Bald trennte die kleine Reisegesellschaft nur noch ein kleiner Hügel von Minas Tirith, und dann würde die weiße Stadt in ihrer vollen Pracht vor ihnen liegen. Aber trotzdem wurde es immer stiller zwischen ihnen, als sie sich dem höchsten Punkt des Hügels näherten, denn alle wussten, was sie noch sehen würden.

Das Schlachtfeld.

Natürlich waren die Aufräumarbeiten in vollem Gange, aber es würde noch sehr lange dauern, bis alle Spuren beseitigt, und alle Toten beerdigt waren. Und jetzt konnte man einfach nur zu überdeutlich sehen, welche Ausmaße die Schlacht, und wie viele Männer man verloren hatte. Der Geruch des Todes wehte bis hier herauf. Das Einzige, was sich bewegte, waren ein paar Menschen, die ihre Hoffnung noch nicht aufgegeben hatten und Verwandte suchten.

"Es ist schlimmer, als ich es mir vorgestellt hatte", flüsterte Ethuil, als ihr Blick über das Tal streifte. "Und dabei hätte ich es mir gar nicht schlimmer vorstellen können." Sämtliche Farbe wich aus ihrem Gesicht, und sie klammerte sich an den Arm von Legolas, der sie vor sich auf dem Pferd hielt und gerade die Erinnerungen an diese Schlacht vor Augen hatte, die sie beinahe verloren hatten. Nur mit Hilfe der toten Krieger hatten sie es geschafft.

"Es ist vorbei, und wir haben gesiegt. Das ist das Wichtigste." Legolas wusste, dass dies sehr herzlos klang angesichts der vielen Toten, aber es war nun mal an der Zeit, nach vorn und nicht zurück zu sehen. Sie mussten nun alle Energie in den Aufbau eines neuen Mittelerdes stecken. Das war ihnen allen bewusst, was das einstimmige und stumme Nicken zeigte. Trotzdem gönnten sie sich einige Minuten, um den Toten zu gedenken und zu danken, dass es nicht mehr waren.

"Da! Ein Olyphant! Und er lebt noch!" unterbrach plötzlich Pippin die Stille und zeigte nach links, wo sich tatsächlich ein Olyphant seinen Weg durch das Tal bahnte. Die vereinzelten Menschen gingen ihm aus dem Weg, aber nicht so, als ob sie Angst vor ihm hätten. Das brauchten sie auch nicht, denn er ging langsam und blieb dann einfach in der Nähe eines toten Artgenossen stehen, um einen schaurigen Klagelaut auszustoßen, den man über das ganze Tal hinweg hören konnte.

"Warum hat ihn niemand getötet? Und warum flieht er nicht oder greift an?" Merry sprach die Worte aus, die allen durch den Kopf schwirrten. Und einige hatten sogar eine Antwort darauf.

"Er betrauert seine Gefährtin", sagte Ethuil, und ihre Stimme war seltsam belegt. "Oder sie betrauert ihren Gefährten. Auf jeden Fall ist das dort auch ein Opfer des Krieges. Nicht mehr." Sie seufzte und schaute zurück zu Legolas, den sie auch beinahe auf diese Weise betrauert hätte. Ihre starke Liebe hatte dies verhindert, aber gleichzeitig wusste sie, dass auch der Olyphant eine starke Liebe empfinden musste, sonst würde er sich nicht mitten unter seine Feinde trauen und vielleicht sogar wollen, dass sie sein Leid beendeten.

Legolas erwiderte kurz ihren Blick und schaute dann wieder hinaus zu dem Paar. Dabei erkannten seine Augen, was er schon geahnt hatte. Daraufhin trübten sich seine Augen, und er sah kurz zu Boden, bevor er alle ansah, und sein Blick dann an Ethuil hängen blieb.

"Im Nacken des toten Olyphanten stecken zwei Pfeile", flüsterte er. "Zwei meiner Pfeile. Ich bin für dieses Leid verantwortlich." Dabei sah er sie die ganze Zeit über an, und so wusste sie, was er jetzt vorhatte, ohne dass er es aussprechen musste. Sie legte daraufhin den Kopf schief und sah ihn flehend an, aber er ließ sich nicht von seinem Vorhaben abbringen. Sein Entschluss stand fest, und so legte sie ihm kurz ihre Hand an die Wange, bevor sie abstieg, und er ohne ein weiteres Wort den Hügel hinunter ritt.

"Was soll das? Kann er nicht auf uns warten?" regte sich daraufhin Gimli sofort auf und wollte ihm auch schon folgen, aber Ethuil griff ihm in die Zügel und brachte so sein Pferd wieder zum Stehen.

"Das muss er allein erledigen", erklärte sie ihm, aber er sah sie immer noch fragend an, und so lächelte sie ihn beruhigend an. "Diese Wesen sind mehr als nur Tiere. Sie empfinden wahre Liebe. Und wir Elben haben geschworen, besonders solchen Wesen kein Leid zuzufügen. Aber das hat Legolas getan. Also muss er sich ihm stellen, um Strafe oder Gnade zu empfangen."

"Aber dieses..." Gimli gestete hinaus zu dem Olyphanten und sah keineswegs beruhigt aus. "Es ist wütend. Der Schmerz ist zu frisch. Es wird keine Gnade walten lassen. Es wird ihn wie eine Fliege zertreten. Er ist verloren. Kann er nicht warten?"

"Nein." Tränen glitzerten in Ethuils Augen, und ihre Stimme war kaum noch zu verstehen, so sehr kämpfte sie darum, nicht auch Legolas zu folgen. "Jetzt ist der Schmerz am größten, und daher ist die Strafe für diesen Schmerz auch jetzt am gerechtesten. Verstehst du das?"

"Aber er wird sterben!" schrie Gimli nun und sah hinüber zu seinen Freunden, die Legolas und den Olyphanten nicht aus den Augen ließen, aber sonst nichts unternahmen. Wie konnten sie nur seinen Sturkopf und die Sitten seines Volkes so respektieren, dass sie ihn sogar sterben lassen würden?

"Vielleicht wird er sterben", unterbrach Ethuil seine Gedanken und klang dabei selbst viel zu gefasst. "Und ja, er ist ein verdammt sturer Elb, aber er wäre nicht der, der er ist, wnn er dies jetzt nicht machen würde. Und dann würden wir ihn auch nicht so lieben, nicht wahr?"

Gimli konnte sie daraufhin nur anstarren und dann nicken, als er verstanden hatte. Legolas konnte einfach nicht anders, und wenn dies hier sein Schicksal sein sollte, dann konnte niemand etwas daran ändern. Also konnte auch er nur seinen Blick nach vorn werfen, wo Legolas gerade vom Pferd stieg, um sich dem Olyphanten die letzten Meter zu Fuß zu nähern.

"Beachte, dass du über zwei Leben richtest", flüsterte Ethuil währenddessen und betrachtete das Geschehen mit feuchten Augen. Dabei erinnerte sie sich an den Moment, als dieses Etwas zwischen ihnen zum ersten Mal tiefer geworden war.

>

>

"So, da sind wir. Das ist mein Arbeitszimmer. Ich habe hier auch den Gedichtband, den du gesucht hast. Du kannst ihn dir auch ausleihen, wenn du willst. Damit es dir hier bei deinem Besuch im Düsterwald nicht zu langweilig wird." Legolas wusste nicht, wann er das letzte Mal so viel hintereinander geredet hatte, ohne dass es irgendeine Rede war, oder um Politik ging. Er wusste auch nicht, warum es ihm schwer fiel, besagten Gedichtband im Regal zu finden.

Vielleicht lag es ja an Ethuil, die stumm mitten im Raum stand und das Arbeitszimmer des Prinzen mit großen Augen betrachtete. Sie war erst drei Tage zu Besuch im Düsterwald, war ihm gestern regelrecht übe den Weg gelaufen und stand heute schon im Palast. Dort, wohin ihre Cousine, die sie eigentlich besuchte, schon immer wollte. Im Zimmer desjenigen, auf den sie schon länger ein Auge geworfen hatte. Das würde Ärger geben.

"Ich habe es gefunden", riss Legolas Stimme sie dann aus ihren Gedanken. Und da stand er auch schon vor ihr und hielt ihr ein abgegriffenes Buch entgegen. "Gib es einfach zurück, wenn du uns wieder verlässt. Oder schicke es später wieder her, wenn du noch nicht alles gelesen hast. Ich brauche es so schnell nicht zurück, da ich ja sowieso fast alle Gedichte auswendig kenne."

"Danke." Während sich Legolas fragte, ob er jetzt wirklich so überheblich geklungen hatte, wie es sich für seine Ohren angehört hatte, nahm Ethuil das Buch zögerlich entgegen und musterte es lieber eingehend, als hinauf in seine Augen zu sehen. Denn sie hatte Angst davor, dass sie dann wieder einfach nur starren und in seinen Augen versinken würde. Doch das war nicht schicklich, der Prinz würde sich niemals einfach so in jemanden wie sie...

Nicht einmal der Gedanke daran war schicklich, und so ging sie lieber ein paar Schritte zurück und drehte sich um, um wieder das Zimmer zu betrachten, das viel über seine Persönlichkeit aussagte. Die Waffen in der Ecke sagten ihr, dass er ein Krieger war, die Bücher erzählten davon, dass er alles wissen wollte und für alles offen war, und der Schreibtisch mit seinem Chaos aus Papier verriet ihr, dass er seinen Pflichten als Kronprinz nachging, diese aber auch ab und zu hasste.

"Hast du schon viel vom Düsterwald gesehen?" Legolas wurde nur noch nervöser, als er sah, wie sie durch sein Zimmer streifte. Es war ihm, als würde sie allein dadurch alles von ihm erfahren. Seine Vergangenheit und sogar seine Gedanken. "Wenn nicht, wäre es mir eine Freude, dir alles zu zeigen. Auch die schönsten Orte, die sonst keiner kennt." Denn ich will dich auch so kennenlernen, fügte er in Gedanken hinzu.

"Nein, noch nicht sehr viel", antwortete Ethuil und drehte sich automatisch zu ihrem Gesprächspartner um. Fast sofort verlor sie sich in seinen Augen und fühlte sich trotzdem so wohl wie noch nie. "Aber ich würde mich freuen, alles kennenzulernen. Auch diese einsamen Orte." Sie lächelte ihn an, während sie in Gedanken sein Herz mit zu diesen einsamen Orten zählte, denn irgendwie wusste sie, dass dieses genauso einsam wie ihres war.

"Dann lass uns jetzt losreiten, denn so sind wir bei Sonnenuntergang an meinem Lieblingsplatz." Schon war Legolas dabei, sich für den Ritt fertig zu machen, indem er seinen Mantel holte, ihn sich überwarf und dann zur Tür ging. "Das ist die beste Tageszeit. Alles erstrahlt in den wundervollsten Farben und..."

Als Legolas nun im Zimmer umher schritt, konnte sich Ethuil endlich von seinen Augen losreißen. Um die aufsteigende Röte zu verbergen, ging sie ebenfalls sofort und ohne ein Auge auf die Umgebung zu haben auf die Tür zu. Gleichzeitig mit dem Verstummen seiner Stimme fand sie sich in seinen Armen wieder. Sie hatten wohl beide nicht auf den Weg geachtet und waren sich nun ein zweites Mal körperlich so nah wie es nur ging.

Mit einer Entschuldigung auf den Lippen sah sie wieder zu ihm hoch, doch der Zauber seiner Augen war so nah so stark wie noch nie. Er hinderte die Worte daran, über ihre Lippen zu fließen, und auch Legolas sah sie einfach nur an. Hier waren keine Worte mehr nötig, denn mit jeder verstreichenden Sekunde wuchs etwas zwischen ihnen, das keiner zurückdrängen konnte und wollte. Ganz im Gegenteil rückten sie noch näher zusammen, damit es nicht wieder verschwand. Und mit einem Kuss besiegelten sie ihren Pakt, darum und dafür zu kämpfen.

"Glaubst du das? Seit fast 3000 Jahren suche ich etwas und scheine es innerhalb eines Tages gefunden", schaffte es Legolas nach einer Weile endlich, das auszusprechen, das schon seit ihrer ersten Begegnung, die noch keinen Sonnenumlauf zurücklag, auf seinem Herzen lag. Aber jetzt hatte er eben das Gefühl, dass es ihr womöglich genauso ging. Das Lächeln, das darauf in ihren Augen erschien, sagte ihm, dass es tatsächlich so war.

"Ich glaube es dir", erwiderte sie, und das Lächeln wurde eine Spur spitzbübischer. "Allerdings suche ich es erst seit etwas mehr als 2000 Jahren."

"Wirst du mir das jetzt ständig an den Kopf werfen?" Legolas schmälerte drohend und gleichzeitig grinsend die Augen und versuchte damit, ihr diesen Gedanken von Anfang an auszureden.

"Ja, werde ich, und du kannst nichts dagegen tun", entgegnete Ethuil lachend und ging schon einmal vorsichtshalber ein paar Schritte zurück. Allerdings folgte Legolas ihr sofort, und so musste sie die Flucht ergreifen.

Doch irgendwie war dieser Raum viel zu klein dafür. So entschied sie sich spontan dafür, die Tür zum Nebenraum zu öffnen. Sie stürmte hinein, hörte Legolas hinter sich und sah erst nach ein paar Schritten, wo sie sich nun befand. Abrupt blieb sie stehen, wodurch er in sie hinein rannte, und sie beide auf dem Bett landeten, das ein eindeutiges Zeichen dafür war, dass sie sich hier in seinem Schlafzimmer befanden.

"Legolas..." Leichte Panik kam in ihr auf, als ihr sämtliche Möglichkeiten durch den Kopf gingen, was er jetzt wohl von ihr denken würde, aber er sah einfach nur auf sie herunter und war selbst viel zu überrascht davon, was ihre erneute Nähe in ihm auslöste, und dass sich seine Hand gerade selbstständig machte, um ihre Wange zu erkunden. Aber dann fiel im ein Stein vom Herzen, da sie ihn nicht abwehrte, sondern das Verlangen nach mehr in ihren Augen aufblitzte.

Und so erschien langsam ein Lächeln auf seinem Gesicht, während er die Schnüre seines Mantels löste und ihn dann über sie beide ausbreitete, um so die restliche Welt um sie herum verschwinden zu lassen. Es gab nur noch sie beide und das zwischen ihnen, das nun prächtig wuchs und gedieh.

Bis zu dem Moment, als Thranduil in das Gemach seines Sohnes stürmte, den Auftrag und die schlechten Nachrichten überbrachte und so sie beide auf eine harte Probe stellte.