Kapitel 8 ich hatte mich entschieden

Ich muß eingeschlafen sein, denn als ich die Augen öffnete, legte mich Legolas sanft auf mein Bett. Er strich mir mit der Hand über den Kopf und küsste mich auf die Stirn.

„Ruhet ein bisschen. Ich werde Euch zum Abendmahl abholen."

Ich war total fertig und konnte nicht sagen. Ilianoth zog mir die Stiefel aus und deckte mich zu. Sie zog die Vorhänge zu und verließ den Raum. Ich schloss die Augen und viel sogleich in einen tiefen Schlaf.

Ich träumte. Ich sah Ancórdar, wie er am Fluß stand. Ich ging auf hin zu, er wich nicht zurück. Er ließ mich ganz nah an sich herankommen. Ich berührte ihn und strich ihm über den Hals. Seine Wunde war fast nicht mehr zu sehen, doch sein Fell war nicht mehr so weiß und glänzend. Ich ging mit ihm ins Wasser und wusch ihm den Dreck von den Beinen. Das Wasser war sehr kalt, doch es schien ihm gut zu tun. Ich hatte nur ein Nachthemd und einen dünnen Seidenmantel an. Ich zog den Mantel aus, machte ihn nass und säuberte damit das Fell von Ancórdar.

Dann sah ich mich auf ihm sitzen, ganz ohne eine Zäumung, und wir schauten auf das weite Land hinaus. Dunkle Wolken zogen herauf und überzogen das Land. Ein Schrecken machte sich in mir breit.

Ich stand an einem Brunnen und sah hinein. Neben mir stand die Elbin aus meinem letzten Traum. Ich wollte in den Brunnen auf das Wasser sehen, doch ich konnte nicht. Irgendjemand hielt mich zurück. Es war Legolas, er hatte ein Kind in Tücher gewickelt im Arm.

„Wir müssen fort, sie werden bald hier sein."

Angst und Besorgnis war in seinen Augen zu lesen.

Dann sah ich immer wieder Ancórdar, und ich ritt auf ihm.

Langsam wachte ich wieder auf. Mein Zimmer war leer und dunkel. Ich stand auf und zog mir den Morgenmantel an. Ich stutze ein wenig, es war der aus meinem Traum. Ich ging kurz ins Bad und wusch mir das Gesicht. Dann trat ich auf den Balkon heraus. Es war schon Abend geworden. Nur noch wenige Elben waren draußen zu sehen. Die meisten waren in grün gekleidet, und zogen los, um auf Nachtwache zu gehen. Nach dem Vorfall mit den Wargen hatte Elrond sicher die Wachen verstärken lassen. Die Sonne war schon fast unter gegangen und überall brannten Fackeln und Kerzen. Der Wind hatte zugenommen, ich fror.

Ich hörte, wie jemand in mein Zimmer kam und ging wieder rein. Es waren Ilianoth und Legolas. Ilianoth sah sehr bedrückt aus und auch Legolas Gesichtsausdruck brachte mir keine gute Laune.

„Habt ihr schon was neues von Ancórdar gehört?"

Ilianoth senkte den Kopf und verschwand im Bad.

Legolas trat auf mich zu. Er hob die Hand und strich mir eine Haarsträne auch dem Gesicht. Zärtlich fuhr er mit den Finger über meine Wange.

„Ich habe ihn gesehen, aber er läßt keinen in seine Nähe kommen. Seine Wunde hat aufgehört zu bluten, aber er ist noch immer sehr schwach."

„Kann ich morgen zu ihm?"

Legolas hielt mein Gesicht und strich mit dem Daumen über meine Lippen. Er sah mir tief in die Augen.

„Ihr könnt es versuchen. Aber nicht allein, ich werde Euch begleiten."

Auch wenn mir nicht danach zu mute war, genoss ich seine Berührungen sehr. Ich schloss die Augen und lehnte mich gegen ihn. Er legte die Arme um mich und strich mir über den Rücken.

„Ich hab ihn auch gesehen, in meinem Traum".

„Und was war mit ihm geschehen?"

„Es schien ihm wieder gut zu gehen, ich bin wieder auf ihm geritten. Aber ich habe auch einen Schatten gesehen, viele dunkle Wolken, ich mache mir große Sorgen. Was geschieht, wenn ich nicht in der Lage bin, Mittelerde zu helfen? Was passiert, wenn das Böse zu stark ist, und wir es nicht bekämpfen können?"

Legolas schwieg.

„Ich habe Angst, Legolas. Angst davor zu versagen. Angst davor, das ich das nicht alleine schaffe."

Er schob mich ein Stück von sich weg und nahm mein Gesicht in beide Hände. Klar und bestimmend sahen seine tiefblauen Augen mich an.

„Du bist nicht allein. Ich werde immer bei dir sein. Ich werde dich nie mehr allein lassen."

Sein Gesicht kam näher. Ich spürte seinen Atem auf meiner Haut. Zärtlich berührten seine Lippen die meinen. Ein Schauer ging mir über den Rücken. Mein ganzer Körper erzitterte.

Durch meine Reaktion verunsichert wich Legolas mit seinem Kopf zurück.

In diesem Moment ist mir einiges klar geworden. Ich war in keinem Traum, dies war real. Ich war real, und auch der Kuß von Legolas. Und ich hatte mich entschieden. Für Mittelerde und vor allem für Legolas. Ich war Melian, und ich war in der Lage, Mittelerde vor dem drohenden Unheil zu bewaren. Und das Kind, gezeugt aus tiefster Liebe, das wollte ich in mir tragen. Und Liebe empfand ich für den Mann, der vor mir stand, für Legolas. Und diese Liebe wollte ich ihm schenken.

Ich lächelte ihn an.

„Und ich möchte auch nicht, das du mich alleine läßt. Nie mehr."

Dieses Gefühl, was ich im Moment meiner Worte spürte, war wie ein Feuerwerk, das jeden Moment hochgehen konnte. Ich legte meine Hände um seinen Hals und küsste ihn, wie ich noch nie zuvor einen Mann geküsst hatte. Ich sah und hörte nichts mehr, was um uns war. Alles schien sich um uns zu drehen. Ich spürte seine Lippen, seine Zunge, die sich zärtlich ihren Weg durch meine Lippen bahnte. Seine Arme, wie sie mich umschlungen und mich fest an ihn drückten. Ich wünschte mir, das dieser Kuß nie enden würde.

Doch leider hatte ich da meine Rechnung ohne Niniél gemacht. Sie schlug mit Schwung die Tür auf und kam in mein Zimmer gestürzt.

„Ach hier bist du. Oh, ich störe wohl gerade. Tut mir leid, aber Lord Elrond hat mich geschickt, um zu sehen, wo ihr bleibt."

Lächelnd löste ich mich von Legolas Lippen.

„Sag ihm, wir kommen gleich. Fangt ruhig schon mit dem Essen an."

Niniél hielt sich die Hand vor den Mund und kicherte.

„Aber beeilt euch, heute ist doch Arwens letzter Abend hier. Morgen früh bricht sie wieder nach Lothlórien auf. Heute wird richtig gefeiert."

Sie machte auf dem Absatz kehrt und rannte wieder aus dem Zimmer.

Ich wandte mich wieder zu Legolas. Seine Augen strahlten. Ich spürte, wie mein Herz vor Glück fast zersprang.

„Na, wenn heute richtig gefeiert wird, dann sollten wir uns auch was passendes anziehen."

Legolas war immer noch in seiner Reitkleidung. Er grinste mich an, gab mir einen Kuß auf die Nasenspitze und entließ mich aus seiner Umarmung.

„Dann eile, sonst bin ich wieder schneller."

Ich wollte grad den Mund aufmachen um zu protestieren, da war er schon durch die Tür verschwunden.

„Ilianoth!"

Beschämt schaute Ilianoth um die Ecke aus dem Bad.

„Verzeiht, ich habe Euch mit Prinz Legolas gesehen. Ich wollte grad wieder gehen, als Ihr...na ja, ich.."

Ich ging auf sie zu und umarmte sie.

„Ach Ilianoth. Ich bin so glücklich. Komm schnell, ich muß mir was ganz tolles anziehen. Am beste was weißes, zusammen mit dem Oberkleid, welches ich von Legolas bekommen habe."

Schnell eilte sie zum Schrank, um mir besagte Kleidungsstücke herauszuholen. Ich schlüpfte aus meinem Nachthemd und zog mir Unterwäsche an. Dann zog ich mir das weiße Unterkleid über den Kopf und Ilianoth schnürte es mir am Rücken zu. Es hatte breite Träger und wunderschöne, silberne Verzierungen und Stickerein auf dem Brustteil. Es war sehr lang und hing bis zum Boden. Dann zog ich das roséfarbene Oberkleid mit den langen Trompetenärmeln an und hakte es vorne zu. Ilianoth steckte mir die Hälfte der Haare hoch. Aus einer Kiste im Kleiderschrank holte sie eine kleine schwarze Truhe. Ein silberner Stirnreif lag darin auf rotem Samt gebettet. Vorsichtig setzte sie ihn mir auf.

„Jetzt seh ich wirklich aus wie eine Lady."

Ich drehte mich vor dem Spiegel. Ilianoth stand daneben und hielt sich die gefalteten Hände vor den Mund. Eine Träne lief ihr über die Wange.

„Ihr seht wunderschön aus. Aber jetzt eilt Euch, der Prinz wartet sicher schon auf Euch."

Ich drückte ihr einen Kuß auf die Wange und rannte zur Tür.

„Heute wird richtig gefeiert. Bis die Sonne aufgeht."

Vor Freude überschäumend öffnete ich die Tür und ging auf den Flur.