Stimme des Todes
Die Nacht war tiefschwarz und kalt, die Bäume wehten im Wind und es sah so
aus, als ob sie tanzen würden. Die Sterne glitzerten am Himmelszelt und die
Laternen erleuchteten den Ligusterweg. Die frischgewaschenen Autos standen
in ihren einzelnen Einfahrten, der Rasen hatte in der Nacht in tiefes
dunkelgrün angenommen und nirgendwo brannte mehr ein Licht. Durch das Licht
der Laterne, nahe am Straßenrand, sah man einen bärengroßen, schwarzen Hund
vorbeihuschen. Der Hund trug ein silbernes Halsband, an dem ein Amulett
befestigt war. Es war ein Dreieck, deren Mitte eine Schlange schmückte. Der
Hund bewegte sich zielstrebig die Straße entlang .Plötzlich hielt er vor
dem weißen Gartentor des Hauses Nummer 4 an und schaute zum Haus. Dann, es
war, als sähe man in Zeitraffer, wie ein Baum wächst. Dort, wo der Kopf des
Hundes war, war ein Menschenkopf zu sehen, dann ein Körper aus dem die
Glieder sprossen und schon stand da, wo der Hund gesessen hatte, eine junge
Frau. Sie war groß, dünn und um die 30. Ihr Gesicht war durch eine tief
über die Augen gezogene schwarze Kapuze nicht zu sehen. Sie trug eine lange
schwarze Robe, einen schwarzen Umhang, der den Boden streifte und
Schnallenstiefel mit hohen Hacken. Gedankenverloren durchstöberte die
Taschen ihres Umhangs. Doch offenbar bemerkte sie, das sie beobachtet wurde
denn plötzlich sah sie zu einer Katze hinüber, die sie vom andern Ende der
Straße her immer noch anstarrte. Sie hob die Hand in Richtung Katze und als
ob jemand Unsichtbares die Katze aufheben würde, fing die Katze an, zu
schweben. Die Katze strampelte, doch kam nicht frei.
„Es ist besser, wenn niemand davon erfährt. Mich kann niemand aufhalten von
meinem Plan."Sprach die junge Frau unter der Kapuze vor und schien mit der
Katze zu reden. Die Katze fauchte sie an, doch die junge Frau bewegte noch
einmal ihren Arm und die Katze war verschwunden.
Sie drehte sich wieder dem Haus zu. Nun fand sie in der Innentasche, wonach
sie suchte. Es sah aus, wie ein Feuerzeug. Sie ließ den Deckel
aufschnappen, hielt es hoch in die Luft und ließ es knipsen. Doch es war
kein Ausmacher, wie es Albus Dumbledore vor knapp 5 Jahren im Ligusterweg
benutzt hat. Ein kleiner Lichtfunke schwirrte aus dem oberen Fenster des
Ligusterwegs Nummer 4 und verschwand in dem Feuerzeugähnlichen Etwas, was
die junge Frau immer noch nach oben gerichtet in der Hand hielt. Sie
schaute auf das Etwas in ihrer Hand und lächelte.
„Er schläft, wie ein Baby."Ihre Stimme klang belustigt. Sie steckte das
Feuerzeugähnliche Etwas zurück in ihren Umhang und hob die Hand. Das
Fenster im obersten Stockwerk mit den befestigten Gittern ging sanft auf.
Die Frau erhob sich vom Boden und schwebte wie eine Feder hoch zum Fenster.
Sie kletterte durch das geöffnete Fenster und fand sich in einem großen
Zimmer wieder. Auf dem Schreibtisch, auf der sie stand, waren Bücher mit
der Aufschrift Dunkle Kräfte. Ein Kurs zur Selbstverteidigung oder
Sagentiere und wo sie zu finden sind. Sie sprang federleicht von dem Tisch
hinab und stolperte beinahe über einen Koffer mit den Buchstaben HP an der
Seite. Sie ging zu einem Bett hinüber, auf dem ein schwarzhaariger Junge
lag. Er schien sehr unruhig zu schlafen, denn er wälzte sich von der einen
auf die andere Seite.
Sie strich ihm vorsichtig über die Wange.
„Bald bist du bereit, die Wahrheit zu erfahren."Sie lächelte. Doch ihr
Lächeln verblasste mit einem Windzug, der aus dem Fenster kam. Sie zuckte
stark zusammen und riss die Augen auf. Sie sah sich um, als würde sie einen
Fluchtweg suchen. Dann nahm sie Anlauf, sprang über den Tisch und stürzte
aus dem Fenster. Draußen, auf dem Blumenbeet unter dem Fenster, wo die Frau
sich rausgestürzt hatte, war niemand. Die Frau war nicht mehr zu sehen. Nur
ein bärenschwarzer, großer Hund mit einem Amulett um den Hals, rannte die
Straße entlang und war nur manchmal im Licht der Laterne zu sehen.
Harry rannte. Er rannte so schnell er konnte.
„Er darf uns nicht entkommen!"Rief hinter ihm eine Stimme.
Harry drehte den Kopf im Rennen um. Hinter ihm waren Lucius Malfoy, von dem
der Ruf ausging, und andere Todesser.
Er drehte den Kopf wieder nach vorne und sah vor sich eine Tür. Die
Gelegenheit, dachte er. Er rannte noch viel schneller zur Tür, zog sie auf
und spurtete hindurch.
Aber was er sah, ließ ihm beinahe die Eingeweide gefrieren. Vor ihm lag
Hermine, vermutlich tot, neben ihr kniend Neville, der nicht mehr das
Bluten aus seiner Nase halten konnte und deswegen Blut auf Hermine 's Brust
tropfen ließ, ein Stück weiter kämpfte Ron lachend mit einem Gehirn, Ginny,
die in der Ecke ihr Bein umklammert hielt und weinte und Luna, die Harry
vorwurfsvoll ansah.
„Das ist alles deine Schuld.", Sagte sie steif. „Du hast uns alle in Gefahr
gebracht."
„Nein."Sagte Harry fast flehend. „Es – Es tut mir leid."
„Jetzt ist es zu spät"fuhr Luna fort, völlig gefühllos. „Hermine ist tot,
Neville wird verbluten, Ron wird zerquetscht und Ginny wird nie wieder
normal leben können. Und das ist alles deine Schuld."Sagte Luna und jetzt
breitete sich ein leichtes Grinsen auf ihrem Gesicht aus.
Harry konnte es nicht glauben. Wie konnte Luna so Gefühllos sein? Doch
seine Gedanken wurden durch einen lauten Knall unterbrochen. Die Todesser
mussten wohl Flüche gegen die Tür geschickt haben, um sie aufzubekommen.
Harry wurde Angst erfüllt.
„Wir müssen Ron helfen!"
„Du musst gehen"sagte Luna so steif wie zuvor.
Hinter ihr schwang eine Tür auf und Harry vermutete, wohin diese führte.
„Ich kann jetzt nicht gehen! Was ist mit Ron!"
„Es ist zu spät."Entgegnete ihm Luna immer noch ohne Mitgefühl zu zeigen
oder den Anschein zu machen, irgendwem helfen zuwollen.
Harry spurtete auf Ron zu, doch irgendetwas hielt ihn zurück.
„NEIN! Geh, bevor noch jemand wegen dir stirbt!"Jetzt war Luna
aufgebracht. Wollte sie wirklich, dass Ron stirbt?
„Du musst mit mir kommen! Die Todesser! Sie kommen."
„Nein, es ist nicht mein Schicksal, zu überleben. Ich muss auch sterben."
Immer noch stand Luna vor ihm, ohne sich zu bewegen.
„Aber warum?"Fragte Harry.
„Wegen dir. Schon so viele mussten wegen deinem Retter – Syndrom sterben."
Sie hatte Recht. Harry 's Eltern sind gestorben, weil sie ihn retten
wollten. Cedric ist gestorben, weil er unbedingt wollte, dass sie beide
gewinnen. Voldemort ist zurück gekehrt, weil er nicht wollte, dass sein
größter Anhänger stirbt und besser nach Askaban sollte. Er war alles
Schuld. Gebe es ihn nicht, wäre alles besser.
Wieder knallte es an der Tür. Die Tür schien langsam nach zulassen.
„Geh, bevor es zu spät ist!"Sagte Luna und deutete auf die offene Tür
hinter ihr.
Harry sah zu Ron, dann zur Tür. Was sollte er tun? Er konnte doch seinen
besten Freund nicht im Stich lassen.
„GEH!"Herrschte ihn Luna an und eine unsichtbare Kraft schob ihn zur Tür.
Als er aus dem Raum war, ging die Tür hinter ihm zu. Er drehte sich um und
wollte die Tür öffnen, doch sie war verschlossen. Er rüttelte kräftig am
Türknauf, doch nichts bewegte sich.
Eine Tür zerbarst. Die Todesser hatten es durch die Tür geschafft. Sekunden
später hörte er den Avada Kedavra Fluch der von Macnair ausging. Etwas fiel
auf den harten Boden. Luna war tot.
"Es ist meine Schuld." Dachte Harry und eine heiße Träne lief seine Wange
entlang.
„Komm schon, du kannst es doch besser"rief jemand hinter ihm und die
Hundeartige Stimme hallte im Gewölberaum wider.
Harry drehte sich um.
Auf dem Podium duellierte sich Bellatrix Lestrange und Sirius. Ein zweiter
Lichtstrahl traf Sirius genau auf die Brust. Das Lachen auf seinem Gesicht
war noch nicht ganz verloschen, aber die Augen weiteten sich vor Entsetzen.
Sein Körper schwang einen anmutigen Bogen und er fiel rücklings durch den
Schleier.
Harry wollte auf das Podium losspurten, doch Lupin schlang ihm einen Arm um
die Brust und hielt ihn zurück.
„Du kannst nichts mehr tun, Harry -"
„Holt ihn, rettet ihn, er ist doch eben erst dort durch!"
„- es ist zu spät, Harry."
„Wir können ihn noch erreichen -"Harry kämpfte verbissen und böse, doch
Lupin ließ ihn nicht los...
„Du kannst nichts mehr tun, Harry... nichts... er ist fort... "
„Himmel, Arsch und Zwirn, was treibst du hier bloß!"
Harry schlug die Augen auf. Vor ihm war Onkel Vernon, der ihm am Kragen
festhielt.
"Tut mir –Leid...", krächzte Harry und versuchte sich dem starken Griff
seines Onkels zu entwinden. "Hatte... einen... Albtraum... kriege... keine
Luft..."
Onkel Vernon kam näher an Harry heran, damit er sicher war, dass nur Harry
ihn hören konnte.
„Wenn du noch einmal in der Nacht so einen Lärm veranstaltest, dann"
zischte Onkel Vernon, sichtlich bemüht leise zu sprechen, um nicht auch
noch die Nachbarn zu wecken.
„ ... dann können deine.. Deine ABNOMALEN FREUNDE dich auch nicht mehr
zusammen flicken!"
Ohne eine Antwort abzuwarten, ließ er ihn los und verließ das Zimmer.
Das Knarren des Bettes im Nebenzimmer ließ Harry wissen, dass Onkel Vernon
wieder im Bett lag.
Harry packte sich an den Hals und rieb ihn vor Schmerz, denn Onkel Vernon
hatte kräftig zugepackt. Er stand vom Bett auf. Erst jetzt bemerkte er,
dass das Fenster offen stand. Er ging hinüber, schaute hinaus und schloss
das Fenster. Schuldgefühle traten plötzlich in ihm auf. Er ging nervös in
seinem Zimmer auf und ab, immer wieder abwechselnd an den Kopf und Hals
fassend.
Es war nur ein Traum, sagte er sich. Allen geht es gut. Er blieb stehen.
War das wirklich so? Schließlich hätten sie sterben können. Und warum? ,
Fragte er sich zynisch. Weil du unbedingt in die Mysteriumsabteilung Rennen
musstest. Er atmete tief ein. Es war alles seine Schuld gewesen. Sirius
könnte jetzt noch leben, wenn er nicht gewesen wäre. Er rief sich Hermine
's Worte noch einmal in den Kopf:
„Nun ja, du hast manchmal dieses Helden – Syndrom"
Sie hatte Recht. Wenn er nicht immer den Helden gespielt haben wollte,
würde jetzt Sirius noch leben. So wie Cedric. Er setzte sich neben seinem
Schrank in die Ecke. Er legte beide Arme um seine Knie und drückte seine
Augen in seine Knie, um weitere Tränen zu verhindern.
Mal wieder eine Nacht, die ein Alptraum mit sich brachte. Wieder ein Traum,
den ihn aufschreien ließ und somit Onkel Vernon fast zum Überlaufen
brachte. Er ging nur selten aus seinem Zimmer. Er hatte sich seit Tagen
nicht mehr gewaschen oder gekämmt. Doch er war dankbar dafür, dass er nicht
nach unten musste, um mit irgendjemanden zu reden. Tante Petunia sprach
nicht viel, sondern brachte ihm durch die Hundeklappe an der Tür immer
frisches Obst, da er immer die wärmende Suppe ablehnte.
Als er wieder vor einer Woche im Ligusterweg ankam und Tante Petunia ihm
das erste Mal essen brachte, hätte Harry schwören können, dass sie
geschluchzt hat. Vielleicht war sie immer noch in Panik um ihren
‚Duddyspatz', der letztes Jahr von den Dementoren attackiert wurde.
Er blickte sich im Zimmer um.
Auf seinem Schreibtisch lagen ungeöffnete Briefe, alle von Ron und Hermine,
manche davon waren von Remus, Tonks oder von den anderen Ordensmitgliedern,
die versuchten, ihn aufzumuntern.
Doch sie konnten es nicht. Niemand würde das können. Er war ein
gezeichneter Mensch. Beinahe wäre er jetzt aufgesprungen, um einen Brief an
Sirius zu schreiben. Ihm über seinen Kummer zu berichten. Einfach nur
wissen zu wollen, wie es ihm geht. Doch dies ging nun nicht mehr. Sirius
war fort. Für immer.
„Harry ..."
Harry prustete. Jetzt hör ich sogar schon Sirius.
„Harry..."eine schwache, krächzende Stimme war direkt neben seinem linken
Ohr. Er drehte den Kopf. Dort war niemand.
„Harry..."
„Sirius?"Harry stand auf. Hatte er wirklich Sirius gehört?
„Harry ... hilf mir ..."
„Wie, Sirius, wie?"
Dann bemerkte Harry, dass die Stimme aus dem Koffer kam. Er ging hinüber,
öffnete ihn und wühlte in dem Koffer.
Kam es aus dem Zweiwegespiegel?
„Harry... bitte... hilf mir..."
Die Stimme wurde lauter. Als ob sie näher kommen würde.
„Autsch!"Er hatte sich an dem Zweiwegespiegelstück geschnitten. Das Blut
an seinem Finger tropfte auf den Spiegel. Irgendetwas in seinem Kopf sagte
ihm, dass er die zwei Stücke aneinanderfügen sollte. Er nahm das andere
Stück und legte die beiden Stücke so zusammen, dass sie zusammen passten.
Was Harry sah konnte er nicht glauben.
Sein Blut schien die zwei Stücke zusammenzukleben. Er starrte den Spiegel
voller entsetzen an. Er war wie neu.
Wie konnte das geschehen?
„Harry..."
Harry zuckte zusammen. Plötzlich erinnerte Mr. Weasley 's Stimme ihn an
etwas, was er Ginny in seinem 2ten Schuljahr gesagt hatte:
„Traue nie etwas, wo du nicht weißt, wo es sein Gehirn hat"
Oh nein, sagte er sich, darauf fall ich bestimmt nicht rein. Er warf den
Spiegel zurück in den Koffer. Er hätte auf dem harten Holz des Koffers
zerbrechen sollen, aber er tat es nicht. Er blieb wie vorher.
„Harry ... hilf mir ..."
Harry drückte sich die Ohren zu.
Nein, dachte er. Lasst mich in Ruhe. Er drückte so fest, dass es weh tat.
Doch die Stimme rief ihn weiter.
„Hilf mir..."
Plötzlich, wie durch Geisterhand, fiel sein Blick auf das alte Geschichte
der Zauberei Buch von seinem letzten Hogwarts Jahr auf.
Er nahm es raus und blätterte gegen seinen Willen auf eine Seite, die ihm
noch nie aufgefallen war. Dieses Foto zeigte eine junge Frau, die ganz in
schwarz gekleidet war, rabenschwarze Haare hatte und meeresblaue Augen. Sie
trug ein Amulett um den Hals. Es war ein handflächengroßes Dreieck mit
einer Schlange in der Mitte. Die Schlange bestand aus einzelnen Grün- und
Silberdiamanten. Das Dreieck selber bestand aus Silber. Sie hielt ein Buch
mit der Aufschrift ‚auf der Suche nach dem Stein der Weisen – die
Geschichte der Alchemie' von Hans – Werner Schütt in beiden Händen. Unter
ihrem Bild war in goldenen Lettern geschrieben:
Ana Alcazar (1966 – 1995), geboren in London, Eltern unbekannt.
Hogwartsabschluss, Aurorenausbildungsabschluss 1987, Ausbildungsabschluss
zum Alchemist 1988, Beitritt zum Orden 1985, wurde 1989 unehrenamtlich
rausgeworfen, saß 6 Jahre in Askaban, kam frei wegen bewiesener Unschuld,
sechsfache Meisterin in Gestikulation, vermeintliche enge Verbündete von Du-
weißt-schon-wem, seit Entlassung aus Askaban nie wieder gesehen.
Dieses Gesicht. Dieses Haar. Es erinnerte ihn an jemanden. Aber das kann
nicht sein.
Da fiel ihm etwas ein. Natürlich! Er schob das Buch etwas höher, holte sein
Photoalbum, dass ihm letztes Jahr Hagrid geschenkt hatte, aus dem Koffer
und legte es unter die Geschichte der Zauberei Buch auf dem Tisch.
Harry blätterte in seinem Buch, doch nirgendwo war Ana Alcazar. Sie sah
seinem Vater so ähnlich. Sie musste mit ihm verwandt sein. Er blätterte
nach kläglichen Suchen auf die letzte Seite seines Familienstammbaumes.
Da bemerkte er eine Lücke neben dem Namen seines Vaters. Eine Linie verband
diese Lücke mit seinem Vater, die Eltern seines Vaters und...
„Sirius?"Fragte sich Harry. Wie kam Sirius auf seinen Stammbaum? War
Sirius mit irgendjemanden aus seiner Familie liiert?
Dann fiel ihm auf, dass bei seinem Ururgroßvater ebenfalls eine Lücke war.
Eine Linie von ihm und seiner Frau Cordelia ausgehend verband sich mit
seinem Urgroßvater Fidelius, die zweite verband sich mit der Lücke. Warum
fehlten dort zwei Namen in seinem Stammbaum? Wurden sie von der Familie
verstoßen? War seine Familie so grausam? Schließlich wurde er ja auch
nicht, dass sein Vater so arrogant war und Spaß daran hatte, Kleinere oder
Schwächere zu Ärgern. Hieß das eigentlich dann, dass er tatsächlich mit
Sirius verwandt ist?
Harry stand auf und wollte zu seinem Bett hinüber gehen, als er etwas sah,
was sein Herz stehen bleiben ließ.
Sirius, das Gesicht zerkratzt und blutig, mit zerrissener Kleidung stand
vor seiner Tür.
„Hilf mir..."
Dann verschwand er wieder.
Harry rieb sich die Augen. Nein, sagte er sich, du hast nicht gerade Sirius
gesehen. Das ist bestimmt wieder ein Trick von Voldemort.
Harry warf sich aufs Bett. Er drückte seine Hände gegen seine Augen.
Warum vermisse ich ihn so schrecklich?
Ohne es gemerkt zu haben, muss er wieder eingeschlafen sein, denn er fing
anzuträumen...
Harry saß in einem schwarzen, zerrissenen, alten Sessel, vor ihm prasselte
ein anscheinend warmes Feuer, doch er spürte diese Wärme merkwürdigerweise
nicht. An seinen Füßen schlängelte etwas entlang, was weich und glatt war.
„Ah, Nagini, da bist du ja."Sagte Harry mit einer von ihm nicht gewohnten
kalten Stimme.
„Sie ist auf dem Weg zu euch, Meister."Zischte die Schlange.
„Sehr gut."
„M-meister.. Sie ha- haben mich g- gerufen?"
„Ja,"sagte Harry, während er die Schlange streichelte.
„Weißt du nun, wo er wohnt?"
„Ja, Meister."Jetzt ein wenig stolzer, schwellte die Frau ihre Brust auf,
sichtlich erleichtert.
„Gut, enttäusche mich nicht"sagte Harry entzückt. „Du weißt, was zu tun
ist."
„Ja, Meister."Die Frau verbeugte sich und verschwand.
Harry drehte sich wieder dem Kamin zu.
„Ich weiß, dass du mich hören kannst, Potter."
Harry stand auf und ging zu einem Spiegel.
„Sieh dir an, was aus mir geworden ist, Potter."
Harry schaute in den Spiegel. Er hatte ein hässliches Schlangenartiges
Gesicht erwartet, doch was er sah, konnte er nicht glauben. Im Spiegel sah
er den schwarzhaarigen sechszehn jährigen Jungen vor sich, den er schon mal
gesehen hatte. In seinem zweiten Schuljahr. Es war Tom Riddle.
"Ich bin dir sehr verbunden, Potter. Dank dir kann Lord Voldemort, Erbe
Salazar Slytherin 's an seine Macht zurück kehren."
Harry lachte auf. Dann wurde alles schwarz um ihn herum und er befand sich
wieder im Ligusterweg Nummer 4.
Harry 's Narbe brannte, wie sie es noch nie tat. Er rieb die Narbe und
kniff die Augen zusammen.
Er hatte wieder einen Traum gehabt. Einen Traum, in dem er sieht, was
Voldemort plant. Meinte Voldemort ihn mit »Weißt du nun, wo er wohnt«?
Harry schaute aus dem Fenster, als ob Voldemort oder ein Todesser um die
Ecke kommen würde, um ihn umzubringen. Aber wie wollten sie ihn umbringen?
Schließlich können sie nicht einfach in den Ligusterweg spazieren und ihn
umbringen. Fast hätte er Tintenfass und Pergament genommen, um Lupin oder
Dumbledore davon zu erzählen. Aber er ließ es bleiben. Sollen die doch
kommen, dachte er sich. Ich werde nicht wie ein kleines Kind wegrennen.
Er sah auf die Uhr. Es war erst drei Uhr morgens. Er beschloss, ein paar
Briefe von seinen Freunden zu lesen. Fast automatisch suchte er nach
Sirius' Handschrift, natürlich vergeben. Hermines Brief über ihre Ferien
nahm er kaum war, dafür aber um so mehr Rons. Ihre Briefe waren weder frei
noch voll von Informationen, als wären sie ganz normale Schulkinder in den
Ferien.
Hey Harry, stand dort als erstes und Harry wurde wütend über diese
Lockerheit, die Ron hatte.
Wie geht es dir?
Stell dir vor, Percy redet wieder mit uns. Mum ist fast in Tränen
ausgebrochen, als er auf der Matte stand und fragte, ob er mit uns essen
dürfte.
Im Orden geht es drunter und drüber. Fletcher trinkt mehr als sonst, Mum
ist in völliger Hektik und Dumbledore hat sich schon lange nicht mehr
blicken lassen.
Lupin schließt sich den ganzen Tag in seinem Zimmer ein und Tonks versucht
immer in sein Zimmer zu kommen, vergeblich.
Nun, wir haben uns gedacht, ob du vielleicht zu uns kommen würdest.
(Ron schrieb diesen Satz sehr nervös, da er bestimmt damit rechnete, dass
Harry nicht wollte.)
Na ja, ich würde mich jedenfalls freuen. Hermine will in knapp einer Woche
kommen.
Dein Freund,
Ron
Der Brief freute ihn in keiner Weise. Es verschlechterte seine Laune eher.
Es war ja nicht so, dass er die Weasley 's nicht mochte, besonders nicht
Ron, nur es würde ihn schrecklich an Sirius erinnern. Mrs. Weasley würde
ihn daran erinnern, wie sie sich mit Sirius immer darüber stritt, dass er
ein schlechter Pate sei. Percy würde ihn an das Ministerium erinnern und
Hermine und Ron an Hogwarts. Doch das schlimmste war, dass er in den
Grimmauld Platz sollte. Es wären zu viele Erinnerungen für ihn. Zu viel,
dass auf ihn stürzen würde. Er legte den Brief mit einem Seufzen weg, nahm
Tusche und Pergament und fing an zu schreiben:
Hi Ron,
Danke für deine Einladung, aber ich möchte doch lieber ablehnen. Sei bitte
nicht böse, ich könnte nicht zum Grimmauld Platz zurück kehren.
Harry
Ohne es bemerkt zu haben, wechselte die Nacht in den Tag. Drüben im
Nachbarzimmer regten sich Tante und Onkel, Dudley maulte jetzt schon rum,
dass er Frühstück wollte, jemand fing an, den Rasen zu mähen und die
Müllabfuhr holte den Müll ab.
„Auf in den Kampf."Seufzte Harry, zog sich an und ließ als erstes Hedwig
hinein, die geduldig vor dem Fenster auf einem Ast wartete.
„Du musst wieder los, mein Mädchen."Sagte Harry und streichelte die Eule
über ihr weiches Federkleid.
Die weiße Schneeeule sah ihn entrüstet, piekte aber als Zustimmung in seine
rechte Hand und streckte ihr Beinchen aus. Die Narben auf seiner Handfläche
mit der Aufschrift: Ich soll nicht lügen, sind doch verblasst. Harry band
das Pergament an seine Eule und sagte ihr: „Die hier geht an Ron"
Unwillig, aber doch majestätisch erhob sich die Eule und flog in Richtung
Sonne, während Harry sich fragte, ob er da nicht etwas sehr dummes gemacht
hat.
~*~*~
„Morgen Remus, schon so früh wach?"Tonks wuselte gerade in die Küche, in
der bereits Remus vor dem Tisch mit einer Zeitung saß. Remus zeigte keine
Regung. Er las weiter konzentriert seinen Tagespropheten.
Tonks seufzte.
Seit Sirius' Tod redete er nicht viel. Es ging ihm sehr nahe, auch noch den
letzten seiner Freunde verloren zu haben.
Tonks ging hinüber zum Kühlschrank.
„Ich glaub, ich geh heute ein -"Sie blickte in den Kühlschrank. Er war
voll mit Süßigkeiten aus dem Honigtopf, Butterbier und Honigmet aus den
drei Besen und andere Muggel Lebensmittel aus dem Supermarkt
„Hmm, eigentlich wollte ich einkaufen gehen."
„Ich war heute morgen in der Winkelgasse."Sagte Remus, immer noch in den
Tagespropheten vertieft.
Tonks blickte ihn an. Er ist doch noch nie einkaufen gegangen, dachte sie
skeptisch.
„Ich dachte, wir könnten heute den Salon streichen. Ich dachte an ein
schönes hell -"
„Hab ich auch schon gemacht."Unterbrach sie Remus.
Es gab eine kleine Pause.
„Wie lange bist du schon wach, Remus."Fragte Tonks Remus, während sie
frischen Kaffee kochte.
„Hab' gar nicht erst geschlafen."Doch bevor Tonks etwas sagen konnte, warf
ihr Remus die Zeitung zu.
„Les dir Seite 3 durch."Sagte Remus.
Tonks blätterte zu der Seite und begann zu lesen:
ANGRIFF AUF DEN LIGUSTERWEG – 5 MUGGEL TOT
Gestern Nacht gegen vier Uhr morgens kamen 5 Muggel im Ligusterweg Nummer 6
ums Leben. Als die Ministeriumsleute davon hörten, eilten sie zum Tatort.
„Ganz klar schwarze Magie."sagte heute Kingsley Shaklebolt,
Ministeriumsangestellter, aus. Die Todesursache ist jedoch noch ungeklärt.
Anwohner wollen jedoch nichts gesehen haben, dass irgendjemand oder
irgendetwas in das Haus kam. Cornelius Fudge, unser Zaubereiminister,
unterrichtete den Premierminister von Shaklebolt 's Befürchtungen. Fudge
wurde deshalb von der Internationalen Vereinigung der Zauberern kritisiert,
wie schon mal vor knapp 3 Jahren, im Falle Sirius Black. „Nun, es blieb mir
nichts anderes übrig, wie damals."Sagte der verärgert wirkende Fudge. „
Der Premierminister hat mir versichert, dass er kein Wort darüber sagt. Und
seien wir ehrlich – wer würde ihm schon glauben?"Während die Muggel
bereits informiert werden, dass es sich um eine Vergiftung mit
Kohlenmonooxid handelt, ist die Zaubererwelt in Aufruhr.
„I- Ist das nicht die Straße, wo -"
„Les weiter."Unterbrach sie Remus ungeduldig.
Die Muggel wollen ebenfalls den vergeblich getöteten Peter Pettigrew am
Tatort gesehen haben wollen. Wie kann das sein? Lebt Pettigrew wirklich
noch? Heißt das, dass Sirius Black unschuldig ist? Cornelius Fudge wollte
dazu keine Stellungnahme beziehen.
„Tja, wenigstens ist er als unschuldiger gestorben."sagte Remus mit einem
gequälten Lächeln, als Tonks die Zeitung ihm zurück gab.
„Wir müssen Harry aus dem Ligusterweg holen."sagte Tonks langsam.
„Warum sollten wir noch. Der Kampf gegen Voldemort ist verloren. Wir haben
versagt."
Remus blickte zu Boden. Er merkte, dass er doch etwas sehr dummes gesagt
hatte.
„Remus, wie kannst du so was sagen? Ist dir Harry etwa nicht wichtig?"
Tonks konnte ihn nicht verstehen. Er wäre sofort aufgesprungen, wenn Harry
Hilfe bräuchte.
„Ron hat ihm eine Einladung geschickt -"
„Und?"fragte Tonks ungeduldig.
„Na ja, was sollen wir auch anderes erwarten. Er hat natürlich abgelehnt."
Tonks ging hinüber zum Herd und setzte neues Wasser auf. Dann sprach sie
wieder.
„Ich würde mich wohler fühlen, wenn er -"
Jemand schrie auf. Remus erkannte sofort, dass es aus dem Dachboden kam.
Beide blickten sich an. Tonks und Remus rauschten durch die Tür, die Treppe
zum Dachboden nehmend und durch die Tür zu ihrer linken stürzend.
Sie sahen sofort Mrs. Weasley, die verschreckt die Hand vor dem Mund hielt
und mit der anderen auf die Decke zeigte.
Remus schaute nach oben.
Von der Decke baumelte der alte Hauself Kreacher, an dem Hals aufgehangen.
Neben ihm lag ein umgefallener, großer Stuhl, von dem er sich vermutlich
runter gestürzt hatte.
„Vermutlich hat die alte Sabberhexe ihm gesagt, dass er sich umbringen
soll."Remus musterte ihn. Sein Blick fiel auf Kreacher 's rechte Hand, in
der er einen Brief hielt. Remus stellte sich auf Zehen spitzen und nahm den
Brief aus seiner schon steifen Hand.
„Les laut vor."Drängte ihn Tonks hinter ihm.
Wenn ihr diesen Brief lest, ist es zu spät. Dann werde ich bei meiner
Meisterin sein und Du-weißt-schon-wer wird schrecklicher denn je herrschen.
Mit seiner neuen Waffe. Eine Waffe, die in der Nacht kommt und nur von
auserwählten gesehen oder bemerkt werden kann. Eine Waffe, die auf
schnellen Wegen dich ereilt.
Remus las den Brief mehrere Male in seinem Kopf durch.
„Ist das ein Rätsel?"meldete sich auch jetzt Mrs. Weasley zu Wort.
„Nein, viel mehr. Es ist ein Tipp. Die Waffe ist etwas, was nur Auserwählte
sehen können. Also nichts materielles. Es muss was mit der Attacke auf den
Ligusterweg zu tun haben -"
„Ligusterweg?", unterbrach ihn die panisch wirkende Mrs. Weasley. „D- Dort
wohnt doch -"
„ –Harry, ja wir wissen es."Beendete Remus ihren Satz.
„Dann muss er dort weg. Der Junge ist in Gefahr -"
Remus zog eine Augenbraue hoch. „Nur wie? Ihn an Händen und Füssen hierhin
zerren?"
„Es ist das Beste für das Kind."
„Molly, nenn ihn bitte kein Kind. Er verdient es nicht."sagte Remus,
bemüht ruhig zu bleiben. Es ging ihm schon lange auf die Nerven, dass sie
ihn immer wie ein Kleinkind behandelte.
„Er ist immer noch Minderjährig -"
„Molly, er hat mehr durchgemacht als wir zusammen. Du bist auch schließlich
nicht seine Mutter -"
„Aber so gut wie!"entgegnete sie ihm aufgebracht.
„Aber das bist du nicht. Und bilde dir nicht ein, dass du es bist."
Mrs. Weasley öffnete den Mund, um etwas zu sagen, ließ es aber bleiben,
rauschte aus dem Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu.
„Remus –„ begann Tonks ruhig, doch Remus unterbrach sie.
„Was ist? Sie muss sich nicht einbilden, Harry 's Mutter zu sein."
Tonks sah ihn verständnislos an.
„Remus ..."Eine schwache, krächzende Stimme war genau neben seinem linken
Ohr. Remus wirbelte herum, doch dort war niemand.
„Was?"
„Wie?"Tonks sah auf die Stelle, wo Remus hinsah.
„Ich – vergiss es."
Remus wandte sich zurück zur Tür und wollte gehen, als –
„Remus ..."
Remus erstarrte. Er wirbelte herum. Was er sah konnte er nicht glauben.
Sirius, das Gesicht zerkratzt und blutig und mit zerrissener Kleidung stand
er an der Wand.
„Hilf mir ..."Sirius steckte den Arm aus.
„Remus?"Tonks' Stimme ließ Sirius verschwinden.
„Da war Sirius!"
„Wo?"Tonks sah zur Wand, doch dort war niemand."
Remus wirkte verwirrt.
„Er war da!"
Tonks legte ihre Hände auf seine Schultern.
„Ist schon gut. Ich wünsche mir auch das Sirius wieder da ist."
„Nein, du verstehst nicht."Remus riss sich von ihr los. „Er war da! Ich
hab ihn gesehen -"
„Remus ... hilf mir ..."
Remus sah sich um.
„ –und er brauch meine Hilfe."
Remus ging zur Tür.
„Was hast du vor?"
„Ich muss durch diesen Torbogen."
„Nein, Remus!"
„Hilf mir ..."
„Ich komme wieder."
„NIEMAND ist je zurück gekehrt! Remus, du weißt nicht, was dort drin ist."
„Ich muss aber Sirius helfen."
Remus hatte schon die Hand auf dem Türknauf.
„Was ist, wenn du umkommst? Was ist, wenn es ein Trick von Voldemort ist?
Ich will nicht noch einen Freund verlieren."
Remus drehte sich um.
Er sah, wie eine Träne an Tonks' Wange entlang lief.
„Du hast Recht."
Natürlich hatte sie Recht. Es war unmöglich lebend aus diesem Torbogen zu
kommen.
„Es – es wird wohl besser sein, Harry hierhin zu bringen. Ich sage Arabella
bescheid. Sie sollte besser auch hierhin."Remus merkte, dass sie ihm nicht
glaubte, deshalb fügte er hinzu:
„Versprochen."
Er öffnete die Tür und verschwand. Tonks seufzte. Warum muss Kreacher sich
so hoch aufhängen? Sie nahm sich einen Stuhl, stieg auf ihn und stellte
sich auf Zehenspitzen, da sie immer noch nicht an den Knoten kam, der oben
an der Decke befestigt war. Dann schlug sie sich an den Kopf. Wozu hab ich
einen Zauberstab?, fragte sie sich. Sie zog ihren Zauberstab aus der
Hosentasche heraus und mit einem Schlenker ihres Zauberstabes purzelte
Kreacher auf den Boden.
Die Tür ging auf. Tonks wäre beinahe vom Stuhl gefallen, wenn sie sich
nicht am Strick fest gehalten hätte.
Minerva McGonnagall, Lehrerin auf Hogwarts, stolperte in den Raum. Sie trug
eine blutige Schramme an ihrer Wange und ihr Umhang war leicht zerrissen
und mit Blättern übersehen.
„Minerva – was -?"
„Sie – war – da."Keuchte sie raus. Sie war vermutlich gerannt. Doch ihr
Alter erlaubt es ihr gar nicht mehr. Sie fasste sich ans schmerzende Herz.
„Wer war wo, Minerva?"
„Bei – Potter – Ana – Alcazar -"
Tonks riss die Augen auf. Das, was sie befürchtete, war nun eingetreten:
Ana Alcazar kehrte nach so vielen Jahren des Versteckens zurück, um sich
Lord Voldemort im Kampf gegen die weiße Magie anzuschließen.
Beide stürmten sofort aus dem Zimmer und Zielstrebig in Richtung
Ordenszimmer.
Die Nacht war tiefschwarz und kalt, die Bäume wehten im Wind und es sah so
aus, als ob sie tanzen würden. Die Sterne glitzerten am Himmelszelt und die
Laternen erleuchteten den Ligusterweg. Die frischgewaschenen Autos standen
in ihren einzelnen Einfahrten, der Rasen hatte in der Nacht in tiefes
dunkelgrün angenommen und nirgendwo brannte mehr ein Licht. Durch das Licht
der Laterne, nahe am Straßenrand, sah man einen bärengroßen, schwarzen Hund
vorbeihuschen. Der Hund trug ein silbernes Halsband, an dem ein Amulett
befestigt war. Es war ein Dreieck, deren Mitte eine Schlange schmückte. Der
Hund bewegte sich zielstrebig die Straße entlang .Plötzlich hielt er vor
dem weißen Gartentor des Hauses Nummer 4 an und schaute zum Haus. Dann, es
war, als sähe man in Zeitraffer, wie ein Baum wächst. Dort, wo der Kopf des
Hundes war, war ein Menschenkopf zu sehen, dann ein Körper aus dem die
Glieder sprossen und schon stand da, wo der Hund gesessen hatte, eine junge
Frau. Sie war groß, dünn und um die 30. Ihr Gesicht war durch eine tief
über die Augen gezogene schwarze Kapuze nicht zu sehen. Sie trug eine lange
schwarze Robe, einen schwarzen Umhang, der den Boden streifte und
Schnallenstiefel mit hohen Hacken. Gedankenverloren durchstöberte die
Taschen ihres Umhangs. Doch offenbar bemerkte sie, das sie beobachtet wurde
denn plötzlich sah sie zu einer Katze hinüber, die sie vom andern Ende der
Straße her immer noch anstarrte. Sie hob die Hand in Richtung Katze und als
ob jemand Unsichtbares die Katze aufheben würde, fing die Katze an, zu
schweben. Die Katze strampelte, doch kam nicht frei.
„Es ist besser, wenn niemand davon erfährt. Mich kann niemand aufhalten von
meinem Plan."Sprach die junge Frau unter der Kapuze vor und schien mit der
Katze zu reden. Die Katze fauchte sie an, doch die junge Frau bewegte noch
einmal ihren Arm und die Katze war verschwunden.
Sie drehte sich wieder dem Haus zu. Nun fand sie in der Innentasche, wonach
sie suchte. Es sah aus, wie ein Feuerzeug. Sie ließ den Deckel
aufschnappen, hielt es hoch in die Luft und ließ es knipsen. Doch es war
kein Ausmacher, wie es Albus Dumbledore vor knapp 5 Jahren im Ligusterweg
benutzt hat. Ein kleiner Lichtfunke schwirrte aus dem oberen Fenster des
Ligusterwegs Nummer 4 und verschwand in dem Feuerzeugähnlichen Etwas, was
die junge Frau immer noch nach oben gerichtet in der Hand hielt. Sie
schaute auf das Etwas in ihrer Hand und lächelte.
„Er schläft, wie ein Baby."Ihre Stimme klang belustigt. Sie steckte das
Feuerzeugähnliche Etwas zurück in ihren Umhang und hob die Hand. Das
Fenster im obersten Stockwerk mit den befestigten Gittern ging sanft auf.
Die Frau erhob sich vom Boden und schwebte wie eine Feder hoch zum Fenster.
Sie kletterte durch das geöffnete Fenster und fand sich in einem großen
Zimmer wieder. Auf dem Schreibtisch, auf der sie stand, waren Bücher mit
der Aufschrift Dunkle Kräfte. Ein Kurs zur Selbstverteidigung oder
Sagentiere und wo sie zu finden sind. Sie sprang federleicht von dem Tisch
hinab und stolperte beinahe über einen Koffer mit den Buchstaben HP an der
Seite. Sie ging zu einem Bett hinüber, auf dem ein schwarzhaariger Junge
lag. Er schien sehr unruhig zu schlafen, denn er wälzte sich von der einen
auf die andere Seite.
Sie strich ihm vorsichtig über die Wange.
„Bald bist du bereit, die Wahrheit zu erfahren."Sie lächelte. Doch ihr
Lächeln verblasste mit einem Windzug, der aus dem Fenster kam. Sie zuckte
stark zusammen und riss die Augen auf. Sie sah sich um, als würde sie einen
Fluchtweg suchen. Dann nahm sie Anlauf, sprang über den Tisch und stürzte
aus dem Fenster. Draußen, auf dem Blumenbeet unter dem Fenster, wo die Frau
sich rausgestürzt hatte, war niemand. Die Frau war nicht mehr zu sehen. Nur
ein bärenschwarzer, großer Hund mit einem Amulett um den Hals, rannte die
Straße entlang und war nur manchmal im Licht der Laterne zu sehen.
Harry rannte. Er rannte so schnell er konnte.
„Er darf uns nicht entkommen!"Rief hinter ihm eine Stimme.
Harry drehte den Kopf im Rennen um. Hinter ihm waren Lucius Malfoy, von dem
der Ruf ausging, und andere Todesser.
Er drehte den Kopf wieder nach vorne und sah vor sich eine Tür. Die
Gelegenheit, dachte er. Er rannte noch viel schneller zur Tür, zog sie auf
und spurtete hindurch.
Aber was er sah, ließ ihm beinahe die Eingeweide gefrieren. Vor ihm lag
Hermine, vermutlich tot, neben ihr kniend Neville, der nicht mehr das
Bluten aus seiner Nase halten konnte und deswegen Blut auf Hermine 's Brust
tropfen ließ, ein Stück weiter kämpfte Ron lachend mit einem Gehirn, Ginny,
die in der Ecke ihr Bein umklammert hielt und weinte und Luna, die Harry
vorwurfsvoll ansah.
„Das ist alles deine Schuld.", Sagte sie steif. „Du hast uns alle in Gefahr
gebracht."
„Nein."Sagte Harry fast flehend. „Es – Es tut mir leid."
„Jetzt ist es zu spät"fuhr Luna fort, völlig gefühllos. „Hermine ist tot,
Neville wird verbluten, Ron wird zerquetscht und Ginny wird nie wieder
normal leben können. Und das ist alles deine Schuld."Sagte Luna und jetzt
breitete sich ein leichtes Grinsen auf ihrem Gesicht aus.
Harry konnte es nicht glauben. Wie konnte Luna so Gefühllos sein? Doch
seine Gedanken wurden durch einen lauten Knall unterbrochen. Die Todesser
mussten wohl Flüche gegen die Tür geschickt haben, um sie aufzubekommen.
Harry wurde Angst erfüllt.
„Wir müssen Ron helfen!"
„Du musst gehen"sagte Luna so steif wie zuvor.
Hinter ihr schwang eine Tür auf und Harry vermutete, wohin diese führte.
„Ich kann jetzt nicht gehen! Was ist mit Ron!"
„Es ist zu spät."Entgegnete ihm Luna immer noch ohne Mitgefühl zu zeigen
oder den Anschein zu machen, irgendwem helfen zuwollen.
Harry spurtete auf Ron zu, doch irgendetwas hielt ihn zurück.
„NEIN! Geh, bevor noch jemand wegen dir stirbt!"Jetzt war Luna
aufgebracht. Wollte sie wirklich, dass Ron stirbt?
„Du musst mit mir kommen! Die Todesser! Sie kommen."
„Nein, es ist nicht mein Schicksal, zu überleben. Ich muss auch sterben."
Immer noch stand Luna vor ihm, ohne sich zu bewegen.
„Aber warum?"Fragte Harry.
„Wegen dir. Schon so viele mussten wegen deinem Retter – Syndrom sterben."
Sie hatte Recht. Harry 's Eltern sind gestorben, weil sie ihn retten
wollten. Cedric ist gestorben, weil er unbedingt wollte, dass sie beide
gewinnen. Voldemort ist zurück gekehrt, weil er nicht wollte, dass sein
größter Anhänger stirbt und besser nach Askaban sollte. Er war alles
Schuld. Gebe es ihn nicht, wäre alles besser.
Wieder knallte es an der Tür. Die Tür schien langsam nach zulassen.
„Geh, bevor es zu spät ist!"Sagte Luna und deutete auf die offene Tür
hinter ihr.
Harry sah zu Ron, dann zur Tür. Was sollte er tun? Er konnte doch seinen
besten Freund nicht im Stich lassen.
„GEH!"Herrschte ihn Luna an und eine unsichtbare Kraft schob ihn zur Tür.
Als er aus dem Raum war, ging die Tür hinter ihm zu. Er drehte sich um und
wollte die Tür öffnen, doch sie war verschlossen. Er rüttelte kräftig am
Türknauf, doch nichts bewegte sich.
Eine Tür zerbarst. Die Todesser hatten es durch die Tür geschafft. Sekunden
später hörte er den Avada Kedavra Fluch der von Macnair ausging. Etwas fiel
auf den harten Boden. Luna war tot.
"Es ist meine Schuld." Dachte Harry und eine heiße Träne lief seine Wange
entlang.
„Komm schon, du kannst es doch besser"rief jemand hinter ihm und die
Hundeartige Stimme hallte im Gewölberaum wider.
Harry drehte sich um.
Auf dem Podium duellierte sich Bellatrix Lestrange und Sirius. Ein zweiter
Lichtstrahl traf Sirius genau auf die Brust. Das Lachen auf seinem Gesicht
war noch nicht ganz verloschen, aber die Augen weiteten sich vor Entsetzen.
Sein Körper schwang einen anmutigen Bogen und er fiel rücklings durch den
Schleier.
Harry wollte auf das Podium losspurten, doch Lupin schlang ihm einen Arm um
die Brust und hielt ihn zurück.
„Du kannst nichts mehr tun, Harry -"
„Holt ihn, rettet ihn, er ist doch eben erst dort durch!"
„- es ist zu spät, Harry."
„Wir können ihn noch erreichen -"Harry kämpfte verbissen und böse, doch
Lupin ließ ihn nicht los...
„Du kannst nichts mehr tun, Harry... nichts... er ist fort... "
„Himmel, Arsch und Zwirn, was treibst du hier bloß!"
Harry schlug die Augen auf. Vor ihm war Onkel Vernon, der ihm am Kragen
festhielt.
"Tut mir –Leid...", krächzte Harry und versuchte sich dem starken Griff
seines Onkels zu entwinden. "Hatte... einen... Albtraum... kriege... keine
Luft..."
Onkel Vernon kam näher an Harry heran, damit er sicher war, dass nur Harry
ihn hören konnte.
„Wenn du noch einmal in der Nacht so einen Lärm veranstaltest, dann"
zischte Onkel Vernon, sichtlich bemüht leise zu sprechen, um nicht auch
noch die Nachbarn zu wecken.
„ ... dann können deine.. Deine ABNOMALEN FREUNDE dich auch nicht mehr
zusammen flicken!"
Ohne eine Antwort abzuwarten, ließ er ihn los und verließ das Zimmer.
Das Knarren des Bettes im Nebenzimmer ließ Harry wissen, dass Onkel Vernon
wieder im Bett lag.
Harry packte sich an den Hals und rieb ihn vor Schmerz, denn Onkel Vernon
hatte kräftig zugepackt. Er stand vom Bett auf. Erst jetzt bemerkte er,
dass das Fenster offen stand. Er ging hinüber, schaute hinaus und schloss
das Fenster. Schuldgefühle traten plötzlich in ihm auf. Er ging nervös in
seinem Zimmer auf und ab, immer wieder abwechselnd an den Kopf und Hals
fassend.
Es war nur ein Traum, sagte er sich. Allen geht es gut. Er blieb stehen.
War das wirklich so? Schließlich hätten sie sterben können. Und warum? ,
Fragte er sich zynisch. Weil du unbedingt in die Mysteriumsabteilung Rennen
musstest. Er atmete tief ein. Es war alles seine Schuld gewesen. Sirius
könnte jetzt noch leben, wenn er nicht gewesen wäre. Er rief sich Hermine
's Worte noch einmal in den Kopf:
„Nun ja, du hast manchmal dieses Helden – Syndrom"
Sie hatte Recht. Wenn er nicht immer den Helden gespielt haben wollte,
würde jetzt Sirius noch leben. So wie Cedric. Er setzte sich neben seinem
Schrank in die Ecke. Er legte beide Arme um seine Knie und drückte seine
Augen in seine Knie, um weitere Tränen zu verhindern.
Mal wieder eine Nacht, die ein Alptraum mit sich brachte. Wieder ein Traum,
den ihn aufschreien ließ und somit Onkel Vernon fast zum Überlaufen
brachte. Er ging nur selten aus seinem Zimmer. Er hatte sich seit Tagen
nicht mehr gewaschen oder gekämmt. Doch er war dankbar dafür, dass er nicht
nach unten musste, um mit irgendjemanden zu reden. Tante Petunia sprach
nicht viel, sondern brachte ihm durch die Hundeklappe an der Tür immer
frisches Obst, da er immer die wärmende Suppe ablehnte.
Als er wieder vor einer Woche im Ligusterweg ankam und Tante Petunia ihm
das erste Mal essen brachte, hätte Harry schwören können, dass sie
geschluchzt hat. Vielleicht war sie immer noch in Panik um ihren
‚Duddyspatz', der letztes Jahr von den Dementoren attackiert wurde.
Er blickte sich im Zimmer um.
Auf seinem Schreibtisch lagen ungeöffnete Briefe, alle von Ron und Hermine,
manche davon waren von Remus, Tonks oder von den anderen Ordensmitgliedern,
die versuchten, ihn aufzumuntern.
Doch sie konnten es nicht. Niemand würde das können. Er war ein
gezeichneter Mensch. Beinahe wäre er jetzt aufgesprungen, um einen Brief an
Sirius zu schreiben. Ihm über seinen Kummer zu berichten. Einfach nur
wissen zu wollen, wie es ihm geht. Doch dies ging nun nicht mehr. Sirius
war fort. Für immer.
„Harry ..."
Harry prustete. Jetzt hör ich sogar schon Sirius.
„Harry..."eine schwache, krächzende Stimme war direkt neben seinem linken
Ohr. Er drehte den Kopf. Dort war niemand.
„Harry..."
„Sirius?"Harry stand auf. Hatte er wirklich Sirius gehört?
„Harry ... hilf mir ..."
„Wie, Sirius, wie?"
Dann bemerkte Harry, dass die Stimme aus dem Koffer kam. Er ging hinüber,
öffnete ihn und wühlte in dem Koffer.
Kam es aus dem Zweiwegespiegel?
„Harry... bitte... hilf mir..."
Die Stimme wurde lauter. Als ob sie näher kommen würde.
„Autsch!"Er hatte sich an dem Zweiwegespiegelstück geschnitten. Das Blut
an seinem Finger tropfte auf den Spiegel. Irgendetwas in seinem Kopf sagte
ihm, dass er die zwei Stücke aneinanderfügen sollte. Er nahm das andere
Stück und legte die beiden Stücke so zusammen, dass sie zusammen passten.
Was Harry sah konnte er nicht glauben.
Sein Blut schien die zwei Stücke zusammenzukleben. Er starrte den Spiegel
voller entsetzen an. Er war wie neu.
Wie konnte das geschehen?
„Harry..."
Harry zuckte zusammen. Plötzlich erinnerte Mr. Weasley 's Stimme ihn an
etwas, was er Ginny in seinem 2ten Schuljahr gesagt hatte:
„Traue nie etwas, wo du nicht weißt, wo es sein Gehirn hat"
Oh nein, sagte er sich, darauf fall ich bestimmt nicht rein. Er warf den
Spiegel zurück in den Koffer. Er hätte auf dem harten Holz des Koffers
zerbrechen sollen, aber er tat es nicht. Er blieb wie vorher.
„Harry ... hilf mir ..."
Harry drückte sich die Ohren zu.
Nein, dachte er. Lasst mich in Ruhe. Er drückte so fest, dass es weh tat.
Doch die Stimme rief ihn weiter.
„Hilf mir..."
Plötzlich, wie durch Geisterhand, fiel sein Blick auf das alte Geschichte
der Zauberei Buch von seinem letzten Hogwarts Jahr auf.
Er nahm es raus und blätterte gegen seinen Willen auf eine Seite, die ihm
noch nie aufgefallen war. Dieses Foto zeigte eine junge Frau, die ganz in
schwarz gekleidet war, rabenschwarze Haare hatte und meeresblaue Augen. Sie
trug ein Amulett um den Hals. Es war ein handflächengroßes Dreieck mit
einer Schlange in der Mitte. Die Schlange bestand aus einzelnen Grün- und
Silberdiamanten. Das Dreieck selber bestand aus Silber. Sie hielt ein Buch
mit der Aufschrift ‚auf der Suche nach dem Stein der Weisen – die
Geschichte der Alchemie' von Hans – Werner Schütt in beiden Händen. Unter
ihrem Bild war in goldenen Lettern geschrieben:
Ana Alcazar (1966 – 1995), geboren in London, Eltern unbekannt.
Hogwartsabschluss, Aurorenausbildungsabschluss 1987, Ausbildungsabschluss
zum Alchemist 1988, Beitritt zum Orden 1985, wurde 1989 unehrenamtlich
rausgeworfen, saß 6 Jahre in Askaban, kam frei wegen bewiesener Unschuld,
sechsfache Meisterin in Gestikulation, vermeintliche enge Verbündete von Du-
weißt-schon-wem, seit Entlassung aus Askaban nie wieder gesehen.
Dieses Gesicht. Dieses Haar. Es erinnerte ihn an jemanden. Aber das kann
nicht sein.
Da fiel ihm etwas ein. Natürlich! Er schob das Buch etwas höher, holte sein
Photoalbum, dass ihm letztes Jahr Hagrid geschenkt hatte, aus dem Koffer
und legte es unter die Geschichte der Zauberei Buch auf dem Tisch.
Harry blätterte in seinem Buch, doch nirgendwo war Ana Alcazar. Sie sah
seinem Vater so ähnlich. Sie musste mit ihm verwandt sein. Er blätterte
nach kläglichen Suchen auf die letzte Seite seines Familienstammbaumes.
Da bemerkte er eine Lücke neben dem Namen seines Vaters. Eine Linie verband
diese Lücke mit seinem Vater, die Eltern seines Vaters und...
„Sirius?"Fragte sich Harry. Wie kam Sirius auf seinen Stammbaum? War
Sirius mit irgendjemanden aus seiner Familie liiert?
Dann fiel ihm auf, dass bei seinem Ururgroßvater ebenfalls eine Lücke war.
Eine Linie von ihm und seiner Frau Cordelia ausgehend verband sich mit
seinem Urgroßvater Fidelius, die zweite verband sich mit der Lücke. Warum
fehlten dort zwei Namen in seinem Stammbaum? Wurden sie von der Familie
verstoßen? War seine Familie so grausam? Schließlich wurde er ja auch
nicht, dass sein Vater so arrogant war und Spaß daran hatte, Kleinere oder
Schwächere zu Ärgern. Hieß das eigentlich dann, dass er tatsächlich mit
Sirius verwandt ist?
Harry stand auf und wollte zu seinem Bett hinüber gehen, als er etwas sah,
was sein Herz stehen bleiben ließ.
Sirius, das Gesicht zerkratzt und blutig, mit zerrissener Kleidung stand
vor seiner Tür.
„Hilf mir..."
Dann verschwand er wieder.
Harry rieb sich die Augen. Nein, sagte er sich, du hast nicht gerade Sirius
gesehen. Das ist bestimmt wieder ein Trick von Voldemort.
Harry warf sich aufs Bett. Er drückte seine Hände gegen seine Augen.
Warum vermisse ich ihn so schrecklich?
Ohne es gemerkt zu haben, muss er wieder eingeschlafen sein, denn er fing
anzuträumen...
Harry saß in einem schwarzen, zerrissenen, alten Sessel, vor ihm prasselte
ein anscheinend warmes Feuer, doch er spürte diese Wärme merkwürdigerweise
nicht. An seinen Füßen schlängelte etwas entlang, was weich und glatt war.
„Ah, Nagini, da bist du ja."Sagte Harry mit einer von ihm nicht gewohnten
kalten Stimme.
„Sie ist auf dem Weg zu euch, Meister."Zischte die Schlange.
„Sehr gut."
„M-meister.. Sie ha- haben mich g- gerufen?"
„Ja,"sagte Harry, während er die Schlange streichelte.
„Weißt du nun, wo er wohnt?"
„Ja, Meister."Jetzt ein wenig stolzer, schwellte die Frau ihre Brust auf,
sichtlich erleichtert.
„Gut, enttäusche mich nicht"sagte Harry entzückt. „Du weißt, was zu tun
ist."
„Ja, Meister."Die Frau verbeugte sich und verschwand.
Harry drehte sich wieder dem Kamin zu.
„Ich weiß, dass du mich hören kannst, Potter."
Harry stand auf und ging zu einem Spiegel.
„Sieh dir an, was aus mir geworden ist, Potter."
Harry schaute in den Spiegel. Er hatte ein hässliches Schlangenartiges
Gesicht erwartet, doch was er sah, konnte er nicht glauben. Im Spiegel sah
er den schwarzhaarigen sechszehn jährigen Jungen vor sich, den er schon mal
gesehen hatte. In seinem zweiten Schuljahr. Es war Tom Riddle.
"Ich bin dir sehr verbunden, Potter. Dank dir kann Lord Voldemort, Erbe
Salazar Slytherin 's an seine Macht zurück kehren."
Harry lachte auf. Dann wurde alles schwarz um ihn herum und er befand sich
wieder im Ligusterweg Nummer 4.
Harry 's Narbe brannte, wie sie es noch nie tat. Er rieb die Narbe und
kniff die Augen zusammen.
Er hatte wieder einen Traum gehabt. Einen Traum, in dem er sieht, was
Voldemort plant. Meinte Voldemort ihn mit »Weißt du nun, wo er wohnt«?
Harry schaute aus dem Fenster, als ob Voldemort oder ein Todesser um die
Ecke kommen würde, um ihn umzubringen. Aber wie wollten sie ihn umbringen?
Schließlich können sie nicht einfach in den Ligusterweg spazieren und ihn
umbringen. Fast hätte er Tintenfass und Pergament genommen, um Lupin oder
Dumbledore davon zu erzählen. Aber er ließ es bleiben. Sollen die doch
kommen, dachte er sich. Ich werde nicht wie ein kleines Kind wegrennen.
Er sah auf die Uhr. Es war erst drei Uhr morgens. Er beschloss, ein paar
Briefe von seinen Freunden zu lesen. Fast automatisch suchte er nach
Sirius' Handschrift, natürlich vergeben. Hermines Brief über ihre Ferien
nahm er kaum war, dafür aber um so mehr Rons. Ihre Briefe waren weder frei
noch voll von Informationen, als wären sie ganz normale Schulkinder in den
Ferien.
Hey Harry, stand dort als erstes und Harry wurde wütend über diese
Lockerheit, die Ron hatte.
Wie geht es dir?
Stell dir vor, Percy redet wieder mit uns. Mum ist fast in Tränen
ausgebrochen, als er auf der Matte stand und fragte, ob er mit uns essen
dürfte.
Im Orden geht es drunter und drüber. Fletcher trinkt mehr als sonst, Mum
ist in völliger Hektik und Dumbledore hat sich schon lange nicht mehr
blicken lassen.
Lupin schließt sich den ganzen Tag in seinem Zimmer ein und Tonks versucht
immer in sein Zimmer zu kommen, vergeblich.
Nun, wir haben uns gedacht, ob du vielleicht zu uns kommen würdest.
(Ron schrieb diesen Satz sehr nervös, da er bestimmt damit rechnete, dass
Harry nicht wollte.)
Na ja, ich würde mich jedenfalls freuen. Hermine will in knapp einer Woche
kommen.
Dein Freund,
Ron
Der Brief freute ihn in keiner Weise. Es verschlechterte seine Laune eher.
Es war ja nicht so, dass er die Weasley 's nicht mochte, besonders nicht
Ron, nur es würde ihn schrecklich an Sirius erinnern. Mrs. Weasley würde
ihn daran erinnern, wie sie sich mit Sirius immer darüber stritt, dass er
ein schlechter Pate sei. Percy würde ihn an das Ministerium erinnern und
Hermine und Ron an Hogwarts. Doch das schlimmste war, dass er in den
Grimmauld Platz sollte. Es wären zu viele Erinnerungen für ihn. Zu viel,
dass auf ihn stürzen würde. Er legte den Brief mit einem Seufzen weg, nahm
Tusche und Pergament und fing an zu schreiben:
Hi Ron,
Danke für deine Einladung, aber ich möchte doch lieber ablehnen. Sei bitte
nicht böse, ich könnte nicht zum Grimmauld Platz zurück kehren.
Harry
Ohne es bemerkt zu haben, wechselte die Nacht in den Tag. Drüben im
Nachbarzimmer regten sich Tante und Onkel, Dudley maulte jetzt schon rum,
dass er Frühstück wollte, jemand fing an, den Rasen zu mähen und die
Müllabfuhr holte den Müll ab.
„Auf in den Kampf."Seufzte Harry, zog sich an und ließ als erstes Hedwig
hinein, die geduldig vor dem Fenster auf einem Ast wartete.
„Du musst wieder los, mein Mädchen."Sagte Harry und streichelte die Eule
über ihr weiches Federkleid.
Die weiße Schneeeule sah ihn entrüstet, piekte aber als Zustimmung in seine
rechte Hand und streckte ihr Beinchen aus. Die Narben auf seiner Handfläche
mit der Aufschrift: Ich soll nicht lügen, sind doch verblasst. Harry band
das Pergament an seine Eule und sagte ihr: „Die hier geht an Ron"
Unwillig, aber doch majestätisch erhob sich die Eule und flog in Richtung
Sonne, während Harry sich fragte, ob er da nicht etwas sehr dummes gemacht
hat.
~*~*~
„Morgen Remus, schon so früh wach?"Tonks wuselte gerade in die Küche, in
der bereits Remus vor dem Tisch mit einer Zeitung saß. Remus zeigte keine
Regung. Er las weiter konzentriert seinen Tagespropheten.
Tonks seufzte.
Seit Sirius' Tod redete er nicht viel. Es ging ihm sehr nahe, auch noch den
letzten seiner Freunde verloren zu haben.
Tonks ging hinüber zum Kühlschrank.
„Ich glaub, ich geh heute ein -"Sie blickte in den Kühlschrank. Er war
voll mit Süßigkeiten aus dem Honigtopf, Butterbier und Honigmet aus den
drei Besen und andere Muggel Lebensmittel aus dem Supermarkt
„Hmm, eigentlich wollte ich einkaufen gehen."
„Ich war heute morgen in der Winkelgasse."Sagte Remus, immer noch in den
Tagespropheten vertieft.
Tonks blickte ihn an. Er ist doch noch nie einkaufen gegangen, dachte sie
skeptisch.
„Ich dachte, wir könnten heute den Salon streichen. Ich dachte an ein
schönes hell -"
„Hab ich auch schon gemacht."Unterbrach sie Remus.
Es gab eine kleine Pause.
„Wie lange bist du schon wach, Remus."Fragte Tonks Remus, während sie
frischen Kaffee kochte.
„Hab' gar nicht erst geschlafen."Doch bevor Tonks etwas sagen konnte, warf
ihr Remus die Zeitung zu.
„Les dir Seite 3 durch."Sagte Remus.
Tonks blätterte zu der Seite und begann zu lesen:
ANGRIFF AUF DEN LIGUSTERWEG – 5 MUGGEL TOT
Gestern Nacht gegen vier Uhr morgens kamen 5 Muggel im Ligusterweg Nummer 6
ums Leben. Als die Ministeriumsleute davon hörten, eilten sie zum Tatort.
„Ganz klar schwarze Magie."sagte heute Kingsley Shaklebolt,
Ministeriumsangestellter, aus. Die Todesursache ist jedoch noch ungeklärt.
Anwohner wollen jedoch nichts gesehen haben, dass irgendjemand oder
irgendetwas in das Haus kam. Cornelius Fudge, unser Zaubereiminister,
unterrichtete den Premierminister von Shaklebolt 's Befürchtungen. Fudge
wurde deshalb von der Internationalen Vereinigung der Zauberern kritisiert,
wie schon mal vor knapp 3 Jahren, im Falle Sirius Black. „Nun, es blieb mir
nichts anderes übrig, wie damals."Sagte der verärgert wirkende Fudge. „
Der Premierminister hat mir versichert, dass er kein Wort darüber sagt. Und
seien wir ehrlich – wer würde ihm schon glauben?"Während die Muggel
bereits informiert werden, dass es sich um eine Vergiftung mit
Kohlenmonooxid handelt, ist die Zaubererwelt in Aufruhr.
„I- Ist das nicht die Straße, wo -"
„Les weiter."Unterbrach sie Remus ungeduldig.
Die Muggel wollen ebenfalls den vergeblich getöteten Peter Pettigrew am
Tatort gesehen haben wollen. Wie kann das sein? Lebt Pettigrew wirklich
noch? Heißt das, dass Sirius Black unschuldig ist? Cornelius Fudge wollte
dazu keine Stellungnahme beziehen.
„Tja, wenigstens ist er als unschuldiger gestorben."sagte Remus mit einem
gequälten Lächeln, als Tonks die Zeitung ihm zurück gab.
„Wir müssen Harry aus dem Ligusterweg holen."sagte Tonks langsam.
„Warum sollten wir noch. Der Kampf gegen Voldemort ist verloren. Wir haben
versagt."
Remus blickte zu Boden. Er merkte, dass er doch etwas sehr dummes gesagt
hatte.
„Remus, wie kannst du so was sagen? Ist dir Harry etwa nicht wichtig?"
Tonks konnte ihn nicht verstehen. Er wäre sofort aufgesprungen, wenn Harry
Hilfe bräuchte.
„Ron hat ihm eine Einladung geschickt -"
„Und?"fragte Tonks ungeduldig.
„Na ja, was sollen wir auch anderes erwarten. Er hat natürlich abgelehnt."
Tonks ging hinüber zum Herd und setzte neues Wasser auf. Dann sprach sie
wieder.
„Ich würde mich wohler fühlen, wenn er -"
Jemand schrie auf. Remus erkannte sofort, dass es aus dem Dachboden kam.
Beide blickten sich an. Tonks und Remus rauschten durch die Tür, die Treppe
zum Dachboden nehmend und durch die Tür zu ihrer linken stürzend.
Sie sahen sofort Mrs. Weasley, die verschreckt die Hand vor dem Mund hielt
und mit der anderen auf die Decke zeigte.
Remus schaute nach oben.
Von der Decke baumelte der alte Hauself Kreacher, an dem Hals aufgehangen.
Neben ihm lag ein umgefallener, großer Stuhl, von dem er sich vermutlich
runter gestürzt hatte.
„Vermutlich hat die alte Sabberhexe ihm gesagt, dass er sich umbringen
soll."Remus musterte ihn. Sein Blick fiel auf Kreacher 's rechte Hand, in
der er einen Brief hielt. Remus stellte sich auf Zehen spitzen und nahm den
Brief aus seiner schon steifen Hand.
„Les laut vor."Drängte ihn Tonks hinter ihm.
Wenn ihr diesen Brief lest, ist es zu spät. Dann werde ich bei meiner
Meisterin sein und Du-weißt-schon-wer wird schrecklicher denn je herrschen.
Mit seiner neuen Waffe. Eine Waffe, die in der Nacht kommt und nur von
auserwählten gesehen oder bemerkt werden kann. Eine Waffe, die auf
schnellen Wegen dich ereilt.
Remus las den Brief mehrere Male in seinem Kopf durch.
„Ist das ein Rätsel?"meldete sich auch jetzt Mrs. Weasley zu Wort.
„Nein, viel mehr. Es ist ein Tipp. Die Waffe ist etwas, was nur Auserwählte
sehen können. Also nichts materielles. Es muss was mit der Attacke auf den
Ligusterweg zu tun haben -"
„Ligusterweg?", unterbrach ihn die panisch wirkende Mrs. Weasley. „D- Dort
wohnt doch -"
„ –Harry, ja wir wissen es."Beendete Remus ihren Satz.
„Dann muss er dort weg. Der Junge ist in Gefahr -"
Remus zog eine Augenbraue hoch. „Nur wie? Ihn an Händen und Füssen hierhin
zerren?"
„Es ist das Beste für das Kind."
„Molly, nenn ihn bitte kein Kind. Er verdient es nicht."sagte Remus,
bemüht ruhig zu bleiben. Es ging ihm schon lange auf die Nerven, dass sie
ihn immer wie ein Kleinkind behandelte.
„Er ist immer noch Minderjährig -"
„Molly, er hat mehr durchgemacht als wir zusammen. Du bist auch schließlich
nicht seine Mutter -"
„Aber so gut wie!"entgegnete sie ihm aufgebracht.
„Aber das bist du nicht. Und bilde dir nicht ein, dass du es bist."
Mrs. Weasley öffnete den Mund, um etwas zu sagen, ließ es aber bleiben,
rauschte aus dem Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu.
„Remus –„ begann Tonks ruhig, doch Remus unterbrach sie.
„Was ist? Sie muss sich nicht einbilden, Harry 's Mutter zu sein."
Tonks sah ihn verständnislos an.
„Remus ..."Eine schwache, krächzende Stimme war genau neben seinem linken
Ohr. Remus wirbelte herum, doch dort war niemand.
„Was?"
„Wie?"Tonks sah auf die Stelle, wo Remus hinsah.
„Ich – vergiss es."
Remus wandte sich zurück zur Tür und wollte gehen, als –
„Remus ..."
Remus erstarrte. Er wirbelte herum. Was er sah konnte er nicht glauben.
Sirius, das Gesicht zerkratzt und blutig und mit zerrissener Kleidung stand
er an der Wand.
„Hilf mir ..."Sirius steckte den Arm aus.
„Remus?"Tonks' Stimme ließ Sirius verschwinden.
„Da war Sirius!"
„Wo?"Tonks sah zur Wand, doch dort war niemand."
Remus wirkte verwirrt.
„Er war da!"
Tonks legte ihre Hände auf seine Schultern.
„Ist schon gut. Ich wünsche mir auch das Sirius wieder da ist."
„Nein, du verstehst nicht."Remus riss sich von ihr los. „Er war da! Ich
hab ihn gesehen -"
„Remus ... hilf mir ..."
Remus sah sich um.
„ –und er brauch meine Hilfe."
Remus ging zur Tür.
„Was hast du vor?"
„Ich muss durch diesen Torbogen."
„Nein, Remus!"
„Hilf mir ..."
„Ich komme wieder."
„NIEMAND ist je zurück gekehrt! Remus, du weißt nicht, was dort drin ist."
„Ich muss aber Sirius helfen."
Remus hatte schon die Hand auf dem Türknauf.
„Was ist, wenn du umkommst? Was ist, wenn es ein Trick von Voldemort ist?
Ich will nicht noch einen Freund verlieren."
Remus drehte sich um.
Er sah, wie eine Träne an Tonks' Wange entlang lief.
„Du hast Recht."
Natürlich hatte sie Recht. Es war unmöglich lebend aus diesem Torbogen zu
kommen.
„Es – es wird wohl besser sein, Harry hierhin zu bringen. Ich sage Arabella
bescheid. Sie sollte besser auch hierhin."Remus merkte, dass sie ihm nicht
glaubte, deshalb fügte er hinzu:
„Versprochen."
Er öffnete die Tür und verschwand. Tonks seufzte. Warum muss Kreacher sich
so hoch aufhängen? Sie nahm sich einen Stuhl, stieg auf ihn und stellte
sich auf Zehenspitzen, da sie immer noch nicht an den Knoten kam, der oben
an der Decke befestigt war. Dann schlug sie sich an den Kopf. Wozu hab ich
einen Zauberstab?, fragte sie sich. Sie zog ihren Zauberstab aus der
Hosentasche heraus und mit einem Schlenker ihres Zauberstabes purzelte
Kreacher auf den Boden.
Die Tür ging auf. Tonks wäre beinahe vom Stuhl gefallen, wenn sie sich
nicht am Strick fest gehalten hätte.
Minerva McGonnagall, Lehrerin auf Hogwarts, stolperte in den Raum. Sie trug
eine blutige Schramme an ihrer Wange und ihr Umhang war leicht zerrissen
und mit Blättern übersehen.
„Minerva – was -?"
„Sie – war – da."Keuchte sie raus. Sie war vermutlich gerannt. Doch ihr
Alter erlaubt es ihr gar nicht mehr. Sie fasste sich ans schmerzende Herz.
„Wer war wo, Minerva?"
„Bei – Potter – Ana – Alcazar -"
Tonks riss die Augen auf. Das, was sie befürchtete, war nun eingetreten:
Ana Alcazar kehrte nach so vielen Jahren des Versteckens zurück, um sich
Lord Voldemort im Kampf gegen die weiße Magie anzuschließen.
Beide stürmten sofort aus dem Zimmer und Zielstrebig in Richtung
Ordenszimmer.
