Kapitel 15 oder das letzte Stück

Ich wurde stürmisch von jemanden in die Arme genommen. Was war geschehen, dachte ich, war ich Tod?

„Mein geliebter Stern. Was hast du dir nur dabei gedacht? Du hättest jetzt tot sein können."

Ich war also nicht tot. Aber wie konnte das angehen, der Troll hatte doch...?

Ich schlug die Augen auf. Etwa einen Meter über mir schwebte die Keule des Trolls. Er blickte immer noch furchterregend auf mich nieder. Doch er bewegte sich nicht. Die Sonne, natürlich. Die Sonne war genau in dem Moment aufgegangen, als der Troll zugeschlagen hatte. Er war in seiner Bewegung zu Stein erstarrt.

Erleichtert fiel ich Legolas um den Hals. Wir hatte es geschafft. Wir hatten die Trolle besiegt. Doch bei aller Freude mußten wir leider auch den Tod zwei der Wachen beklagen. Wir begruben sie in der Nähe des Flusses und errichteten kleine Steinhügel auf ihren Gräbern.

Außer Haldir hatte keiner schwerere Verletzungen. Niniél half ihm, auf sein Pferd zu steigen. Wir mußten uns beeilen und sofort weiterreiten. Der Ritt würde hart für Haldir werden, doch bei Dunkelheit mußten wir beim Silberlauf sein.

Im schnellstmöglichen Tempo ritten wir an den Sümpfen der Schwertelfeldern vorbei in Richtung Lothlórien. Wir rasteten wenig. Haldir hielt bis zum Mittag gut durch, doch nach der letzten Rast ging es ihm zusehends schlechter. Besorgt wand ich mich an Legolas.

„Wenn er noch weiterreitet, dann fällt er spätestens in einer Stunde vom Pferd. Er kann nicht mehr. Das Reiten ist zu ansträngend für ihn."

„Ich weiß. Wir haben aber keine andere Wahl. Ich bin mir sicher, die Trolle waren nur der Anfang. Und es ist schon später Nachmittag. Da vorn liegt der Eingang des Tals. Wenn wir nur noch einmal rasten, dann schaffen wir es, in vier Stunden beim Silberlauf zu sein."

„Aber nicht, wenn ich weiter mit euch reite."

Haldir war neben uns geritten gekommen. Er sah furchtbar aus und hielt sich grade noch so auf dem Pferd.

„Reitet los. Lasst mich zurück. So schafft ihr es rechzeitig anzukommen. Ich werde hier bleiben und mich verstecken. Ein einzelner fällt weniger auf, als eine ganze Gruppe."

„Haldir, das können wir nicht machen. Ich lass dich hier nicht allein zurück."

„Dann laß eine Wache bei mir. Aber nehmt unsere Pferde mit, die Orks können sie wittern."

Nur wiederwillig ließ sich Legolas auf Haldirs Vorschlag ein. Aber Haldir kannte sich hier aus, Lórien war seine Heimat. Er würde ein gutes Versteck finden.

„Bei Anbruch des Tages werde ich losreiten und dich holen. Terrinath wird bei dir bleiben."

Eine der Wachen kam herbeigeritten und schwang sich von seinem Pferd.

„Nein, ich bleibe bei ihm!"

Niniél stieg trotzig von ihrer braunen Stute und stellte sich zu Haldir. Das sie ihn nicht allein lassen wollte, das war mir klar. Doch wie ich Haldir kennen gelernt hatte, würde er ihr es verbieten.

„Nein, du kannst nicht hier bleiben. Du wirst mit Legolas nach Lórien reiten."

„Aber warum nicht? Ich will dich nicht verlassen, bitte schick mich nicht weg von dir."

Mit flehenden Augen sah sie Haldir an. Einige Tränen liefen ihr über die Wangen. Doch Haldir blieb hart.

„Es tut mir leid. Ich möchte dich nicht wegschicken, doch es ist hier zu gefährlich für dich. Und ich will dich in Sicherheit wissen, wenn die Nacht hereinbricht. Wenn du möchtest, hol mich morgen hier wieder ab. Legolas wird dich sicher mitnehmen."

Legolas nickte und drängte zum Aufbruch. Haldir nahm Niniél in die Arme und küsste sie, bevor sie auf ihr Pferd stieg. Immer mehr Tränen liefen über ihr Gesicht. Ein letztes Mal drehten wir uns nach Haldir und Terrinath um, dann galoppierten wir los, ihre Pferde mit uns führend. Nur zwei Decken und ein wenig Proviant hatten sie bei sich behalten. Sie wollten sich in einer höheren Lage ein Versteck suchen.

Wir hielten unser hohes Tempo und nach zwei Stunden konnte ich in der Ferne die Bäume von Lórien und den Lauf des Flusses erkennen. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt. In einer Stunde würden wir den Silberlauf erreicht haben. Wie Elrond gesagt hatte, würde man auf uns dort warten.

Nach einer Weile begannen hinter uns erschreckende Schreie lauter zu werden. Verängstig sah ich zu Legolas.

„Das sind Orks. Sie sind aus der Mine gekommen. Aber sie werden uns nicht mehr einholen. Sieh nur, da vorn!"

Wir hatten den Fluß erreicht. Jetzt würden wir gleich das Reich von Lothlórien betreten. Wie erwartet wurden wir von einigen Elben am Rande des Waldes begrüßt.

Schnell berichtete Legolas von Haldir. Ein Elb nahm sich Terrinaths Pferd und verschwand im Wald.

Wir steigen ab und tränkten unsere Pferde. Dann gingen wir zu Fuß ein Stück in den Wald. Auf einigen Fleets hatte man Essen und Schlafplätze für uns vorbereitet. Ich gesellte mich beim Essen zu Niniél.

„Mach dir keine Sorgen. Ihm wird nichts passieren."

„Aber ich wollte, ich wäre jetzt bei ihm. Was, wenn die Orks sie doch finden? Dann kann ich nicht bei ihm sein, und ihn verteidigen, so wie er es für mich getan hat."

Ich legte einen Arm um sie und schwieg. Was sollte ich auch groß sagen? Sie hatte Angst um ihn. Es würde mir mit Legolas sicher genauso gehen. Doch es war Haldirs Entscheidung. Er wollte, das sie in Sicherheit ist. Auch wenn er ihr damit weh tat.

Nach dem Essen wollte Niniél sich gleich schlafen legen. Ich verließ das Fleet und ging im Wald spazieren.

Es war so friedlich hier. Überall duftete es nach Moos und Gras. Die Bäume waren sehr groß und hatten starke Stämme. Ein Gefühl der Sicherheit überkam mich. Wir hatten es überstanden. Wir hatten Lórien sicher erreicht. Langsam ging ich wieder zu den Fleets zurück. Unsere Pferde standen bei den Bäumen und grasten zufrieden. Ich wünschte Ancórdar eine gute Nacht und begab mich auf ein Fleet, wo Legolas schon auf mich wartete. Mein letzter Gedanke galt Haldir und Terrinath. Ich sah sie, unentdeckt von Orks, in einer kleinen Höhle schlafen. Erschöpft, aber glücklich schlief ich in Legolas Armen ein.