Blaise ging zum Gemeinschaftsraum, er hatte noch Hausaufgaben zu machen. Aura würde nie verstehen, wie man sie an dem Tag, an dem man sie aufbekam, schon machen konnte. Sie wartete meist bis zum allerletzten Zeitpunkt. Sie wollte nicht die schönste Zeit des Tages im Zimmer sitzen und büffeln. Als Ausgleich saß sie manchmal noch mitten in der Nacht an den Aufgaben und kam erst spät ins Bett, was dazu führte, dass sie ab und zu ein Morgenmuffel war.
Irgendwie fühlte sie sich einsam. Sie wäre gerne daheim bei ihrer Familie, ihren Freundinnen und ihrer Mutter. Dort war ihr Platz. Nicht hier, zwischen all denen, die so gut mit Zauberei umgehen konnten. Zauberei, was war das schon? Ihr war schon immer die wilde freie Magie der Natur lieber gewesen. Sie liebte es, sich gegen den Wind zu stellen und die Sprache des Feuers zu hören, wenn es knisternd die Holzscheite verschlang.
Sie überlegte sich, ob sie es Blaise gleichtun und in ihr Zimmer gehen sollte. Nicht um Hausaufgaben zu machen, die würde sie sich für später aufheben. Aber vielleicht sie konnte ein bisschen lesen. Nur was? Verwandlungen? Sie wusste, dass sie besser werden musste, aber Verwandlungen üben? Das war gleichbedeutend mit Hausaufgaben. Also doch später. Ohne Plan lief sie in Richtung Eingangshalle.
Als sie dort ankam, sah sie drei ihr bekannte Personen, die gerade aus der Tür hinausschritten. Schnell versteckte sie sich hinter einem Baum und wartete bis sie vorbeigegangen waren. Dann kam sie aus ihrem Versteck hervor. Sie ging hinter ihnen her, aber so leise, dass diese sie nicht hörten. Langsam lief sie neben Hermione her. Harry, der in der Mitte ging, bemerkte sie als erster. „Oh, Hallo Aura. Wir haben dich gar nicht gehört."
„Eben Slytherin."
Hermione sah sie an. „Wie meinst du das?"
„Na, der Name. Sly- das heißt doch schlau und verschlagen. Und sich an jemanden heranschleichen ist da gar nicht so weit weggeholt."
„Was machst du hier eigentlich?"
„Wieso? Ist es etwa verboten mit ein paar Gryffindors spazieren zu gehen?"
„Wir wollen Hagrid besuchen, magst du nicht mitkommen?" , fragte Harry.
Aura zuckte mit den Schultern. „Ich hab nichts besseres vor." Zusammen liefen sie in Richtung Hütte.
Auf einmal fiel Harry etwas ein. „Sag mal, da du doch gar nichts über Quidditch weißt, kannst du doch mal bei unserem Trainingsspiel vorbeischauen? Dieses Wochenende."
„Sag mal, Harry, bist du verrückt? Sie ist in Slytherin. Sie spioniert uns nur aus um dann Malfoy zu erzählen, was wir alles können. Damit sie wenigstens ein Mal auch eine Chance haben. Fair spielen können sie ja nicht."
„Ron!" Hermione und Harry sahen ihn beide an, „Wie kannst du nur so etwas sagen? Du kennst sie doch überhaupt nicht."
„Schon okay." , mischte sich Aura ein. „Ich will doch nicht aus Versehen eure Spieltaktiken ausplaudern. Ich geh zu einer Trainingsstunde meines Teams." Mit diesen Worten drehte sich Aura auf dem Absatz um.
Ihr war ja klar gewesen, dass sie sich nicht mit ihnen verstehen konnte, jetzt, da sie in Slytherin war. Warum waren die Häuser nur so verfeindet? Aber eines war sicher. Die Abneigung die Ron gegen sie verspürte, beruhte auf Gegenseitigkeit.
Nichts hielt sie mehr draußen, sie machte sich auf den Weg zu ihrem Zimmer. Dort war sie wenigstens ungestört, jetzt musste sie das Zimmer ja nicht mehr teilen. Sie kam beim Gemeinschaftsraum an und setzte ihren Weg in ihr Zimmer fort, ohne die anderen zu beobachten oder auf ihre Gespräche zu achten. Bett war das einzige, an das sie noch dachte. Erschöpft ließ sie sich darauf nieder.
Allein. Das war sie. In diesem Moment wäre sie doch über etwas Gesellschaft froh gewesen. Hätte ich doch nur das Zimmer wieder mit Morag. Das hätte sie aber natürlich nie ausgesprochen. Sie wäre froh gewesen über ein bisschen Nähe, Wärme. Wenn doch nur jemand anderes im Zimmer wäre, jemand, der sie von ihren Sorgen ablenkte.
Ein Klopfen an ihrer Fensterscheibe war zu vernehmen. Doch sie war zu erschöpft um darauf zu reagieren. Sie wollte liegen bleiben. Im Selbstmitleid versinken.
Doch das war keine Lösung. Das wusste sie, und doch... Es war so verlockend. Einfach liegen bleiben, nichts tun. Nicht an morgen denken, an Hausaufgaben. Alles Schlechte verdrängen. Das konnte sie zwar nicht immer machen, aber für heute Abend würde es reichen. Doch das Pochen an ihrem Fenster hörte nicht auf, auch wenn sie sich einredete, es nicht zu hören.
Nach einiger Zeit wurde ihr das Geräusch zu viel. Sie stand widerwillig auf und öffnete einen Fensterflügel. 'Wie kann man im Kerker nur Fenster haben? Sie sind klein und sehr hoch angebracht. Und an Licht bringen sie nichts in diese düsteren Gemächer.' Als das Fenster offen genug war, flog ihr Falke herein.
Irgendwie kam in Aura doch ein Glücksgefühl hoch. „Ich bin nicht allein ", sagte sie sich, „ich habe meinen Freund." Sie ließ sich auf ihrer Bettkante nieder und streichelte das Gefieder des Tieres. Es trug einen Zettel mit sich. Sie rollte den Zettel auf und las ihn.
„Kopf hoch. Du schaffst das."
Aura musste unwillkürlich lächeln, und doch flossen ihr die Tränen die Wangen hinab. Es war so vertraut. Keine Unterschrift, doch sie wusste, von wem der Brief war. Von ihrer Mutter, ihrer Familie, ihrer Heimat. Heimat... wehmütig dachte sie daran. Was ein einzelnes Wort doch für Traurigkeiten barg. Sie vermisste sie auch, es schmerzte ungemein. Sie las zwischen den Zeilen. Auch ihre Familie vermisste sie. Selbst diese zwei Sätze sagten ihr, dass nicht nur sie alleine dieses Gefühl hatte.
Ihre Familie fühlte genauso. Und sie hatte den Brief so abgeschickt, dass er zur rechten Zeit am rechten Ort war. Das perfekte Timing. Sie wussten, dass es schwer für sie war, allein und von ihrer Familie getrennt in eine fremde Schule zu gehen.
Zufrieden zog sie sich um. Mit dem Brief fest an ihr Herz gedrückt schlief sie ein. Es war etwas kindliches dabei, doch das war ihr egal. Es war etwas, an das sie sich halten konnte. Das ihr die Zeit hier kürzer erschienen ließ, was sie aufbaute, wenn es ihr schlecht ging. Ein Lächeln breitete sich auf ihren Zügen aus.
