Kapitel 6
Lorendt ließ sich zufrieden auf die gepolsterte Bank sinken, die in der Nische um einen kleinen Tisch herum stand. Ranwe, der fünf Bierkrüge balancierte, stellte diese vor ihnen auf den Tisch und setzte sich neben Lorendt. Bald gesellten sich nach und nach auch Tarlisin, Alicia und schließlich auch Sagnat zu ihnen. Die Hobbits waren oben in ihren Zimmern geblieben.
Ranwe verteilte die Krüge. Tarlisin sah ihn erfreut an.
„Hey, kannst du Gedanken lesen?"
„Vielleicht…"
Ranwe sah verschmitzt zu Tarlisin, der sich offensichtlich entzückt seinem Bier widmete. Den ersten Krügen folgten bald die Zweiten und dritten, bis Ranwe vorschlug zu Misha, einem Elbenwein überzugehen.
Bald schon waren Lorendt und Tarlisin in eine Diskussion darüber vertieft, welcher ihrer Väter eine wichtigere Rolle im Ringkrieg gehabt hatte. Ranwe kamen sie dabei wie zwei Kinder vor, die miteinander wetteiferten.
„Meinem Vater ist es zu verdanken, dass Minas Tirith noch steht. Wenn er Osgiliath nicht so lange gehalten hätte wäre Rohan nie rechtzeitig da gewesen."
„Sicher, meinem Vater allerdings ist zu verdanken, dass der Ringträger den Schicksalsberg überhaupt erreicht hat. Schließlich hat er sein Leben mehr als einmal gerettet."
Alicia und Ranwe rollten zeitgleich mit den Augen. Das war ja kaum auszuhalten. Alicia wurde es schließlich zu viel und sie mischte sich ein.
„Das ist nun schon fast 100 Jahre her. Solltet ihr euch nicht mit euren eigenen Heldentaten brüsten, statt die Geschichten eurer Väter aufzuwärmen?"
Lorendt, dessen Wangen vom Alkohol schon leicht gerötet waren, erwiderte nun in dem Brustton der Überzeugung, dass das nun wirklich kein Problem darstellte.
Ranwe sah grinsend zum Blonden. Wie gut dem Prinzen diese leuchtenden Augen standen…
„Achja? Ein großer Held sollte seine Taten allerdings aus freien Stücken tun und nicht nur um seinem Vater zu gefallen."
Ranwe wusste, dass er den Kern voll getroffen hatte. Und außerdem wusste er aber auch, dass Lorendt sich im nüchternden Zustand wütend von ihm abgewendet hätte.
Nun jedoch fing dieser an, wie ein kleines Kind zu maulen.
„Ist ja gar nicht wahr."
„Ach nein?"
„Nein!"
„Dann würdest du auch etwas tun, was dein Vater bestimmt nicht gutheißen würde?"
„Natürlich."
„Beweis es mir!"
„Wie?"
„Küss mich."
Ranwe hörte, wie Alicia die Luft einzog. Jetzt war er zu weit gegangen.
Betrunken oder nicht, Lorendt würde trotzdem realisieren, was er ihm gerade vorgeschlagen hatte. Der Dunkelhaarige wusste ja selbst nicht, was ihn zu der Äußerung gebracht hatte. Er drehte sich zu Lorendt, der still geblieben war. Wollte etwas sagen, was seinen letzten Worten die Bedeutung nahm. Doch bevor er etwas sagen konnte, legte Lorendt ihm ein Finger über den Mund und brachte ihn so zum Schweigen. Mit seiner anderen Hand strich er Ranwe einige Haare aus dem Gesicht. Dieser sah seinen Freund wie gebannt an, während dieser ihn mit einem verträumten Gesichtsausdruck musterte. Ranwe fürchtete, dass jeder in seiner Umgebung seinen lauten Herzschlag hören musste, als Lorendt dem Kopf seines Gegenübers quälend langsam näher kam. Ranwe konnte Lorendts Geruch wahrnehmen, diesen betörenden Geruch nach Wald und Gras. Plötzlich spürte er Lorendts Lippen auf seinen und tausend kleine Blitze schienen durch seinen Körper zu jagen. Der Kuss war vorsichtig, fast ängstlich. Ranwe schloss die Augen und erwiderte den Kuss. Er konnte nicht anders. Alle Gedanken schienen sich aus seinem Kopf verflüchtigt zu haben und alles woran er denken konnte, war Lorendt, dessen weiche Lippen auf seinen lagen. In diesem Moment war Ranwe alles andere egal. Er legte Lorendt eine Hand in den Nacken und zog ihn noch näher zu sich. Dieser keuchte überrascht auf, ließ aber nicht von Ranwe ab, der den Kuss intensivierte. Lorendt schmeckte nach dem süßen Elbenwein, was dem Dunkelhaarigen schmerzhaft ins Gedächtnis zurückrief, wo sie sich befanden.
In diesem Moment löste sich Lorendt sanft von ihm
„Siehst du. Ich hab doch gesagt, ich mach das."
Alicia spürte ein schmerzhaftes Ziehen in sich, als Lorendt Ranwe die Haare aus dem Gesicht strich und als dieser seinen Freund dann auch noch geküsst hatte, hatte sie das Gefühl sterben zu müssen.
Ranwe schleppte Lorendt eher, als dass dieser selbst lief, aber sie kamen voran. Der Dunkelhaarige hievte den Prinzen auf sein Bett und hockte sich neben ihn. Lorendt lächelte und flüsterte etwas auf Sindarin. Doch selbst wenn es laut genug gewesen wäre, dass Ranwe es hätte verstehen können, hätte dieser es gar nicht wahrgenommen, denn er versank in Lorendts unendlich blauen Augen. Er streckte seine Hand aus und berührte kurz dessen warme Wange. Er spürte Verlangen in sich. Das Verlangen, diesen wunderschönen Elben zu berühren, ihn zu besitzen. Doch er wusste, dass er diesem Gefühl nicht nachgeben durfte, denn dadurch würde er Lorendt vielleicht ganz verlieren. Er zog seine Hand zurück und spürte in sich sofort ein Gefühl von unbeschreiblicher Leere. Lorendt hatte inzwischen seine Augen geschlossen und seine regelmäßigen Atemzüge verrieten Ranwe, dass er eingeschlafen war. Der Dunkelhaarige beugte sich zu dem Kopf des Schlafenden. Es war kein Kuss, es war eher wie ein Hauch, das vorsichtige dahingleiten von Haut auf Haut. Ranwe schloss die Augen und genoss den seltenen Augenblick, wohlwissend, dass sich so was niemals wiederholen durfte. Mit seiner letzten Selbstbeherrschung wandt er sich von dem Prinzen ab und machte sich auf den Weg in sein eigenes Bett, das gegenüber Lorendts stand.
