Auf dem Rummel

Von draußen war laute Musik und das helle Piepen dutzender Spielautoamten zu hören. Der Duft von Gebratenem und Gesottenem lag in der Luft und konkurrierte mit dem süßen Duft von gebrannten Madeln und Zuckerwatte um hungrige Kunden. Von überall her stürmten tausende Eindrücke auf ihn ein, nur dass er so absolut gar nichts sehen konnte.

„Jetzt reicht es mir.", dachte Kon genervt und rückte das abscheulich rosa Ding neben sich soweit weg, wie es nur irgendwie möglich war. „Ich hab die Schnauze voll von dem Job. Nicht genug, dass ich in diesem Körper stecke, der eine recht misslungene Kreuzung aus einem Teddybären und einem Löwen darstellt. Das ist zu viel." Er streckte ärgerlich die stumpfen Krallen nach dem Ding neben sich aus.

„Oh, du weißt gar nicht, wie sehr ich mich freue, Ichigo Der ist soo süß.", hörte Kon Rukias Stimme von draußen durch den Ranzen dringen. „Alle anderen werden so neidisch auf mich sein."

„Glaubst du.", kam die brummige Antwort von dem Jungen, dem der Ranzen gehörte. Ichigo Kurosaki, 15 Jahre, Schüler und im Moment Ersatz-Shinigami, bis sie einen Weg fanden, auf dem Rukia Kuchiki ihre Kräfte von ihm zurückbekommen konnte. „Wenn irgendjemand das gesehen hat, bin ich geliefert.", murmelte der Junge noch und ausnahmsweise musst Kon ihm Recht geben.

Er mochte seine „Schwester" Rukia mehr als jeden anderen Menschen auf der Welt, aber das hier ging wirklich zu weit. Unruhig zappelte er in der engen Tasche hin und her. „Ich will auch was sehen.", verlangte er.

„Keine Chance, du bleibst da drin.", schnappte Ichigo von draußen. „Nicht genug, dass ich hier rumlaufe wie ein Trottel. Ich werde es bestimmt nicht mit einem Stofftier auf dem Arm tun."

„Rukia, Schwester", klagte Kon. „Es war doch deine Idee hierher zu kommen. Bitte hol mich raus."

„Zu gefährlich", kam die sonst so liebliche Stimme Rukias sehr bestimmt zurück. „Wenn wir dich verlieren, ist Ichigo nicht mehr in der Lage sich alleine zu verwandeln. Das können wir nicht riskieren:"

Verzweifelt stützte Kon den Kopf in seine Plüsch-Pfoten. Sie hatte natürlich recht, wie immer. Wenn Ichigo seinen Körper verließ um in seiner Shinigami-Form gegen die Hollows, die bösen Geister, zu kämpfen, übernahm Kon seine Rolle und somit auch seinen Körper. Das waren die wenigen Momente, in denen Kon als Mensch unter Menschen leben konnte. Leider hatte ihm Ichigo sehr eindringlich klar gemacht, dass er nicht wünschte, dass Kon in dieser Zeit irgendwelchen Spaß hatte. Keine Verabredungen, keine Mädchen, keine Orgien in Karamel-Bonbons.

Naja, bei dem letzten hatte es Kon vielleicht ein wenig übertrieben. Aber er hätte Ichigo die Bauchschmerzen gerne abgenommen, wenn der ihn gelassen hätte. Ungerechterweise hatte er daraufhin, Kon über Nacht aus dem Fenster hängen lassen. Während es regnete.

Das, so hatte sich Kon geschworen, würde er ihm nie verzeihen. Er mochte im Moment im Körper eines Kuscheltieres stecken, doch das hieß nicht, dass er keine Gefühle hatte. Aber er war ja nur der, der keinen Spaß haben durfte. Aber immer noch besser, als sich ganz vernichten zu lassen, wie es für modifizierte Seelen wie ihn eigentlich vorgesehen war.

„Ich werde ihn Chappy nennen.", überlegte Rukia gerade laut.

„WAS?", keuchte Ichigo entsetzt. „Das ist nicht dein Ernst. Nicht einmal meine kleine Schwester Yuzu gibt ihren Kuscheltieren noch Namen."

„Aber er sieht doch aus wie Chappy.", antwortete Rukia entrüstet. „Er ist süß, er ist knuddelig und außerdem erinnert er mich an zuhause."

„Also schön.", knurrte Ichigo und Kon war sich sicher, dass er schon wieder diese Sachen mit seinen Augenbrauen tat. Das war immer das Schwerste, wenn Kon ihn vertrat. Ichigo hatte verlangt, dass Kon ihn so echt wie möglich nachmachte, was hieß, das Kon in Ichigos Körper gezwungen war, andauernd die Augenbrauen zusammenzukneifen und böse zu gucken. Dabei war Kon doch jedes Mal so froh, endlich Beine zu haben, die länger als zehn Zentimeter waren. Schließlich lag die besondere Stärke seiner Modifizierung in besonders schnellen und kräftigen Beinen. Es war ungerecht, dass er seine Zeit damit verschwenden musste, sich ernt zu benehmen.

Die Tasche, in der er saß wurde heftig gerüttelt. „Hast du gehört, Kon, dein neuer Bruder heißt Chappy. Chappy, das Kaninchen." Der Sarkasmus, der aus Ichigos Stimme troff war nicht zu überhören.

Missmutig betrachtete Kon das rosa Ungetüm ihm gegenüber. Starre Knopfaugen starrten ihn unaufhörlich an und ein breiter, gestickter Mund bedachte ihn mit- in Kons Augen höhnischen- Grinsen. Ebenso musste Ichigo jetzt aussehen. Er ging seelenruhig mit Rukia über diesen Rummelplatz, während Kon hier drin hockte und wahlweise Gespräche mit sich selber oder einem rosa Stoffkaninchen führen konnte.

„Pass bloß auf, dass ich dieses Ding nicht aus Versehen aus dem Ranzen werfe, wenn sich jemand nähert, der dich kennt. Wenn ich dir schon peinlich bin, was würden dann deine Freunde zu einem rosa Kaninchen sagen?", versuchte er sich zumindestens an Ichigo zu rächen.

„Wenn du das machst, stopfe ich dich in ein Tamagotchi.", knurrte Ichigo und schüttelte die Tasche erneut. „Oder in einem Gameboy. Hast du mich verstanden."

Kon wurde blass unter seinem Fell. Tagaus tagein diese schreckliche Musik hören zu müssen oder jedes Mal einen neuen Tod zu sterben, weil jemand vergaß ihn zu füttern, das wollte er nun bestimmt nicht. In diesem Körper konnte er sich wenigstens von alleine bewegen.

„Ob du mich verstanden hast, will ich wissen.", motzte Ichigo nun. Er hatte den Ranzen von seiner Schulter genommen, geöffnet und schaute mit ärgerlichem Gesicht durch die Öffnung zu Kon und seinem Plüschkameraden herein.

„Ichigo, du siehst dämlich aus, wenn du mit deiner Tasche sprichst.", stellte Rukia leidenschaftslos fest und verfiel im selben Atemzug in begeistertes Zwitschern. „Sieh doch, da ist Inoue. Sie und Arisawa-san kommen hier herüber."

„Was?", rief Ichigo entsetzt und ließ die Tasche mit Kon darin fast fallen bei dem Versuch, sie möglichst schnell wieder zuzubekommen.

„Halt, ich will auch was sehen.", beschwerte sich Kon, der sich über den Anblick von Orihime Inoue durchaus gefreut hätte. Das Mädchen verfügt über zwei ganz exquisite Vorderbauten, die Kon auf mit Plüschpfoten gerne mal erkundet hätte.

„Klappe, Kon.", schnauzte Ichigo ihn an und es war wieder dunkel um den Unglücklichen in seinem Gefängnis.

„Kuchiki-san! Kurosaki-kun!", hört Kon Orihime rufen. „Ihr seid auch hier auf dem Rummel. Das ist aber ein Zufall, das wir uns treffen."

„Ja klar.", murmelte Ichigo. „Weil ja sowieso nur die halbe Schule hier ist. Warum hab ich mich darauf nur eingelassen."

„Weil man sich auch mal amüsieren muss.", wies Rukia ihn zurecht. „Wer gut kämpfen will, muss seine Kräfte regenerieren, damit seine Leistung nicht nachlässt."

„Ach ja?", zischte Ichigo zurück. „Und deshalb musste ich vorhin eine geschlagenen Stunde vor diesem dummen Greif-Automaten herumhängen um dir diesen Stoffhasen da rauszuholen."

„Taktische Kriegsführung und Geduld müssen ebenso geschult werden, wie die körperliche Kraft. Aber das verstehst du erst, wenn du älter bist.", flüsterte Rukia noch zurück und verstummte dann.

Zu Kons Freude konnte Ichigo aber nicht mehr widersprechen, denn inzwischen waren Orihime und ihre beste Freundin Tatsuki herangekommen und die Mädchen begrüßten sich ausgiebig mit den üblichen Floskeln, die eine höfliche Konversation einleiteten.

„Ihr beide seid oft zusammen unterwegs.", konnte Kon von Tatsuki hören.

„Ich habe ihr nur die Gegend gezeigt.", verteidigte Ichigo sich. Er versuchte immer zu vermeiden, dass irgendjemand heraus bekam, dass er Rukia kannte. „Sie ist als Austausch-Schülerin schließlich fremd hier und hat mich gebeten, sie zu begleiten, damit sie nicht alleine gehen muss."

„So…", stellte Tatsuki fest. „Dabei hätte es sicherlich noch andere Kandidaten dafür gegeben, nicht wahr?"

„Ach was weißt du schon.", fuhr Ichigo sie an, doch Kon hörte einfach nicht mehr hin. Was jetzt kam war nicht interessanter als ein Gespräch mit dem rosa Ding, das hier mit ihm zusammen saß. Ichigo und Tatsuki würden sich mal wieder streiten, bis der Rotschopf eins von ihr auf die Mütze bekam. Wie langweilig! Dabei hätte es da draußen so viele Möglichkeiten gegeben, sich zu amüsieren.

„Streitet euch doch nicht.", warf Orihime jetzt fast flehentlich ein. „Wir können doch alle zusammen Spaß haben."

Oh, wie Kon diese Mädchen doch liebte. Sie und ihre…

„Kommt gar nicht in Frage, ich gehe jetzt nach hause.", fauchte Ichigo und an den Erschütterungen konnte Kon ablesen, dass er sich tatsächlich umdrehte dabei war, den Jahrmarkt zu verlassen. Das passte Kon überhaupt gar nicht. Er war zwar nicht wirklich mit von der Partie, aber wenigstens hätte er sich vorstellen können, wie es wäre da draußen mit den anderen zu sitzen. Er hätte den Duft des Popcorns einatmen können und sich daran erinnern können, wie es schmeckte. Er hätte den Gesprächen lauschen können und ein klitzekleines Bisschen durch den Spalt in Ichigos Tasche spähen können, was sich von der Unterseite des Tisches sicherlich spannend gestaltet hätte.

Frustriert ballte er seine kleine, mit Plastik-Krallen bewährte Pfote. Diesmal würde er sich den Spaß von Ichigo nicht vermiesen lassen. Sollte dieser Langweiler doch nach hause gehen und sich verkriechen. Er, Kon, würde sich jetzt amüsieren.

Vorsichtig stieg er über seinen rose Plüschkameraden, streckte seine Pfote aus dem Ranzen und öffnete den Verschluss. Ichigo hatte inzwischen angefangen zu laufen und merkte von all dem nichts. Kon winkte dem schrecklichen, rosa Kaninchen noch ein letztes Mal zu und tat einen entschlossenen Satz ins Leere.

Hart prallte er auf dem Asphalt auf und überschlug sich ein paar Mal. Als er sich aufsetzte, sah er gerade noch Ichigo um die Ecke verschwinden. ´Na bitte, wer sagt´s denn.´, dachte Kon zufrieden, sah sich vorsichtig um und ging erst einmal hinter einer Mülltonne in Deckung. „Agent Kon in geheimer Mission.", wisperte er einem halben Kohlkopf zu. „Codename: Popcorn.", und so schnell ihn seine kurzen Beine trugen eilte er zurück zum Rummelplatz.