Kapitel 7

Leise klopfte Syl an die Tür von Leyas Zimmer. Sie war eine ganze Weile im Hauptquartier herumgelaufen, doch jetzt hatte sie doch den Mut gefunden, mit ihrer Chefin zu sprechen. Als ihr Klopfen unbeantwortet blieb runzelte sie verwirrt die Stirn. Sie klopfte noch einmal und rief Leyas Namen. Doch auch jetzt erfolgte keine Antwort.

Mit einem Anflug von schlechtem Gewissen öffnete Syl die Tür einen Spalt. Zu ihrer Überraschung war das Zimmer leer. Es sah chaotisch aus, die Blätter lagen überall am Boden verteilt. Syl sah sich noch einmal um, doch Leya war wirklich nicht da. Ebenso leise wie sie sie geöffnet hatte schloss Syl die Tür wieder und lehnte sich von außen dagegen.

Wo konnte Leya hingegangen sein? Sollte das ganze etwas mit dem Jungen zu tun haben, den sie angeblich in die Krankenstation hatte bringen lassen. Syl wusste nichts genaues darüber. Sie hatte nur gehört, dass Leya angeblich jemanden auf dem Boot mitgebracht und ins Krankenhaus hatte bringen lassen. Manche behaupteten sogar, dass es ein Techno gewesen war.

Syl wusste nicht, was sie von diesen Gerüchten halten sollte. Leya war, da war sie sich ganz sicher, gegen Technos. Sie war zwar, soweit Syl wusste von ihnen ausgebildet worden doch dann hatte sie sie verraten. Warum also sollte sie einen Techno ins Krankenhaus bringen. Syl glaubte keine Sekunde daran, dass Leya den Tribe verraten könnte. Immerhin hatte sie ihn selbst aufgebaut und lange und hart dafür gekämpft, dass Ruhe und Ordnung in der Stadt einkehrten.

Syl beschloss, der Sache nachzugehen und mit Leya zu sprechen. Sie stieg die Stufen ins Erdgeschoss hinab und verlies das Hauptquartier, um zum Krankenhaus zu gehen. Sie wusste nicht, ob Leya dort sein würde, aber sie hatte auch keine Alternative.

Es war kalt und nass, als Ebony erwachte. Sie sah sich um. Es war halbdunkel in dem Raum, im dem sie sich befand. Sie warf einen Blick zur einzigen Lichtquelle und kniff die Augen zusammen. Von draußen schien ein breiter Streifen hellen Lichts herein, der von Metallstäben am Fenster unterbrochen wurde.

Ebony saß auf dem Boden, den Rücken am nassen Stein. Ihre Arme waren über dem Kopf mit einer Kette an der Wand befestigt. Sonst war sie nicht gefesselt. Anscheinend saß sie schon lange so da, denn ihre Arme schmerzten unerträglich, als sie versuchte, sich zu bewegen.

Sie sah sich weiter um, doch der Eindruck blieb derselbe: Sie befand sich in einer Gefängniszelle, wie sie im Kerker eines europäischen, mittelalterlichen Schlosses zu erwarten gewesen wäre. Die Wände bestanden aus großen, recheckigen Steinen, die Tür war aus Eisen und wies nur ein kleines vergittertes Fenster auf.

Die Zelle war vollkommen leer. Ebony bewegte sich noch einmal. Die Ketten rasselten, doch es gelang ihr nicht, sich großartig zu bewegen. Um ihre Arme zu entlasten zog sie die Beine an und hockte sich hin. Dadurch wurden ihre Arme zwar weniger belastet, doch dafür spürte sie schon nach den ersten Minuten, wie ihre Beine und Füße zu schmerzen begannen.

Nach einiger Zeit lies sie sich wieder zu Boden sinken. Erneut rasselten ihre Ketten. Ebony lehnte sich wieder an den nassen Stein und dachte nach.

Plötzlich hörte sie schwere Schritte, die sich offenbar der Zellentür näherten. Zunächst begann Ebony zu hoffen, doch je näher die Schritte kamen, desto bedrohlicher klangen sie. Ebony zog die Beine an die Brust, als könne sie sich dadurch schützen. Panisch irrten ihre Augen durch die Zelle, doch es gab keinen Fluchtweg für sie. Ein dunkler Schatten tauchte schließlich vor dem kleinen Guckloch an der Tür auf. Ebony schluckte und nahm sich vor, keine Angst zu zeigen.

Ein Rasseln deutete auf einen großen Schlüsselbund hin, den derjenige draußen auf der Suche nach dem richtigen Schlüssel in der Hand drehte. Schließlich hatte er den richtigen gefunden und das Schloss, dass offenbar an der Tür angebracht war wurde geräuschvoll aufgeschlossen.

Ebony stemmte ihre Füße in den Boden und drückte ihren Rücken fester an die Wand. Doch es gab kein Entkommen.

Die Person draußen legte einen schweren Riegel zurück und konnte so die Tür öffnen. Vom Gang her fiel Kerzenlicht auf Ebony. Als die Person eintrat, verdeckte sie das Licht und Ebony starrte mit aufgerissenen Augen den schwarzen Schatten an, der in der Tür stand. Alle guten Vorsätze waren vergessen, was Ebony fühlte war nackte Panik.

Die Person machte einen Schritt nach drinnen. Zuerst wurden die Füße von dem Licht erfasst, dass durch das Fenster hereinschien. Es waren schwere Stiefel, es schien sich also um einen Mann zu handeln.

Der Mann machte einen Schritt in die Zelle hinein und schloss die Tür hinter sich. Das Licht zeigte etwas, was Ebony zutiefst verwirrte: Er trug glänzende Beinschienen, die die Knie bedeckten und darunter eine Hose aus derben, braunem Stoff. Als er noch einen Schritt näher trat stand er vollständig im Licht und Ebonys Verwirrung wuchs weiter.

Er trug ein Oberteil aus Leder, dass bis zur Oberkante der Beinschienen reichte und an einigen Stellen mit Metallstreifen verstärkt und verziert war. Ein brauner Ledergürtel, an dem ein Schwert hing, gab dem Oberteil eine Taille. Das Schwert sah nicht besonders imposant aus, doch der Griff schien angegriffen zu sein, ein Zeichen, dass es sich hier mehr um einen Gebrauchsgegenstand als um eine Zierde handelte. Auf seinem Kopf befand sich ein Helm, der den oberen Teil des Gesichts bis zur Nase verbarg. Der Rest des Gesichts war zwar zu erkennen, doch Schatten, die noch auf dem Gesicht lagen, machten es unmöglich, sein Alter zu schätzen, oder sonst etwas zu erkennen.

Alles in allem bestätigte die Figur den Eindruck Ebonys, im Mittelalter gelandet zu sein, denn der Mann wirkte auf sie wie ein Ritter in leichter Rüstung.

Alles in allem bestätigte die Figur den Eindruck Ebonys, im Mittelalter gelandet zu sein, denn der Mann wirkte auf sie wie ein Ritter in leichter Rüstung.

Nachdem er eine Weile auf sie herabgesehen hatte, hockte er sich vor sie hin. Ein leises Rasseln bei der Bewegung lies Ebony vermuten, dass er ein Kettenhemd unter dem Oberteil trug. Er legte die Hände, große Hände ohne Handschuhe auf seine Knie und sah sie an.

Ebony versuchte, den Blick zu erwidern, doch sie konnte seine Augen nicht erkennen. Trotzig starrte sie auf die Stelle der Maske, wo die Augen sein mussten, und wo sich schmale Schlitze zum Hindurchsehen befanden.

Die Gestalt sah sie eine Weile schweigend an. Dann verzogen sich die Mundwinkel zu einem Grinsen. Ebony sah ihn verwirrt an. Auf ihren Blick hin wurde sein Grinsen noch breiter und entblößte große, kräftige Zähne. Er grinste sie eine Zeit lang an, dann stand er auf und verlies wortlos die Zelle.

Ebony saß wie gelähmt an der Wand. Sie wollte ihn zurückrufen und zur Rede stellen, doch ihre Lippen brachten kein Wort hervor. Sie hörte, wie der Riegel vorgelegt und das Schloss geschlossen wurde. Erst jetzt spürte Ebony, dass ihre Knie und Lippen zitterten. Kalter Schweiß rann über ihre Stirn die Wangen hinunter. Ihr Herz klopfte wie wild, ihr Atem ging schnell. Ihre Augen starrten scheinbar auf die Wand, doch sie sah sie nicht.

Sie saß noch so, als die Schritte auf dem Gang längst wieder verklungen waren.

Er starrte an die Decke. Schon seit stunden. Was sollte er auch sonst tun? Er musste liegen bleiben und ständig nach draußen zu starren machte ihn nur wütend, weil er nicht einfach aufstehen und gehen konnte.

Mittlerweile musste der halbe Tag vergangen sein. Ram und die anderen waren sicher längst aufgebrochen und das wahrscheinlich ohne ihn. War sein Fehlen beim Aufbruch nicht bemerkt worden oder hatte Ram sich entschlossen, ihn doch nicht mitzunehmen? Warum hatte sich noch kein Techno bei ihm blicken lassen.

Frustriert ballte Josh die Hände, die Maschine piepte protestierend. Langsam öffnete er die Fäuste wieder.

Plötzlich hörte er, wie jemand die Klinke herunterdrückte. Allzu oft war die Tür noch nicht geöffnet worden, doch die Stunden des Wachliegens hatten dafür gesorgt, dass er jedes Geräusch im Haus beinahe zweifelsfrei zuordnen konnte. Er sah zur Tür. Langsam, unendlich vorsichtig wurde sie geöffnet und Leya trat ein.

Als sie sah, dass Josh wach war und sie ansah, senkte sie den Blick. Sie ging langsam zum Fenster und kippte es an. Dann ging sie zum Bett und letzte sich auf den Stuhl, der noch dort stand. Es hatte sich niemand die Mühe gemacht, ihn wieder an die Tisch zu stellen, wo er eigentlich hingehörte.

„Sind sie schon weg?", fragte Josh schließlich leise.

Leya zuckte zusammen und sah ihn an. Josh bemühte sich, ihren Blick zu deuten, doch es wollte ihm nicht gelingen.

„Schon lange", sagte sie schließlich zögernd. Das war ja auch nicht gelogen, denn immerhin war es über ein Jahr her, seit die Technos die Stadt verlassen hatten. Sie wollte es erst bei dieser Antwort belassen, doch dann sagte sie sich, dass er ein Recht darauf hatte, die Wahrheit zu erfahren.

„Sie sind schon lange weg. Es ist schon über ein Jahr her, seit sie abgezogen sind... und du bist damals mit ihnen gegangen", sie brach ab, wusste nicht, wie sie weiter erklären sollte.

Vorsichtig hob sie den Blick. Josh starrte sie fassungslos an.

„Aber...warum", begann er schließlich, brach jedoch ebenfalls ab. Es waren einfach zu viele Fragen, die er ihr jetzt hätte stellen können. Er versuchte, seine Gedanken zu ordnen und langsam gelang es ihm zumindest so weit, dass er die wichtigste Frage stellen konnte.

„Warum bin ich dann hier und weiß davon nichts?"

Leya senkte den Blick. Sie hatte natürlich gewusst, dass er das fragen würde und hatte versucht, sich eine Antwort darauf zurechtzulegen. Doch jetzt, da er die Frage tatsächlich gestellt hatte, waren alle möglichen Antworten die ihr vorher eingefallen waren wie weggeblasen.

„Es... ist viel geschehen", sagte sie schließlich und versuchte sich an den Ratschlag aus dem Lexikon zu halten, dass sie ihm nichts erzählen dürfe, „und gewisse Umstände haben... dazu geführt..."

Erneut brach sie ab und senkte den Blick. Sie konnte seine Augen, die sie fragend ansahen nicht mehr ertragen. Doch als sie den Blick gesenkt hatte spürte sie den Blick weiter auf sich liegen. Sie holte tief Luft und beendete schließlich ihren Satz: „das du dein Gedächtnis verloren hast"

Sie starrte auf ihre Hände, die sie in ihrem Schoß verkrampft hatte und wartete auf eine Reaktion. Es war ihr egal, wie diese ausfallen würde, Hauptsache er würde reagieren. Doch zunächst wartete sie vergebens.

Josh starrte sie einfach nur an. Sein Gehirn weigerte sich zu verstehen, was sie eben gesagt hatte und er selbst weigerte sich es zu glauben.

„Partielle Amnesie", sagte er schließlich in einem Tonfall wie er nüchterner nicht hätte sein können.

Leya sah ihn geschockt an. Er klang, als würde es ihn gar nichts angehen, als würde er über einen völlig Fremden sprechen. Schließlich gelang es ihr, zu nicken.

„Ja", sagte sie, „partielle Amnesie über etwas mehr als ein Jahr"

Auch ihre Stimme hatte, ohne ihr Zutun und ohne dass sie es wollte, einen neutralen Tonfall angenommen.

Josh sah sie schweigend an. Seine Miene war nicht zu deuten. Langsam nickte er und sah dann an die Decke. Leya ignorierte er völlig. Für sie sah es aus, als wäre er vollkommen in seiner eigenen Welt versunken. Sie presste die Lippen aufeinander und stand hastig auf. Josh drehte noch nicht einmal den Kopf, um nach ihre zu sehen.

„Ich... es... tut mir leid", sagte sie schließlich und verlies, so schnell sie konnte, den Raum. Die Tür fiel lauter ins Schloss, als es in einem Krankenhaus üblich gewesen wäre, doch Josh starrte weiter an die Decke.

Verbissen kämpfte sich Lottie hinter Ruby durch den Wald. Sie waren schon eine ganze Weile unterwegs, doch Amber und Jay, die die Gruppe anführten schienen nicht einmal an eine Pause zu denken.

„Wohin gehen wir eigentlich?", fragte Lottie schließlich Ruby.

Diese drehte sich um und wartete bis Lottie gleichauf mit ihr war.

„Wir gehen in die Stadt, aus der diese Leya kam", sagte sie. Ihre Augen waren in die Richtung gerichtet, aus der sie kamen, ihr Blick war traurig. Lottie legte den Kopf schief und sah Ruby fragend an. Diese zwang sich zu lächeln.

„Es ist nichts", beantwortete sie Lotties unausgesprochene Frage. Mit fröhlicherer Stimme fügte sie hinzu: „Los, gehen wir weiter, sonst verlieren wir noch die anderen und die müssen uns schon wieder suchen"

Gehorsam setzte Lottie sich wieder in Bewegung. Ruby warf noch einen Blick zurück, seufzte leise und folgte ihr dann.

Weiter vorn trug Trudy Brady. Die Kleine war eine Weile tapfer mitgelaufen, doch jetzt war es ihr zu viel geworden. Erschöpft erreichte Trudy eine Anhöhe und sah sich um. Amber und Jay waren schon weit vorn und auch die meisten der anderen hatten sie inzwischen überholt. Nur Gel, Sammy, Ruby und Lottie schienen noch hinter ihr zu sein. Sie sah sich weiter um. Ein Stückchen entfernt befand sich ein kleines Häuschen, offenbar unbewohnt. Das, überlegte Trudy wäre doch ein idealer Platz für eine Rast. Vielleicht konnten sie sogar noch etwas zu essen finden.

Trudy ging etwas schneller weiter, um Amber dies vorschlagen zu können. Schnell ging die den Abhang hinunter, kurz vor ihr waren May und Salene unterwegs. Plötzlich spürte sie, wie sie mit dem Fuß hängen blieb. Sie sah nach unten und sah eine Wurzel. Sie wollte den Fuß zurückziehen, doch es war zu spät. Brady kreischte entsetzt auf, als sie sah, wie sie sich schnell dem Boden näherte. Sie hob ihre Ärmchen und landete auf den Knien und Händen. Ihr Gesicht verzog sich, als sie spürte, dass sie sich die Knie aufgeschabt hatte. Sie setzte sich auf und drehte den Kopf. Ihre Mama war neben ihr hingefallen. Brady zupfte ihr an der Schulter, doch ihre Mama schien zu schlafen. Brady sah sich weiter um. Plötzlich erkannte sie zwei andere die auf sie und ihre Mama zurannten und wild durcheinander riefen.

Die Beiden hockten sich neben ihre Mama und die eine von den beiden, die mit den roten Haaren streichelte Brady über die Wange, die beruhigt lächelte.

Die Beiden Mädchen riefen nach Trudy, doch die schien noch immer zu schlafen. Schließlich wurde Brady von dem Mädchen mit den roten Haaren hochgehoben und von ihrer Mama weggebracht.

„Alles in Ordnung", sagte das Mädchen und Brady lächelte sie an und nickte tapfer.

„Warte hier, ja?", fügte Salene noch hinzu und rannte dann zu May zurück, die versuchte, Trudy zu helfen. Gerade als Salene bei ihr ankam schlug Trudy die Augen auf. Ruckartig richtete sie sich auf, hatte dabei aber offenbar Schmerzen, denn sie zuckte zusammen. Salene hockte sich zu ihr und nahm sie in den Arm.

„Wo ist Brady?", fragte Trudy.

„Da drüben", antwortete Salene und zeigte auf die Kleine, die sich auf die Wiese gesetzt hatte und vergnügt Blumen pflückte.

Trudy lächelte erleichtert und schloss die Augen halb.

Salene sah sich um und entdeckte das Haus, dass auch Trudy schon entdeckt hatte. Vielleicht wäre es das Beste, Trudy erst einmal dahin zu bringen. Salene sah erst zu Amber und Jay, die schon fast außer sich waren und von dem Unfall nichts bemerkt hatten. Dann sah sie zu May und zeigte ihr das Haus. May drehte sich um und nickte dann.

„Wir müssen den anderen Bescheid sagen", sagte sie zu Salene.

In diesem Moment tauchten die Nachzügler auf der Spitze des Hügels auf. Gel sah Trudy auf dem Boden liegen, kreischte auf und rannte nach unten. Schließlich wollte sie nichts verpassen. Sammy folgte ihr nicht viel langsamer.

Salene drehte sich zu ihm um.

„Sammy, geh zu Amber und sag ihr, dass Trudy einen kleinen Unfall hatte und das es das Beste wäre, wenn wir erst einmal zu dem Haus da drüben gehen würden."

Sammy nickte hastig, erfreut einen Auftrag zu haben, sah dann aber zu Gel, als müsse er erst um Erlaubnis bitten, sich entfernen zu dürfen. Diese sah ihn an und schimpfte los: „Worauf wartest du eigentlich noch?"

Sammy drehte sich augenblicklich um und rannte Amber und den anderen nach. Salene und May tauschten einen belustigten Blick aus und halfen Trudy dann, aufzustehen.

„Gel, du wirst auf Brady aufpassen. Und wehe es passiert ihr etwas", ordnete Salene an und sah Gel scharf an. Diese nickte etwas eingeschüchtert und ging dann zu Brady. Sie hielt ihr eine Hand hin, um ihr beim Aufstehen zu helfen. Brady sah sie verwundert an und starrte dann auf die Hand. Gel seufzte, griff Brady unter die Arme und stellte sie auf die Füße. Dann nahm sie ihre Hand und ging wieder zu Salene, May und Trudy. Brady folgte ihr breitwillig, auch wenn sie etwas Schwierigkeiten hatte, Schritt zu halten.

Mit Hilfe von May und Salene, die sie auf beiden Seiten stützten ging Trudy langsam auf das Haus zu.

Der Wald wurde lichter und Slade konnte eine kleine Ansiedlung vor sich erkennen. Es handelte sich um eine Ansammlung kleinerer Häuser, die offenbar unbewohnt waren. Nach der ganzen Zeit im Wald war er froh, wieder eine Straße und überhaupt Zeichen einer Zivilisation zu sehen. Er war halt einfach kein Naturmensch.

Er ging auf die Siedlung zu und bog in die Straße ein. Wie er erwartet hatte war das Dorf nicht mehr bewohnt. Er sah sich um und ging dann weiter. Als er an einem Haus ankam, das nicht so sehr zerstört zu sein schien wie der Rest sah er neugierig hinein. Drinnen war es fast völlig dunkel, doch was er in dem spärlichen Licht erkennen konnte, deutete nicht darauf hin, dass hier in letzter Zeit jemand gewesen war.

Er trat einen Schritt zurück, um aus dem Haus herauszukommen und drehte sich dann um.

„Langsam würde ich dir raten", sagte eine Stimme hinter ihm und er sah sich plötzlich einem großen Messer gegenüber, dass genau auf seine Kehle ausgerichtet war. Das Messer wurde von einem Mädchen gehalten. Sie stand breitbeinig vor ihm, das Messer in beiden Händen. Offenbar hatte sie mehr Angst als er, doch in ihren Augen blitzte Entschlossenheit. Slade beschloss, sich nicht zu wehren und hob langsam die Arme.

Als er sich friedlich zeigte entspannte sich die Haltung es Mädchens wieder und sie wurde etwas selbstsicherer.

„Wer bist du?", fragte sie barsch.

„Ich heiße Slade. Und wer bist du?", antwortete Slade.

Das Mädchen kniff zornig die Augen zusammen und fuchtelte mit dem Messer vor ihr herum.

„Ich stelle hier die Fragen", schrie sie ihn an. Dann trat sie einen Schritt zurück.

„Komm mit", sagte sie. Ihre Augen verfolgten jede seiner Bewegungen, als er einen Schritt nach vorn trat. Dann deutete sie mit dem Messer die Straße hinunter und Slade setzte sich in Bewegung.

Er hätte leicht fliehen oder sich wehren können, doch es interessierte ihn, wer sie war und was sie mit ihm vorhatte. Vielleicht hatte sie sogar nützliche Informationen über Ebonys Verbleib für ihn.

Die Augen des Mädchens irrten hin und her, sie sah in alle Richtungen, als würde sie etwas suchen oder sich vor etwas fürchten. Dennoch trieb sie Slade weiter die Straße hinunter.

„Ich finde, wir sollten noch einmal reingehen", sagte ein Junge, der wie ein Techno gekleidet war, zu seinen Kumpanen.

„Ja", pflichtete ihm ein anderer bei. „Und? Ziehen wir wieder Streichhölzer?", fügte er hinzu, als die anderen nickten.

„Ach was, du hast das sehr gut gemacht das letzte Mal", sagte er erste und klopfte dem, der neben ihm saß auf den Rücken. Dieser sackte unter dem Hieb seines kräftigen Kumpels etwas zusammen. Er selbst war schmächtig gebaut, trug eine Brille und sah sehr schüchtern aus. Niemand hätte ihn als eine Bedrohung angesehen.

„Wenn ihr meint", sagte er schließlich mit leiser Stimme.

Keiner sagte etwas dagegen, als er aufstand und auf einen Raum zuging. Als er die Tür öffnete rief ihm einer der anderen noch „Viel Spaß" hinterher und er drehte sich noch einmal um und grinste breit.

Dann schloss er die Tür hinter sich und befand sich in einem fast völlig dunklen Raum, in dem nur ein Stuhl in der Mitte beleuchtet war. Auf diesen Stuhl setzte er sich und lehnte sich zurück. Er dachte einen Moment nach, bevor sich auf seinem Gesicht ein grausames Lächeln ausbreitete. Ja, genau so würde er es machen.

Syl betrat das Krankenhaus und sah, wie Leya aus einem Zimmer gestürzt kam und schnell den Gang entlang ging, fast schon rannte. Ihr Gesicht war von Verzweiflung gezeichnet.

Entschlossen trat Syl ihr entgegen und sprach sie an.

Leya zuckte zusammen und starrte in Syls Gesicht. Dann, als hätte sie einen Moment gebraucht um sie zu erkennen, sagte sie leise Syls Namen. Sie drehte sich halb herum, ging einen Schritt rückwärts und lies sich schwer auf einen der Stühle fallen, die im Gang standen.

Schnell setzte sich Syl neben sie.

Leya starrte die Wand gegenüber an. Syl war neugierig, doch sie kannte Leya lange genug um zu wissen, dass sie sie besser nicht ansprechen, sondern warten sollte, bis Leya von sich aus anfing zu sprechen. Schließlich blinzelte Leya und sah sich um. Als ihr Blick dem von Syl begegnete, starrte sie ihr in die Augen.

„Was soll ich nur tun, Syl?", sagte sie leise. Obwohl sie Syl angesprochen hatte wirkte es, als habe sie eher sich selbst gefragt.

Sie beugte sich nach vorn, stützte die Ellenbogen auf den Oberschenkeln ab und legte den Kopf in die Hände. So starrte sie zu Boden und merkte nicht einmal, wie sich eine einzelne Träne aus ihren Augen löste und ihr Gesicht entlang lief, bevor sie auf den Boden tropfte, wo der Teppich das salzige Wasser in Sekundenschnelle aufsaugte.