Harry schlief diese Nacht sehr unruhig. Er wälzte sich in seinem Bett von der einen Seite auf die andere, doch er konnte nicht einschlafen. Die Bilder seiner Eltern und seines Paten, die überall im Zimmer hangen, erinnerten ihn so furchtbar an frühere Tage. Harry versuchte sich krampfhaft an seine Eltern zu erinnern, aber es gab kein Bild von ihnen in seinem Kopf. Keine Erinnerungen. Doch das schlimmste für Harry war, dass auch langsam das Bild von Sirius schwand. Harry erinnerte sich noch kaum an sein hundeähnliches Lachen. Er dachte wieder an sein drittes Schuljahr. Wie die Schule in Aufruhr war. An seine erste Begegnung mit den Dementoren oder mit Remus. Er erinnerte sich an die heulende Hütte und an seine Begegnung mit Sirius. Plötzlich hörte er ein Scheppern von der Küche her. Es war vermutlich irgendein Ordensmitglied, der eine Tasse fallen gelassen hatte, meinte Harry nur und drehte sich auf die andere Seite. Wieder ging unten wahrscheinlich in der Küche etwas zu Bruch. Was machen die da bloß, fragte sich Harry ärgerlich, Polterfest? Harry schwang sich aus dem Bett und stürmte die Tür hinaus. Licht schien von der Küche her nach draußen. Ich bin ja mal gespannt, was die da machen, fragte sich Harry und wollte gerade in die Küche stürmen, als er Stimmen hörte.

„Remus, beruhige dich doch", kling Tonks' Stimme. „Bita weiß, was sie tut."

„Das haben andere auch gesagt. Und was ist damals passiert? Erinnere dich doch mal daran, Tonks!"

„Ich weiß, was damals passiert ist, Remus, aber sie wird nicht so dumm sein, und den gleichen Fehler machen -"

„Ach nein? Tonks, ich kenne Bita besser als du. Sie würde das Gleiche wieder tun. DU HAST SIE DOCH SELBST GEHÖRT. Sie hat keine Angst vor dem Tod!"

„Remus, Bita hat damals einen Fehler begangen -"

„Einen Fehler? Tonks, sie hat sich Voldemort angeschlossen!"

„Aber nun ist sie auf unserer Seite. Das ist ein großer Vorteil für uns!"

„Tonks, Bita ist der Grund, warum Lily und James tot sind! Sie hat sie selber umgebracht!"

„Woher willst du es wissen, Remus?"

„Sirius hat sie eigenhändig versteckt, damit sie nicht verurteilt wurde, dafür kam er aber ins Gefängnis! Sirius war damals so dumm und hat sich nur von seinem Herzen leiten gelassen."

„Und was machst du, Remus? Du lässt dich auch von deinem Herzen leiten."

„Wie kommst du denn jetzt darauf?"

„Erinnerst du dich noch daran, als du Bita vor einem Muggelattentat gerettet hast. Sie wurde beinahe erschossen! Du hättest dabei sterben können!"

„Das hat nichts mit der Sache zu tun, Tonks."

„Oh doch, Remus. DU bist ebenfalls in Bita verliebt -"

„Das ist nicht wahr, Tonks."

„Oh doch, Remus"wiederholte Tonks. „Oh doch!"

Harry hörte wie Remus gereizt seufzte.

„Na gut, ich BIN in sie verliebt, na und?"

„Du bist eifersüchtig auf Sirius."

„E- Eifersüchtig? ICH? Ich gehe in mein Zimmer, aus diesem Gespräch wird sowieso nicht mehr etwas sinnvolles." Harry flüchtete leise aber schnell in die Dunkelheit und schon schoss Remus aus der Küche die Treppen hinauf.

Harry wartete bis er die Tür zuschlagen hörte und ging dann in die Küche. Tonks schwang ihren Zauberstab und versuchte, die umgefallenen Teetassen zu reparieren.

„Oh Harry", lächelte Tonks, als sie Harry erblickte. „Ich hoffe, wir haben dich nicht geweckt."

„Nein", log Harry lächelnd. „Äh – was hat denn Remus?"

„Ach der", winkte Tonks ab. „Der macht sich nur um Bita sorgen."

"I- Ich habe Bruchstücke von eurem Gespräch mit bekommen."Tonks senkte den Blick. „I- Ist es wahr? Ist sie wirklich schuld an dem Tod?"

„Man weiß es nicht", sagte Tonks und stellte die letzte reparierte Teetasse zurück in das Regal. „Remus vermutet es. Es gibt zu viele Beweise, die dafür sprechen."

„Aber – als ich letztens Bita ins St. Mungo gefolgt bin, da hatte ich eine Vision. Als sie mich an der Schulter berührte."Tonks hielt in ihrer Bewegung an.

„Ich hab Mum und Dad gesehen. Ich hab gesehen, wie sie gestorben sind. Aber ich habe nicht gesehen, dass Bita sie töten wollte. Im Gegenteil. Ich hab gesehen, wie sie versuchte, mich zu schützen."

„Aber du weißt nicht, ob es die Wahrheit ist, oder?"fragte Tonks und zog die Stirn hoch.

„Nein", sagte Harry. „A- Aber – ich hab Sirius gesehen!"

„Wann?"

„Es – Es war noch nicht lange her. Es war in Sirius' Zimmer. Es war so etwas wie ein Geist. Er sagte, dass Bita nicht das ist, was sie vorgibt, zu sein und – ähm – dann verschwand er."Harry wollte ihr nichts davon erzählen, dass er gesagt hatte, dass wenn er Bita tötet, Sirius zurück kommen kann.

„Hast du es wirklich gesehen?"fragte Tonks schockiert.

„Das war aber nicht alles. Als ich verschwand, als die Dementoren hier waren, da sah ich Voldemort. Er sagte, er wolle mich warnen. Vor Bita. Als ich ihn fragte, warum, antwortete er, dass schließlich er mich töten will. Den Rest der Geschichte kennst du ja."

„Warum hast du uns nichts davon gesagt?"Doch ohne eine Antwort abzuwarten, sprach Tonks mehr zu sich selber weiter. „Also hat es sich bewahrheitet. Ich muss sofort zu Dumbledore."Ohne weitere Erklärung rauschte Tonks hinüber zum Kamin, nahm sich eine handvoll Flohpulver, warf es in den Kamin und rief laut ‚Dumbledore'. Dann verschwand sie. Harry befand sich nun ganz alleine in der Küche. Es war ein merkwürdiges Gefühl, aber ein vertrautes. Harry beschloss, wieder nach oben zu gehen, doch bevor er die Tür öffnen konnte, ging die Tür auf.

„Milli."Sagte Harry erleichtert, als er sie erblickte.

„Oh, entschuldige. Bist du auch noch wach?"

„Ja, ich konnte nicht schlafen."

„Ich auch nicht. Ron schnarcht so laut."Millicent ging hinüber zum Herd. „Möchtest du auch einen Tee?"

„Ja, bitte."Harry setzte sich an den Tisch. „Äh, hast du eigentlich schon wieder mit Remus gesprochen?"

„Nein", sagte Millicent und goss das heiße Wasser in die Tassen. „Ich schätze mal, er hat mich jetzt wiedererkannt."Millicent lächelte schwach. Harry nahm seine Tasse in die Hand und nahm einen Schluck.

„Wie kommt es eigentlich, dass du von Remus gebissen wurdest?"Millicent setzte ihre Tasse ab. „Entschuldige, hätte nicht fragen sollen."

„Nein, nein, ist schon in Ordnung."Millicent setzte ihre Tasse ab. „Als ich knapp zwölf Jahre alt war, sagte Tom, dass ich ihm eine sehr große Hilfe sein könne, wenn ich ein Werwolf sei. Ich dachte mir natürlich nichts dabei und stimmte zu. Nach einem Monat kam ein junger Mann zu uns. Remus Lupin. Natürlich wurde er gewaltsam zu uns gebracht. Wir wurden am Vollmond zusammen in eine Zelle gesteckt. Geredet haben wir nicht. Er hatte nur schreckliche Angst, dass er mich beißen könnte. Doch ich versicherte ihm, dass das nicht so schlimm wäre. Damals wusste ich auch noch nicht, welch Schmerzen das sind. Und so biss er mich in jener Nacht."

„Remus hatte nie etwas davon erzählt."

„Würdest du gerne Rumerzählen, dass du schuld bist ,dass ein weiterer Mensch ein Werwolf ist? Ich glaube nicht."

„Du hast vermutlich recht." Erst jetzt bemerkte Harry Millicent wirklich. Er schaute erst auf ihre blonden Haare, die ihr bis zur Hüfte gingen, später in ihre kristallblauen Augen, die ihn sehr an die Augen eines Wolfes erinnerten. Ihre Haut glitzerte, als ob jemand ihr Glitzerstaub auf die Haut gepustet hätte. Harry hatte ein komisches Gefühl in der Magengegend. Ein Gefühl, dass er auch bei Cho Chang gefühlt hatte, nur viel stärker.

„Harry? Geht es dir gut?"Ihre Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.

„Äh – was? Ja, mir geht's gut."Er konnte seinen Blick schwer von ihr ablenken. Sie hatte eine merkwürdige Ausstrahlung. Fast wie eine –

„Veela."Flüsterte Harry und starrte weiter auf Millicent.

„Was?"prustete Millicent. „Harry, bist du dir sicher, dass es dir gut geht?"

„Ähm, entschuldige."Sagte Harry und schüttelte leicht seinen Kopf. Er rieb sich über die Augen. „Mir ist nur gerade was durch den Kopf gegangen."

„Merkt man."Lächelte ihn Millicent an.

„Darf ich dich mal was fragen?"fragte Harry vorsichtig.

„Na klar!"sagte Millicent und trank einen Schluck aus ihrer Teetasse.

„Weißt du, wo du die ganze Zeit gelebt hast? Ich meine, bei Voldemort und Pettigrew."

„Nein, weiß ich nicht. Ich habe nie das Haus verlassen. Aber ich kann mich daran erinnern, dass wenn man aus dem Fenster meines Zimmers sah, hatte man einen Blick auf einen Friedhof."

„Ein Friedhof?"sagte Harry und prustete in seine Tasse.

„Ja, ich habe deswegen immer die Vorhänge zugezogen."

„War Voldemort auch in diesem Haus, als du elf Jahre alt warst?"

„Ähm", Millicent setzte ihre Tasse ab. „Wie soll ich es sagen. Er war nicht – körperlich da."

„Nicht körperlich?"

„Nein, er war wie ein Geist, aber trotzdem wie ein Vater für mich."Harry zog die Augenbraue hoch. „Er – er war immer bei mir. Er war nicht so, wie andere Leute ihn kennen. Er war – nett."

„Schwer vorstellbar."Sagte Harry unglaubwürdig und runzelte die Stirn. „Hast du eigentlich irgendwas mitbekommen? Ich meine, hatte Voldemort irgendetwas geplant?"

„Ich habe nie viel mitbekommen, weil Bellatrix mich nie dabeihaben wollte. Tom hatte nur immer eine große Wut auf dich und das hat er meistens an den Leuten ausgelassen, die ständig zu uns kamen."Harry setzte so hastig seine Tasse ab, dass der Tee auf den Tisch kleckerte.

„Hast du die Leute gekannt? Weißt du, wie sie aussehen?"Millicent schaute zur Decke und überlegte anscheinend.

„Die meiste Zeit war so ein blonder Mann da. Der sitzt jetzt glaube ich in Askaban. Er war sehr freundlich zu mir und er behandelte mich -"Millicent schwang schauspielerisch ihre Hand nach oben. „wie eine Königin."

„Hieß der Mann zufälliger Weise Lucius Malfoy?"

„Woher weißt du das?"

„Sein Sohn, Draco, ist auch in Hogwarts."

„Draco."Millicent schaute an die Decke. „Merkwürdiger Name."

„Ähm, da du ja jetzt nicht mehr von Voldemort unterrichtet wirst -"sagte Harry hoffnungsvoll.

„Ich habe vor, nach Hause zurückzugehen."

„Ich hatte dann gedacht – was?"

„Ich habe vor, Tom zu suchen."

„Aber -"Harry stellte seine Tasse ab. „Du kannst nicht zurückkehren. Ich meine, die wollten dich umbringen!"

„Nein, wollten sie nicht. Sie waren nur wütend, dass ich abgehauen bin."

„A- Aber, du könntest nach Hogwarts gehen!"

„Harry, es ist mein zu Hause. Ich gehör hier nicht her."

„Aber – warum bist du dann abgehauen."

„Mir hatte es einfach gereicht. Ich wollte die Welt sehen. Aber jetzt weiß ich wie die Welt ist und am liebsten würde ich es wieder vergessen."

„Wieso?"

„Alles erinnert mich an meine Vergangenheit und ich will sie nicht kennen."

„Aber willst du nicht wissen, wer deine Eltern sind. Wo dein zu Hause ist."

„Mein zu Hause ist dort, wo Tom ist."

„ES IST NICHT MEHR TOM! DAS IST VOLDEMORT!"Harry stand so schnell auf, dass sein Stuhl umfiel.

„Das ist mir egal! Ich bin bei ihm zu Hause."

„ER HAT DEINEN VATER GETÖTET!"Stille. Millicent sah ihn mit tränigen Augen an.

„Siehst du", Millicent stand auf. „Und DESHALB möchte ich nicht meine Vergangenheit kennen!"Dann stürmte sie aus der Küche. Harry wollte ihr nach laufen, aber seine Beine bewegten sich nicht. Er wollte sie nicht anschreien. Er wollte ihr nicht wehtun. Doch er wollte doch nicht, dass sie fortging. Sie war bei Voldemort in Gefahr. Aber war das wirklich diese Tatsache, dass er nicht wollte, dass sie ging? Gab es da noch ein anderen Grund, der mit dem Herzen zu tun hatte?

„Harry?" Harry sah auf zur Tür. Hermine, in ihrem rose Morgenmantel, stand im Türrahmen. „Was ist passiert? Warum schreist du so?"

„Ich hab gerade mit Millicent geredet. Sie will zu Voldemort zurückkehren. Sie sagte, dies hier ist nicht der Ort, wo sie hingehört."

„In einer gewissen Weise muss ich ihr zustimmen", sagte Hermine und setzte sich an den Tisch. Harry stellte den umgeworfenen Stuhl wieder hin und setzte sich ebenfalls. „Sie ist bei ihm aufgewachsen. Sie kennt ihn wahrscheinlich anders als wir. Sie sieht nicht die Gefahr, die von ihm ausgeht."

„Hey, warum bin ich zu eurem Treff nicht eingeladen."Grinste Ron, der gerade reingekommen war. Er ging hinüber zum Kühlschrank, nahm sich ein Butterbier und setzte sich neben Harry und Hermine gegenüber. „Was habe ihr mit Milli gemacht? Die ist an mir vorbeigerauscht und hatte Tränen in den Augen."

„Ich hab sie wohl verärgert."Lächelte Harry schwach und spielte mit seiner leeren Teetasse.

Ron und Hermine stellten keine Fragen mehr über Harry und Millicent und Harry war darüber sehr dankbar. Harry hörte dem weiteren Gespräch über Hogwarts und Quidditch nur mit einem Ohr zu. Er schaute die ganze Zeit aus dem Fenster und beobachtete, wie dicke Regentropfen gegen das Fenster klatschten. Plötzlich schien es Harry vom Stuhl zu reißen. Harry 's Narbe brannte, wie sie im Ministerium gebrannt hatte, als Voldemort zu nah an ihm dran war. Er sah Millicent, wie sie rannte. Jemand jagte sie. Millicent bog in eine Ecke, drehte sich um und sah geschockt aus. Jemand lachte auf. Dann fiel Millicent zu Boden.

„NEIN!"schrie Harry auf.

„Harry! Harry, beruhige dich doch."Harry riss die Augen auf. Er lag auf dem kalten Küchenboden und Ron und Hermine knieten neben ihm.

„Millicent!"Harry versuchte sich aufzustellen.

„Was ist mit ihr – Harry, wo willst du hin?"Doch Harry stürmte bereits schon die Küche heraus. Er lief so schnell er konnte die Treppen hinauf.

„Harry warte doch, nicht so schnell!"Aber Harry hörte ihnen gar nicht zu. Er stieß die Tür zu Ron, Hermine und Millicent 's Zimmer auf, doch dort war niemand. Er ging weiter zum Badezimmer, wieder hinunter ins Wohnzimmer, doch niemand war da.

„Harry, was ist denn los?"fragte Hermine abgehetzt, als Harry endlich stehen blieb.

„Millicent ist verschwunden!"