Will war keine fünf Meter von seiner Waffe entfernt. Jedoch hielt er an und wußte im gleichen Augenblick, dass er verloren hatte. Er hatte kein Schwert mehr, nichts mit dem er sich erwehren konnte.
Oh nein! Elizabeth!
Was würde sie wohl tun? Was würde sie wohl denken?
Vor ihm und vor seinem Schwert standen nun fünf große Männer und schnitten ihm den Weg ab. Allesamt waren sie dunkel gekleidet und sogar recht ordentlich. War dieser Haufen denn wirklich eine Horde Piraten? Sie schienen viel zu gepflegt. Jeder hatte einen Säbel gezogen und bedrohlich standen sie nun zwischen Will und seiner Waffe.
Der Schmied schaute zurück, aber das neu geschmiedete Schwert war nun auch nicht mehr zu erreichen. Leon – oder Seth – hatte ihm den Weg versperrt.
„Zu dumm, nicht wahr?" zischte er höhnisch.
Piraten? Sie müssen ein Schiff haben!
In Will stieg Hoffnung auf. Wenn ein Schiff hier war, so musste es die Royal Navy gemerkt haben! Norrington! Er würde hier keine Piraten dulden! Sie konnten den Hafen nicht verlassen!
„Ich schätze, dir bleibt nichts übrig, als mit uns zu kommen."
Will schnaufte hart und sah sehnsüchtig zu seiner Waffe an der Wand. Aber die Männer standen davor, wie eine Mauer.
„Ich gehe nirgendwo hin," zischte Will und erfasste Seth mit seinen dunklen Augen.
Der junge Mann kam näher an ihn heran und setzte ihm die feine Klinge an die Kehle. Will fühlte wie sie an seinem Hals entlang strich, bis der Schaft an seinem Kinn lag. Als Seth die Hand erhob, um Will über die Wange zu streichen, zuckte er zusammen. Sie war kalt und knochig. Er fühlte Ekel vor seiner Berührung und schloss die Augen.
„Du siehst aus, wie er. So schön, so blass. Nur die Unschuld in deinen Zügen unterscheidet dich von ihm. Das wird sich bald ändern."
Neben der Erheiterung, glaubte Will auch Bitterkeit in Seth Worten zu hören. Er fühlte, wie die Klinge an seinem Hals sich lockerte und entfernte.
Das war die Chance! Mit einer Blitzschnellen Bewegung, packte er den Arm des anderen und drückte mit seinen starken Schmiedhänden so fest zu, wie er konnte. Unter dem Druck knackte es. Seinem Gegenüber blieb nichts, als locker zu lassen.
Es klappt!
Er ergriff die Waffe und wollte sie gerade erheben. Doch da spürte er den harten Schmerz in seinem Rücken und wusste, dass er zu langsam gewesen war. Dunkelheit überkam ihn und William spürte nicht einmal mehr, wie er zu Boden fiel.
Seth sah grimmig auf den Bewußtlosen zu seinen Füßen herab und entnahm ihm das Schwert.
„Wie kannst du es wagen, du Narr!" fauchte er und versetzte dem schlaffen Körper einen Tritt.
„Fessel ihm die Hände, du wirst hier schon irgendwo etwas Seil finden," trug er dem großen, dunklen Mann auf, der den Schmied nieder geschlagen hatte.
Sofort gehorchte dieser und sah sich um, fand etwas brauchbares und band Will die Hände auf den Rücken. Seth selbst riss Williams Ärmel ab und knebelte ihn damit. Er wollte nicht riskieren, dass er aufwachte und die Stadt zusammenschrie. Es würde nur unnötig Aufmerksamkeit erregen.
Als er ihn dann umdrehte, betrachtete er sich noch einen Moment lang Williams Gesicht. Er hatte so feine Züge, seine Lippen waren so schmal und zart. Der Schnurr- und Kinnbart, sowie Augenbrauen hoben sich schwarz auf seiner weißen Haut ab. Sand bedeckte eine Hälfte des Gesichtes, wo der junge Mann auf dem Boden gelegen hatte, ganz abgesehen von dem schwarzen Ruß, von der eben noch getanen Arbeit.
Es schmerzte Seth. Zorn und Eifersucht kamen in ihm hoch und der Attentäter wußte, es war wahrhaftig Bills Sohn. Derjenige, der ab nun seinen Platz einnehmen würde.
Der Griff um seine Waffe festigte sich. Er führte die Klinge an Wills Kehle.
Nein, jetzt noch nicht! Wenn du deinen Zweck erfüllt hast, werde ich dich beseitigen... Du wirst nicht zwischen mich und meinen Kapitän kommen!
Seth setzte die Klinge wieder ab und steckte sie wieder an seine Seite. Dann winkte er einen der Männer heran.
„Nimm ihn! Wir gehen wieder zum Hafen!"
Williams schlaffer Körper wurde aufgehoben und über eine Schulter gelegt, wie ein Sack. Seth sah sich noch einmal in der Schmiede um, während er Wills Schwert aufhob und es mitnahm.
Keine Spuren würden zurück bleiben. Nur der zertrümmerte Ofen, aber der war so schnell nicht zu reparieren. Er nickte zufrieden und zusammen mit seinen Männern verließ er die Schmiede.
-.-.-.-.
„Jack!" keuchte Will atemlos und rang nach Luft.
Seine Lungen schienen wie eingeschnürt. Aber nicht das Seil, welches seine Schultern an die Stuhllehne band, war der Grund dafür. Bilder fluteten Wills Erinnerung, Gefühle, Eindrücke, Gerüche! Es war so viel!
„Jack!"
Jack sah Will, wie er sich auf dem Stuhl wand und keuchte. Der Junge schien auf seine Rufe gar nicht zu reagieren, er war wie in einem Traum. Was geschah da nur? Zu gerne wäre der Pirat zu seinem Freund gelaufen, um ihm zu helfen, aber die Fessel, die ihn nun schon Stunden zwang, aufrecht in der Höhle zu stehen, erlaubte es nicht. Wenn er sie doch nur lösen könnte. Seine Arme waren taub und seinen Beinen ging es nicht viel besser. Und doch musste er durchhalten, denn wen er nachgab, würde er wahrscheinlich irgendwann ersticken. Er verfluchte den Tag, an dem er sich mit ihr getroffen hatte. Sie hatte ihn überwältigt auf solch eine schäbige und tückische Weise. Wieso war er nur so dumm gewesen.
Und mit sich, es war wie ein Fluch, riss er immer diejenigen, die ihm – wenn es überhaupt möglich war – etwa bedeuteten. Wo war dieser unabhängige Pirat, den nichts und niemand täuschen konnte, der zu nicht eine Bindung hatte, die gegen ihn genutzt werden konnte?
Fluch auf sie, dachte er bösartig.
Da wurde es ruhig in der Höhle. Jack wusste nicht, ob er erleichtert oder noch besorgter sein sollte. Wo blieb Marley?
„Will?" versuchte der Pirat es.
Sein Hals kratzte und jedes Wort schmerzte in seinem Rachen.
„Jack… oh nein!" es war eine Antwort.
Will schien wieder bei sich zu sein.
„Hey, Kleiner. Alles in Ordnung?"
„Nichts ist in Ordnung," flüsterte Will zu sich selbst, so dass der Pirat es nicht verstand. „Gar nichts."
Da hallte etwas von den dunklen Wänden wieder. Es war ein regelmäßiges und klackendes Geräusch. Schritte!
Will versuchte sich umzusehen. Es war, als würde jemand eine Treppe herunter kommen. Aber wo war sie nur?
Jack wusste, wo sie war. Direkt neben ihm. Die Schritte wurden immer lauter und der Pirat spähte in die Dunkelheit des Aufstiegs. Sie kam also zurück und nun würde sich das Rätsel lüften. Nun würde er erfahren, warum er Wochen lang gefangen gehalten wurde. Entweder das, oder sie würde sie beide töten.
Das Geräusch schien sich zu vervielfältigen, denn Jack meinte plötzlich, mehrere Füße zu hören. Je lauter das Geräusch wurde, desto klarer wurde ihm, dass sie nicht allein kam. Wie sollte sie auch? Eine Frau war nicht im Stande jemanden wie Jack Sparrow allein zu überwältigen. Jedenfalls musste es damals so gewesen sein. Er erinnerte sich nicht an seine Entführung, aber wie sollte eine Frau, wie Lydia so etwas fertig bringen?
Will vor ihm sah sich um. Seinem geröteten Nacken schien es besser zu gehen, denn diesmal konnte er sich weiter wenden. Jack sah die Augenwinkel des Schmiedes und seine dunklen Augen, wie sie einen Moment lang einen Blick auf ihn werfen konnten und sich dann schnell wieder wegen des Schmerzes abwenden mussten.
Jack sah furchtbar aus. Will hatte ihn nur aus den Augenwinkeln gesehen, aber das hatte gereicht, um einen ersten Eindruck zu bekommen. Die sonst so scharfen Augen des Piraten schienen trüb und müde, er war dürr geworden. Sicherlich nicht dem Verhungern nahe, aber abgenommen hatte er in Gefangenschaft, das war klar. Und Will wusste nicht, wenn es dazu kommen sollte, dass er sich irgendwie befreien konnte, ob er auf seine Unterstützung zählen konnte. Anderthalb Monate in Gefangenschaft schienen selbst an einem Jack Sparrow nicht spurlos vorbei zu gehen.
Und da war Will dankbar, dass es ihm gestattet worden war, zu sitzen. Jack, weit hinter ihm, musste stehend verharren, denn seine Hände waren an ein Seil gebunden, das an der Decke fest gemacht war und seine Füße berührten kaum den Boden. Er musste sich etwas auf die Zehenspitzen stellen, um seine Arme wenigstens ein bisschen zu entlasten. So konnte wenigstens einer sich die Kraft aufsparen, zu kämpfen.
Ans Kämpfen denke ich… verschnürt wie eine Roulade und ohne Waffe… Will verhöhnte sich selbst ein wenig.
„Jack, wie viele Männer sind es?" fragte er aufgeregt.
Sie waren nicht mehr weit entfernt. Jack konnte schon den Schein einer Fackel sehen, der langsam aber sicher immer heller wurde.
„Öh… ich schätze eine Frau und zwei…"
Männer oder Frauen? überlegte Jack.
„Männer?"
Jack starrte auf die Öffnung in der Wand und die Treppen, welche relativ steil nach oben führten. Und dann erschien ein Saum in der Öffnung, der Saum eines schön gearbeiteten Kleides. Dunkellila und schimmernd war der Stoff. Sehr edel und fein gearbeitete Spitze lugte darunter hervor. Als die Frau schon bis zur Tallie sichbar war, erschienen zwei weitere Röcke, einer gelbgold, der andere grün.
„Berichtigung, es sind drei Hexen, wie ich sehe," informierte Jack im üblichen arroganten Tonfall.
„Frauen? Nur Frauen?" fragte William überrascht.
Vielleicht wandte sich doch noch alles zum Guten?
„Kaum ist ein weiterer Mann in deiner Nähe, hast du dein vorlautes Mundwerk wieder gefunden, Sparrow, nicht wahr?" kam eine spottende und dunkle Frauenstimme von hinten.
Sie war stark und selbstsicher, der verführerische Tonfall ließ sie erotisch wirken.
„Aber was erwarte ich? Ein Spatzenhirn weiß sich nicht in der Gesellschaft einer Dame zu benehmen."
„So holet mir eine Dame und wir finden es heraus."
Will schüttelte den Kopf, als er den erstickten Schrei von Jack hörte, der wohl gerade einen Schlag in die Magengegend bekommen hatte. Das war Jack. Ein Großmaul.
„Wer seid ihr? Und warum haltet ihr uns hier fest?" sprach Will und versuchte seine Stimme so fest und unerschrocken wirken zu lassen, wie es ihm nur möglich war.
Er hörte, dass sie sich ihm näherte. Allein. Will ermahnte sich, nicht nach hinten zu sehen, denn er wollte nichts von sich preisgeben. Auch nicht seine Neugierde. Aber es würde wahrscheinlich sowieso keinen großen Unterschied machen, also erlaubte er es sich seinen Kopf ein wenig zu drehen. Nicht zu viel.
Bald schon kam sie in sein Sichtfeld. Ihr langes wallendes Kleid erinnerte ihn an etwas. Ihre Gestalt war schlank und hoch gewachsen, ihre Glieder zart und kontrolliert. Sie war sich jeder ihrer Bewegungen voll bewusst. Will vermutete, dass in ihrem Frauenkörper vielleicht mehr Kraft stecken mochte, als man auf den ersten Blick erahnte.
„Der junge William Turner," ihre Stimme war leicht amüsiert und wenn man genau hinhörte, wie Jack es tat, konnte man das leichte Beben darin ausmachen. „Wie lange habe ich auf diesen Augenblick gewartet?"
Sie zischte ihm die letzten Worte ins Gesicht, so nahe war sie ihm nun gekommen. Ihr pralles Dekoltee streckte sich ihm entgegen und ihre dunkeln vollen Lippen umgaben jedes Wort wie ein Rahmen ein Bild umgab. Sie war ungeheuer aufreizend und erotisch. Eine Hure eben.
Will wurde bewusst, wie nahe sie an ihn heran gekommen war und dass er keine Möglichkeit hatte, entweder, ihr in die Augen zu sehen, oder den Blick auf ihre gut geschnürte Brust zu senken. Auch wenn er keines der beiden bevorzugt hatte, so entschied er sich für letzteres, denn ihre Augen schienen so amüsiert, dass er sich vorkam, wie ein Schoßtier, das unentwegt auf dem Sofa neben seiner Herrin sitzen musste. Sie hatte ein aufdringliches Parfüm. Süß und schwer. Ein billiger Duft musste es sein. Er kroch William in die Nase und trieb fast Tränen in seine Augen.
„Wer seid ihr?" verlangte William noch einmal zu wissen.
„Eine hinterlistige Hure!" kam von Jack in seinem Rücken. „Niederster Dreck."
Ihr Blick verhärtete sich, als sie aufsah.
„Das musst gerade du sagen, törichter Narr!" antwortete sie scharf und ließ etwas von William ab, der sich zugleich fragte, ob das wohl Jacks Absicht gewesen war.
Düster schaute sie an William vorbei und weidete sich an dem jämmerlichen Anblick, den ihr der vorlaute Pirat bot. Wahrscheinlich würde sie sein Mundwerk extra töten müssen. Warum ärgerte sie sich überhaupt? Schließlich bekam sie ihre lang ersehnte Rache und es machte keinen Unterschied, wie Sparrow über sie redete. Oder machte es das?
„Ich bin noch viel mehr als das, Jack Sparrow," die Ruhe war in ihre Stimme zurück gekehrt und sie zog überlegen eine Augenbraue hoch. „So lange habe ich nun gewartet, so lange. Die ganze Zeit warst du in meiner Gefangenschaft und es brannte mir auf den Lippen. Jedes Mal, wenn ich in deine dunkle Zelle kam und dich vor mir sah, jeden Tag den du schwächer und schwächer wurdest. Aber ich habe es nicht getan… nur aus einem Grunde. Ich wollte, dass ihr beiden es zusammen erfahrt und dann sterbt. Eurer beider Gesichter wollte ich sehen, was ihr empfindet, was ihr denkt. Nur aus diesem Grunde habe ich dich am Leben gelassen, Jack."
Sie wandte sich wieder William zu und war so bedrängend, wie zuvor. Will versuchte durch den Mund zu atmen, aber das Parfüm schien sich in seine Stirn brennen zu wollen.
„Sag, William, erinnere ich dich nicht an jemanden? Bin ich dir ganz und gar fremd?"
Was war das für eine Frage?
Meine Träume! stellte William fest.
Natürlich! Sie war die Frau aus seinen Träumen, die an der Seite seines Vaters gestanden hatte, seinen Hut zurück gezogen hatte, damit er sein Gesicht sehen konnte.
„Du siehst aus, wie er," stellte die Frau fest. „Di siehst genau so aus, wie er. Dein Kinn, deine Augen. Sogar dein Mund…" die Worte verloren sich im Flüstern und sie lehnte sich nach vorne.
William wusste, was sie tun wollte, doch er konnte nicht zurück weichen. Er spürte, wie ihre weichen Lippen sich auf seine pressten und ihre Hand wanderte zu seinen Wangen, zwangen ihn durch Gewalt, seinen Mund zu öffnen. Er spürte ihre Zunge in seinen Mund gleiten und wollte den Kopf wenden. Doch der Schmerz in seinem Nacken meldete sich erneut.
Dann nach Sekunden, die William, wie Minuten erschienen waren, ließ sie wieder ab.
„Wie schmecke ich?"
Will drehte den Kopf weg und spuckte. Übelkeit stieg in ihm auf und einen Moment hatte er gedacht, er müsse würgen.
„Dein Vater war da anderer Meinung," sagte sie höhnisch und folgte seinem ausweichenden Blick. „Wie eine Brombeere, hat er gesagt. Er war ein wunderbarer Liebhaber."
„Nein!" rief Will und versuchte mit aller Kraft, seine Fesseln zu lösen.
Aussichtslos. Sie reizte ihn und er ließ sich auf das Spielchen ein.
„Das ist doch nichts ungewöhnliches," schaltete sich Jack schnell von hinten ein, der merkte, wie William die Situation entglitt. „Du bist ja auch nicht gerade anspruchsvoll, wie ich aus eigener Erfahrung sagen kann."
Ein bitterböses Lächeln erschien auf Lydias Gesicht und sie richtete sich auf.
„Jack, Jack, Jack… dafür hast du allerdings einen guten Preis bezahlt."
„Aus Mitleid," gab Jack wie selbstverständlich zurück.
„So ist das also? Dann bin ich dir also noch etwas schuldig?"
„Es war ein Almosen, du bist mir nichts schuldig."
„Nun, mir geht es besser, wie du siehst. Also lass mich dir ein wenig von dem Glück zu teil werden lassen, mit dem du mich einst gesegnet hast."
Will sah ihr nach, als sie an ihm vorbei ging, aber verlor sie aus den Augen.
„Meine Mädchen sind außerordentlich geschickt, aber das weißt du ja… aus eigener Erfahrung."
Will hörte, wie ein Messer gezogen wurde und schrak sofort auf. Er wandte seinen Kopf, so weit es nur ging und schaute durch das Weidengitter, aus dem die Rückenlehne seines Stuhles geflochten war. Die Frau in dem gelben Kleid – wie war wunderschön, aber zu stark geschminkt – hatte einen kleinen Dolch in der Hand und näherte sich damit Jacks Hose.
Sie werden doch nicht…
Aber zu Williams Beruhigung, durchtrennte sie nur Jacks dickes Tuch, das um seine Hüften geschlungen war und steckte das Messer dann zurück in den Schaft.
Dann näherte sich das Mädchen im grünen Kleid und packte schroff seine Hose, lockerte sie ein wenig.
„Das willst du nicht wirklich tun, Schatz," drohte Jack düster.
Aber die teuflischen Augen schienen sie nicht zu erschrecken. Sie grinste ihn an mit ihrem perfekten Mund und ließ dann eine blasse und zarte Hand in Jacks Hose gleiten. Sofort stöhnte dieser auf, Will war nicht sicher: aus Entsetzen oder Erregung?
Wenn Jacks Füße nicht auch am Boden fest gemacht gewesen wären, er hätte dieser Hure ins Gesicht getreten, dass sie es wagen konnte. Heiße Wellen der Erregung durchfluteten ihn und er schnappte nach Luft, als sie fester zu packte. Sie war geschickt, das musste er zugeben. Doch nichts desto trotz war er sich sicher, dass sie irgendwann doch noch das Messer einsetzen würde.
„Verdammte Schlampe! Hört auf!" schrie Will, ohnmächtig, etwas zu tun.
Aber Lydia beachtete ihn zunächst gar nicht. Sie genoss den Anblick.
„Du glaubst gar nicht, welche Freude du mir bereitest, Jack," kicherte Lydia und hielt sich die zarte Hand vor den Mund.
Jack bäumte sich einen Moment lang gegen den inneren Aufruhr auf, welchen das Mädchen vor ihm verursachte, und schenkte ihr einen eisigen Blick. Aber sofort übermannte ihn das heiße Gefühl in seiner Lendengegend wieder und ruckartig warf er den Kopf in den Nacken, die Zähne zusammenbeißend.
„Es passt zu Eurer schwarzen Seele," zischte Will mit rauer Stimme und wandte sich um.
Aber es ließ Jack aufhorchen. Plötzlich waren seine Gedanken wo anders.
Das Mädchen vor ihm sah ihre Herrin an, etwas ungläubig und ratlos.
„Er…" stammelte sie und brach ab, als Lydia heran kam und in Jacks Hose sah.
„Jack, früher wäre dir das aber nicht passiert. Macht sich das Alter bei dir bemerkbar?"
Der Pirat drehte langsam den Kopf zu ihr und sah sie scharf an.
„Ihr solltet mich jetzt los binden," drohte er und rief William zu ohne den Blick von ihr zu wenden: „Will, wo gehörst du hin?"
Jacks Atem ging noch immer schnell. Im Moment allerdings weniger wegen der Erregung, als in Erwartung seiner Antwort.
Aber der junge Mann schwieg.
„Er gehört auf den Meeresgrund, wo ich ihn bald hin schicke," flüsterte Lydia Jack zu und zog einen wunderschönen Dolch aus ihrem Ärmel.
Er hatte einen goldenen Griff, Jack kam die Waffe bekannt vor.
„Zwischen dich und den Commodore," kam schließlich doch noch eine Antwort.
Er erinnert sich! schoss es Jack durch den Kopf und seine Überraschung war ihm anzusehen.
Er starrte William an mit offenem Mund und seine schwarzen Augen versuchten den Mann zu ergründen, der da vorne in dem Stuhl saß.
„Mach weiter, Elena."
„Was? Aber er…" wollte das Mädchen widersprechen.
„Es wird klappen, glaub mir," sagte Lydia kalt und fasziniert von Jacks erster wahrhaftiger Gefühlsregung, die sie mit bekam. „Aber mach langsam, den Höhepunkt übernehme ich," befahl sie und legte einen Zeigefinger auf die Spitze des Dolches und drehte ihn amüsiert hin und her.
Wieder stöhnte Jack auf.
-.-.-.-.
Lara und Anamaria hatten das riesenhafte Haus erreicht. Es war nicht viel freundlicher geworden, seit sie das letzte Mal hier gewesen war, dachte Lara. Aber es kümmerte sie nicht mehr. Ohne zu zögern rannte sie zur Tür und mit einem kräftigen Tritt war sie offen. Die beiden Frauen zogen ihre langen Schwerter und nickten einander zu. Dann stürmten sie das Haus.
Sie rannten durch den Eingangsbereich – einen Flur – an verschiedenen Türen vorbei, die sie aufstießen, um zu sehen, wer sich darin verbarg. Zu beider Überraschung waren viele Zimmer leer, aber schließlich fanden sie einen verruchten Raum, geschmückt mit roter Tuche und vielen Kissen, die als Sitz- oder Schlafgelegenheit dienen mochten.
Der Dielenboden knarrte aber dennoch unter ihrem Gewicht, als Lara über die vielen Stoffe hinweg ging. Ein Geruch lag über dem Raum, als hätte jemand eine ganze Flasche billigen Parfüms ausgeleert.
„Was ist das für ein Raum?" fragte die Rothaarige als sie sich in dem roten Zimmer umsah. „Ist er nicht ein wenig groß für nur zwei Personen?"
„Er ist auch nicht geschaffen für nur zwei Personen," erkläre Anamaria knapp und Lara schwieg sofort.
Sie wollte sich gar nicht vorstellen, was an diesem Ort geschehen mochte, welche Orgien hier gefeiert wurden.
„Wer hat die Tür geöffnet?"
Eine schüchterne Frauenstimme drang von draußen heran. Lara und Anamaria sahen sich entsetzt an. Es war tatsächlich jemand hier.
„Ich weiß es nicht, aber hier. Wir werden die Eindringlinge rausschmeißen. Geöffnet wird erst heute Abend."
Sie hatten wahrscheinlich Waffen. Die zweite Stimme klang selbstbewusst und unerschrocken. Und Anamaria konnte mehrere Stiefel hören. Es waren mehrere!
„Wohin?" fragte sie Anamaria, doch auch sie konnte nur mit den Achseln zucken.
Beide sahen sich gehetzt um. Gleich würden sie entdeckt werden. Sie brauchten den Überraschungsmoment.
„Da, hinter den Vorhang," wies Anamaria und tatsächlich schien das die beste Lösung zu sein.
Zusammen versuchten sie so leise, wie möglich die Dielen zu überwinden und auf die andere Seite des Raumes zu kommen. Aber als Lara den Vorhang bei Seite zog weiteten sich ihre Augen.
„Volltreffer!" zischte sie und grinste Anamaria an, die es erwiderte.
Sie standen vor einer versteckten Tür. Als Lara sie öffnete, schlug ihnen ein Luftstoß entgegen. Es roch nach Meer. Anamaria sah sich schnell noch einmal um.
„Wir haben keine Fackel!"
„Das macht nichts. Wir müssen ohne gehen. Vorsicht, hier sind viele Stufen!"
-.-.-.-.
„Wo ist Will?" schrie Elizabeth Gibbs an und war ganz außer Atem.
„Er müsste schon hier sein," überlegte der Mann laut und sah sich im Hafen um.
Überall reges Treiben, Seemänner, die Ladung aufnahmen, Fischer, Bettler. Aber die drei Personen, nach denen er Ausschau hielt, waren nirgends zu sehen.
„Wo hast du sie das letzte Mal gesehen?" fragte Marley, der gerade aus dem Beiboot stieg, das sie an Land gebracht hatte.
„Anamaria vor zwanzig Minuten etwa. Ich habe sie geschickt und Lara und Will zuholen. Sie müssten schon wieder hier sein."
Marleys blaue Augen schauten gen Himmel. Es war ein heller, aber grauer Tag. Der Wind wehte stark und brachte Unruhe mit sich.
„Hank!" rief er einen Mann heran.
Hank horchte sofort und rannte zur kleinen Gruppe.
„Was ist?"
„Komm mit, wir gehen zur Heiligen Hure. Halte deinen Säbel bereit Elizabeth."
Die junge Frau nickte und zog die Waffe an ihrem Gürtel heraus. Mit festem Griff umklammerte sie es und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, es möge nicht passiert sein.
Leider wurde sie enttäuscht. In der Heiligen Hure wurden sie empfangen, als wären sie Geister. Der Wirt zitterte bei ihrem Anblick und zog sich hinter die Theke zurück, wo er sich eiligst daran machte, die Gläser mit einem dreckigen Lappen zu säubern. Elizabeth rannte sofort nach oben und suchte Wills Zimmer auf, während Marley sich die neuen Umstände erst einmal bewusst machte.
Langsam ging er auf den Wirt zu, der sichtlich kleiner wurde und sich in die Enge getrieben fühlte. Zu offensichtlich war seine Nervosität, als dass er Marley hätte täuschen können. Er war viel zu geschäftig für diese Tageszeit und der kalte Schweiß rann ihm von der fettigen Stirn.
Der erste Maat hatte die Theke noch nicht erreicht, als sich der Wirt nieder warf und vom schmutzigen Boden hinter der Theke aus wimmerte.
„Sie sind gegangen, bitte, tut mir nichts! Der Herr ist über Nacht verschwunden und nun sind die beiden Frauen zum Amazonenbogen. Es war Lydia! Bitte, tut mir nichts! Ich bin nur ein kleiner Laufbursche!"
Marley sah Hank an. Der stämmige kleine Mann zuckte mit den Schultern und schien etwas überfordert.
„Warum sollte sich dir dein Gestammel glauben?" fragte Marley ernst und mit einem Sprung war er hinter dem Tresen.
Er hatte den Wirt am dreckigen Kragen gepackt und ihn etwas herauf gezogen. Nicht zu viel, denn er stank erbärmlich.
„Weil, ich sowieso schon verraten habe, wer mir den Auftrag gab, William Turner in diesen bestimmten Raum zu schicken. Turners Mädchen hat mir geglaubt, wenn ihr mir nicht glaubt, sind sie vielleicht bald tot!"
„Turners Mädchen?" Hank zog eine buschige Augenbraue hoch. „Elizabeth war doch die ganze Zeit bei uns auf dem Schiff."
„Er meint nicht Elizabeth," erkannte Marley überrascht. „Er meint Lara. Schnell! Wo ist das Bordell?"
-.-.-.-.
Elizabeth stand in der Mitte des kleinen Raums. Er war nicht hier.
„Will," sagte sie leise und atmete tief, um die Tränen zurück zu halten.
Warum gerieten sie nur immer in solche Schwierigkeiten? Warum nur? Langsam hatte sie genug von Entführungen und der Ungewissheit. William konnte alledem kaum noch standhalten. Bevor sie in den Kampf gesegelt war, hatte sie es in seinen müden Augen sehen. Er hatte genug. Und schon wieder war sie der Grund, warum er Gefahr auf sich genommen hatte. Sie hatte von ihm verlangt, nach Jack zu suchen, von dem sie ja nicht einmal wusste, ob er noch lebte.
Nun konnte sie die Tränen nicht mehr zurück halten. Schnell hob sie die Hand zum Mund um das Schluchzen zu dämmen. Aber sie konnte nicht aufhören. Es brach einfach aus ihr heraus.
„Verdammt!" schrie sie in Verzweiflung. „Dieses Verdammte Tortuga!"
Der Zorn überkam sie und machte sie rasend. Sie war wütend auf alles. Auf Jack, der sich immer in jede Kleinigkeit einmischte, auf Will, der nicht auf sich aufpasste, auf sich selbst.
„Ich hasste Tortuga!" rief sie mit überschlagender Stimme und trat an das kleine dreckige Bett.
Ein Krachen! Elizabeth erschrak und drehte sich um, zu dem Bett.
Aber es war nicht etwa zusammengebrochen, wie sie es angenommen hatte. Nein, aber zwei der vier Beine, die das Bett vom Boden Hoben waren weg geklappt, so dass die Matratze nun schief zur Wand lag. Elizabeth trat näher um es sich zu betrachten und plötzlich wusste sie, wie Jack unbemerkt das Haus hatte verlassen können. Am Boden, wo nun die Seite der Matratze auflag, war ein Loch in der Wand. Oder viel mehr: eine kleine Tür, so lang wie das Bett, so hoch wie das Bett, wenn es stand.
„So ist es also geschehen…"
Elizabeth steckte ihre Waffe wieder in ihren Gürtel… und stieg in das Loch.
