Kapitel 20 oder kurze Begegnung am See
Er hatte recht gehabt, ich hätte den schmalen Pfad nie gefunden. Ich bedankte mich bei ihm, er verbeugte sich kurz und ging dann seinen Dienst weiterführen. Suchend sah ich mich um. Es schien niemand anderes hier zu sein. Ich hielt bei dem Baum, wo wir gestern gesessen hatten. Ohne Sattel und Trense ließ ich Ancórdar wieder laufen, worauf er sich sogleich eine Stelle zum grasen suchte. Ich breitete die Decke aus und machte es mir darauf gemütlich. Ich hatte mir aus der Bibliothek von Galadriel ein Buch mitgenommen. Darin waren Aufzeichnungen über Elben, die besondere Fähigkeiten hatten, außer den normalen Künsten. Das Elben über besondere Kräfte verfügten, was Heilung von körperlichen Gebrechen anging, das wußte ich bereits. Aber in diesem Buch fand ich auch einige Dinge, von denen ich selber schon sagen würde, das es an Zauberei grenzt. Elben, die durch den bloßen Hautkontakt den gegenüber außer Gefecht setzen konnte. Oder welche, die durch die Augen eines anderen sehen konnte, egal wie weit der auch weg war. Es war wirklich erstaunlich, aber eines fand ich nicht. Es gab nicht einen Eintrag, der sich auf mich bezog. Doch von den zwei Tränen der Liebe war einiges zu lesen. Die Steine hatten einzeln schon eine ungeheure Macht, doch zusammengefügt verliehen sie dem Träger Kräfte, die als unbesiegbar beschrieben waren. Doch waren die Steine nicht von jedem zu benutzen. Nur wer schon eine starke Kraft in sich hatte, der war in der Lage, sie zu gebrauchen. Besonders der letzte Satz ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich laß ihn immer wieder laut vor.
„Doch nur die Liebende, die nicht von dieser Welt wird sein, wird die Tränen schließen und Friede für immer kehrt ein."
Ich dachte lange über diesen Satz nach. Die letzten Eintragungen in dem Buch waren schon hunderte von Jahren alt. Wie konnten die zu dieser Zeit davon wissen. War das so etwas wie eine Prophezeiung. So lange ich auch überlegte, ich konnte keine plausible Erklärung dafür finden.
Damit ich auf andere Gedanken kam, zog ich mich aus und ging schwimmen. Das Wasser war nicht ganz so warm, wie gestern. Aber es brachte mir wieder einen klaren Kopf und ich ließ mich auf dem Wasser treiben.
Nach einer Weile schwamm ich zum Ufer zurück und setzte mich, in die Decke eingehüllt, an einen Baumstamm. Ich wollte mir gerade etwas von dem mitgebrachten Essen aus der Tasche holen, als ich es hinter mir rascheln hörte. Ich verharrte still und lauschte. Auch wenn hier keine Feinde eindringen konnten, so war es mir doch unheimlich.
„Lady Melian, seid Ihr hier?"
Erleichtert blickte ich hinter dem Baum hervor. Es war der Krieger, der mir vorhin den Weg gezeigt hatte.
„Ja, ich bin hier hinter dem Baum. Ihr habt wirklich ein Talent dafür, andere Leute zu erschrecken."
Diesmal lief er rot an und blieb mit gesenktem Blick vor mir stehen. Er biss sich auf die Unterlippe und scharrte verlegen mit den Schuh im Sand.
„Aber wie ich schon vorhin sagte, ich habe mich ja nur erschrocken. Wolltet Ihr was bestimmtes von mir?"
Erleichtert über meine Wort, die der peinlichen Stille ein ende setzten, schaute er mich an und kniete er sich neben mir ins Gras.
„Ich habe Mittagspause und wollte Euch fragen, ob ich Euch eine Weile Gesellschaft leisten darf?"
„Ich habe nichts dagegen. Ihr könnt auch gerne etwas von meinem Proviant haben, ich bin im Moment nicht hungrig."
Ich reichte ihm meine Tasche. Dankbar griff er hinein und nahm etwas Obst und ein Stück Brot. Während er zu Ancórdar blickte, sah ich ihn mir etwas genauer an. Er hatte Ähnlichkeit mit Haldir, doch waren seine Wangeknochen stärker gezeichnet. Und sein Haar war dunkler. Doch es kam mir so vor, als ob ich ihm schon einmal begegnet war. Und ich meine nicht eben auf dem Fleet.
„Sagt bitte, Ihr kommt mir bekannt vor, Salldoth. Sind wir uns schon einmal begegnet?"
Etwas irritiert über meine Frage blickte er mich an.
„Aber natürlich kennt Ihr mich. Bei Eurem letzten Besuch hier in Lórien sind wir uns öfters begegnet. Zu der Zeit habe ich noch bei den Pferden gearbeitet. Aber ich hatte nie die Gelegenheit, mich Euch mit Namen vor zustellen."
Und wieder war die Vergangenheit da, von der ich nichts wusste. Jetzt bloß nix falsches sagen.
„Tut mir leid, das war mir entfallen. Erzählt mir doch ein wenig von unserem Zusammentreffen."
Ein freudiges Lächeln ging über sein Gesicht.
„Gern werde ich das tun. Ihr wart damals mit Lord Elrond hier gewesen. Ich habe mich um Euer Pferd gekümmert. Ich kamt jeden Tag zu mir und habt Euch für die Pflege des Pferdes bedankt. Ihr wart immer sehr nett. Es hat mich sehr gefreut, als ich erfahren habe, das Ihr auf dem Weg hierher wart. Und das zu dieser besonderen Zeit."
„Wieso besondere Zeit?"
„Naja.., also .. Ihr hattet mir ja einen Dank für die gute Pflege Eures Pferdes versprochen."
Oh, Mist. Wieder was, wovon ich nichts wußte.
„Und was war das für ein Dank? Es tut mir leid, ich kann mich im Moment nicht daran erinnern."
Er sah auf den Boden und spielte an seinem Stück Brot rum. Es schien ihm etwas peinlich zu sein, mir zu sagen, was ich ihm versprochen hatte. Ich versuchte es auf die nette Tour.
„Wenn Ihr mir nicht auf die Sprünge helft, kann ich mein Versprechen auch nicht einlösen."
Das zog bei Männern immer, auch wenn es Elben waren.
„Ihr hattet gesagt, wenn Ihr zum nächsten Sonnenblütenfest hier in Lórien weilt, dann würdet Ihr mir einen Tanz gewähren."
Das hörte sich ja noch ganz in Ordnung an. Einen Tanz mit ihm zu tanzen war sicher machbar. Aber irgendwas war da noch.
„Das war aber doch sicher noch nicht alles, oder?"
„Nun ja, Ihr sagtet auch, das Ihr mit mir durch den Bogen der Sonnenblüten gehen wolltet, sofern Ihr ohne Begleitung zum Fest kommen würdet."
Soweit ich von Niniél erfahren hatte, war der Bogen der Sonnenblüten eine Pflanze, die in der Form eines Halbkreises wuchs. Sie trat an einer Stelle aus dem Boden, wuchs in die Höhen und dann wieder zurück in die Erde, wodurch ein Bogen entstand. Und an diesem Bogen wuchsen kräftige gelbe Blüten, die wie Sonnen aussahen. Und es wurde davon ein Fest gemacht, weil diese Pflanze nur alle 100 Jahre zu wachsen begann. Es war Brauch, mit einem Partner durch den Bogen zu gehen, mit dem man entweder sein Leben teilen wollte, oder wenigstens eine Zeit lang zusammen verbringen wollte.
Tja, und da ich das mit Legolas tun wollte, mußte ich wohl oder übel diesem jungen Krieger einen Korb geben.
„Salldoth, ich werde gerne mit Euch auf dem Fest tanzen, doch durch den Bogen werde ich mit jemand anderes gehen. Ich werde auf dem Fest den Bund mit einem Mann eingehen, und es wird ihm sicher nicht recht sein, wenn ich mit Euch durch den Bogen gehe."
Autsch, das hatte gesessen. Es tat mir ja irgendwie leid für ihn, aber ich wollte nicht, das er sich wohlmöglich noch Hoffnungen machen würde.
Bedrückt sah er zu Boden. In den folgenden Minuten vermied er es, mich anzusehen. Schweigend aß er sein Brot auf und steckte die Früchte wieder in die Tasche zurück. Er hatte sich also wirklich Hoffnungen gemacht.
„Ich werde jetzt wieder auf meinen Posten gehen, meine Pause ist vorbei. Habt Dank für das Brot."
Hastig stand er auf, verbeugte sich und verschwand laufend wieder hinter den Bäumen. Eine weile suchte ich noch die Baumkronen ab, doch ich konnte weder ihn, noch jemand anderes entdecken.
Die Sonne hatte bereits ihren höchsten Stand erreicht. Der Schatten des Baumes war gewandert und ungehindert trafen mich jetzt die Strahlen der Sonne. Ich legte mich mit den Kopf auf den Sattel und streckte mich aus. Meine Unterwäsche war noch naß und so kannte ich meine Hose nicht drüber ziehen. Ich sah mich suchend nach Ancórdar um und fand ihn dösend im Schatten einiger Bäume. Wenn er hier schlafen konnte, dann würde auch ich mich beruhigt entspannen können. Ich schloss die Augen und summte Brown Girl in the Ring von Boney M. vor mich hin.
Ich erwachte von etwas, was mich schubste. Ich öffnete die Augen und sah Ancórdar über mir. Er stupste mich immer wieder an.
„Ist ja schon gut mein Junge. Ich bin wach. Was ist denn los, warum weckst du mich?"
Doch ich sah selber, warum. Es war schon Abend geworden und von der Sonne sah man nur noch die einzelne Strahlen, die sich mit letzter Kraft über dem Horizont hielten.
„Oh, ich hab ja den ganzen Nachmittag verschlafen. Und ich sollte doch Legolas den Tanz von Niniél beibringen. Na die wird mir was erzählen, wenn sie erfährt, das ich den ganzen Tag nur gefaulenzt hab. Also, dann los, zurück zur Stadt."
Ich stand auf, zog mir die Hose und die Jacke an und räumte die Decke wieder zusammen. Ancórdar schnaubte ungeduldig, als ich ihm Sattel und Trense wieder auflegte. Rasch befestiget ich die Tasche und Decke am Sattel und schwang mich aufs Pferd. Wie gestern suchte sich Ancórdar den schnellsten Weg zurück zur Stadt. Als wir ankamen, brannten schon die Lichter in den Bäumen.
Am Stall begegnete ich Haldir. Er wollte gerade das Pferd von Legolas satteln.
„Melian, da seid Ihr ja. Legolas wollte sich gerade auf die Suche nach Euch begeben.
„Ich bin am See eingeschlafen. Wo ist er denn jetzt?"
„Er ist noch oben bei Eurem Haus."
Ich drückte einem Stallburschen mein Pferd in die Hand und rannte zum Haus. Ich wollte nicht schon wieder für Wirbel sorgen, wo ja auch nichts passiert war. Die ständigen Sorgen, die man sich in Bruchtal um mich gemacht hatten, waren schon zu viel gewesen. So viel Aufmerksamkeit um mich war mir schon peinlich.
Oben angekommen stieß ich in der Tür mit Legolas zusammen. Er packte mich an den Schultern und sah mich mit aufgerissenen Augen an.
„Was ist passiert? Du bis außer Atem, wo bist du gewesen?"
„Es ist nichts passiert. Ich bin am See gewesen und nach dem Schwimmen nur eingeschlafen. Es war meine Schuld. Ich wollte gar nicht so lange bleiben. Es tut mir leid, wenn du dir meinetwegen schon wieder Sorgen gemacht hast."
Wortlos schloss er mich in die Arme.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, hörte ich Legolas sich vor der Tür mit einem Elben unterhalten. Es war Haldir. Sie sprachen sehr leise, doch ich konnte hören, das vom Feste und von Tanz lernen die Rede war. Grinsend stieg ich aus dem Bett und schlich mich an die Tür.
„Haldir, ich wußte wirklich nichts davon. Ich schwöre es beim Ilúvatar, Melian hat mir nichts erzählt."
„Was soll ich den jetzt machen? Niniél will unbedingt, das ich diesen Tanz lerne. Sie sagte, du würdest ihn auch können. Sie hat den ganzen Tag von nichts anderem gesprochen. Legolas, ich kann nicht tanzen, und jetzt soll ich das auch noch von Niniél lernen? Wie steh ich den jetzt da?"
Ich hatte große Mühe, nicht laut loszulachen. Die beiden waren zu komisch. Für Legolas war es sicher leicht, den Tanz zu lernen, aber bei Haldir sah ich echt schwarz. Legolas versuchte weiterhin, Haldir zu beruhigen, doch es gelang im nur teilweise.
„Pass auf, wir werden das anders machen. Ich werde ihn mir von Melian zeigen lassen, und dann komm ich und bringe ihn dir bei. So mußt du dich nicht unnötig vor Niniél blamieren und lernst ihn auch. Was sagst du?"
Die Vorstellung, das Legolas dem tanzunbegabten Haldir das Tanzen beibringen wollte, war einfach zu viel. Ich setzte mich auf den Boden und hielt mir den Bauch vor Lachen. Zwei blonde Elben, die sich im Squaredance versuchten. Der eine geschmeidig und elegant wie eine Katze und der andere so untalentiert und tollpatschig wie eine Ente. Ich prustete aus vollem Hals los und kriegte mich gar nicht mehr ein. Erst als ich die beiden um mich stehen sah, mit verschränkten Armen und doch recht bösem Blick, beruhigte ich mich wieder.
„Es tut mir schrecklich leid Jungs, aber …."
Ich prustete schon wieder los. Es war einfach zu komisch. Ich bekam schon Bauchschmerzen vom Lachen und die Tränen standen mir in den Augen.
Ich weiß nicht, ob es an der Situation lag, oder ob mein Lachen einfach nur ansteckend war, aber nach kurzer Zeit lachten auch Legolas und Haldir aus vollem Hals.
Nachdem wir uns wieder eingekriegt hatten und ich mir die Tränen weggewischt hatte, beschloss ich, Haldir und Legolas gemeinsam den Tanz beizubringen. Aber das bereute ich ganz schnell wieder. Haldir war wirklich eine Katastrophe für sich. Nach etlichen Remplern und Fußtritten hatte ich es dann aber doch geschafft, und die beiden tanzten im Gleichschritt durch den Raum. Und an der Tür klatschte jemand Beifall.
Erschrocken drehten wir uns um. Dort stand Galadriel und klatschte, mit einem breiten Grinsen im Gesicht, in die Hände.
„Das wird sicher eine unvergessliche Feier, wenn sogar Haldir das Tanzbein schwingt."
Haldirs roter Kopf ließ ihn wie das HB- Männchen aussehen. Nur mit Mühe konnte ich mir einen weiteren Lachkrampf unterdrücken.
„Ja, ich denke wir sind dann auch hier fertig. Legolas, wir sprechen uns nachher noch."
Mit einem kurzen Nicken verließ Haldir den Raum. Schmunzelnd kam Galadriel zu mir und reichte mir das Kleid, was ich mir ausgesucht hatte. Sie schickte Legolas aus dem Zimmer. Wahrscheinlich durften auch Elben die Hochzeitskleider nicht schon vorher sehen. Ich breitete es auf dem Bett aus. Es funkelte und glitzerte überall. Silberne Stickerein und blitzende Steinchen zierten Kleid und Mantel.
„Ich danke Euch, es ist traumhaft."
„Es war mir eine große Freude. Und nun werde ich dir zeigen, was wir mit deinen Haaren machen. Schließlich soll ja alles zusammen passen."
Sie zwinkerte mir zu und holte eine Schachtel mit allerlei Spangen, Haarklemmen und Bändern hervor. Den Rest des Vormittages verbracht ich mit ihr auf meinem Zimmer. Sie war eine wahrhaftige Künstlerin was Frisuren anging.
Später traf ich Niniél beim Mittagessen. Sie war total begeistert, als sie hörte, das Haldir mit mir den Tanz gelernt hatte. Ihre Freude über das bevorstehende Fest war ihr mehr als nur anzusehen. Auch ihr Kleid hatte Galadriel noch reichlich bestickt und verziert.
Nach dem Essen halfen wir noch bei den letzten Vorbereitungen und dekorierten die Tische, die auf der Wiese aufgestellt waren. An der Stelle, wo die Sonnenblüte wachsen sollte, waren Blütenblätter und bunte Bänder auf dem Boden verteilt. Galadriel hatte mir erzählt, das man eigentlich nie genau wissen konnte, wann nun eigentlich das Fest losgehen würde. Man stand rum und wartete, bis die Pflanze zu wachsen begann. Erst dann wurde gefeiert. Und zwar so lange, bis der Bogen voll mit den Blüten war. Dann begann man mit der Zeremonie und die Elben gingen unter dem Bogen hindurch. Wenn dies alle getan hatte, feierte man weiter, bis die Pflanze verblüht und wieder im Boden verschwunden war. Normalerweise dauerte das zwei Tage und Nächte, aber sie sagte, sie habe schon ein Fest erlebt, wo es fast fünf Tage gedauert hatte, bis die Pflanze wieder verschwunden war.
Da ich mit Legolas den Bund eingehen wollte, würden wir als Erstes durch den Bogen gehen und mit dem besonderen Segen der Valar beschenkt werden.
Abends stand ich mit Legolas vor unserem Haus und schaute in die Nacht.
„Morgen ist es nun also soweit. Ich kann das noch gar nicht glauben, das kommt alles so schnell."
„Liebes, ich bereue nicht eine Sekunde, die ich mit dir verbracht habe. Mein Herz gehört dir und mit dir den Bund einzugehen macht mich zum glücklichsten Wesen in ganz Mittelerde. Ich liebe dich Melian."
Ich stand schweigend da und genoss seine zärtlichen Küsse und Berührungen.
Ja, morgen war es wirklich soweit.
