießen sah. Sie schien bei weitem besser zu sein, als die anderen. Bei jedem Treffer drehte sie sich umher und jubelte.
Als ich beim Stall ankam, stand Legolas mit Ancórdar und einem weiteren gesattelten Schimmel davor. Ich ging zu Ancórdar und überprüfte den Sattelgurt.
„Traut Ihr mir etwa nicht?"
„Doch, aber ich schaue immer lieber selber noch mal nach. Sicher ist sicher."
Er grinste mich an und hielt mein Pferd am Zügel.
„Soll ich Euch raufhelfen?"
Also wenn ich das jetzt nicht mehr alleine hinkriege, dann weiß ich auch nicht mehr.
Ich versuchte so elegant wie möglich auf den Rücken des Pferdes zu kommen. War zwar nicht ganz einfach, weil es im Gegensatz zu meinem Pony doch ganz schön groß war, aber es gelang mir. Triumphierend sah ich ihn von oben an.
„Siehst du, klappt auch ohne Hilfe."
Er lachte, strich Ancórdar über die Nase und ging zu seinem Pferd.
„Was gibt's denn da zu lachen?"
Irgendwie war er mir immer ein Stück voraus.
„Ihr habt zwar Eure Erinnerung verloren, aber an Eurem Verhalten hat sich nicht ein bisschen verändert. Seit ich Euch kenne, wolltet Ihr Euch von keinem helfen lassen und immer alles allein machen."
Das gehört sich ja auch so, noch nie was von Emanzipation gehört?
Der weiterziehenden Sonne folgend ritten wir los.
