Wie erwartet stand Legolas schon vor der Tür. Er hatte eine silbergrün schimmernde Tunika an mit wunderschön geschwungenen Schnallen. Als ich so vor ihm stand, mich drehte, war sein Blick göttlich. Ihm ist, bildlich gesagt, fast die Kinnlade runtergeklappt.
„Du.., du siehst..., mir fehlen die Worte."
Das reichte mir. Ich umarmte ihn und gab ihm einen zärtlich Kuß.
„Dich sprachlos zu sehen, ist mir Kompliment genug."
So kindisch, wie ich leider war, wenn ich bis über beide Ohren verliebt war, schnappte ich ihn mir bei der Hand und rannte in Richtung Festsaal. Herrliche Musik schallte uns über den Flur entgegen. Fröhliches Lachen und Singen drang durch die große Flügeltür. Vom Laufen ganz außer Atem hielt ich vor der Tür an. Ich sah zu Legolas hoch. Seine strahlenden Augen verrieten mir, das er in diesem Moment genauso glücklich war wie ich.
„Dann wollten wir mal feiern gehen."
Die Tür öffnete sich und wir traten, uns bei den Händen haltend, ein.
Ein verschmitzt lächelnder Elrond kam, als er uns eintreten sah, auf uns zu. Hatte Niniél doch tatsächlich die Neuigkeit gleich allen erzählt. Er blieb vor uns stehen und sah auf unsere ineinander verschlungene Hände. Seine Hände auf unsere Schultern legend blickte er zu Legolas.
„Ich hoffe, es ist mir gestattet, Euch Lady Melian für einen späteren Tanz zu entziehen?"
„Ich gebe sie nur ungern her, aber bei Euch wäge ich sie in sicheren Händen. Doch ob dies auch ihrem Wunsch entspricht, da müßt Ihr sie selber fragen."
Er drehte sich zu mir, nahm meine Hand und gab mir einen Kuß auf den Handrücken.
„Lady Melian, gestattet Ihr mir die Ehre eines Tanzes mir Euch?"
„Diesen Wunsch werde ich Euch mit Freunde erfüllen, Lord Elrond."
Er lächelte, nickte mir zu und ging einen Schritt beiseite. Ein großer, starkgebauter blonder Elb trat an ihn heran.
„Ich möchte Euch Haldir aus Lothlórien vorstellen. Er wird meine Tochter bei Ihrer Reise begleiten. Haldir, Lady Melian."
„Es ist mir eine große Freude, Eure Bekanntschaft zu machen, Lady Melian."
Das war also Haldir aus Lothlórien. Ich hatte ihn mir immer ein bisschen kleiner als Legolas vorgestellt. Er hatte einen kräftigen Ausdruck in den Augen, aber dabei doch sehr feine Gesichtszüge. Er wirkte sehr edel und stolz. Er verbeugte sich vor mir und gab mir einen Kuß auf den Handrücken.
„Die Freude ist ganz meinerseits."
Er drehte sich zu Legolas und sie begrüßten sich freundlich. Sie schienen sich schon länger zu kennen. Niniél war inzwischen neben mich getreten. Ich beobachtete, wie interessiert sie sich Haldir ansah. Ja, sie sog ihn förmlich in sich auf. Da mußte ich eingreifen.
„Haldir aus Lothlórien. Ich möchte Euch auch jemanden vorstellen. Niniél aus dem Königreich westlich der blauen Berge."
Ein etwas geschockter Gesichtsausdruck Niniél traf mich. Auch Elrond schien etwas überrascht über mich. Haldir ging vor sie, verbeugte sich und gab auch ihr einen Handkuss.
„Es freut mich außerordentlich, ein Mitglied des Königreiches aus dem Westen kennen zu lernen. Würdet Ihr mir die Ehre erweisen und mich bei Tisch Gesellschaft zu leisten?"
Es freute mich sehr, zu sehen, das auch Niniél einmal sprachlos war. Sie konnte nur nicken und wurde auch schon von Haldir am Arm zu Tisch geführt.
Legolas, Elrond und ich lachten über diesen Anblick Niniéls und begaben uns ebenfalls zu Tisch.
Das Essen war wie immer sehr köstlich und es wurde reichhaltig aufgetischt. Dieses Mal war ich mit dem Trinken des Traubensaftes auch etwas zurückhaltender. Ich wollte ja nicht gleich nach dem ersten Tanz schlapp machen. Während des Essens beobachtete ich immer wieder Niniél, die aufgeregt neben Haldir auf dem Stuhl umherrutschte. Sie hing an seinen Lippen und konnte gar nicht genug von seinen Geschichten und Abenteuern hören. Ich beugte mich etwas zu Legolas heran.
„Ich glaub, da haben sich zwei gesucht und gefunden."
„Da hast du sicher recht. Ich hoffe nur, das sie es beim zuhören belässt und nicht mit ihm tanzen will."
„Warum nicht?"
Legolas verzog das Gesicht und grinste.
„Haldir hasst es zu tanzen."
„Wieso das denn, alle Elben tanzen doch recht gern, oder?"
„Das schon, nur Haldir nicht. Er hat beim tanzen zwei linke Füße."
Oh weh, wenn er da mal wieder rauskommt, dachte ich. Niniél wird sicher mit ihm tanzen wollen, so wie ich sie kannte. Sie hatte mir erzählt, wie sehr sie sich immer über die Feste bei ihr zu hause gefreut hatte, und wie sie nächtelang getanzt hatte. Der arme Haldir.
Als das Essen vorüber war und man alles abgeräumt hatte, wurden die Tische an die Seite geschoben, so das eine riesige Tanzfläche entstand. Und die Elben erstaunten mich schon wieder. Ganz hingegen meinen Erwartungen wurde richtig schwungvolle Musik gespielt. Sie erinnerte mich zwar etwas an den Wiener Opernball, aber es machte sich richtig Stimmung unter den Elben breit.
Elrond eröffnete den Abend mit seiner bezaubernd aussehenden Tochter. Ich war ganz überrascht, was Elrond doch für eine gute Figur als Tänzer abgab. Es machte mich ganz kribbelig in den Füßen, wie ich den beiden zusah, so das Legolas nicht lange warten brauchte, als er mir die Hand zur Aufforderung ausstreckte.
Er war ein fantastischer Tänzer. Ich war froh, nicht zu viel vom Traubensaft getrunken zu haben. Bei seinem Tempo wäre mir sicher bald schwindelig geworden. Leider hatte Niniél nicht so viel Glück mit ihrem Tanzpartner. Haldir bemühte sich sichtlich, doch es war ihm anzusehen, wie unangenehm es ihm war, Niniél des öfteren auf die Füße zu treten. Nach einer Weile sah ich Niniél etwas geknickt am Rand sitzen. Sie hatte vergeblich versucht, Haldir ein weiteres mal zum tanzen zu bewegen. Da der Tanz mit Elrond mir noch bevorstand, bat ich Legolas, währenddessen Niniél zum tanzen aufzufordern. Freudestrahlend nahm sie sein Angebot an.
Da Elrond aber noch mit einer anderen Elbin tanzte, nutzte ich die Gelegenheit, ein wenig frische Luft zu schnappen.
Ich ging auf die große Terrasse und setzt mich an den plätschernden Brunnen. Die Sterne standen bereits hoch am Himmel und der Mond strahlte ein sanftes Licht auf die Erde. Viele Fackeln brannten um mich herum. Sie tauchten den gesamten Garten in ein wunderschönes romantisches Licht. Die Nachtwachen machten sich gerade auf den Weg und zogen freundlich grüßend an mir vorüber. Sie taten mir ein wenig leid, das sie an dem prächtigen Fest nicht teilnehmen konnten.
Ich mußte an Ancórdar denken. Wie es ihm wohl im Moment ging. Ich stand auf und begab mich auf den Weg zu den Stallungen. Der warme Geruch von Pferden und der frische Duft von Heu flog mir entgegen, als ich eintrat. Ich ging zu der leeren Box von meinem Pferd. Erschrocken fuhr ich zusammen. Sein Sattel lag über der Tür. Der Gurt war zerrissen und das Leder war mit Blutspuren und Dreck übersäht. Vorsichtig strich ich mit den Fingern über sie Sitzfläche. Näherkommende Schritte brachten mich aus meinen Gedanken. Einige Tränen waren mir über das Gesicht gelaufen. Schnell versteckte ich mich in Ancórdars Box. Ich setzte mich ins Stroh und lehnte mich mit dem Rücken gegen die Wand. Die Schritte gingen vorüber und kamen nicht in den Stall. Ich fuhr mit den Händen durch das Stroh. Auch wenn er nicht hier war, konnte ich seine Gegenwart spüren. Die Erinnerungen an das Geschehen kamen wieder hoch. Es war meine Schuld gewesen. Und ich konnte hier nicht tatenlos herumsitzen und mich auf dem Fest amüsieren, während er irgendwo im Wald verletzt umherirrte. Ich stand auf und klopfte mir das Stroh vom Kleid. Bei den vorhin am Brunnen vorbeiziehenden Wachen hatte ich gehört, das man ihn zuletzt an einem Bach, ganz hier in der Nähe gesehen hatte. Ich ging aus dem Stall und machte mich auf den Weg, ihn zu suchen. Wenn ich alleine zu ihm ging, hatte er sicher keine Furcht, und würde mich an ihn heran lassen. Die anderen würden mein Verschwinden schon nicht so schnell bemerken. Niniél hielt Legolas wohl immer noch auf der Tanzfläche, und Elrond tanzte sicher wieder mit seiner Tochter. Ich nahm mir eine Fackel und ging in den Wald.
Da ich befürchtete, von den Wachen gehört zu werden, rief ich nicht nach ihm. Ziellos irrte ich durch Wald. Nach einiger Zeit erreichte ich den Bach, in den ich vor einigen Tagen gefallen war. Flussaufwärts konnte ich nichts erkennen, doch Flussabwärts sah ich etwas weißes im Mondlicht schimmern.
Es war Ancórdar, ich hatte ihn gefunden. Als ich ihn fast erreicht hatte, blieb ich stehen. Er sah furchtbar aus. Das Hinterbein war mit Blut verschmiert und sein Fell war dreckig und verschrammt. Durch das reißen des Sattelgurtes hatte er eine große Schramme am Bauch. Er hatte sich die Trense heruntergescheuert und sein Vorderbein hatte sich in ihr verfangen. Mit hängendem Kopf stand er vor mir im Mondlicht. Tränen stiegen mir in die Augen. Ich konnte ihn so nicht lassen. Ich mußte ihm von der Trense befreien.
Ganz langsam näherte ich mich ihm. Ich begann, leise mit ihm zu sprechen.
„Mein tapferer Ancórdar, endlich habe ich dich gefunden. Bitte lass mich dir helfen, ich werde dir kein Leid zufügen."
Er spitzte die Ohren, hob den Kopf aber nur ein wenig. Ich kniete mich vor ihm hin. Hätte ich meine Hand ausgestreckt, ich hätte ihn berühren können. Doch ich wartete. Wenn ich eines im Umgang mit Pferden gelernt hatte, dann war es Geduld zu haben. Man sollte dem Tier die Zeit geben, selber zu entscheiden, ob es bleiben oder wegrennen wollte. Und ich sollte Recht behalten.
Nach einiger Zeit, die mir unendlich lang vorkam, hob er seinen Kopf und sah mich an. Langsam streckte ich ihm meine Hand entgegen. Er machte einen Schritt auf mich zu und berührte meine Hand mit seinen Nüstern. Behutsam strich ich ihm über sein Maul. Er rührte sich nicht und ließ mich ihn am ganzen Kopf streicheln. Ich richtete mich vorsichtig auf. Ich strich an seinem Hals entlang. Über seine Schulter fuhr ich mit meiner Hand das Bein herunter. Sanft hob ich es an und befreite ihn von der Trense. Als ich das Bein wieder absetzte schnaubte er zufrieden. Ich wollte mich gerade wieder hinstellen, als ich eine laute Stimme hörte.
„Heja, vorwärts mein alter Junge. Bis zu den Trollhöhen ist es noch ein weiter Weg und ich muß bis ende nächsten Tages dort sein."
Von der Stimme aufgeschreckt, rannte Ancórdar mich um und verschwand Flussaufwärts. Auf den Knien kriechend versteckte ich mich unter einem Busch. Es war ein Mann mit einem Pferdekarren. Nur eine kleine Lampe an seinem Karren spendete ihm ein wenig Licht. Kurz vor meinem Versteck hielt er an.
„Hast du das gesehen, alter Junge? Da war doch was am Bach. Hast du nichts gesehen?"
Er stand von seinem Sitz auf und schaute am Bach entlang. Er war mir unheimlich. Ich bewegte mich nicht und hielt den Atem an.
„Hm, ich war mir sicher, etwas gesehen zu haben. Naja wenn, dann war es sicher nichts von großem Wert für mich."
Mir blieb fast das Herz stehen. Das war die Stimme von des alten Mannes vom Flohmarkt.
Ich überlegte mir, ob ich aufstehen und weglaufen sollte, als ich eine weitere Stimme hörte.
„Haltet ein. Was macht Ihr im Reiche Lord Elronds? Wer seid Ihr? Gebt Euch zu erkennen!"
Es war ein Elb von der Nachtwache. Von seinen lauten Worten müssen sie alarmiert worden sein.
„Oh, verzeiht, werter Herr Elb. Ich komme über das Nebelgebirge und bin auf dem Weg nach Bree. Ich wusste nicht, das dies schon zu Bruchtal gehört. Ich dachte, es sei nur ein schnellerer Weg zu den Trollhöhen. Ich hatte nicht beabsichtigt in irgendjemanden Reiches einzudringen. Erlaubt, das ich mich kurz vorstelle. Ich bin Toral von den Eisenbergen, meineszeitens Kartenschreiber von Beruf. Vielleicht können wir einen Handel machen. Ich bin auch ein guter Übersetzer von Zwergesschriften."
„Und was wollt Ihr dafür erlangen, Toral von den Eisenbergen?"
„Nun, ein Nachtlager, vielleicht etwas zu essen und frisches Wasser für mein Pferd."
Ein zweiter Elb war inzwischen hinzugekommen. Sie berieten sich kurz und richteten sich dann wieder zu dem alten Mann.
„Wir werden Euch begleiten und Lord Elrond über Eure Anwesenheit informieren. Es ist Euch aber nicht gestattet, das Haus zu betreten, Ihr werdet im Stall quartieren."
„Das soll mir recht sein. Heja alter Junge, heute Nacht darfst du dich auf frischem Stroh ausruhen."
Der Karren setzte sich in Begleitung der beiden Elben in Bewegung und sie fuhren auf dem Waldweg in Richtung Haus. Ich erwachte langsam aus meiner Erstarrung. Ohne lange zu überlegen rannte ich auf direktem Weg zum Haus zurück. Wenn ich mich beeilte, war ich vor ihnen dort. Ich raffte mein Rock hoch und rannte so schnell ich konnte.
