Kapitel 1

16. August, 1990

Der Tag, an dem ich dich das letzte Mal offen angelächelt habe…

Ich kann mich immer noch an alles erinnern, obwohl es schon Jahre zurück liegt.

Vielleicht hat sich dieser Schock in meinen Erinnerungen eingebrannt.

Oder auch nicht.

Ich habe keine Ahnung.

Doch wenn sich etwas eingebrannt hat, dann ist es das Feuer in deinen Augen.

Die lodernde Flamme in dem Eisgrau deiner Augen.

Meiner Augen.

Die Leidenschaft, die immer da war, verborgen hinter deiner Maske.

Nur wenn ich dich angelächelt habe.

Vielleicht bilde ich mir das aber nur ein.

Aber seitdem ich nicht mehr lächle, bleiben deine Augen kalt.

Eiskalt…

„Warte Draco, ich bin nicht so schnell!", höre ich deine Stimme hinter mir.

Ich bleibe in der Luft stehen, sehe hinab.

„Komm wieder runter, wir dürfen nicht so hoch fliegen!"

Ich drehte den Besen in der Luft und sehe zu dir.

Du schwebst ein Stück unter mir.

Langsam komme ich runter zu dir.

Deine Haare sind noch nicht so lang, sie reichen dir gerade bis zur Schulter.

Du bist ja auch gerade erst neun.

Genau wie ich.

„Hast du Angst?", frage ich leise.

Ich bin jetzt vor dir.

Du siehst mir in die Augen.

In deine Augen.

„Wenn ich Angst habe, dann um dich", antwortest du ernst.

Du warst schon damals so erwachsen und vernünftig.

Damals, vor sieben Jahren.

Macht wohl Mutters Erziehung.

„Du musst keine Angst haben! Ich kann auf mich aufpassen. Und auf dich pass ich auch auf", sage ich selbstsicher.

Und ich lächle.

Wenn ich damals gewusst hätte, dass es mein letztes Lächeln für dich sein würde, hätte ich dir ein längeres geschenkt.

Und dass Feuer in deinen Augen lodert als Antwort.

Aber woher hätte ich das wissen sollen?

Ich drehe mich um und fliege weg.

„Los, versuch doch mich einzuholen!", rufe ich über die Schulter.

Du rollst mit den Augen.

Schon immer habe ich es geliebt, dich herauszufordern.

Aber du folgst mir, wenn auch um einiges vorsichtiger als ich.

Wir fliegen über das Haus, die Gärten und die Wiesen.

Irgendwann spüre ich, wie du müde wirst.

Du bleibst nicht auf der Strecke, oder schwangst.

Ich muss dich auch nicht ansehen.

Ich weiß es einfach.

Genauso wie du.

Wir hatten schon immer eine besondere Bindung.

Wir fühlen wie der andere, spüren, und manchmal sehen wir auch aus den Augen des Anderen.

Schließlich haben wir dieselben.

Auf jeden Fall werde ich langsamer und lande an einer der Seitenwände des Hauses.

Dort stehe ich im Schatten und warte ich auf dich.

Du landest ruhig neben mir.

Deine Wangen sind von der frischen Luft gerötet.

„Deine Haare sind total zerzaust", sage ich frech und grinse breit.

„Deine sehen nicht gerade besser aus!", gibst du schmollend zurück.

„Warte", sage ich leise und zupfe ein bisschen an deinen Haaren herum, bis alles wieder einigermaßen richtig aussieht.

Ich lasse mir Zeit, streife deine Wange so oft es geht.

Es fühlt sich so richtig an, meine Haut auf deiner.

Nachdem ich fertig bin, hilfst du mir.

Mit neun waren wir noch gleichgroß.

Überhaupt sahen wir uns zum verwechseln ähnlich.

Eigentlich war der einzige Unterschied, dass deine Haare länger waren.

Gerade in dem Moment streichst du mir die letzte Strähne hinters Ohr.

Ich greife nach deiner Hand, die du zurückziehen wolltest, und presse sie gegen meine Wange.

Es ist schön deine weiche Haut zu spüren.

Ich versuche, diesen Moment voll auszukosten und schließe meine Augen halb.

Dein Gesicht färbt sich noch einen Ton tiefer.

„Draco, du weißt was Vater dazu sagt", flüsterst du traurig und siehst auf den Boden.

Ich lasse meine Hand langsam sinken und als ich deine loslasse, siehst du mich wieder an.

Ich nicke nur stumm.

„Wir sollten zu Mutter gehen. Tante Bellatrix ist bestimmt schon da".

Der traurige Ausdruck auf deinen Augen macht der kalten, gefühllosen Maske platz, die wir normalerweise immer zur Schau tragen.

Nur wenn wir alleine sind, dann nicht.

Das war schon immer so.

Wird es sich je ändern…?

Ich nicke erneut und setzte auch meine Maske auf.

Wie immer, wenn ich dich berührt habe, geht mir dieses Gefühl nicht aus dem Kopf, dieses Prikeln, dass sich in meinen Gedanken ausbreitet, und der Wunsch nach Nähe, der jeden Versuch sich abzulenken zu nichte macht.

Hintereinander, mit dem Besen in den Händen, laufen wir an der Hauswand entlang, bis zu der Ecke, wo die Terrasse anfängt.

Kurz vor der Ecke hältst du plötzlich an und presst dich gegen die Wand.

„Und für welche Schule habt ihr euch jetzt entschieden? Ich meine, lange dauert es ja auch nicht mehr, dieses Jahr werden sie zehn, und langsam müsst ihr sie ja auch anmelden", hörte ich die krächzende Stimme meiner Tante im Plauderton.

Aus einem Reflex heraus drücke ich mich neben dir gegen die Wand.

Ich merke, wie deine Hand nach meiner greift.

Du zitterst.

Ich drücke deine Hand einmal fest, um dir Mut zu machen.

Auch ich weiß, dasa das, was wir jetzt hören werden, nicht erfreulich sein wird.

Aber damit haben wir beide gerechnet, es war nur eine Frage der Zeit, bis dieser Tag kommen würde.

„Weißt du, wir haben uns entschieden, die beide auf unterschiedliche Schulen zu schicken", vernahm ich die bedrückte Stimme meiner Mutter.

Ich höre dich tief einatmen.

Auch mein Herz hat ausgesetzt.

Du drehst dich zu mir und legst deinen Kopf auf meine Schulter.

Leise fängst du an zu weinen.

Ich hasse in diesem Moment meine Eltern.

Seit diesem Augenblick.

Und ich hasse sie immer noch.

Niemand hat das Recht, dich zum weinen zu bringen.

Mein Körper verkrampft sich.

Wut steigt in mir hoch, doch ich bleibe ruhig.

Ich hatte mir so etwas gedacht, doch der Schock hatte mich doch tiefer getroffen, als ich gedacht hatte.

Sanft streiche ich dir über den Rücken und nehme dich in den Arm.

Ich spüre deine Tränen, wie sie langsam über dein Gesicht laufen.

Wir waren in unserem ganzen Leben noch nicht einen einzigen Tag getrennt.

Während du verzweifelt um Fassung ringst, lausche ich weiter den Worten meiner Mutter und meiner Tante.

„Ihr wollt sie wirklich trennen? Ich habe gehört, dass das bei gleichaltrigen Geschwistern nicht sehr gut sein soll", sagt Bellatrix fachmännisch.

Gleichaltrige Geschwister!

Wir sind Zwillinge, verdammt!

Wollt ihr dass nicht wahrhaben?

Warum sprecht ihr dieses Wort nicht aus?

„Ich weiß, was du meinst. Aber Lucius sagt, sie hätten eine viel zu enge Bindung. Und es würde Dracos Erziehung schaden. Er könnte ihn nicht unterrichten, wenn er immer ein Mädchen um sich rum hat", flüstert Mutter.

Sie hatte Angst vor Vater.

Er wollte nur einen Erben.

Dass seine Frau Zwillinge bekommen hatte, und dazu noch einer davon ein Mädchen war, konnte er nicht akzeptieren.

Er behandelte dich, als wärst du nicht da.

Verbittert löse ich meine Arme von dir.

Du machst einen Schritt zurück und siehst beschämt zu Boden.

Du schämst dich, weil du geweint hast.

Verstohlen wischst du dir über die Augen.

Warum geniert du dich? Vor mir, deinem Bruder?

Glaubst du wirklich, ich würde das zulassen?

Glaubst du wirklich, ich würde dich alleine lassen?

Meinst du, nur weil sie uns trennen, vergesse ich dich?

Abschätzend sehe ich dich an.

Traust du mir das zu?

Ich weiß genau, dass du fühlst, was ich denke.

Ich muss nichts sagen, Worte sind überflüssig.

Mein Blick verhärtet sich.

Heute weiß ich, dass ich dir damals Unrecht tat, auch wenn ich es nur gedacht hatte, dich hat es trotzdem sehr verletzt.

Du blickst auf.

Siehst mit in die Augen.

Sie sind Kalt.

Du hast deine Maske auf, ich weiß nicht was du denkst.

Du schüttelst kaum merklich den Kopf.

Sie könnten uns trennen und in die entlegensten Punkte der Welt verbannen, ich würde dich nie alleine lassen.

Dass weißt du.

Nebeneinander gehen wir auf die Terrasse.

Sie reden inzwischen über belangloses Zeug.

Der Tag, an dem ich dich das letzte mal offen anlächelte…