Kapitel 2: Entscheidung

„Wo ist sie?"

Draco ließ langsam den Arm sinken, der die Tür aufgestoßen hatte.

Sein Atem ging rasselnd. Er war den ganzen Weg von den Kerkern bis hier her gerannt.

„Ich möchte eine Antwort haben, oder sprechen wir ab sofort nur noch in Mittelrumänisch miteinander?", fauchte er die drei Personen vor sich kalt und eindringlich an.

„Malfoy!", zischte Snape und sah ihn strafend an.

Aber Draco beachtete ihn einfach nicht, ging einen Schritt weiter in den Raum hinein und ballte die Hände zu Fäusten.

„Mr. Malfoy, wem sie bitte nicht so einen Aufstand machen würden! Sie wissen selber sehr genau, wo Mrs. Druther ist. Also, regen sie sich ab und dann sind wir gerne bereit, ihre Fragen zu beantworten", herrschte Professor McGonagall ihn an, was auch endlich Wirkung zeigte.

Draco riss sich zusammen und setzte seine kalte gefühlslose Maske auf, während

die Hauslehrerin von Griffindor energisch mit den Fingern schnipste und ein Sessel erschien, auf den sich Draco missmutig fallen ließ.

„Guten Morgen Mr. Malfoy! Wir können auch gleich anfangen", mit diesen Worten wandte sich Dumbledore nun an alle, „Heute Morgen sind zwei Briefe in meinem Büro angekommen" Er machte eine Pause und sah Draco direkt an, wessen Gesichtszüge sich nicht einen Millimeter bewegten.

Es hätte es wissen müssen. Dieses Wochenende hatte seine Mutter Geburtstag, einen besseren Augenblick hätte er nicht aussuchen können.

ER.

Draco wurde schlagartig kalt.

Eine Angst, welche er schon seit langen versuchte zu unterdrücken kam wieder hoch.

„Einer war an Evelyn Druther, einer an dich, Draco, adressiert", sagte der Schulleiter ruhig.

Draco wich seinem Blick nicht aus. Er hatte sich damit auseinander gesetzt und war nun bereit, zu entscheiden.

„Ich denke, dass wir alle wissen, was in beiden Briefen, wenn auch abgewandt, stand", fuhr Dumbeldore fort und Snape trat mit großen Schritten vor. Vor Draco hielt er an und überreichte diesem einen weißen Briefumschlag mit einem silbernen Siegel.

Mit steifen Fingern nahm Draco den Brief entgegen. Er konnte förmlich spüren, wie eine Last sich mit dem Umschlag, welchen er krampfhaft festhielt, auf ihn legte.

„Doch eins verstehe ich nicht", setzte der Schulleiter wieder an, „warum Evelyn?"

Er horchte auf. Sie hatte es ihm nicht erzählt?

Dumbeldore sah ihn interessiert an.

Draco wusste warum. Evelyn hatte ihm alles erzählt, was sie wusste.

Und wenn man bedenkt, wie lange sie gebraucht hatte, um überhaupt etwas in Erfahrung zu bringen, war es wenig.

Sehr wenig.

Wenn sie nicht erzählt hatte, durfte er dann etwas preisgeben?

Schließlich hatte sie es ihm anvertraut, nur ihm.

„Ihre Eltern waren Todesesser, fielen aber beim schwarzen Lord in Ungnade und mussten ihr Leben lassen. Das war vor zwei Jahren. Damals fand man auch Evelyn, aber bis dahin müssten sie ja aufgeklärt sein", antwortete Draco den fragenden Blicken der drei erwachsenen Zauberer. Der Älteste nickte zustimmend.

Innerlich stritt Draco immer noch mit sich, ob er ihnen die Wahrheit erzählen sollte.

Die eine Seite sagte „Ja".

Schließlich war Draco ja auch mit der Bitte um Schutz vor seinem Vater und den Todessern zu dem Schulleiter gekommen. Das war ganz am Anfang des Schuljahres gewesen. Es war sein sechstes Jahr, er war sechzehn, eigentlich hätte Draco schon in den Sommerferien aufgenommen werden sollen. Doch sein Vater hatte keine Zeit, das Ministerium war ihm dicht auf den Fersen.

Dumbeldores Schutz schien ihm zu diesem Zeitpunkt der einzige Weg zu sein, der Ernennung zum Todesser zu entfliehen. Ein Schutz, der ihm auch nicht verwehrt wurde.

Wofür Draco auch Dankbar war.

Und doch hatte es sich zurückgezogen.

Er war sich nicht sicher, ob dieser Schutz reichen würde. Draco kannte seinen Vater.

Wenn der etwas wollte bekam er es.

„Das Ministerium hat Nachforschungen erstellt, aber viel ist dabei nicht herausgekommen. Wie sie sicher wissen, hatte sie Bekanntschaft mit einem Amnesie-Zauber gemacht als man sie fand. Folglich hatte sie keine Erinnerungen", erklärter er weiter.

Doch all dies war dem Schulleiter schon bekannt, was Draco auch wusste. Doch er war sich immer noch nicht sicher, ob er die Anwesenden einweihen durfte.

Warum misstraute Evelyn Dumbeldore?

Kurz nachdem Draco mit dem Schulleiter geredet hatte, hatte er Evelyn kennen gelernt.

Sie war von Ministerium erstmal nach Hogwarts abgeschoben worden, weil die Leute besseres zu tun hatten, als sich um die Vergangenheit einer 15-jährigen zu kümmern.

Irgendwann hatte sie über den dunklen Lord und sein Gefolge geredet.

Nachdem Draco ihre Geschichte gehört hatte, hatte er ihr geraten zu Dumbeldore zu gehen.

Was sie auch tat.

Doch am nächsten Tag war sie zu ihm gekommen und hatte ihm gesagt, dass der Schulleiter nicht alles wisse und nicht alles wissen sollte. Dabei hatte Evelyn es belassen und hatte nie wieder ein Wort darüber verloren.

„Sie war schon eine Todesserin bevor sie nach Hogwarts kam."

Innerlich seufzte Draco auf.

Die Gesamtsituation konnte nur noch besser werden.

Er beobachtete, wie Professor McGonagall hörbar verschreckt die Luft einzog und Snape tonlos auflachte.

Nur Dumbeldore blieb vollkommen ruhig.

„Und wie, wenn ich fragen darf, hast du das in Erfahrung gebracht?"

Er sah Draco forschend an.

„Ich habe garnichts getan", erwiderte Draco kühl. Sein Stolz erlaubte es ihm nicht, Schwäche zu zeigen. Und während er die Professoren weiter aufklärte, ging er in Gedanken alle möglichen Folgen durch, die dieser Brief mit sich zog.

„Evelyn suchte mich vor zwei Wochen auf, um mir mitzuteilen, dass sie nach und nach Bruchstücke ihres Gedächtnisses wiedererlangte. Und das, woran sie sich erinnerte, machte ihr offen gesagt Angst. So wie es aussieht, scheint sie im Gefolge der dunklen Lords eine hohe Position gehabt zu haben, die sie sich anscheinend auch im Laufe der Zeit erarbeitet hatte."

Aus dem Gesicht der Hauslehrerin von Gryffindor war inzwischen alle Farbe gewichen.

Um genau zu sein sah sie inzwischen sehr krank aus.

Snape dagegen nahm es mit Fassung; Er wusste, dass der Lord nicht zurückschrecken würde, eine Minderjährige für sich arbeiten zu lassen. Zu Mal ihre Eltern ebenfalls in seinem Dienst gestanden hatten.

Doch sie hatten ihr Leben verspielt und da hatte Nachschub hergemusst.

„So etwas habe ich mir schon gedacht", flüsterte Dumbledore in die Stille hinein und auf einmal wirkte er genauso alt wie er war.

Müde und schwach saß er zusammengesunken auf seinem Sessel und schwieg mit geschlossenen Augen.

McGonagall sah ihn besorgt an, doch Snape betrachtete ihn wie etwas Abstoßendes; Auch er war dazu erzogen worden nie Schwäche zu zeigen.

„Was wirst du tun?"

Draco, der gedankenverloren in das Feuer im Kamin geschaut hatte richtete seine Augen nun auf seinem Schulleiter.

„Evelyn ist gegangen, oder?"

Seine Stimme war ruhig, und obwohl die Augen des Schulleiters geschlossen waren, glaubte Draco zu spüren, dass dieser ihn trotzdem beobachtete.

Von Seiten Dumbledores kam keine Reaktion auf die Frage.

Nichts.

Ein zustimmendes Nichts.

Etwas, was unausgesprochen mehr mitteilte, als irgendein Wort je in der Lage gewesen wäre zu überliefern.

„Ich werde gehen."

Mit diesen drei Wörtern stand Draco, den ungeöffneten Brief immer noch krampfhaft festhaltend, auf und verließ ohne einen weiteren Blick zu den Professoren den Raum, gefolgt von einem erdrückenden Schweigen und einigen mitleidigen Blicken.