Der Plan
Draco fühlte sich unwohl, als sie den Kerker verließen, der sich, praktischerweise, auf der Rückseite des Ausbildungszentrums befand.
Seine Gelenke schmerzten; In seiner Zelle war er feucht und stickig gewesen.
Evelyn lief ohne sich umzusehen schon um das Gebäude herum, Draco folgte ihr etwas weniger entschlossen. Um ihn herum herrschte eine beklemmende Stille.
Irgendwas war nicht in Ordnung, und als er Evelyn dann folgte, und auf den menschenleeren Platz trat, beschlich ihn eine beunruhigende Vorahnung.
„Evelyn", rief er etwas unsicher, und versuchte zu übersehen, wie fremd seine eigene Stimme in dieser Stille klang.
Die Angesprochene, welche schon den Apparier-Kreis erreicht hatte, blieb stehen, und drehte ihren Kopf halb über ihre Schulter.
Der Blick, den sie ihm zuwarf, sagte deutlich aus, wie sie über überflüssige Fragen dachte.
Draco schluckte trocken, und beeilte sich, neben sie zu treten. Solche Blicke war er von ihr nicht gewöhnt, und nach ihrem Verhalten im Kerker würde er es strikt vermeiden, ihr irgendeinen Grund zu geben, mit ihm dasselbe zu tun, was sie schon mit ihrem Vater getan hatte.
„Was?", zischte sie scharf über die Schulter hinweg.
„Sie… greifen jetzt… heute an?", flüsterte er und wünschte sich doch es nicht getan zu haben. Denn Evelyns Augen verengten sich und einen Moment lang überlegte sie wahrscheinlich darüber nach, dass er eh nur lästig war, doch dann wandte sie sich von ihm ab.
„Ab jetzt sprichst du nur noch, wenn du gefragt wirst", sagte sie kalt, griff nach seinem Arm und sofort wurde Draco schwindelig. Seine Umgebung schien sich für ein paar Sekunden bizarr zu verzerren, dann klärte sie sich wieder, und er fand sich in einem dunklen Wald wieder.
Hastig zog Draco die frische, kalte Nachtluft ein, genau das, was er jetzt brauchte.
Dann richtete er sich voll auf und sah sich um.
Als er nach links sah, wo er Evelyn vermutete, erstarrte er.
Evelyn verbeugte sich grade, und als er seinen Blick weiter schweifen ließ, erkannte er die Konturen einer hochgewachsenen, dürren Gestalt, die halb im Schatten eines Baumes stand.
Evelyn würde sich eigentlich nur vor einer Person verbeugen.
Ein Schauer lief Draco bei diesem Gedanken über den Rücken, doch er beherrschte sich.
Und ohne lang darüber nachzudenken, kniete er sich neben sie.
„So, du hast dich also schließlich doch dazu entschlossen, dich mir zu verschreiben", sprach ihn eine kalte, raue Stimme an.
Moment, wozu entschlossen?
War nicht der eigentlich Plan, dass Evelyn ihn hier raus holen wollte?
Hatte sie ihn reingelegt?
Würde sie ihm das antun…?
Draco drückte sich vor der Antwort, und zog es vor, sich zu überlegen, wie er jetzt vorgehen sollte.
„Nun gut", vernahm er wieder die Stimme, und dieses Mal hob Draco leicht den Kopf, um den Sprechenden ansehen zu können.
Beinahe hätte er einen Schrei ausgestoßen. Die Person, die jetzt lasziv neben dem Baum stand, sah mehr tot als lebendig aus. Das Gesicht eingefallen und abgemagert, die ineinander verschränkten Finger knorrig und unmenschlich schlank.
Das sollte der Magier Lord Voldemort sein?
Doch bevor Draco in die Erzählung seines Vaters über einen stolzen, prächtigen und mächtigen Lord der Finsternis versinken konnte, hievte ihn eben dessen Stimme zurück in die Realität.
„Evelyn wird dich einweisen. Wir sehen uns dann später", und dann verschwand der Lord geräuschlos in der Dunkelheit.
Einen Moment blieb Draco regungslos, dann fuhr er voller Wut herum, um eigentlich Evelyn anzufahren, doch ein Ruck vereitelte sein Vorhaben.
Evelyn hatte sein Handgelenk gepackt und zog ihn grob hinter sich her.
Draco musste sich darauf konzentrieren, nicht hinzufallen und mitzukommen, und verschob deswegen seine Fragen und Vorwürfe.
Ein paar Minuten lang folgte er Evelyn schweigend durch den Wald, der ihm unheimlich bekannt vorkam, und langsam fragte er sich, welche Rolle er wohl in Voldemorts Plan einnehmen würde.
Draco sollte es schneller erfahren als er dachte, denn in diesem Augenblick tauchte unmittelbar vor ihnen ein mannshohes, dunkles Zelt auf.
Evelyn zog ihn einfach hinter sich in das Zelt, welches innen von einer Öllampe erleuchtet wurde.
„Was-", fing Draco an, doch Evelyn brachte in mit etwas Druck abrupt zum stillstehen, und als sie, ohne ihn direkt anzusehen, auch ihren Zauberstab auf ihn richtete, schwieg er lieber freiwillig.
„Nihil dolorosus", flüsterte sie, während sie den Zauberstab genau auf sein Herz richtete.
Dann sah sie ihn mit leicht schief gelegtem Kopf an und lächelte überlegen.
„Jetzt kommt der Teil, der dir nicht gefallen wird, mir dagegen umso mehr…"
Draco war nicht in der Lage klar zu denken, sein Kopf war benebelt, und er fühlte sich leicht benommen.
Wie durch einen Schleier hindurch beobachtete er, wie Evelyn etwas silbrig Glänzendes in ihrer Hand drehte, und kurz darauf spürte er, wie etwas Scharfes seinen linken Oberarm durchbohrte.
Aus einem Reflex heraus, zuckte er zusammen, doch dann merkte er überrascht, dass er überhaupt keine Schmerzen hatte.
Irritiert sah er Evelyn an, die lächelnd den Dolch sehr langsam aus seinem Fleisch zog.
„Es macht nicht halb so viel Spaß, wenn die Opfer nicht vor Schmerz schreien", sagte sie dann drehte sich weg und seufzte fast traurig.
Draco wollte diese Pause nutzen um etwas zu sagen, als Evelyn sich umdrehte und wieder mit dem Dolch ausholte.
Eigentlich erwartete Draco, dass er jeden Moment wie sein Vater hinten überfiel, aber als er an sich herab sah, bemerkte er verstört, dass sie nur sein Hemd ausgeschlitzt hatte.
„So, und nun folgt auf das Vergnügen die Arbeit. Hör zu", ihre Stimme wurde immer leiser, und ihre Augen sahen ihn entschlossen an. Draco, immer noch benommen, hatte auch keine andere Wahl als sie anzusehen, denn sie hatte eine Hand auf seine Schulter gelegt und hinderte ihn mit leichtem Druck daran, sich wegzudrehen.
„Der eigentlich Plan ist, dass du zum Schloss gehst und erzählst, dass zu mit mir geflohen bist, mich aber im Wald verloren hast, weil uns Todesser jagten. Damit hättest du deine Pflicht getan. Natürlich ist dass eine Falle; Überall am Waldesrand versteckt liegen die Anhänger auf der Lauer, und glaub mir, sie werden alles töten, was sich auch nur im entferntesten nähert, oder, um genauer zu sein, nach mir sucht. Mein Vorschlag wäre, sich ihnen von hinten zu nähern, am besten Leute aus dem Dorf zu kontaktieren, oder Auroren, damit rechnen sie nicht. Außerdem wird gleichzeitig auch das Ministerium, Askaban und der unglaublich geheime Aufenthaltsort für Muggelgeborene in Brighton angegriffen", flüsterte sie kalt lächelnd.
„Warum… „, weiter kam er nicht, sie legte ihm einen Finger auf den Mund.
„Aber, aber. Du sollst doch nicht einfach drauf los sprechen. Ich erzähle dir das alles, damit du eine Entscheidung treffen kannst. Entweder, du spielst mit, und sorgst dafür, dass eins der größten, wenn auch leicht vom Wahnsinn angehauchten, Genies die Macht erlangt. Oder aber, du verrätst uns, sorgst dadurch wahrscheinlich für die Ermordung des Lords und seinen Anhängern, und wirst mich nie wieder sehen, da ich für gewöhnlich immer darauf bedacht bin, das größte Kapital aus allen zu schlagen, was hier zum Beispiel wäre, sich im Tumult zu verdrücken und unterzutauchen", hauchte Evelyn schlussendlich fast, winkte ihm spielerisch zu und verließ das Zelt mit einem selbstgefälligen Lächeln.
Draco, nur noch etwas benebelt, dafür umso mehr verwirrt, fand sich allein in dem Zelt vor, als er sich wieder in dem hier und jetzt einfand.
Eigentlich war für ihn ja klar, was er jetzt tun würde. Aber eine kleine, wenn auch leise Stimme, hallte in seinem Kopf immer wieder.
Du wirst sie nie wieder sehen…
Natürlich, diese Stimme war nicht laut genug, als die, die ihm sagte, er solle in die Schule rennen und allen sagen, dass sie von mordlustigen Todessern umstellt waren.
Aber irgendwie war diese Stimme dann doch stark genug, um bei ihm ein flaues Gefühl im Magen zu verursachen.
Doch es gab jetzt wichtigeres.
Eigentlich hatte sich Draco aus Muggelgeborenen nie viel gemacht, doch hier ging es ihm um weitaus mehr; Um Hogwarts, der einzige Ort, in dem er sich sicher fühle wenn er seine Augen schloss und einen Moment lang nicht aufmerksam war.
Also schob Draco das Unwohlsein einfach auf die Vorstellung, dass er gleich möglichst fertig und gehetzt aussehend zum Schloss laufen musste, um bei den Anhängern und deren Anführer keinen Verdacht zu wecken.
Auch wenn seine Entschlossenheit ein wenig wankte, trat er aus dem Zelt, um sich von einem davor wartenden, schwarz eingehüllten Todesser durch den verbotenen Wald zum Rand führen zu lassen.
