Aufbruch
Wout lief nervös im Tunnel auf und ab. Er wartete nun schon seit einer geschlagenen halben Stunde auf Dylean. Langsam begann an dessen Versprechen zu zweifeln. Er hatte ihn holen wollen, wenn die Luft rein war.
Was, wenn Dylean einfach ohne ihn geflohen war? Oder ihn die Wachen erwischt und zurück in die Zelle geworfen, oder gar getötet hatten? Wout biss sich auf die Unterlippe.
Was sollte er dann tun? Vorsichtig schlich er näher an die Luke, welche als Ausgang diente heran. Er spähte wachsam durch einen Schlitz im Holz und suchte die Umgebung nach Dylean ab. Doch das einzige was er sah waren ein Dutzend Wachen die am Tor gerade ihren Dienst antraten.
„Komm schon Dyl", murmelte er. Das Herz klopfte ihm mittlerweile bis zum Hals und sein Puls raste. Plötzlich stieg ihm der Geruch nach verbranntem Holz in die Nase und in einiger Entfernung war Stimmengewirr zu hören.
Eine Glocke läutete und jemand rief „ Feuer! Die Scheune brennt!" Das sonst so geregelte Treiben glich nun mehr einem kaotischen Schlachtfeld. Die Wachen liefen alle durcheinander und von irgendwoher hörte Wout jemanden Befehle erteilen.
Er blickte auf und sah eine Schattenhafte Gestalt auf sich zukommen. Es war einer der Aufseher und er steuerte genau auf Wouts Versteck zu. Entsetzt wich der Blonde von der Öffnung zurück und verbarg sich hinter einer der zahlreichen Kisten. Wie vom Donner gerührt stand er da als er sah wie die Klappe nach draußen geöffnet wurde.
Wout suchte die Umgebung nach einer potentiellen Waffe ab und griff schließlich nach einem dicken Holzbrett. Wieder schaute er um die Ecke der Kiste, hinter welcher er sich versteckt hatte. Doch der Mann war verschwunden. Verwundert ließ Wout das Brett sinken.
Er wollte gerade hinter dem Kasten hervortreten als er sich plötzlich in einer engen Umklammerung wieder fand und sich eine Hand fest über seinen Mund legte.
„Still du Idiot!" zischte es hinter ihm als er versuchte sich zu befreien und Wout erkannte, dass es sich bei seinem Angreifer um Dylean handelte. Diese Erkenntnis schien man ihm anzusehen, denn Dylean entließ ihn bald darauf aus dieser eher unfreiwilligen Umarmung.
„Verzeih Dyl, ich hielt dich für eine der Wachen." Sagte Wout bedrückt. Schließlich hatte er Dylean beinahe niedergeschlagen...Doch dieser winkte ab
„Vergiss es. Wir müssen los, sonst entdecken sie uns noch. Und nach all der Anstrengung wäre das doch höchst ärgerlich."
Damit wandte er ihm den Rücken zu und lief zur Luke. Kurz prüfte Dylean ob die Luft rein war dann sprang aus dem Tunnel in die Dämmerung hinaus.
Er tat es ihm gleich.
(Dylean)
Seit der der Verzögerung durch den kleinen Zwischenfall im Tunnel trieb er seinen Begleiter nun schon zur Eile an. Er wusste nicht genau, wie lange die Soldaten mit den Löscharbeiten beschäftigt sein würden.
Und wenn das Feuer gelöscht war, so würde man sicher überprüfen ob noch alle Gefangene in ihren Zellen waren. Nach kurzer Zeit hatten sie das Tor, dass in den äußersten Ring der Stadt führte passiert.
Zwar wurde es bewacht, doch die Soldaten der Stadtwachen schienen besseres zu tun zu haben, als zwei Männer zu durchsuchen- von denen einer scheinbar zu ihnen gehörte.
Für kurze Zeit verlangsamte der Dunkle sein Tempo und winkte Wout zu sich heran.
„Es wird am besten sein, wenn du ab jetzt die Führung übernimmst. Ich kenne mich in der Stadt nicht allzu gut aus."
Der Angesprochene nickte und wollte seinen Weg fortsetzen als Dylean ihn zurück hielt.
„Ach und Wout...am besten ist es wohl wenn du auch einen hast- dann bist du nicht völlig wehrlos."
Damit reichte er Wout einen seiner Dolche. „Pass gut darauf auf. Vielleicht rettet er dir mal das Leben." Der junge Mann schaute ihn ein wenig perplex an, lächelte aber schließlich und steckte den Dolch an den Gürtel. „Danke Dyl. Ein wirklich großzügiges Geschenk."
„Wer sagte was von schenken? Ich leihe ihn dir lediglich solange du seiner Dienste bedürftest. Und jetzt lass uns endlich diese gottverdammten Stadtmauern hinter uns lassen."
Damit war das Gespräch für Dylean beendet und er bedeutete Wout weiter zu gehen.
Eins musste er dem quirligen jungen Mann ja lassen, in der Stadt kannte er sich aus. Kein einziges Mal begegneten sie unter Wouts Führung einer der Wachmannschaften, worüber sie beide mehr als froh waren.
Schlussendlich erreichten sie das Stadttor und Wout kam keuchend vor Dylean zum stehen. Er war ein solches Tempo nicht gewöhnt. „Und jetzt? Wie sollen wir an den Wächtern vorbei kommen?" fragte er an Dylean gewand und blickte zur Stadtwache hinauf.
Doch der schenkte ihm nur einen flüchtigen Blick aus seinen grauen Augen. „Zwei Männer bewachen das Tor, alle anderen sind wahrscheinlich rauf zur Wache um beim löschen zu helfen. Wie leichtsinnig Menschen doch sind."
Obwohl er die letzten Worte nur geflüstert hatte, hatte Wout sie gehört und schaute ihn verwundert an. Doch er fragte nicht weiter, dafür war später schließlich noch genug Zeit. Dylean ließ seinen Blick einige Male zwischen den beiden Wachposten und den Pferden wandern, welche unterhalb des Tores angebunden waren.
Langsam bildete sich ein Plan in seinem Kopf, bei welchem ihm die gestohlene Rüstung sehr gelegen kam. Ein bitteres lächeln umspielte seine Lippen. Bis eben war alles glatt gelaufen, doch tief in seinem innern hatte er die ganze Zeit geahnt, dass heute noch Blut fließen würde.
Ohne sich zu Wout umzudrehen frage er „Nun, ich weiß wie kennen uns erst seid gestern, und unser Zusammentreffen verlief nicht gerade glücklich. Aber für das was als nächstes kommt musst du mir helfen, glaubst du, dass du das kannst?"
Nach kurzem zögern bejahte Wout seine Frage. „Was soll ich tun?" Dylean drehte sich zu ihm um und deutete auf die angebundenen Reittiere.
„Geh möglichst unauffällig zu den Pferden hinüber und mach dich startklar. Denn wenn unsere Flucht gelingen soll müssen wir, nachdem ich die Wachen aus dem Weg geräumt habe sofort Losreiten."
Die Augen des Drakenihers funkelten, als er sah wie sein gegenüber zusammenzuckte bevor er ihn entsetzt fragte: „Du willst sie umbringen?"
Dylean zuckte gleichgültig mit den Achseln „Entweder sie, oder wir. Kannst dich entscheiden."
Nervös leckte sich der junge Mann über die Lippen „In Ordnung. Also, wann geht's los?"
„Sofort!"
gab Dylean zurück und schubste seinen Begleiter zu den Pferden hin. Dann drehte er sich um und verschwand im Schatten einer Hauswand. Er nahm den Bogen von der Schulter und spannte ihn lautlos. Sorgfältig wählte er sein Ziel, den größeren der Beiden aus.
Dann schoss er. Eine leichte Welle von Aufregung durchfuhr ihn als er dem Sirren des Pfeils lauschte. Rasch warf er seine Bogen wieder über die Schulter und ging dann mit gemächlichem Schritt in Richtung Tor. Er wusste schon vor dem Aufschrei der Wache dass er sein Ziel getroffen hatte.
Nachdem der Wachmann geschrieen hatte rannte er mit scheinbar entsetztem Gesichtsausdruck die Treppe zum Torhaus hinauf. „Was ist geschehen?" rief er der anderen Wache im laufen zu.
„Ein Anschlag! Ruf Verstärkung Mann!" Innerlich grinsend, riss Dylean alarmiert die Augen auf und deutete hinter den Mann „Achtung hinter Euch!"
Der Mann wirbelte erschrocken herum. Doch als er realisierte das dort niemand stand spürte er bereits Dyleans Dolch an der Kehle.
Dieser flüsterte dem Mann noch ein „Sag Lebwohl Mensch!" zu, bevor er ihm die Kehle durchschnitt.
Warmes Blut lief ihm über die Finger, doch es schien ihn nicht zu stören. Rasch wischte er sich die Hände am Körper seines Opfers ab und schaffte es gerade noch rechtzeitig die beiden Leichen hinter einen Mauervorsprung zu stoßen.
Von der anderen Seite des Blocks kam eine Wache angelaufen. Als er Dylean erblickte hielt er im laufen inne und rief ihm zu „Was ist los? Warum hast du schrieen?"
Dylean tat peinlich berührt und antwortete „Ich sah zwei Dirnen hinterher und hab mich dabei wohl zu weit über die Brüstung gelehnt. Denn plötzlich bin ich vorn über gefallen. Zum Glück hat mich mein Kamerad noch rechtzeitig festhalten können."
Skeptisch blickte sich der Soldat um. „Und wo ist der Mann jetzt?" Mausetod, genau wie du, wenn du nicht gleich verschwindest, dachte Dylean und antwortete: „Holt uns eben etwas zu trinken auf den Schreck."
Der Wächter, welcher am frühen Morgen scheinbar nicht gerne mit anderen Diskutierte, gab sich damit zufrieden „Na dann, pass das nächste Mal besser auf. Leb wohl."
Damit wandte er sich ab und ging den Weg zurück dem er gekommen war. „Das war knapp" kam es erleichtert von Wout der unten auf ihn wartete.
„Stimmt, ich hätte es auch keine Minute länger mit diesem Trottel ausgehalten."
Mit den Worten nahm er Wout die Zügel aus der Hand. Er schwang sich in den Sattel, woraufhin der Grauschimmel unter ihm nervös zu tänzeln begann. Auch Wout war inzwischen Aufgesessen und gemeinsam passierten sie das Tor, welches Dylean zuvor geöffnet hatte.
Nachdem sie die Stadt verlassen hatten hielt Dylean nichts mehr zurück. Gerade wollte er seinen Wallach antreiben als dieser unvermutet einen Satz zur Seite machte.
Dylean knirschte mit den Zähnen. „Störrisches Vieh!" Wout tauchte neben ihm auf. Er saß auf einer Braun gescheckten Stute, der man ihren ruhigen Charakter bereits von außen ansah. Der Blond schaute sich nervös über die Schulter
„Dyl, wir müssen weiter! Es wird nicht lange dauern bis man die beiden entdeckt!" Dylean nickte und schaffte es dann auch irgendwie sein Pferd zum laufen zu bringen.
Und dieses Pferd konnte rennen! Schon nach wenigen Kilometern war sich Dylean sicher, dass wenn dieses Pferd all sein störrisches Verhalten in seinen Lauf gelegt hätte, es so sicher auf den Beinen wie eine Ziege und so schnell wie der Wind wäre.
Dylean gönnte weder sich, noch seinem Gefährten oder den Pferden eine Pause, bis er am Horizont die ersten Baumwipfel erblicken konnte. Sie hielten an einer kleinen Furt, tränkten die Pferde und füllten ihre Wasserschläuche. Obwohl die Luft um sie herum alsbald sehr abgekühlt war stand es aufgrund des ebenen Geländes außer frage ein Feuer zu entzünden.
So hüllten sich beide in ihre Umhänge und alsbald hörte Dylean von Wout nur noch ein leises Schnarchen. Auch ihn umfingen bereits die ersten Wogen des Schlafes, als ihn etwas wieder aufschrecken lies. Langsam, fast bedächtig stand er auf und schaute sich um.
Doch er sah nichts als Dunkelheit. Ein Gefühl tiefer Ruhe senkte sich über ihn, wie immer, wenn sich Momente großer Gefahr oder Panik ankündigten. Er gab sich alle Mühe sich zu konzentrieren, obwohl das Blut in seinen Schläfen rauschte und seine Knie langsam weich wurden.
Schließlich schaffte er es unter aufbringen all seiner Kräfte sich zu sammeln und seinen Geist hinaus in die Nacht gleiten zu lassen. Er hörte das schlagen vieler Herzen um ihn herum, Vögel, Tiere.
Schon wollte er sich wieder zurückziehen, als sich eine kalte Hand um sein Herz schloss. Für einen Moment bekam er keine Luft mehr. Wie durch einen dichten Schleier nahm er war wie Wout neben ihm aufsprang und seinen Namen rief. Er sank auf die Knie und schnappte nach Luft.
Laut hallte der Aufschrei der Sucher in seinem Kopf wieder. Sie hatten ihn bemerkt, er spürte wie sie versuchten ihn zu erfassen und festzuhalten.
Doch mit dem letzten bisschen Willenskraft das er aufbringen konnte zog er sich wieder in seine Körper zurück. Erschöpft blinzelte er um die roten Punkte zu vertreiben die vor seinen Augen tanzten. Sein Blick klärte sich allmählich und er schaute geradewegs in das entsetzte Gesicht von Wout.
„Dylean, großer Gott, was war das denn? Ist alles in Ordnung mit dir? Oh wag es ja nicht noch mal mir einen solchen Schrecken einzujagen!"
Erleichtert redete er auf Dylean ein, doch der bekam all das nur am Rande mit. Sie hatten ihn also gefunden. Nach all der Zeit hatten sie ihn schließlich doch noch entdeckt.
Trotzdem es gab noch Hoffnung. Wenn er den Lydiän erreichen würde wäre er in Sicherheit. Wenn er es nicht schaffte, nun, dann brauchte er sich über die Zukunft keine Sorgen mehr zu machen.
„Dyl, was zum Teufel ist hier los? Was war das für ein Anfall? Warum dieser plötzliche Aufbruch und vor allem; Wer sind Sie?"
Wout war völlig verwirrt. Erst wird er von den Angstschreien seines Begleiters aus dem Schlaf gerissen, und als der aufgehört hatte zu schreien starrte er nur noch abwesend in der Gegend rum und murmelte etwas von Mord und Todschlag.
Er seufzte, das würde eine lange Nacht werden….
