Die Mission:
In der kleinen, unterirdischen Grotte, die Severus bei seinen Nachforschungen entdeckt hatte, war bereits alles vorbereitet. Einen Kessel hatte er hergebracht, Feuerholz, das durch einen Zauber trocken gehalten wurde, lagerte hier und auch das alte, geheime, im Prinzip seit Jahrzehnten vom Ministerium verbotene Buch war hier sicher aufbewahrt. Bei seinem Eintreten erleuchtete sich die Grotte automatisch und Severus sah prüfend auf die Uhr. Sein Zeitgefühl hatte ihn nicht getäuscht, bis Mitternacht, dem Zeitpunkt, zu dem alles geschehen musste, war noch genug Zeit. Nichts hasste er mehr, als hetzen zu müssen.
‚Dann frisch ans Werk!', dachte sich Severus und packte die Zutaten aus, die er in dem kleinen Beutel aus seinem Büro mitgebracht hatte.
Diese hatte er nicht hier lagern können, da alle Inhaltsstoffe des geplanten Trankes frisch sein mussten. Bis zum letzten Tag hatte er Angst gehabt, er würde eine Zutat nicht mehr rechtzeitig bekommen, doch nach dem Ausspielen all seiner Beziehungen hatte es dann doch funktioniert. Hochkonzentriert war Severus bei der Sache. Normalerweise war diese Art des Brauens, wie sie für diesen Trank vorgesehen war, ein Kinderspiel für einen Meister wie ihn, im Prinzip mit einer Hand und verbundenen Augen möglich. Doch hier kam hinzu, dass Severus von dem Originalrezept, das ebenfalls verboten war, abweichen musste. Er musste die Mixtur strecken, um genug Zeit für seine Mission zu haben, durfte es aber wiederum nicht so stark strecken, dass seine Wirkung zu stark eingeschränkt wurde, da sein ganzes Vorhaben in diesem Fall nicht funktionieren würde. Wochenlange Arbeit steckte dahinter, in der Severus alle Faktoren einbeziehend theoretisch durchgerechnet hatte, wie weit er gehen durfte.
Jetzt stand er hier, den Kelch mit dem Trank in der rechten Hand, das uralte Buch der schwarzen Künste vor sich schwebend. Der Spruch, der in Verbindung mit diesem Trank nötig war, war strikt verboten; nicht, weil er Böses hervorrief, sondern weil er einfach zu gefährlich war. Severus wusste um die Gefahr, doch er wusste auch um seine Aufgabe und das, was bei perfekter Umsetzung seines Planes, geschehen würde. Sein Ziel war klar, die Entscheidung gefallen. Ein letztes Mal atmete er noch durch, dann konzentrierte er sich und sprach den Spruch.
„Kronos, großer Vater Zeit, ich stehe hier
mit dem von dir gegebenen Elixier.
Ich bitte dich, gib mir die Kraft,
zu sehen, was die Zeit geschafft.
Um der Unschuldigen Glück:
Dreh für mich die Zeit zurück."
Ohne Zögern nahm Severus den kompletten Kelchinhalt zu sich. Im selben Moment fühlte er sich von unbeschreiblicher Macht ergriffen, glaubte, nicht atmen zu können. Doch all seine Gedanken galten nur einer Sache:
‚Für die Mission!'
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‚Verdammte Gryffindor-Bande!'
Severus Snape kochte vor Wut, als er schallend die Tür zu seinem Kerkerlabor hinter sich zuwarf.
Dieser Harry Potter! Wie konnte sich dieses unwissende Kind nur einbilden, gerade jetzt nach der Wiedererstehung Voldemorts der Mittelpunkt der Welt zu sein? Gut, er war derjenige gewesen, der je einen Tötungsangriff Voldemorts überlebt hatte, aber war das denn sein Verdienst? Nein! Seine Mutter hatte diesen bewundernswerten starken Zauber geübt, der es dem dunklen Lord mindestens einmal unmöglich gemacht hatte, den Jungen zu töten. Aber alles weitere...
‚Wer riskiert denn hier Kopf und Kragen?', fragte sich Severus, wobei ihm gleich ein stechender Schmerz durch die Rippen zog, ein Andenken seines Herrn und Meisters. ‚Wer versucht denn ständig, dieses Kind zu schützen, sei es durch Lügen beim Lord oder Okklumentik? Aber Dankbarkeit ist bei diesen hochnäsigen Gryffindors ja ohnehin ein Fremdwort!'
Noch während er sich so aufgeregt hatte, hatte sein Unterbewusstsein Geräusche registriert. Severus konzentrierte sich. Schritte, eindeutig Schritte, die sich die Treppe abwärts zu ihm bewegten. Die sofortige Einordnung begann automatisch im Kopf des Todesserspions: Für einen Schüler waren die Schritte zu schwer, es musste ein Erwachsener sein. Doch seine Kollegen oder Filch gingen schneller, diese Schritte waren langsam und ruhig. Außerdem waren sie ungleichmäßig.
‚Als würde jemand hinken.', dachte Severus.
Doch die einzige Person, die Severus kannte und die in gewisser Weise hinkte, war Mad-Eye Moody und der hatte ein Holzbein. Doch das typische ‚Klonk'-Geräusch des Holzbeines war nicht zu hören. Severus zog seinen Zauberstab und wollte sich eigentlich zur Tür begeben, als er merkte, dass sich diese Person direkt an seiner Tür zu schaffen machte. Trotz dass Severus perplex war, dass diese Person seine Tür ohne Schwierigkeiten und trotz der Sicherheitsflüche aufbekam, reagierte er sofort, als die Tür aufsprang.
„Vincite!"
„Solve!", ertönte sofort eine ruhige, tiefe Stimme, so schnell, als habe der Angegriffene damit gerechnet.
Entgeistert wollte Severus zum nächsten Fluch ansetzen, als er feststellte, dass er seinen Zauberstab nicht mehr hatte. Als er nun den Eindringling ansah, hielt dieser verdeckt mit einem langen, dicken, schwarzen, etwas mit Laub beschmutzten Mantel den Zauberstab in der Hand.
„Vergeude deine Kraft nicht und setz dich!", befahl er. „Ich habe dir sehr wichtige Dinge zu sagen und vermutlich nicht viel Zeit dafür."
Widerwillig folgte Severus der Aufforderung des Fremden. Er musste sich selber eingestehen mehr als nur peinlich berührt zu sein. Keiner, weder Todesser noch Auror nicht einmal der dunkle Lord selber, hatte es je geschafft, ihn so schnell und mühelos zu entwaffnen. Er fühlte sich vorgeführt, doch aus einer Art unerklärlichen Repekts folgte er.
„Wer seid Ihr?"
Diese Frage stand ihm zu, wenn er schon so bedrängt wurde und deshalb bestand Severus trotz seiner Lage auf ihr. Als Antwort zog der Fremde die Kapuze des Umhangs ab und Severus blieb für einen Moment das Herz stehen.
„V-Vater?"
Erstarrt saß Severus da. Vor ihm stand ein älterer Mann, vermutlich in den 60ern, langes, schwarzes, mit grauen Strähnen durchzogenes Haar und das unverwechselbare Profil der Familie Snape, das sch besonders in der Nase ausdrückte. Der Fremde lächelte.
„Nein," antwortete er, „so schlimm ist es nicht. Aber ich gebe zu, ich... wir sehen ihm nicht unähnlich."
„Wir?", fragte Severus.
„Ja, wir."
Damit nahm der Fremde ein Buch vom Regal, das Severus sorgsam versteckt hatte, da der Besitz nicht ganz legal war. Zielsicher schlug der Besucher eine bestimmte Seite auf und legte sie Severus vor. Es war ein Spruch, der in Verbindung mit einem bestimmten Trank für Zeitreisen benutzt wurde. Doch er war generell gefährlich für Leib und Leben. In diesem Moment schoss es Severus durch den Kopf und er sah seinen Gegenüber an.
„Richtig.", bestätigte dieser Severus' Gedanken. „Mein Name ist Severus Snape und ich komme aus dem Jahr 2025. Ich bin hier, weil ich schwerwiegende Fehler dringend vermeiden will. Du, mein jüngeres Ich, bist der Einzige, den ich mit meinem Wissen betrauen kann, also hör mir jetzt genau zu."
„Augenblick mal!", unterbrach Severus den Älteren. „Dieser Zauber, den Sie mir hier gezeigt haben, ist nie durch seine Wirkung bewiesen worden. Zugegeben, Sie sehen mir oder vielmehr meiner Familie ähnlich und Sie wussten von dem Buch, aber warum sollte ich Ihnen Ihre Geschichte wirklich glauben?"
Der Ältere seufzte. Er hatte vergessen, wie stur er und demzufolge auch sein jüngeres Ich sein konnten.
„Weil es besser ist, wenn du mir jetzt zuhörst.", antwortete er klar. „Für dich, für Diana, für euren Sohn William Alexander und eure noch ungeborene aber überwältigend schöne Tochter Elisabeth."
Erst war Severus wiederum geschockt, doch dann nickte er. Wirklich nur er bzw. sein zukünftiges Ich konnten von seiner Beziehung zu Diana Foster, ihrem gemeinsamen Sohn William Alexander und dem Plan, ihre erwartete Tochter Elisabeth zu nennen, wissen.
„Gut," nickte der Ältere, „nachdem das geklärt ist wieder zum alten Thema. Wie schon gesagt komme ich aus dem Jahr 2025. Wir haben Voldemort besiegt..."
Der Jüngere verkrampfte sich bei dem Namen, doch der Ältere ignorierte es.
„...und haben eine schlimme Seuche überstanden, die viele schreckliche Opfer gefordert hat. Sie ist der eigentliche Grund meines Kommens. Durch jahrelange Nachforschung habe ich herausgefunden, dass diese Seuche durch ein Gebräu ausgelöst wurde, das Voldemort wohl auf eigene Faust in einem tiefen Verlies seiner Festung zusammengemischt hat. Da es nach seinem Tod einfach vergessen und durch eine Erschütterung beim Kampf vermutlich umgestoßen wurde, geriet es in den Untergrund und griff von dort aus jede Art von Existenz, besonders die Menschliche, an. Viele Opfer hat es gegeben, Madam Pomfrey, Remus Lupin, Draco Malfoy und Diana sind nur einige davon."
Erschüttert auf Dianas Namen sah der Zaubertränkelehrer sein älteres Ich an.
„Und du bist jetzt mit der Formel des Gegenmittels hier?", fragte er.
„Nein."
Der Ältere schüttelte den Kopf, zog aber ein Gefäß aus seinem Umhang und übergab es dem Jüngeren.
„Dies ist eine Substanz, die das Ursprungsgebräu neutralisiert. Ich gebe dir den Auftrag, nach der Vernichtung Voldemorts in dieses Verlies zu gehen und den Inhalt dieses Gefäßes in das Gebräu zu geben, falls es schon umgekippt sein sollte, dann eben in die Lache. Es kann dann nicht mehr wirken und die Gefahr ist gebannt. Bewahre dieses Elixier gut und habe es am 6.6.1998 unbedingt bei dir."
Plötzlich verzog der Ältere das Gesicht und fasste sich ans Herz.
„Was ist?", fragte der Jüngere besorgt.
„Es ist nichts," winkte der Ältere ab, „nur der Zauber, der nun seinen Tribut fordert."
Da Severus mit sich selber sprach, verstand er sofort.
„Er wird dich töten."
Der Ältere nickte.
„Ja, aber ich habe meinen Teil der letzten Mission erfüllt. Diana ist, wie ich dir schon gesagt habe, tot und Will und Sissi haben ihre eigenen Leben. Als letztes lebendes Mitglied des Phönix-Ordens war dies meine Pflicht, ich weiß, du verstehst das."
Nun nickte der Jüngere.
„Gibt es noch irgendetwas anderes?", fragte er. „Was sollen wir in der Schlacht gegen IHN tun?"
„Dazu sage ich nichts," antwortete der Ältere, wenn auch schon schwächer, „ihr werdet das richtige tun. Nur noch zwei Dinge."
Damit griff er noch einmal in seinen Umhang.
„Dies sind Briefe von Minerva McGonagall an Albus Dumbledore. Ich vermute, es sind Dinge, die sie ihm schon immer sagen wollte. Gib sie ihm bitte im richtigen Moment, falls es diesen geben sollte."
„Ich werde mich bemühen."
Damit nahm der Jüngere die Briefe an sich.
„Und nur noch ein kleiner Tipp für dich."
Mit einem Lächeln beugte der Ältere sich vor.
„Vergewissere dich zum gegebenen Zeitpunkt, dass der Todesser Weiss wirklich tot ist und sonst: Tu, was nötig ist."
Obwohl er nicht verstand, nickte der Jüngere. Wenn er schon jemandem vertrauen sollte, dann doch wohl sich selbst.
„Nun denn, ich gehe dann mal.", erklärte der Ältere und erhob sich.
„Wohin willst du? Und was passiert, wenn jemand dich bzw. den Rest von dir findet?"
„Das wird nicht passieren."
Der Ältere schüttelte den Kopf.
„Der Trank hat mich in meiner Zeit getötet und gibt mir hier nur eine bestimmte Erscheinungsdauer. Letztendlich liege ich 2025 tot in einer Grotte und werde mich hier einfach auflösen."
„Dann heißt es wohl nicht ‚Leb wohl!'."
„Nein," lächelte der Ältere, „nicht ‚Leb wohl!' sondern ‚Auf Wiedersehen!', irgendwann im Spiegel."
Damit verließ der Ältere das Labor und ließ den Severus Snape, der in diese Zeit gehörte, allein mit diesem Wissen zurück.
