Kapitel 23 oder Aufbruch und viele Änderungen
Der Morgen kam viel zu schnell. Noch vor Sonnenaufgang machten wir uns fertig für den Abritt. Niniél hatte mir kurz zugeflüstert, das sie alles gut und sicher versteckt hatte.
Etwa einhundert der besten Kämpfer der Galadhrim, König Thranduil, die Eskorte des König, Legolas und Haldir hatten sich zum Aufbruch versammelt. Sie waren alle schwer bewaffnet und trugen Rüstungen, die jedoch aus festem Leder und nicht aus Metall war. Niniél und ich warteten etwas abseits mit unseren Pferden.
„Niniél, meinst du, daß das wirklich eine so gute Idee ist?"
„Du kneifst doch jetzt nicht, oder? Das kannst du mir nicht antun."
„Nein, ich kneife nicht, aber ganz wohl ist mir nicht bei dem Gedanken, das wir einfach abhauen wollen."
„Ich hab dir das doch gestern schon erklärt. Wir hauen nicht ab, sondern besuchen meine Tante. So, wie ich es von Anfang an auch vor hatte, nur das jetzt du noch mitkommst. Und jetzt sei still, da kommt Legolas."
Legolas kam zu uns rüber. Er machte ein sehr betrübtes Gesicht. Ich wußte, das es ihm nicht recht war, das wir mit zum Waldrand reiten wollten, doch er behielt es für sich. Er küsst mich auf die Stirn und nahm mich in die Arme.
„Ich habe Salldoth gebeten, während meiner Abwesenheit auf dich Acht zu geben. Ich weiß, das ihm viel an dir liegt, und ich bin mir sicher, das er gut auf dich aufpassen wird."
„Legolas, ich brauche keinen Aufpasser. Ich…."
Er legte mir einen Finger auf die Lippen.
„Scht, das Thema hatten wir schon. Auch hier in Lothlórien möchte ich meine Liebste in Sicherheit wissen. Ich weiß, das du auf dich selber aufpassen kannst, doch weder das Schwert, noch den Bogen beherrschst du gut. Und nur auf dein Pferd kannst du dich nicht immer verlassen. Gewähre Salldoth dir zur Seite zu stehen. Tue es für mich. Bitte."
Seine blauen Augen flehten mich an und ich willigte stumm nickend ein. Er küsste mich zärtlich auf den Mund und ging dann wieder zu seinem Pferd. Es war Zeit, aufzusitzen und abzureiten.
Galadriel und Celeborn sprachen ein paar letzte Worte zum König und den Kriegern, dann verließen wir die Stadt. Ich ritt mit Legolas direkt hinter dem König, gefolgt von Niniél und Haldir.
Wir ritten ostwärts. Als wir das Ufer des Anduin fast erreicht hatten, ritten wir flussaufwärts weiter. Die meiste Zeit schwiegen wir und nur ab und zu waren leise Gespräche der Krieger zu hören. Auch Niniél war seltsamerweise sehr still. Doch sie machte einen zufriedenen Eindruck. Wenn ich mich zu ihr umdrehte, lächelte sie mich meistens an und zwinkerte mir zu.
Am späten Vormittag hatten wir die Grenze des Reiches Lothlóriens beinahe hinter uns gelassen. Der Trupp hielt, tränkte die Pferde und sammelte sich zu einer neuen Formation. Kundschafter waren voraus geritten und berichteten, daß der Fluß einen halben Tagesritt entfernt überquert werden könne.
Für uns war es nun Zeit, Abschied zu nehmen. Der König nahm mich kurz beiseite und sprach leise zu mir.
„Mein liebes Kind. Ich werde dir nicht versprechen können, daß alles gut geht und du Legolas sobald wieder sehen kannst. Ich weiß nicht, was uns erwartet. Aber ich gehe davon aus, das es ein harter Kampf wird. Doch sorge dich nicht all zu sehr um ihn. Er ist ein sehr guter Schwertkämpfer und ein noch besserer Bogenschütze. Ihm wird nicht zustoßen. Da bin ich mir sicher."
Ich nickte nur und umarmte ihn herzlich. Ich verabschiedete mich auch kurz von Haldir und ging dann zu Legolas. Doch wir sprachen nicht. Wir sahen uns nur an. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Am liebsten hätte ich ihm erzählt, was Niniél und ich vor hatten. Aber ich konnte nicht. Es fiel ihm schon so schwer, zu gehen. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals runter, umarmte ihn und wir küssten uns ein letztes Mal, ehe er wieder auf sein Pferd stieg.
„Legolas. Ich liebe dich. Und tue mir den Gefallen und komme in einem Stück wieder."
Er schmunzelte über meine Ausdrucksweise.
„Ich werde heil wiederkommen. Ich verspreche es dir. Pass auf Niniél auf, damit sie keine Dummheiten anstellt. Ich liebe dich."
Dann setzte sich der Trupp in Bewegung. Wir standen noch eine Weile zwischen den Bäumen und sahen ihnen nach. Als unsere Pferde langsam unruhig wurden, stiegen wir auf und ritten wieder in den Wald. Etwas abseits von uns hatte Salldoth gewartet. Ich hatte gar nicht bemerkt, das er mitgeritten war. Doch er sagte nichts, und ritt ein Stück entfernt hinter uns her.
Als wir das Stadttor fast erreicht hatten, hielt Niniél.
„Ich denke, wir sollten ihn jetzt loswerden. Dort habe ich die Sachen versteckt."
Sie deutete auf einen kleinen Haufen geschichteter Steine und Moos, etwas abseits von der Stadtmauer. Ich nickte und drehte mich zu Salldoth um, der uns nun fast erreicht hatte.
„Salldoth. Ich weiß, das Legolas dir aufgetragen hat, uns nicht aus den Augen zu lassen. Ich bin damit ja auch einverstanden, doch im Moment würde ich gerne mit Niniél alleine sein. Ich werde mit ihr zum See reiten, an dem wir uns das letzte Mal getroffen hatten. Du kannst uns ja gegen Abend dort abholen. Was hältst du davon?"
Er überlegte kurz. Ich versuchte, mein betroffenstes Lächeln auf zusetzten. Eigentlich lüge ich nicht sehr gut, aber in diesem Fall schien es zu klappen.
„Ich denke, damit wäre Euer Gemahl einverstanden. Ich werde in einigen Stunden nachkommen und Euch wieder zurück geleiten."
Niniél und ich bedankten uns freundlich und ritten langsam los.
„Melian, reite du einfach langsam weiter. Ich werde schnell die Sachen holen. Wenn wir außer Sichtweite sind, komme ich wieder zu dir."
Ich ritt ein Stück am Graben vor der Mauer entlang und hielt mich dann in Richtung Süden, immer auf den Silberlauf zu. Als die Bäume den Blick auf mich von der Stadt aus versperrten, kam Niniél wieder zu mir.
Wir befestigten an jedem Sattel eine Tasche, die Decken und zusammengerollten Kleider. Wir legten uns beide die Umhänge um und schlossen sie mit einer silbernen Schnalle in Form zweier ineinander verschlungenen Blätter. Den Dolch befestigte ich mir an meinem Gürtel und das Schwert klemmte Niniél mir unter das Sattelblatt.
„So stört es dich nicht beim Reiten und du hast es doch immer Griffbereit. Wenn wir den Silberlauf erreicht haben, müssen wir ein Stück flussaufwärts reiten. Dort gibt es dann einige seichte Stellen, wo wir ihn mit den Pferden überqueren können. Also dann, auf geht's."
Wir stiegen wieder auf und galoppierten auf den Fluß zu. Schon nach kurzer Zeit erreichten wir ihn. Im Trab ließen wir die Pferde am Fluß entlang laufen und schauten, wo das Wasser niedrig genug war. Gegen Nachmittag hatten wir eine gute Stelle gefunden und wollten gerade durch den Fluß reiten, als wir eine Stimme von den Bäumen hörten.
„Haltet ein!"
Ein Elb, in der Kleidung der Wachen, sprang vom Baum und stellte sich uns in den Weg. Es wäre ja auch zu schön um wahr zu sein, daß wir unentdeckt aus Lothlórien gelangen würden.
„Ich erkenne Euch. Ihr seid Lady Melian. Warum versucht Ihr ohne Begleitung den Fluß zu überqueren? Ihr solltet nicht ohne Schutz das Reich von Lórien verlassen. Und schon gar nicht zu dieser Zeit. Die Sonne wird schon in wenigen Stunden untergehen."
Ich sah kurz zu Niniél, doch sie machte keine Anstalten, irgendetwas zu sagen. Also blieb es wieder einmal an mir hängen, die Wache anzulügen.
„Ich bin ja nicht allein. Sie ist meine Begleitung. Und wir wollen nur ein wenig über die Ebene reiten, um… ähm, um die Kräfte unserer Pferde zu messen. Ja genau, wir wollen ein Wettrennen machen. Und das ist hier im Wald ja nicht richtig möglich."
Oh man, ein Wettrennen. Was blöderes konnte mir wirklich nicht einfallen.
„Nur für ein Wettrennen seid Ihr aber sehr gut ausgestattet. Wozu seid Ihr so gut bewaffnet?"
Ich schaute hilfesuchend zu Niniél. Endlich erbarmte sie sich meiner und redete mit der Wache weiter.
„Es ist doch nötig, so bewaffnet zu sein. Man kann nie wissen, was uns erwartet. Und jetzt geht uns aus dem Weg. Dies ist schließlich die hohe Lady Melian. Ihr wollt doch nicht etwa ihrem Wunsch auf einen Ausritt im Wege stehen?"
Sie baute sich mit ihrem Pferd vor der Wache auf und funkelte ihn an. Als er sich nicht bewegte, ritt sie direkt auf ihn zu. Etwas erschrocken über ihre Entschlossenheit, ritt ich ihr einfach nach. Die Wache wich erstaunt zurück und gab den Weg frei.
„Ich werde ein Auge auf Euch haben. Soll ich nicht doch jemanden mitschicken, nur zu Eurem Schutz?"
Niniél dreht sich mit ihrer Stute um und fauchte die Wache böse an.
„Habt Ihr nicht gehört, was ich gesagt habe? Ich bin zu Ihrem Schutz hier und Ihr braucht uns auch nicht im Auge behalten. Ich kann sehr wohl auf die Lady Acht geben. Und jetzt geht gefälligst wieder auf Euren Posten und stört die Lady nicht länger."
Ich mußte mich zusammenreißen, um nicht über ihren Anblick zu lachen. Da stand die kleine Elbin mit ihrem Pferd mitten im Fluß und meckerte auf den großen Krieger von Lórien ein. Und der war so perplex über Niniéls Worte, das er nur noch kurz nickte und wieder auf den Baum verschwand, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Zufrieden ritt Niniél durch den Fluß.
„Dem hast du es aber richtig gegeben. Der hatte ja richtig Angst vor dir bekommen. Ich wußte gar nicht, das so etwas in dir steckt."
„Naja, ich mußte mich oft gegen die Wachen bei mir zu hause durchsetzten, wenn die mich mal wieder nicht alleine losreiten lassen wollten. Hast du sein Gesicht gesehen, das er gemacht hat, als wir auf ihn losgeritten sind?"
Wir lachten beide und trieben dann unsere Pferde zu einem wilden Galopp an.
Nach kurzer Zeit ließen wir auch die letzten Bäume von Lórien hinter uns. Wir ritten, die Berge zu unserer Rechten, immer weiter über die Ebene. Die Sonne blickte mit ihren letzten Strahlen über die Bergspitzen, als wir uns ein Plätzchen für die Nacht suchten. Wir waren zirka drei Wegstunden von den Wäldern Lóriens entfernt. Eine Vertiefung im Boden hinter einem kleinen Felsbrocken wurde zu unserem Nachtlager. Die Gegend war sehr trostlos. Vereinzelnd standen einig Bäume auf der Ebene verteilt, doch die allgemeine Vegetation hier war recht karg. Ein Feuer wollte Niniél nicht entzünden, weil sie befürchtete, nicht nur von den Elben von Lórien gesehen zu werden. Wir setzten uns auf die Decken und hüllten uns in unsere Umhänge. Da wir nicht ganz genau wussten, wie lange wir für den Weg brauchen würden, sparten wir mit unserem Proviant und aßen nur wenig. Die ganze Sache wurde mir langsam etwas unheimlich und ich fing an mich zu fragen, ob es richtig war, einfach abzuhauen, ohne jemanden davon zu erzählen. Die Tatsache, das ich hier eigentlich nicht zuhause war und das ich in allem, was passierte und vor sich ging, fremd war, machte mir Angst. Einerseits gab es die Schönheit und Geborgenheit bei den Elben. Sie wirkten so stark und beschützend auf mich, das ich in ihrer Nähe das Gefühl hatte, es würde sich alles zum Guten wenden und meine Aufgabe wäre leicht zu meistern. Doch die dunkle Seite in Mittelerde war auch noch da. Und ich allein konnte gehen sie nie bestehen. Mir wurde bewusst, das alle, die davon wussten, sich auf mich verlassen würden. Sie verließen sich darauf, das ich zum Wohle der freien Völker Mittelerdes handeln würde. Und was tat ich in diesem Augenblick? Ich riss aus, wie ein Teenager, dem die Eltern es verboten hatten, auf eine Party zu gehen.
„Niniél, ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Ich denke, es war keine gute Idee, niemanden von unserem Vorhaben zu erzählen. Und ich möchte dir auch sagen, warum. Also höre mir bitte zu und unterbrich mich nicht!"
Sie sah mich verdutzt an, gab aber kein Laut von sich und lauschte meinen Worten.
Ich erzählte ihr von der Aufgabe. Und zwar in allen Einzelheiten. Alles, was ich von Galadriel erfahren hatte, was ich in Büchern bei Elrond und in Lórien gelesen hatte und was mir andere Elben berichtet hatten. Wo ich die Steine finden würde, wie sie zu gebrauchen waren und was dann geschehen würde. Und ich vertraute ihr auch an, das ich große Angst davor hatte, zu versagen. Das ich mich nicht fähig fühlte, diese Aufgabe zu erfüllen. Das einzigste, was ich ihr verschwieg, war, das ich nicht aus Mittelerde stammte. Ich war der Ansicht, daß das zu diesem Zeitpunkt keine Rolle spielen würde, und sie mir sicher auch nicht glauben würde. Sie schwieg während der ganzen Zeit und ließ in ihrem Gesichtsausdruck nicht erkennen, was sie gerade dachte. Dann atmete sie unerwartet laut hörbar aus und sah mich mit ernsten Augen an.
„Melian, ich muß dir jetzt auch etwas erzählen. Und so, wie ich bei deiner Erzählung geschwiegen habe, so möchte auch ich dich bitten, dies bei mir zu tun."
„Ja, natürlich. Ich werde dich nicht unterbrechen. Bitte, erzähle."
Ihr ernster Ausdruck machte mich unruhig. Es war derweil schon tiefste Nacht. Der Schein eines Glühwürmchens, den Niniél in einem kleinem Glas gefangen hatte, erhellte die Dunkelheit ein wenig. Um uns war es still und nur das leise Schnauben unser Pferde war zu hören. Ich begann, trotz des Umhangs, zu frösteln. Niniél richtete sich ein wenig auf und nahm meine Hand.
„Ich bin leider nicht ganz ehrlich zu dir gewesen, Melian. Ich hoffe, das du mich noch immer als deine Freundin bezeichnest, wenn ich dir alles erzählt habe. All das, was du mir eben berichtet hast, weiß ich bereits. Lady Galadriel hat mich darüber unterrichtet. Sie hat mich über deine Mission informiert. Ich mußte so tun, als ob ich nichts davon wüsste, solange wir noch in Caras Galadhon waren. Und bevor du dir noch weiter Sorgen machst, sie weiß, wohin wir gehen. Sie hat mich beauftragt, dich mit nach Rohan zu nehmen. Sie hat sich Sorgen gemacht, das du hier in Lórien auch nicht mehr sicher bist. Sie hofft, daß unser Verschwinden geheim bleibt und das wir bei meiner Tante vor Übergriffen von Toral verschont bleiben. Mein Vater wurde inzwischen von Lord Elrond beauftragt, dich in der Kampfkunst mit dem Schwert und dem Bogen zu unterrichten. Er ist auch bereits auf dem Weg nach Rohan. Es tut mir wirklich außerordentlich leid, daß ich dich anlügen mußte über den genauen Zweck unserer Reise. Es ist mir wirklich nicht leicht gefallen, dir etwas vor zu spielen."
Ich konnte und wollte nicht glauben, was sie mir erzählte. Ich entzog ihr meine Hand und rückte ein Stück von ihr ab.
„Dann war das alles so geplant? Das ganze hier ist von Anfang an so gelenkt worden? Was ist mit Legolas? Ist die Sache mit dem Angriff der Orks auf das Reich seines Vaters auch geplant worden?"
Ich war wütend und enttäuscht zugleich. Ich fühlte mich hintergangen und zu tiefst verletzt.
„Melian, bitte glaube mir. Ich habe erst nach dir von deiner Mission erfahren. Bevor ich hierher gekommen bin, war ich genauso ahnungslos, wie du. Galadriel hat mich nur dazu beauftragt, weil sie wußte, das du mit mir gehen würdest und das ich für dich alles tun würde. Aber der Angriff beim Düsterwald hat damit nichts zu tun. Ich schwöre es dir. Keiner, außer Galadriel, Elrond, mein Vater, du und ich wissen die ganze Wahrheit. Selbst Haldir und Legolas, ja sogar König Thranduil sind nicht über alles informiert worden."
„Wissen Haldir und Legolas wirklich nicht, wo wir grade sind?"
„Nein, sie glauben, das wir in Caras Galadhon sind. Und das sollen sie auch. Niemand darf erfahren, das du aus Lórien fort bist. Und du mußt auch deinen Namen ablegen. Er ist zu gefährlich und wir wissen nie, wer nicht vielleicht ein Spitzel des Feindes ist. Von nun an soll ich dich beim Namen Maren nennen, hat mich Galadriel beauftragt. Es ist zwar ein seltsamer Name, aber sie sagte, das er dir zusagen würde."
„Ja, das tut er. Hat sie dir vielleicht auch verraten, warum dies so ist?"
„Nein. Sie meinte auch, ich solle dich nicht danach fragen. Und das werde ich auch nicht. Ich bitte dich, sag jetzt nichts mehr. Lege dich schlafen und denke nicht mehr über all dies nach. Es ist schon sehr spät und wir müssen morgen früh aufbrechen. Wenn wir gut vorankommen, schaffen wir es vielleicht schon in zwei Tagen bis zum Saum des Fangorn."
Meine Gedanken rasten durch den Kopf, das mir fast schwindelig wurde. Sie hatte mich belogen. Sie, Galadriel und wahrscheinlich auch Legolas. Warum hatten sie es getan? War ich denn nur noch ein Werkzeug, das seinen Zweck erfüllen sollte? Warum hatte mich denn keiner nach meiner Meinung gefragt? Sicher, ich wäre damit nicht einfach so einverstanden gewesen, aber warum wurde ich so übergangen? Wenn man mir die Sachlage erläutert hätte, wäre mir der Ernst der Situation bewußt geworden und ich hätte ohne Einwände getan, was richtig gewesen wäre. Ich fühlte mich ausgenutzt und einsam. Ich wollte nichts mehr hören und auch Niniéls letzte Wort drangen nur noch verschwommen zu mir durch. Ich rollte mich auf meiner Decke zusammen und drehte mich von Niniél weg. In ihre Augen wollte ich nicht mehr blicken müssen, zu enttäuscht war ich von ihr in diesem Moment. Ich zog mir den Umhang über den Kopf und versuchte, Schlaf zu finden.
Tiefe Dunkelheit umgab mich. Wie eine dicke undurchdringbare Wolke war sie um mich herum. Ich fühlte eine Leere und Kälte in und um mir, daß ich Angst bekam. Wo war ich? Was war geschehen? Ich rief laut, doch niemand antwortete. Meine Worte blieben in der Dunkelheit stecken. Ich stand einsam und allein in einem Meer aus Finsternis und Nichts.
Ein Grollen. In weiter Ferne. Es kam näher. Der Boden unter meinen Füßen begann zu zittern. Ich war unfähig, mich zu bewegen. Das Grollen kam immer näher, auf mich zu und wurde lauter und unheimlicher. Die Erde bebte und ich fiel fast zu Boden. Das Grollen ging in ein ohrenbetäubendes Donnern und Getöse über. Ich schrie aus Angst und Verzweifelung. Dann ein lauter Knall. Und plötzlich … Stille. Ich war in die Knie gegangen und hatte mir die Ohren zugehalten. Als ich wieder aufsah, erblickte ich ganz nahe ein kleines Licht. Es schimmerte hell und klar, wie das kleine Glühwürmchen, das Niniél gefangen hatte. Dann wurde das Licht größer und ich sah, das es in jemanden Hände lag.
„Wer ist da? Hallo?"
„Habe keine Furcht, Maren. Es ist nichts hier, was dir schaden könnte."
Dann erkannte ich die Person. Es war Galadriel. Und sie hielt ein Licht in ihren Händen, dessen Schein immer heller wurde. Wie ein Stern funkelte es und eine beruhigende Wärme ging von ihm aus. Sie kniete sich zu mir nieder.
„Was ist geschehen? Wo bin ich hier? Was war das für ein Donnern und Grollen?"
„Du bist im Nichts. Das was du gehört hast, daß war der Untergang von Mittelerde. Es ist nichts mehr da. Keine Lebewesen, keine Pflanzen, kein Land, auch kein Wasser und selbst die Luft ist nicht mehr da."
„Dann haben wir verloren? Meine Aufgabe ist nicht erfüllt und alles ist verschwunden?"
„Nein, nicht ganz. Deine Aufgabe ist nicht verloren, sondern beendet."
„Aber was ist geschehen? Habe ich es geschafft, die Steine zu finden und einzusetzen?"
„Dies ist mir nicht gestattet, zu berichten. Die Erfüllung deiner Aufgabe liegt noch vor dir. Doch deine Angst und Zweifel könnten dich scheitern lassen. Und aus diesem Grund bin ich hier. Ich möchte dir deine Angst nehmen und dir zeigen, was geschehen wird, egal, wie es endet."
„Dann ist nach meiner Aufgabe alles zu Ende?"
„Ja. Und es liegt an dir, ob es wieder beginnen wird. Du allein kannst entscheiden, ob es Mittelerde geben wird, oder nicht. Dieses Licht ist dein Stern. Und er hat die Kraft, Mittelerde erwachen zu lassen."
„Ja, dann soll er es tun. Ich will nicht, das Mittelerde verschwunden bleibt."
„Um deinen Stern zum Leben zu erwecken, mußt du dich entscheiden."
„Wofür?"
„Für eine Welt. Du kannst nur in einer Welt leben. Es ist egal, wie du dich entscheidest, Mittelerde wird wieder wach werden. Du kannst zusammen mit ihr erwachen, oder in deine Welt zurückkehren. Aber bedenke, wenn du wieder in deine alte Welt gehst, kannst du nie wieder zurück kehren. Dann wird Mittelerde für immer verschlossen bleiben für dich."
„Aber was ist mit dem Kind? Mit meinem Kind. In einer früheren Vision trug ich ein Ungeborenes unter meinem Herzen und ein anderes Mal sah ich ein Säugling in den Armen von Legolas."
„All das wird in Mittelerde sein, denn es kommt von dort. Nun, wie lautet deine Entscheidung?"
„Maren, wach auf. Wir müssen los. Komm schon, die Sonne wird in einer Stunde aufgehen."
Ich öffnete die Augen. Es war düster und neblig, doch ich konnte Niniél vor mir sehen. Ich muß wieder geträumt haben. Aber ich konnte mich nicht mehr erinnern, wie es endete. Ich streckte meine Glieder aus und richtete mich auf. Etwas verunsichert blickte mich Niniél an. Doch meine Wut und mein Ärger von gestern Nacht waren wie weggeblasen. Ihr handeln kam mir nicht mehr unverständlich und enttäuschend vor. Ich konnte auf einmal begreifen, wieso sie dies getan hatte.
„Niniél, bitte verzeihe mir meine Wut von gestern. Ich verstehe jetzt, warum du so handeln musstest. Und ich bin dir nicht mehr böse deswegen. Ich weiß jetzt, daß, egal was auch geschehen wird, ich am Ende selber entscheiden werde, wie es weiter geht. Und ob es einen neuen Anfang geben wird."
„Und wie wirst du dich entscheiden?"
Doch ich blieb ihr diese Antwort schuldig, stand auf und machte mich reisefertig. Sie fragte mich noch einige Male, doch ich blickte sie nur lächelnd an und kurze Zeit später ritten wir im gestreckten Galopp über die Ebene auf den Fangorn zu.
