Kapitel 11 oder angreifen und verschwinden

Dieser Traum war anders, als die ersten, die ich hatte. Er war viel realer, viel intensiver. Aber noch etwas war anders. Ich träumte nicht aus meiner Sicht, sondern stand daneben und schaute nur zu.

Ich stand in meinem Zimmer. Auf dem Bett sah ich mich mit Legolas liegen. Wir schliefen beide. Ich ging im Zimmer umher und sah mich um. Ich konnte nichts besonderes oder außergewöhnliches entdecken. Es war Nacht, über die Terrasse schien das Mondlicht ins Zimmer. Ich wollte gerade auf die Terrasse heraustreten, als meine Zimmertür aufging. Ich erschrak, und blieb, unfähig mich zu bewegen, oder etwas zu sagen, unter den Torbögen stehen.

Toral trat ins Zimmer. Er war ganz in schwarz gekleidet. Er hatte einen langen, zerlumpten Umhang über den Schultern. Eine Schwertspitze schaute unter dem Umhang hervor. Ich wollte etwas sagen, wollte schreien, doch meine Kehle war wie zugeschnürt. Es kam kein Laut heraus. Ich wollte auf ihn losgehen, ihn angreifen, doch konnte meine Beine nicht vom Boden heben, meine Arme nicht bewegen. Ich war völlig machtlos. Ich mußte mit ansehen, wie er sich vor das Bett stellt und sein Schwert zog.

„Soso, jetzt habe ich euch gleich beide auf einmal. Na das erspart mir so einiges. Ihr zwei Turteltäubchen glaub wohl, ihr könntet einfach so die Kraft entfesseln, und Mittelerde für immer für mich und meinesgleichen unzugänglich machen, was? Ich habe dich nicht nach Mittelerde geschickt, um mich aufzuhalten. Vielmehr wirst du mir behilflich sein, dieses Elbenpack und was hier sonst noch so rumkriecht, für immer unter meine Herrschaft zu bringen. Und bei deinem Lieblingselben werden wir gleich einmal anfangen. Der würde sowieso nur stören, und wir brauchen ihn jetzt ja auch nicht mehr. Er hat seinen Zweck erfüllt."

Er hob das Schwert in die Höhe und holte zum Schlag aus.

„Ach wie schade, so kurz war eure gemeinsame Zeit, und um so länger wird die unsere sein."

Er stand so vor dem Bett, das ich Legolas nicht sehen konnte. Ich hoffte, er würde noch rechzeitig aufwachen und entkommen, doch es war schon zu spät. Toral schlug zu. Wieder wollte ich schreien, und wieder blieben meine Worte stumm. Mein schlafendes Ich lag immer noch auf dem Bett und rührte sich nicht. Die Tür ging ein weiteres mal auf und vier Orks kamen herein. Sie sahen grauenvoll aus, widerwärtige, verstümmelte Kreaturen. Mir war, als könnte ich ihren abartigen Gestank riechen. Sie gingen auf Melian zu, packten sie bei den Beinen und Händen und brachten sie fort. Hässlich lachend stand Toral vor dem Bett.

„Jetzt hast du ausgespielt, mein Bürschchen. Du kommst mir nicht mehr in die Quere."

Mit diesen Worten drehte er sich um und verließ das Zimmer.

Legolas lag leblos auf dem Bett. Blut floss auf den Boden. Er war tot.

Ich schrie, schrie, immer wieder seinen Namen. Doch er rührte sich nicht mehr. Ich holte tief Luft, und hörte meinen Atemzug. Meine Stimme.., sie war wieder da. Aus vollem Hals rief ich seinen Namen.

„Legolas.., nein! Legolas!"

Von meinem Schrei wachte ich auf. Ich hatte wirklich geschrieen. Erschrocken fuhr ich im Bett hoch. Ich rang nach Luft. Plötzlich erschien Legolas Kopf neben mir.

„Melian, was ist mit dir? Ich bin doch hier. Was hast du?"

Fragend sah er mich an. Er lebte, dachte ich, Es war nur ein Traum. Erleichtert viel ich ihm um den Hals.

„Du lebst. Oh mein Gott, es war nur ein Traum, du lebst."

Erschrocken über meine Aussage fasste er mich bei den Schultern.

„Was hast du gesehen? Du hast meinen Tod gesehen?"

„Es war Toral."

Sein Blick versteinerte sich. Ich berichtete ihm, was ich gesehen hatte.

Als ich zuende erzählt hatte, blickte ich ihm verängstigt in die Augen. Sie wurden kleiner und sein Gesicht verdunkelte sich. Er wollte aufspringen, doch ich ergriff ihm am Arm.

„Nein, du gehst nicht zu ihm."

Im selben Moment dachte ich, warum eigentlich nicht, dann wären wir ihn wenigstens los. Doch ich hielt es für falsch, aus welchem Grund konnte ich nicht sagen.

„Wir gehen jetzt gemeinsam zu Lord Elrond. Ich muß es ihm sofort erzählen. Laß ihn entscheiden, was dann weiter passiert."

Wenn nicht ich ihm dies gesagt hätte, wäre er sicher trotzdem gegangen, doch er blieb. Seine Augen flehten mich an, ihn gehen zu lassen. Doch ich blieb bei meiner Bitte. Ich stand auf und zog mir meinen Morgenmantel über. Legolas schnappte sich seine Tunika, warf sie sich über und ging auf die Tür zu. Schnell rannte ich ihm nach und ergriff seine Hand. Die Türklinke schon heruntergedrückt, drehte er sich zu mir. Er wollte etwas sagen, doch kein Wort kam über seine Lippen. Ich strich ihm über die Wange und gab ihm einen Kuß.

„Wir gehen jetzt zu Elrond."

Er holte tief Luft, öffnete die Tür und zog mich aus dem Zimmer hinter sich her.

Wir trafen Elrond in seiner Bibliothek an. Er stand hinter seinem Schreibtisch und studierte einige Schriftrollen. Verwundert über unser gemeinsames Erscheinen kam er hinter seinem Schreibtisch hervor.

„Es ist gerade erst die Sonne aufgegangen. Was ist der Anlass, das ihr mich zu so früher Stunde aufsucht?"

Stocksteif stand Legolas neben mir und hielt meine Hand. Er sagte keinen Ton. Sein Blick war starr auf Elrond gerichtet. Lord Elrond war ein sehr weiser und feinfühliger Elb. Ihm entging nie auch nur die kleinste Regung seines gegenüber. Misstrauisch sah er sich Legolas an. Dann blickte er zu mir.

„Lady Melian, gibt es etwas, das ich wissen sollte?"

„Ja, Lord Elrond, eine Vision die den fahrenden Händler betrifft."

Ich erzählte ihm alles, was ich gesehen hatte. Als ich fertig war kamen mir Tränen in die Augen. Es war erschreckend, wie real dieser Traum doch gewesen war. Ich wischte die Tränen mit dem Handrücken weg und sah zu Elrond. Er stand nur da und dachte nach. Sein Gesichtsausdruck hatte sich während meines Erzählens zusehends verdunkelt. Plötzlich brach es aus Legolas heraus.

„Lord Elrond, wenn Ihr erlaubt. Wir müssen sofort handeln. Wir dürfen ihn hier nicht länger dulden. Er sollte nicht die Möglichkeit bekommen, sich auch nur in der Nähe von Melian aufzuhalten. Es ist doch offensichtlich, das es kein Zufall war, das er durch Eure Reich gekommen ist. Wir sollten ihn.... ."

Elrond hob die Hand und unterbrach Legolas.

„Auch ich bin der gleichen Ansicht wie Ihr, Legolas. Doch kann ich ihn auch nicht anklagen. Er hat sich nicht gegen die ihm auferlegten Anweisungen wiedersetzt. Es war eine Vision, und ist nicht wirklich passiert."

„Ihr wollt ihn einfach so davon kommen lassen. Das kann doch nicht Eure Entscheidung sein?"

Legolas war völlig aufgebracht, er war wütend. So hatte ich ihn noch nie gesehen.

„Legolas, beruhige dich. Was soll ich denn tun? Ich kann ihn doch nicht einfach töten lassen. Ich werde jetzt zu ihm gehen und ihn meines Reiches verweisen. Dann werde ich den Rat einberufen und wir werden gemeinsam entscheiden, was in dieser Sache zu tun ist. Lady Melian, Ihr werdet Euch wieder auf Euer Zimmer begeben."

Ich klammerte mich an Legolas Hand fest.

„Nein, ich werde auch mitgehen. Und Ihr werdet es mir nicht verbieten."

Ich versuchte, so entschlossen wie möglich auszusehen. Eigentlich hatte ich Angst ihm wirklich zu begegnen, aber ich wollte ihm gegenüberstehen und ihm zeigen, das ich stark genug war, mich ihm zu wiedersetzen.

Elrond rief seine gesamten Wache zusammen, die sich zu dieser Zeit im Haus befand. Gemeinsam gingen wir zu den Stallungen. Wir schwiegen während des gesamten Weges. Es waren viele Wachen zusammen gekommen, mindestens 30 Elben waren versammelt.

Angekommen ging Elrond mit zwei Elben in den Stall. Wir warteten mit den übrigen Wachen gemeinsam davor. Nach einigen wenigen Augenblicken kam Elrond wieder aus dem Stall. Er blieb vor uns stehen, machte eine kurze Handbewegung und die Wachen verteilten sich suchend um den gesamten Stallbereich.

„Er ist nicht mehr hier. Die Box ist leer."

Eine Wache trat an Elrond heran.

„Der Karren ist auch verschwunden. Und auch dort gibt es keine Spuren. Er scheint sich in Luft aufgelöst zu haben."

Legolas ließ meine Hand los und ging in den Stall. Ich kann nicht genau sagen, was er dort gemacht hat, doch einige Pferde wieherten plötzlich erschrocken auf.

Elrond rief wieder einige Wachen zu sich und befahl ihnen, das gesamte Reich und das Waldgebiet abzusuchen. Als sich die Wachen auf den Weg gemacht hatten, wand er sich mir zu.

„Lady Melian. Meine Tochter macht sich heute in den Mittagsstunden auf den Weg nach Lothlórien. Ich halte es für das beste, wenn Ihr sie begleitet und Euch in der nächsten Zeit dort aufhaltet. Lothlóriens Grenzen sind besser bewacht und dort wird Euch auch die Möglichkeit gegeben sein, Euch mit Hilfe von Galadriel auf Eure Aufgabe vorzubereiten. Es gibt noch viele wichtige Dinge, die Ihr noch nicht von Eurer Aufgabe wisst. Ich werde sofort Boten aussenden, um Eure Ankunft mitzuteilen. Wenn es Euch recht ist, werde ich Niniél ebenfalls mit Euch reisen lassen."

„Ist es denn nicht zu gefährlich, jetzt eine solche Reise anzutreten?"

„Ich werde die besten Bogenschützen und Schwertkämpfer zu Eurem Schutz mitschicken."

„Und ich werde dich auch begleiten."

Legolas stand wieder neben Elrond. Seine Augen funkelten und sein Gesicht hatte bittere Züge angenommen.

„Selbstverständlich. Etwas anderes hätte ich von Euch auch nicht erwartet. Ich werde jetzt alles für die Abreise vorbereiten lassen."

Er klopfte Legolas kurz mit der Hand auf die Schulter und verschwand dann wieder ins Haus.