Kapitel 23a ( Zwischenkapitel Legolas)

Legolas lag einfach nur da und beobachtete sie im Schlaf. Sie sah so friedlich aus, ihr Atem ging langsam und gleichmäßig. Sie hatte sich von ihm gedreht und lag nun auf dem Bauch, ihr Gesicht zu ihm gewandt. Vorsichtig strich er eine kleine Haarsträhne von ihrer Wange. Er hatte sie bekommen, mit allem, was sie hatte. Sie hatte sich ihm hingegeben und er hatte sie nicht fallen lassen. Diese tiefe Liebe, die er für sie verspürte, ließ ihn auf Dinge achten, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Nicht, weil sie nicht da waren, nein, er hatte sie nur nicht beachtet. Legolas hatte bereits manche kurzweilige Beziehungen gehabt, doch nie hatte er solch tiefe Gefühle empfunden. Er freute sich am Abend schon auf das Erwachen am Morgen, weil er sie dann wiedersehen würde. Er liebte es, ihren Atem auf seiner Haut zu spüren und die Berührung ihrer Finger, ihrer Lippen oder ihrer Zunge waren wie kleine Blitze, die durch seinen Körper zuckten.

Dass Legolas durch sie Teil einer Sache war, die entscheidend für das Weiterleben in Mittelerde war, hielt er nicht für wichtig. Sie hatte eine große Aufgabe vor sich, dass wußte er. Und er würde ihr immer zur Seite stehen, egal was auch kommen mochte. Doch vorerst mußte er sie hier alleine zurücklassen. Eine nicht abwendbare Bedrohung kam auf das Reich seines Vaters zu und er mußte dagegen ankämpfen. Es schmerzte Legolas bei dem Gedanken, dass er sie eine lange Zeit weder sehen, noch berühren konnte. Doch er hatte keine Wahl. Sein Vater hätte ihn nicht gebeten mitzuziehen, wenn es nicht unvermeidlich wäre. Die wenigen Momente, die er noch mit ihr hatte wollte er nun still genießen. Er legte sich ganz nah an sie und legte seine Hand behutsam auf ihren Rücken. Wie wunderbar weich und zart die nackte Haut sich unter seinen Fingern anfühlte. Nur noch wenige Stunden würden es sein, dann mußte er aufbrechen. Er seufzte, schmiegte sich vorsichtig an sie und verbrachte so die Zeit, bis er aufstehen mußte.

Als schon alle Krieger zum Aufbruch versammelt waren, sah Legolas sie mit Niniél zusammen zu ihren Pferden gehen. Er hatte innerlich gehofft, dass sie doch nicht mitkommen würde. Der Abschied fiel ihm so schon schwer, doch wollte auch er diese letzten Momente in ihrer Begleitung verbringen. Dass sie sich gegen Legolas Beschluss wehren würde, ahnte er schon vorher. Doch er mußte sicher sein, dass man auf sie Acht geben würde. Er kannte Salldoth noch nicht sehr lange, doch er sah es ihm an, dass er sich sehr um seine Gemahlin mühte. Sein sonst so kühler Ausdruck erhellte sich zusehends, wenn er in ihrer Nähe war. Legolas war sich sicher, dass er sie beschützen und ihr zur Seite stehen würde, bis er wieder bei ihr sein konnte.

Sie hatten den Waldrand erreicht und die Krieger saßen, nach einer kurzen Rast für die Pferde, wieder auf und formierten sich. Legolas sah, wie sein Vater mit Melian sprach und sich von ihr verabschiedete. Ein kleines Lächeln huschte über sein Gesicht. Es freute ihn zu sehen, dass auch sein Vater sie ins Herz geschlossen hatte. Aber um so mehr schmerzte es ihn, als er in die Augen seines Vaters sah. Sie waren traurig und matt. Das Leben vieler Elben und auch Menschen stand auf dem Spiel. Dieser Angriff war sicher nur der Anfang allen Übels.

Gedankenverloren ritt Legolas neben seinem Vater an der Spitze des Zuges. Komme in einem Stück wieder, hatte sie ihm gesagt. Er schmunzelte bei dem Gedanken an ihre Worte. Stumm fuhr er mit den Fingern über seine Lippen. Die Wärme ihrer Lippen war noch leicht zu spüren. Doch dieser letzte Kuß war anders. Er wußte nicht genau, was das zu bedeuten hatte. Doch je näher sie seiner Heimat kamen, umso mehr spürte er, dass es nicht richtig war, sie alleine zu lassen. In den Nächten fand er nur wenig Ruhe. Finstere Träume und Gedanken ließen ihn wenig Schlaf finden. Immer wieder sah er Melian vor sich, wie sie verzweifelt nach ihm rief. Es zerriss ihm jedes Mal fast das Herz, wenn er ihre Stimme nach ihm rufen hörte. Er glaubte sie ganz in seiner Nähe zu hören. Erschrocken fuhr er hoch und griff nach seinem Bogen. Doch als er sich umsah, stand er zwischen den schlafenden Kriegern und die Stille der Nacht umgab das Lager. Es war wieder nur ein Traum. Legolas ließ den Bogen zu Boden fallen und vergrub das Gesicht in seinen Händen. Er verstand nicht, was geschehen war. Warum ihn diese Gedanken quälten. Melian war in Lórien und in Sicherheit. Als er wieder aufsah, blickte er in die besorgten Augen seines Vaters.

„Mein Sohn, quäle dich nicht. Sie ist nicht in Gefahr, solange sie in Lórien weilt. Die Macht der Herrin Lóriens wird sie beschützen. Und ohne dich wird sie nicht von dort fortgehen."

„Aber warum sehe ich sie immer wieder vor mir? Sie ruft meinen Namen und ich spüre Angst und auch Verzweiflung in ihrer Stimme. Vater, ich muß zurückreiten. Ich muß nach ihr sehen. Bitte laß mich gehen."

„Nein. Ich brauche dich hier. Ich kann dich nicht gehen lassen. Deine dunklen Gedanken sind Vorboten des Übels, das es zu bekämpfen gilt. Du hast Melian einem fähigen Krieger anvertraut. Und sie ist vernünftig genug, sich nicht allein in Gefahr zu begeben. Und jetzt bereite dich vor. Wir reiten in einer Stunde weiter. In der Mittagsstunde werden wir unsere Heim erreicht haben. Dann steht uns die Schlacht bevor, dann mußt du klare Gedanken haben. Die Kundschafter berichten von einem riesigen Heer, das sich uns entgegenstellt."

Er klopfte seinem Sohn aufmunternd auf die Schulter und ging sich seine Rüstung anlegen.

Es widerstrebte Legolas, seinem Vater recht zu geben. Doch er mußte jetzt an sein Volk denken.

Als die Sonne schon hoch am Himmel stand, kamen sie am Höhlenpalast an. Alle waren in heller Aufruhr, schnell wurden die Krieger von König Thranduil zusammen gerufen und rasch nahmen sie die Stellungen am Waldrand ein. Als die Nacht hereinbrach sahen sie von Ferne das Übel auf sich zukommen. Legolas hatte mit Haldir und seinem Vater zusammen die Führung übernommen und gemeinsam standen sie nun unter den Bäumen des Düsterwaldes und warteten auf den Angriff der Orks.

Legolas sah hinter den Orks den Berg Erebor und in weiter Ferne die Eisenberge. Früher mochte er den Anblick dieser mächtigen Berge, doch jetzt fühlte er nur noch Hass. Hass gegen den, der für all dies verantwortlich war. Er war sich sicher, dass die Orks von Toral ausgesandt worden waren. Er mußte an den Traum von Melian denken, in dem er von Toral getötet worden war. Hätte er doch dort schon gegen Toral vorgehen können. Doch Melian war dagegen gewesen und er wollte sich ihr nicht widersetzten. Wieder dachte er an ihre wunderschönen Augen und wie sie ihn angestrahlt hatte, als sie sich gemeinsam das Versprechen gegeben hatten.

Durch das Gebrüll der Orks wurde er aus den Gedanken gerissen. Legolas spannte seinen Bogen und ging neben Haldir in Stellung. Ein Ork nach dem anderen sank von seinen Pfeilen getroffen zu Boden. Doch die Schar war groß und auch Trolle waren unter ihnen, sodass sie bald darauf ihre Schwerter zogen und um ihr Leben kämpften. Seite an Seite mit Haldir schlug sich Legolas durch die nicht enden wollenden Reihen der Orks. Inzwischen waren alle Elben hinter den letzten Bäumen des Düsterwaldes hervorgetreten und kämpften sich durch die Reihen der Feinde. Die Elben schienen in der Überzahl zu sein, doch die Orks erwiesen sich als stärker, als die Erstgeborenen geglaubt hatten. Sie waren mit schwarzen Brustpanzern und Helmen ausgerüstet. Ihre Schwerter waren länger, als die der Elben. Wie von einer wilden Bestie gejagt, drangen sie gegen die Elbenkrieger vor. Hart schlugen sie zu, doch die Krieger Lothlóriens und Düsterwalds waren sehr gut trainiert. Und als sich die Nacht dem Ende neigte, ebbte der Ansturm der Orks ab. Vereinzelt griffen sie noch im Schutze eines Trolles an, doch wurden auch diese zu Fall gebracht und gnadenlos getötet.

Als sich die Elbenkrieger langsam wieder in den Schutz der Bäume begaben, brach das erste Sonnenlicht durch die Wolken. Haldir war Legolas während der Nacht nicht von der Seite gewichen, doch die Gedanken an Melian hatten Legolas für einen Moment lang abgelenkt. Ein Troll hatte Legolas an der Schulter verletzt. Haldir brachte ihn rasch in Deckung, doch der Troll hatte ihn schwerer verletzt, als es zunächst aussah. Legolas konnte seine Schulter nicht mehr bewegen und war nicht mehr fähig, zu kämpfen. König Thranduil veranlasste, ihn zum Palast zurück zubringen. Er wollte sich erst gegen die Anordnung seines Vaters wehren, doch bei der kleinsten Bewegung schmerzte ihn seine Schulter so sehr, dass er nachgab und sich fortbringen ließ.

„Legolas mein Freund, bist du wach?"

Legolas öffnete die Augen und blinzelte dem Sonnenlicht entgegen. Er lag im Bett in seinem Zimmer. Seine Schulter schmerzte noch immer stark. Ein dicker Verband war um seinen Oberkörper gebunden. Sein linker Arm steckte in einer Schlinge und bei Versuch, ihn zu bewegen, zog ein stechender Schmerz vom Oberarm über die gesamte Schulter hinweg.

„Was mache ich denn hier?"

„Na was wohl, dich erholen. Nachdem man dich zum Palast gebracht hatte, haben die Heilerinnen ihr bestes gegeben und nun mußt du dich ausruhen, damit deine Schulter wieder ganz wird."

„Wie ist die Schlacht ausgegangen?"

„Nicht ohne Verluste, doch wir konnten sie erfolgreich zurück drängen. Aber sie werden sicher in der nächsten Zeit wieder angreifen. Aus Esgaroth wird berichtet, dass sich in den letzten Tagen sehr viele Orks von den Eisenbergen aus auf dem Weg machen. Einige behaupten, sie seien auch auf den Weg zu den braunen Landen. Man befürchtet, dass sie versuchen, Lothlórien anzugreifen."

„Melian. Ich muß zu ihr."

Legolas wollte sich aufrichten, sank aber mit schmerzerfülltem Gesicht wieder in die Kissen.

„Sorge dich nicht, mein Freund. Ich habe einen Boten gesandt, der Lothlórien berichten wird. Ich habe ihn persönlich beauftragt, sich nach Melian und Niniél zu erkundigen. In einer Woche erwarten wir ihn zurück."

„Eine Woche. Haldir, das halte ich nicht solange aus. Was ist, wenn ihr etwas zustößt, und ich nicht bei ihr sein kann?"

„Sieh dich doch an. So kannst du ihr auf keinen Fall zur Seite stehen. Ich gebe dir mein Ehrenwort, sobald du wieder reitfähig bist, werden wir nach Lórien aufbrechen. Und nun ruhe dich noch ein wenig aus. Ich werde dich in den Abendstunden wieder aufsuchen."

Haldir nickte seinem Freund zu und verließ das Zimmer. Legolas schloß die Augen und atmete tief ein. Seine Gedanken waren wieder bei Melian. Er sah sie vor sich, wie sie mit ihrem Pferd über die Ebene ritt. Dann schlief er ein.