Liebe Leser,

Hier ist nun die überarbeitete Fassung meiner Fanfiction „Mordors Erbin". Ich möchte mich bei allen bedanken, die brav so lange darauf gewartet haben, wieder etwas von mir zu hören. Mein besonderer Dank gilt meiner Beta Ann-Marie, die trotz der Geburt ihres Sohnes trotzdem dieses Kapitel mehrmals korrekturgelesen hat und sich auch die anderen Kapitel vorgenommen hat, wodurch ich in der Lage bin, jetzt innerhalb der nächsten Wochen alle überarbeiteten Kapitel ins Internet zu stellen.

Anmerkung: Am Inhalt hat sich nichts geändert, von daher können die neuen und die Alten Kapitel auch gemischt werden, Allerdings sind die neuen Kaps alle mindestens doppelt so lang wie die alten ;-)

Liebe Grüße,

Grishhâk

Kapitel 1

25 Jahre vor dem Ringkrieg

Sauron war von Dol Guldur nach Barad Dur gegangen. In Dol Guldur herrschte hingegen der Fürst der Nazgûl über die dort lebenden Orks. Immer wieder kamen raubende Horden aus der Festung und überfielen die am Rauros gelegenen Siedlungen.

Shagrat, ein junger Ork, der sich erst seit kurzer Zeit an den Überfällen beteiligte, war gerade mit den Anderen seines Trupps dabei, das bereits brennende Dorf zu plündern, als ihm etwas im nahen Wasser des Andurin auffiel. Langsam näherte er sich dem Flussufer. Unterwegs hob er einen brennenden Holzscheit vom Boden auf und hob ihn hoch über seinen Kopf. Ja, er hatte sich nicht geirrt. Dort war etwas im Wasser, doch das Licht seiner Fackel war zu schwach, um ihn mehr erkennen zu lassen als etwas Großes, das langsam auf der Wasseroberfläche dahintrieb.

Hatte vielleicht einer der Bauern versucht, zu fliehen? Neugierig watete er in das kalte Wasser und näherte sich dem Körper. Lange, braune Haare umrahmten den Kopf der Frau – einer Menschenfrau, wie Shagrat nun erkennen konnte. Also hatte doch jemand versucht, zu fliehen. Den Mund zu einem schiefen Grinsen verzogen schüttelte er den Kopf und zog sein Messer aus seinem Gürtel. Schnell überwand er die letzten paar Schritte, die ihn von dem dahintreibenden Körper trennten und –

-stockte. Irgendetwas war ihm schon die ganze Zeit über komisch vorgekommen, doch jetzt wusste er plötzlich, was es war: Wenn sich die Frau wirklich hätte retten wollen, müsste sie doch eigentlich von ihm wegschwimmen. Das tat sie aber nicht. Und überhaupt – Shagrat verstand zwar nicht viel von Menschen und erst recht nicht vom Schwimmen – sie hätte eigentlich mit dem Gesicht aus dem Wasser herausragen müssen, um Luft zu bekommen...

Verwundert griff er nach ihrem Arm und ließ ihn gleich wieder erschrocken los. Ihr Körper war kalt. Eiskalt. Noch einmal griff er zögerlich nach ihr und drehte sie noch im Wasser um. Weit aufgerissene Augen starrten ihn im Schein des Feuers an, doch sie sahen ihn nicht: Die Frau war tot.

Perplex sah der Ork auf den leblosen Körper vor ihm. Langsam griff er nach den Handgelenken der Frau und betrachtete das feste Seil, mit dem die Hände der Toten gefesselt waren. Hier stimmte etwas nicht. Und zwar ganz gewaltig.

Nervös sah er sich um, doch ein Blick über das Flussufer verriet dem Ork, dass er alleine war. Die anderen waren wahrscheinlich auf der ihm abgewandten Seite der nun brennenden Dorfpalisade beschäftigt. Es war keiner da, der ihm sagen konnte, was er tun sollte.

Shagrat seufzte und zog den Körper der Frau mit sich zurück ans Ufer. Ein leiser Aufschrei entwich ihrer Kleidung, als er sie auf den Boden fallen ließ. Erschrocken blickte er auf die reglose Gestalt, doch er konnte nicht erkennen, woher der Schrei gekommen war. Irritiert stieß er den Körper mit dem Fuß an. Da war es wieder! Leiser diesmal, aber eindeutig: Jemandem gefiel diese Behandlung überhaupt nicht. Shagrat kniete sich neben die Leiche und drehte sie so vorsichtig, wie er nur konnte, auf den Rücken.

„Oh verdammt…", entfuhr es ihm, als er das Baby in den Armen der Toten erblickte. Die Kleine lebte noch und als er sie berührte, schlug es die Augen auf. „Gugu gah!", gluckste sie und streckte eine winzige Hand nach dem Ork aus. Verwirrt hob er das Baby hoch und hielt es mit ausgestreckten Armen von sich und betrachtete es. „Du hast mir gerade noch gefehlt." Etwas unbeholfen legte er sie zurück auf den Boden. Gähnend hielt sie seine Hand fest und kuschelte sich ins feuchte Gras.

Shagrat setzte sich daneben und betrachtete wieder die Frau. Irgendetwas stimmte hier nicht. Die Fesseln, das Baby, der Fluss, das passte einfach nicht zusammen. Er machte sich ans Nachdenken und man konnte ihm ansehen, was für ein schweres Unterfangen dies für einen Ork war. Doch egal, wie er es auch drehte und wendete, das Alles ergab einfach keinen Sinn. Gedankenverloren strich er dem Kind durch die dünnen, blonden Haare. Als er die Ohren fühlen konnte, zuckte er zusammen. Das Baby wachte auf und fing an zu schreien. Erschrocken drückte Shagrat es an sich.

Als es sich wieder beruhigt hatte, fühlte er wieder nach ihren Ohren. Ja, er hatte sich nicht geirrt, sie waren eindeutig spitz. Elben. Jetzt, wo er daran dachte, fielen ihm auch die Stricke ins Auge, mit der die Frau gefesselt war. Auch wenn Shagrat noch nie etwas mit Elben zu tun gehabt hatte, so erkannte er doch, dass die Stricke von ihnen gemacht sein mussten. Da er von den sich in seinem Kopf drehenden Gedanken langsam Kopfschmerzen bekam, entschied er sich dafür, zu handeln und stand auf. Leider hatte er nicht sonderlich viel weiter geplant und so stand er nun am Ufer des Anduin mit einem Baby auf dem Arm und einer Leiche zu seinen Füßen und dachte schon wieder nach…

Zweifelnd betastete Shagrat den Dolch an seinem Gürtel, Doch ein Blick auf das Bündel in seinem Arm veranlasste ihn dazu, sich anders zu entscheiden. Das alles war ihm ganz und gar nicht geheuer. Noch einmal sah sich der Ork um, doch vom Dorf aus drang nur noch das Knistern der Flammen zu ihm vor. Seine Kameraden waren schon weiter gezogen oder zurückgegangen. Verärgert trat Shagrat gegen die tote Frau und drehte sie dabei auf die Seite. Ihre nassen Haare fielen über ihr Gesicht und gaben die Sicht auf ihren Nacken frei. Shagrats umherschweifender Blick blieb daran hängen. Er sog scharf die Luft ein, als er eine Tattoowierung auf ihrer hellen Haut erkannte: Den Totenkopfmond seines Herrn.

Hier stimmte etwas ganz gewaltig nicht. Völlig überfordert mit der Situation entschied sich Shagrat dafür, beide, das Kind und die Leiche, nach Dol Guldur zu bringen. Er war sich durchaus bewusst, dass er wahrscheinlich gerade den größten Fehler seines Lebens beging, aber es nahm es in Kauf und machte sich af den Weg.

Als er einige Zeit später keuchend an die Tore Dol Guldurs klopfte, begrüßten ihn seine Kameraden mit dröhnendem Gelächter.

„Hast dich wohl verlaufen, Kleiner?", empfing ihn ein Ork, dessen Namen Shagrat nicht kannte. „Musstest wohl die Spinnen nach dem Weg fragen, he?"

„Hahaha…", kommentiere Shagrat trocken und versuchte, den toten Körper durch das Tor zu zerren. Das Baby hatte er vorsichtshalber unter seinem Hemd versteckt.

Ein anderer Ork trat ihm in den Weg. „Hui, zeig mal her, was du uns da mitgebracht hast", sagte er und versuchte Shagrat die Leiche aus den Händen zu zerren.

„Lass das!" Wütend riss dieser den schlaffen Körper wieder an sich. „Das ist für'n Herrn und für sonst keinen!"

„Ach komm schon, Shag, gib uns auch was ab!", rief ein kleinerer Ork und sprang ihm entgegen. Mit einem Fauchen stürzte sich Shagrat auf ihn.

„HALT!" Die kalte Stimme schnitt durch Shagrats Gedanken und ließ ihn erstarren. Er heulte auf und hielt sich die Ohren zu, doch das Echo der Stimme hallte in seinem Kopf wider und wider, bis er schreiend auf die Knie fiel.

Plötzlich brach der Hall ab. Sein Kopf war wieder klar und er bemerkte, dass er die Augen geschlossen hatte. Vorsichtig öffnete er sie wieder und sah, dass es den Anderen auch nicht besser ging als ihm.

„Was ist hier los?", fragte die Stimme, doch diesmal blieb der Widerhall der Worte aus. Um Shagrat herum kam Bewegung in die Menge, da alle um ihn herum versuchten, so weit wie möglich von ihm wegzurutschen.

„Der da! Der da war's!", rief jemand hinter ihm. Andere fielen in das Rufen mit ein. Shagrat sah sich um, doch wohin er auch blickte, überall sah er erhobene Hände, die mit ausgestreckten Fingern auf ihn zeigten. Dann begegnete sein Blick IHM. Nur ein kleines Stück vor ihm stand ER. Der Fürst der Nazgûl. Shagrat konnte IHN unter all dem Stoff des schwarzen Umhanges nicht erkennen, doch es ging eine Kälte von ihm aus, die den Ork bis auf die Knochen durchdrang. Zitternd griff er nach der Leiche, die er bei seinem Angriff hatte fallen lassen und schob sie zwischen sich und den Nazgûl, um sich wenigstens etwas sicherer zu fühlen.

Langsam kam der Herr Dol Guldurs auf ihn zu und mit jedem Schritt, den er sich näherte, nahm die Kälte um Shagrat herum zu.

„Buhähhh…" Erschrocken sah Shagrat an sich hinunter. Das Baby! Er hatte das Baby vergessen! Schnell holte er es hervor und wiegte das schreiende Bündel in seinen Armen. Neben ihm kicherte ein Ork, doch ein Blick des Nazgûls ließ ihn verstummen.

„Wer ist das?" Der erhobene Arm zeigte auf das Baby.

„Ich… ich weiß nicht", stotterte Shagrat, „aber ihre Mutter hat Euer Zeichen auf dem Nacken." Der Ork glaubte seinen Herrn für einen Moment stocken zu sehen, doch er musste sich geirrt haben, denn schon im nächsten Moment stand ER neben ihm. Der gellende Schrei ließ den Ork beinahe das Bewusstsein verlieren, so verzweifelt und schmerzerfüllt klang er.

Grob wurde Shagrat hochgerissen und taumelte mehr seinem Herrn hinterher als dass er lief. Als er in den Räumen des Hexenkönigs stand, bemerkt er erst, dass der Schrei verstummt war, doch das Baby in seinem Armen hatte angefangen zu weinen. Reflexartig drückte er das Mädchen an sich und fuhr ihm sanft über den Kopf. „Ruhig, ganz ruhig", flüsterte er sowohl zu ihr als auch zu sich selbst.

„Wo hast du sie gefunden?" Shagrat erschrak und sah auf. Der Nazgûlfürst hielt den Körper der Frau in den Armen und deutete mit einem Nicken auf sie.

„Sie schwamm gefesselt im Fluss." Der Ork fühlte sich nicht gerade wohl in seiner Haut, als er das sagte. „Sie war schon tot, als ich sie fand und…" Sein Herr bedeutete ihm zu schweigen. Einen Moment herrschte Stille, dann richtete sich der Nazgûl an Shagrat.

„Sie ist meine Tochter." Shagrat erschauderte. Die Stimme, mit der dies gesagt wurde, war nicht mehr als ein heiseres Flüstern, nicht mit der Stimme zu vergleichen, die der Herr Dol Guldurs nur Augenblicke vorher verwendet hatte. Einen Moment lang schwiegen wieder beide, dann kam der Nazgûl auf Shagrat zu und nahm ihm das kleine Mädchen aus den Armen. Augenblicklich fing das Baby wieder an zu Schreien. „Es scheint dich zu mögen, kleiner Ork." Shagrat schluckte schwer.

„An…anscheinend, mein Herr…" Der Hexenkönig lachte heiser auf.

„Dann kannst du sie auch wiederhaben. Aber noch nicht jetzt. Ab Morgen gehst du nach Minas Morgul, sie brauchen dort noch Leute, als Strafe für deine Verspätung. Und jetzt raus mit dir." Der Nazgûl wandte sich von Shagrat ab und der Ork verließ die Gemächer seines Herrn.