Good Work

Sacht wehte der heiße Wüstenwind über seinen Nacken. Er blinzelte gen Sonne und hob schützend eine seiner braun gebrannten Hände über seine Augen. Wie lebendige Eiskristalle, welche die eisige Nacht erschaffen hatte und denen die hitzige Mittagssonne nichts anhaben konnte, tanzten ihre weißen Haare hin und her. Ihr fröhliches Lachen drang an sein Ohr und erwärmte sein Herz. Die aufkommende Spannung um seine Mundwinkel offenbarte ihm, dass er lächelte und als sie dieses Lächeln sah, erhob sie ihre kleine Hand und winkte ihm zu. Gerade, als er seine Hand anhob und ihr zurück winken wollte, explodierte das gleißende Licht der Wüstensonne in seinem Augenwinkel, rollte immer näher auf sie zu und tauchte seine Wahrnehmung in brennende Schmerzen, die nur noch von ihrem markerschütterndem Schrei durchzogen wurden...

Schweißgebadet schreckte er auf. Er klammerte sich an seine Zudecke und hatte Mund und Augen aufgerissen. Eben noch wollte er nach diesem Mädchen schreien, ihr Name lag eben noch auf seinen Lippen, doch nun war alles weg und nur noch der bloße Schrecken steckte in seinen Gliedern. Keuchend strich er sich das nasse Haar aus der Stirn und versuchte sich zu beruhigen. Neben ihm surrte der Wecker, es war Zeit aufzustehen. Vielleicht würde eine kalte Dusche ihn wieder beruhigen, dachte er so für sich und warf die Zudecke auf.

Jedoch auch eine kalte Dusche brachte ihn nicht vollends zur Ruhe. Missmutig warf er einen Blick auf seine immer noch leicht zitternden Hände, welche die Kaffeetasse eng umschlossen hielten. Heute morgen passte ihm nichts so recht. Das Wasser vom Duschen hatte einen penetranten Kalkgeschmack und legte sich scheinbar wie eine Salzkruste auf seine Haut. So richtig sauber fühlte er sich nach der Dusche also nicht. Dann noch dieses kratzige T-Shirt, als hätte man es anstelle des Weichspülers mit Gardinenstärke gewaschen. Und die Krönung war dieser Kaffee. So etwas bitteres konnte man doch nicht trinken. Seto kam sich vor, als hätte er die Wahrnehmung irgend eines Raubtieres, alles war so intensiv nach diesem Alptraum und nichts brachte ihn nur annähernd zur Ruhe.

"Seto?" Mokubas dunkelblaue Glubschaugen betrachteten Seto über den Rand seines Bechers, aus dem er morgens immer seinen Kakao zu trinken pflegte.

Seto stellte gerade mit einem missmutigen Blick seine Kaffeetasse wieder hin und hob seinen Kopf.

"Schmeckt dir der Kaffee nicht?"

Mit einem leichten Kopfschütteln griff Seto nach einer Scheibe frisch geröstetem Toast, wobei sein Blick kurz auf die Obstschale fiel, welche mittig auf dem Tisch stand. Dort lag ein rotbäckiger Apfel, der ihn frech angrinste. An irgendwas erinnerte ihn dieses kleine Ding und erst als er sich den Toast mit Schinken belegt hatte und einen Biss genommen hatte, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Diese Neue aus der Produktentwicklung hatte doch ein Parfum, dass wie Apfel roch, oder irrte er sich da vielleicht auch?

Mokuba betrachtete eine ganze Weile seinen großen Bruder, bevor er sein Frühstück beendete. So verwirrt hatte er ihn eigentlich noch nie erlebt, wenn er darüber nachdachte und das machte ihn schon stutzig. Was war nur heute los? "Hast du schlecht geschlafen?"

"Hm?" Die Zwei blickten sich eine Weile aus denselben blauen Augen an. Eindeutig ertappt hatte Seto aufgehört zu kauen und brauchte eine ganze Weile um damit wieder weiter zu machen. Ohne eine Antwort darauf zu geben senkte er den Blick in seinen Kaffee und quälte sich einen zweiten Schluck hinein. Dieses Mal schmeckte er fast wieder wie immer, dass beruhigte ihn dann doch ein wenig. Das schleifende Geräusch von Stuhlbeinen auf dem gefliesten Boden, ließ ihn wieder zu Mokuba hinüber sehen.

Dieser hatte sich erhoben, war gerade dabei sein Bento in die Schultasche zu packen und machte sich dann mit einem: "Schönen Tag, bis heute Abend Seto", auf den Weg zur Schule.

Über den Rand seiner Kaffeetasse hinweg sah er dem Kleinen nach und warf dann noch einmal einen Blick auf den rotbäckigen Apfel. Irgendwie schien er wirklich zu grinsen.

xXx

"Welch eine Ehre Mister Kaiba", flötete ihm der Abteilungsleiter Herr Tanaka entgegen, als Seto auf seinem wöchentlichen Rundgang durch die Kaiba Corporation in der Produktentwicklung hereinschneite. Es war Mittwoch und mittwochs pflegte Seto immer hier her zu kommen und doch begrüßte ihn der stämmige Winzling Tanaka, als hätte er ihn auf keinen Fall pünktlich um Neun erwartet. Wie immer verbeugte Tanaka sich tief und ließ Seto einen großzügigen Blick auf sein nicht oder nur spärlich vorhandenes Kopfhaar werfen, dessen Vorhandensein im umgekehrten Maße mit dem Ego des kleinen Mannes einherging. Kurzum, vor Seto hatte er zwar gehörigen Respekt, aber die Mitglieder seiner Abteilung hatten bei ihm nichts zu lachen. Er pflegte mit seiner quiekenden Stimme alles und jeden herum zu kommandieren, na ja fast alle. "Darf ich sie herum führen", begann Tanaka seinen allwöchentlichen Versuch Seto ein Ohr abzukauen und stiefelte mit wankenden Kinderschrittchen vor ihm her.

Ihm ging das Geschleime Tanakas gehörig auf die Nerven, aber Seto war durch und durch ein Geschäftsmann und der sah in erster Linie, dass die Abteilung der Produktentwicklung hervorragend unter der Leitung des kleinen Wichts funktionierte. Deshalb gab es keinen Anlass daran etwas zu ändern.

"Wie ich sehe, haben sie die Entwürfe bereits gesehen", fiepte Tanaka und deutete auf die ockergelbe Akte unter Setos Arm.

Dieser nickte und zog die Mappe mit den Vorentwürfen hervor und überflog zum wiederholten Male die feinsäuberlich darauf geschriebenen Schriftzeichen.

"Diese Neue... wie hieß sie doch gleich? Miss Okada! Genau! Sie hat ein paar interessante Ideen, nicht wahr? Aber sie ist ein bisschen..." Immer leiser werdend murmelte Tanaka vor sich hin, hob dann seinen Kopf und führte Seto weiter durch seine Abteilung. Jedes Mal, wenn sie an einer Gruppe arbeitender Leute vorbeikamen, verbeugten sie sich vor Seto und Tanaka pflegte zu jedem seiner Mitarbeiter eine kurze Zusammenfassung zum Besten zu geben und wie sie in der letzten Woche gearbeitet hatten.

Sie waren fast fertig mit ihrer Runde, als Seto den Kopf hob und sich zum duzenden Male umschaute. Jedoch so sehr er sich auch umsah, er konnte sie einfach nicht ausmachen, dabei musste sie hier sein.

"So und hier ist der Arbeitsplatz von Miss Okada... wo steckt sie nur", brabbelte Tanaka und blieb neben Seto vor einem Zeichnertisch stehen, auf dem verschiedene Skizzen und Zeichnungen ausgebreitet waren.

Sich umsehend trat Seto näher an den Tisch und beugte sich über einen Stapel Zeichnungen. Auf einem der unteren Blätter schimmerte ihn etwas bläuliches an, dessen Gestalt er nur zu genau kannte, doch noch bevor er die darüber liegenden Blätter anheben konnte, wurde er auch schon unterbrochen.

"Entschuldigen sie?"

Da war er wieder, fuhr es ihm durch den Kopf, dieser sachte Duft nach Apfel, den man erst im allerletzten Moment wahrnahm. Langsam hob er den Kopf und blickt zu Tanaka herüber. Neben ihm stand sie in ihrem Outfit von gestern mit der silbern blitzenden Gürtelschnalle. In ihren Armen trug sie verschiedene Konzeptskizzen, Kopien und eine Gipsfigur. Bei genauerem Hinsehen erkannte er die Gestalt seiner Lieblingsspielkarte von Duell Monsters, den blauäugigen weißen Drachen.

"Ah, Miss Okada", unterbrach Tanaka die Stille, welche für einen Moment aufgekommen war. "Herr Kaiba macht gerade seine wöchentliche Visite durch unsere Abteilung", plapperte er weiter, doch die Beiden schienen ihm nicht recht zuzuhören. "Also wirklich, sie hätten hier etwas aufräumen können", fügte Tanaka hinzu und wollte gerade ein paar ihrer Arbeiten mit einem verächtlichen Gesichtsausdruck anheben, als ihr Kopf zu ihm herüber ruckte und er es vorzog sie lieber nicht anzufassen.

"Darf ich mal?" Ihr Blick wandte sich wieder Seto zu, der noch immer mitten im Weg zu ihrem Arbeitsplatz stand. "Hier versuchen einige zu arbeiten", fügte sie noch hinzu und als Seto den Weg frei gemacht hatte, schob sie ein paar ihrer Sachen zusammen und legte die Kopien auf den entstandenen Platz. Vorsichtig platzierte sie dann die Gipsfigur des Drachen auf der Regalablage ihres Schreibtisches und setzt sich wieder an ihre Arbeit. Ohne ein weiteres Wort war sie auch schon wieder in ihre Arbeit versunken und würdigte sowohl Tanaka als auch Seto keine weitere Sekunde ihrer Aufmerksamkeit.

"Ihre Manieren lassen zu wünschen übrig", quiekte Tanaka so, dass sie es auch hören konnte.

Jedoch Seto hörte ihn nicht. Er musterte nur, wie sie mit ruhiger Hand an ihre Arbeit ging und sich dabei nicht aus der Ruhe bringen ließ. "Ich bezahle die Leute nicht fürs schleimen", brummte er, legte die mitgebrachte Akte oben auf den Stapel ihrer Kopien und wandte sich dann zum Gehen.

Tanakas Gesicht war für einen Moment erstarrt und es dauerte einen Augenblick, bis er sich wieder gefangen hatte und munter weiter auf Seto einredete, während er ihn zur Tür geleitete.

Von ihrer Arbeit aufschauend, blickte Nanako kurz hinter den beiden Männern her. Sie griff nach der Akte mit den Entwürfen und schob sie in ein Regalfach, als ein Zettel aus ihr heraus fiel. Neugierig, was es denn sein würde, nahm sie den kleinen gelben Zettel, der von einem Notizblock abgerissen worden war und drehte ihn um. Ihre Augen weiteten sich, als sie die wenigen Worte las, sie musste sie mehrmals lesen, bevor sie es richtig begriffen hatte. Eilig wandte sie den Kopf in Richtung Tür, doch er war bereits dahinter verschwunden.

Auf dem Zettel stand: "Gute Arbeit", und Setos Kürzel.