Teil 4: Nallon (Sindarin: "Ich weine")
Zusammenfassung: Arwen entscheidet sich.
Danksagung: Da uns die Gondor-Spielzeuge ausgegangen sind, bleibt uns nur noch eine Familienpackung Vanille-Eis, die wir ihrer Bestimmung zuführen wollen... Für zasjah, danke für das Beta-Lesen und noch soviel mehr
Möwen sind ganz anders als die Vögel des Waldes.
Ich erkenne mich selbst in ihrem sehnsüchtigen Schrei, in der Art, wie sie über die Wellen gleiten, als ob sie von ihnen angezogen würden und sie doch zugleich fürchteten. Ich schmecke das Salz auf meinen Lippen und erinnere mich an die grünen Hallen, in denen ich einst wandelte, an meinen Vater, meine Brüder, mein Volk. Ich sehe sie immer noch in meinen Träumen, aber die Erinnerung an sie schmerzt nicht mehr.
Jetzt endlich verstehe ich jene Unrast in mir. Wahrscheinlich gab es sie schon immer, aber hätte ich nicht dieses Schicksal gewählt, hätte sie sich mir nie offenbart... Eine Herausforderung und ein Kampf. Nun kann ich diese Gefühle in mir hin und her wenden, von allen Seiten betrachten, ihnen die Form geben, die mir gefällt. Die Form, die ich ihnen geben muss...
Ich muss mit Eowyn sprechen.
Sie läuft den Strand entlang und lacht den Wellen zu, die nach ihr haschen, ihre Füße küssen, während >der Wind ihr Haar mit den Sonnenstrahlen verwebt>. Ich falle in ihre Arme, als ob mich ein Windstoß hineingetrieben hätte und sie küsst den bitteren Geschmack von Sehnsucht und Einsamkeit von meinen Lippen ab. Dann wende ich mich ab.
„Ich habe etwas für dich..."
Sie schaut auf das Buch, das ich ihr hinhalte.
„Es ist mein Wissen, meine Gedanken, alles, was ich bin."
„Ich... das kann ich nicht..."
„Es ist mein, und ich kann es schenken, wem ich will..."
Wie mein Herz. Warum wollen die Tränen nicht kommen?
„Bitte. Ich möchte, dass du verstehst..."
Sie atmet scharf ein, als ob die warmen Finger des Windes, die ihr Gesicht liebkosen, sich plötzlich um ihre Kehle schließen würden. Dann nickt sie.
„Ich werde bei Estel bleiben."
„... Natürlich."
„Er... er braucht mich."
Sie verbirgt ihr Gesicht hinter ihrem Haar, und nickt wieder, atmet langsam und bedächtig aus.
„Ich weiß."
Ich wünschte, sie würde mir sagen, dass sie mich auch braucht. Ich wünschte, sie würde böse mit mir werden. Stattdessen zieht sie die vergoldeten Zierbeschläge des Buchdeckels nach, Lichtsplitter bohren sich in ihre Fingerspitzen.
„Dann ist das ein Abschiedsgeschenk…"
„Nein!" Ich klammere mich an sie als wäre ich eines ihrer Kleider, dasjenige, das sie direkt auf der Haut trägt.
Sie hält mich fest, das Buch zwischen uns.
„Möchtest du, dass ich es gleich jetzt lese?"
Wassertropfen rinnen an meinen Handflächen entlang, glitzernde Juwelen des Augenblicks. Ich höre das Raunen des Meeres, ältestes Mysterium, das selbst die weisesten Elben nicht zu begreifen vermögen. Nein. Ich gehöre nicht mehr zu ihnen. Ich wende mich ab, spüre, wie der Wind mit meinem Haar spielt, und mich wieder – wie immer - an sie erinnert.
Sie hebt ihren Kopf, ihr Blick ist sanft und warm.
"Herrin... als ich in den Häusern der Heilung erwachte, dachte ich, dass ich nie wieder etwas würde fühlen können. Weder Kummer, noch Zorn, noch Hoffnung. Ich hätte tot sein können, es hätte keinen Unterschied gemacht. Faramir…", sie unterbricht sich und ich sehe, wie >>ihre Augen den Ausdruck liebevoller Besorgtheit>> annehmen. Ich frage mich, ob sie jemals so lächelt, wenn sie an mich denkt…
"Er lehrte mich, dass es in uns Jahreszeiten gibt. Wenn man weinen kann…", sie streicht zärtlich über mein Gesicht. Nein, ich kann es nicht! „… dann beginnt sich der Winter im Herzen zurückzuziehen. Und der Frühling kommt."
"Du bist der Grund", flüstere ich eindringlich und gebe mich ihrer Berührung hin. „Du bist der warme Wind, der den Schnee in mir taut."
Und so wird ihre schlanke Figur, die mich beschützt, meine ganze Welt; ihre Lippen, die mir den Atem rauben, die mir das Gefühl geben, ich sei das kostbarste und geliebteste Wesen, das je existierte. Ich gebe den Kuss nur zu willig zurück, verzweifelt gieße ich meine Seele in ihre Hände…
Wir verschränken unsere Finger ineinander, flüstern uns abgebrochene Satzfetzen zu und versuchen, diesen Augenblick der Vollkommenheit in die Innenseite unserer Augenlider einzuprägen.
Und als ihre Arme mich fest umschließen, höre ich die See und den Strand, die Flamme und das Flattern der Motten, nein, nicht raunen – sie singen!...
Und ich weine.
>von zasjah
>>Yeats in „The Two Trees"
