Kapitel 17 oder Melians Mission

Nach einer traumlosen Nacht wachte ich erholt und ausgeruht auf. Langsam öffnete ich, vom Licht der aufgehenden Sonne gekitzelt, meine Augen. Ein frischer, kühler Duft kam durch die Fenster. Vögel begannen ihre Lieder anzustimmen und kleine Regentropfen glitzerten im Sonnenlicht. Dies war ein Moment, wo ich nicht wieder die Decke über den Kopf ziehen und weiterschlafen wollte. Ich drehte mich zu Legolas und mußte mit erstaunen feststellen, das er noch schlief. Oder er tat mal wieder so, und war in Wirklichkeit schon längst wach.

Ich stand auf, hüllte mich in das Laken und trat nach draußen. Warm und frisch trafen mich die feinen Regentropfen. Ich legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und genoss die Sonne in meinem Gesicht.

„Ein wundervoller Morgen, nicht wahr?"

Erschrocken drehte ich mich um.

„Oh..., ja..., das stimmt. Ähm..., guten Morgen wünsche ich."

Es war Galadriel, ich hatte sie gar nicht kommen hören. Wie gestern war sie ganz in weiß gekleidet. Einen Teil ihres Haares hatte sie mit einer silbernen Spange zusammengesteckt. Golden schimmerte es in der Morgensonne.

„Wenn du dir etwas anziehst, dann werden wir zusammen frühstücken und ich werde dir all deine Fragen beantworten."

Lächelnd sah sie an mir runter und deutete auf das Laken.

„Wenn es dir beliebt, kannst du aber auch so mitkommen."

Ein leichtes Grinsen machte sich auf ihrem Gesicht breit. Und ich wurde sicher knallrot.

„Nein, ich zieh mich schnell an, einen Moment bitte."

Ich dreht mich um und rannte schnell wieder rein. Legolas lag immer noch in Bett, hatte sich aber wegen des fehlenden Lakens zusammengerollt. Also frieren auch Elben. Wieder war ich ein bisschen schlauer, dachte ich mir und mußte bei dem Anblick, den er mir bot grinsen. Ich machte mich frisch und wollte mich gerade anziehen, als er aufwachte.

„Hey, wo bist du denn? Mir ist kalt, du fehlst mir im Bett."

Ich schmiss ihm lachend das Laken über den Kopf, versteckte mich hinter der Schranktür und zog mir schnell ein Kleid über. Auch wenn ich viel für ihn empfand, wollte ich mich ihm jetzt noch nicht so zeigen.

„Ich geh jetzt mit Lady Galadriel mit, du muß also mit dem Laken vorlieb nehmen. Wir sehen uns später."

Ich warf ihm einen Luftkuss zu und verließ das Haus.

Galadriel wartete am Fuße des Baumes auf mich. Gemeinsam gingen wir zu ihrem Palast hinauf. Auf einer Art Terrasse nahmen wir an einem kleinen Tisch platz. Der Tisch war reichlich mit Brot, Früchten und allerlei lecker aussehenden Dingen gedeckt. Zu trinken gab es frisches Wasser. Eigentlich trink ich gerne Wasser, aber ich hatte richtig Lust auf eine schöne Tasse Tee. Aber das gab es hier sicher nicht.

„Du kannst auch Tee bekommen, wenn dir das lieber ist."

„Sehr gerne sogar. Ich habe gerade daran gedacht. Das ist ja ein Zufall."

Ein freundliches Lächeln ging über ihr Gesicht. Nein, ich denke, das es kein Zufall war. Wenn sie auch nicht direkt Gedanken lesen konnte, so vermochte sie doch die Stimmung und die Gefühle des anderen zu sehen.

Während des Frühstückes sprach sie wenig. Ich stellte ihr ein paar Fragen, wie Lórien entstanden war und so, aber so richtig ins Erzählen kam sie nicht. Als mir keine belanglosen Fragen mehr einfielen schwieg ich auch. Für die Fragen, die mir wirklich unter den Nägeln brannte, fand ich, war dies nicht der richtige Ort. Ihr schien es genauso zu gehen. Denn als ich fertig war mit dem Essen stand sie auf und bat mich, ihr zu folgen.

Wir stiegen vom Baum und gingen in einen wunderschönen Garten. Niemand anderes war zu sehen. Wir setzten uns an einen kleinen, silbern schimmernden Bachlauf ins Gras. Erwartungsvoll sah ich sie an. Doch sie schwieg und lächelte nur. Ich fühlte mich ein wenig veräppelt, weil ich dachte, das sie mir was erzählen wollte. Doch plötzlich lachte sie auf.

„Es tut mir leid, ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen. Du erwartest jetzt von mir, das ich dir erzähle, was du tun sollst. Aber das kann ich dir nicht erzählen. Denn was du tun wirst ist ganz allein deine Entscheidung."

„Aber Elrond hat doch gesagt, das Ihr mir helfen werdet, die Aufgabe zu bestehen."

„Ich kann dir nicht helfen, deine Aufgabe zu bestehen. Ich kann dich nur auf den richtigen Weg geleiten."

„Aber ich weiß doch gar nicht, was ich überhaupt machen soll. Ich weiß nur, das mit dem Kind, was ich kriegen soll, irgendeine Kraft entsteht, und ich die einsetzen soll. Aber wie das gehen soll, davon habe ich keine Ahnung."

Wieder sah sie mich einen Augenblick schweigen an. Dann nahm sie meine Hand und rückte ein Stück näher an mich heran.

„Dann lausch nun meiner Worte und ich werde dir von der Kraft berichten, die dir die Valar geschenkt haben."

Sie holte Luft und begann mir ihrer Erzählung.

„Vor sehr langer Zeit, als die Valar noch unter uns wandelten, gab es ein böses Übel in Mittelerde. Doch sie verbannte es von hier und die Bewohner lebten glücklich und zufrieden. Aber die Valar befürchteten daß, wenn sie sich nicht mehr in Mittelerde aufhielten, sich das Böse wieder einen Weg suchen würde. Und wenn dies eintreten sollte, dann wären sie nicht mehr in der Lage, einzugreifen. Darum mußten sie einen Weg finden, das die Elben sich selber gegen das Übel schützen konnten. Die Maia Melian wurde mit einer Gabe beschenkt, die ihr es ermöglichte, einen Banngürtel aus Sinnestäuschungen um ein Gebiet zu legen, durch das nie ein Übel in ihre Stadt eindringen konnte. Doch nachdem ihr Gatte Thingol gestorben war, ging sie wieder zurück nach Valinor. Nun waren die Menschen und Elben wieder schutzlos und die Valar überlegten, was sie tun konnten. Sie beschlossen, einer Elbentochter, deren Name Melian sein würde, die Kraft zu geben, ganz Mittelerde zu beschützen. Sie schufen die zwei Tränen der Liebe. Dies sind zwei rote Steine, die zusammengesteckt die Form einer Träne haben."

„Und die Steine verhelfen mir zu der Kraft?"

„Nein, nicht die Steine dir, sondern du den Steinen. Ein Tropfen Blut von dir, während du ein Kind trägst, das aus tiefster Liebe gezeugt wurde, muß auf den einen Stein fallen. Und ein Tropfen dieses Kindes, wenn es genau ein Jahr alt ist, muß auf den anderen fallen."

„Und wenn das passiert ist, was geschieht dann?"

„Dann mußt du die Steine zusammenfügen. Wenn das Kind wirklich ein Kind der Liebe ist, dann wird sich deine Kraft auf die Steine übertragen und sie werden ihre volle Energie hervorbringen. Diese Energie wird sich über ganz Mittelerde ausbreiten. Jeder der nicht reinen Herzens ist, wird an ihr zu Grunde gehen. Und auch niemand, dessen Herz nicht rein ist, wird je wieder die Möglichkeit haben, nach Mittelerde zu gelangen. Nur, wenn du es wünschst, wird ein Fremder eintreten können."

„Und ich bin auch wirklich diese Melian. Kann es nicht auch eine andere sein?"

„Es gibt nur eine Melian in Mittelerde und das bist du. Zweifel nicht an dir. Ich weiß, das du dir der Sache nicht sicher bist, aber du hast diese Kraft in dir. Und du spürst sie, hab ich recht? Diese Kraft gibt dir viele Fähigkeiten. So wie zum Beispiel deine Visionen deiner Zukunft."

„Kann ich denn etwa noch mehr?"

„Sicher, aber das wirst du schon noch herausfinden."

Ich ließ ihre Hand los und sah auf das plätschernde Wasser des Baches.

„Du überlegst, wie du das alles schaffen sollst. Wo du doch eigentlich gar nicht hier sein solltest."

Erschrocken sah ich sie an. Was hatte sie da grad gesagt?

„Wie meint Ihr das?"

„Fürchte dich nicht. Ich werde dein Geheimnis hüten."

„Mein Geheimnis? Ich weiß nicht, was Ihr meint."

Scheinheilig tun war noch nie meine Stärke.

„Ich weiß, woher du gekommen bist. Ich weiß von dem fahrenden Händler und von dem Buch."

„Aber..., wie ist das möglich?"

„Ich habe von der Maia Melian gelernt, in die Menschen zu sehen. Zu sehen, was sie fühlen und was ihnen Kummer bereitet. Du machst dir große Sorgen um deine Familie. Und wie du wieder zurück kommst."

„Ja. Wißt Ihr denn keinen Weg?"

„Ich weiß leider keinen. Aber ich weiß, das die Aufgabe, die Melian hat, auch die deine ist. Deshalb bist du hier, deshalb bist du Melian. Es mag dir wie ein schlechter Scherz vorkommen. Aber es war kein Zufall, das der Händler, Toral, dich ausgesucht hatte. Er weiß von deiner Aufgabe, und er wird versuchen dich daran zu hindern. Sollten die Steine, wenn sie mit dem Blut versehen sind, in die Hände des Bösen geraten, dann wird es in Mittelerde kein morgen mehr geben. Die Dunkelheit und der Tod werden sich breit machen. Alles, was frei und gut war wird gefangen werden und verdorren."

„Und wo finde ich die Steine?"

„Ein Stein befindet sich im finstersten Wald von Mittelerde. Im Herzen des Fangorn. Es steht geschrieben, das ein Ent ihn verwart, bis Melian bereit ist, ihn zu empfangen. Wir Elben meiden den Fangorn. Er ist düster und die Bäume sind mit der Zeit boshaft geworden. Und die meisten von ihnen haben das Reden aufgegeben und sind jetzt steif und stumm. Einst waren der Fangorn und die Wälder von Lórien benachbart, doch das ist lange her."

„Und wo werde ich den anderen Stein finden?"

„Der andere Stein befindet sich in einer Mine in den Eisenbergen."

„Aber...!"

„Ja, Toral kommt von den Eisenbergen. Und wir wissen nicht, ob er im Besitz des Steines ist."

„Und wie soll ich ihn dann finden, wenn er bei Toral ist?"

„Du wirst ihn finden. Wie, das kann ich dir nicht sagen. Aber ich weiß, das du ihn finden wirst."

Es muß bereits Mittag geworden sein. Eine Zeit lang erzählte Galadriel mir noch, wie viel sie von der Maia Melian gelernt hatte, und wie sie mit ihr in Mittelerde gewandelt ist. Doch dann stand sie auf und wand sich zum gehen um.

„Ich werde dir bei Fragen weiterhin zur Verfügung stehen. Doch jetzt genieße erst einmal die Zeit deiner jungen Liebe. Ich weiß, das dein Herz für Legolas spricht, und das du dir sicher bist, das er derjenige ist, dessen Kind du tragen willst. Auch wenn es etwas unangenehm klingt, so ist auch deine Liebe ein Teil deiner Aufgabe."

Sie sah mir in die Augen und lächelte.

„Hör auf dein Herz. Es spricht immer die Wahrheit mit dir. Und fürchte nicht um dein Geheimnis, es wir meine Lippen nie verlassen."

Dann drehte sie sich um und ging. Ich blieb am Bach sitzen. Ich konnte das alles gar nicht richtig begreifen. Ich wußte jetzt zwar, was alles auf mich zu kommen würde, doch ich kam damit noch nicht ganz klar. Das schwerste an der ganzen Sache würde sein, die Steine zu bekommen. Wenn der aus dem Fangorn vielleicht noch zu beschaffen war, so schien es mir, das der zweite unerreichbar war. Denn wenn Toral ihn hatte, gab es für mich keine Möglichkeit, an ihn rann zu kommen. Aber andererseits, wenn er ihn noch nicht hatte, oder vielleicht gar nicht wußte, das einer der Steine in den Eisenbergen war, dann hatte ich noch die Möglichkeit, an ihn ran zu kommen. Ich wußte nur noch nicht , wie ich das machen sollte. Galadriel hatte zwar gesagt, das ich ihn finden würde, aber ich konnte ja auch nicht einfach so da hin gehen und in den Bergen rumsuchen. Das wäre ja viel zu auffällig. Und allein konnte ich das auch nicht machen, aber ich war mir sicher, das es zwei Personen gab, die mich auf jeden Fall begleiten würden. Niniél und Legolas.

Bei diesen Gedanken merkte ich, wie plötzlich jemand neben mir stand.

„Na, hat sie dir deine Fragen beantworten können?"

Es war Legolas. Er setzte sich zu mir ins Gras.

„Ja, leider sogar zu gut. Ich bin ganz schön platt, über das, was sie mir da erzählt hat. Ich weiß gar nicht, wie ich das alles schaffen soll."

„Du hast ja auch noch mich, alles alleine mußt du gar nicht machen."

„Nein, ohne dich KANN ich gar nicht alles allein schaffen."

Etwas unverständlich sah er mich an, doch ich sagt ihm nicht, was ich damit meinte und grinste nur vor mich hin.

„Ich werd schon noch rausfinden, was du damit gemeint hast."

„Da bin ich mir sogar ziemlich sicher."

Wieder konnte ich mir das Lachen nicht verkneifen. Er sah zu süß aus, wenn er sich verschaukelt vorkam.

Er wollte grad auf mich losgehen, als wir ein Horn ertönen hörten.

„Das ist sicher Haldir."

Wir sprangen auf und gingen rasch zum Stadteingang.