Unerwartete Unterstützung
„Ichigo!", gellte ein entsetzter Schrei durch die Nacht.
Kon wirbelte herum und sah, dass Rukia auf sie zu rannte, an ihm vorbeilief und sich sofort zu dem am Boden liegenden Ichigo hinabkniete, um ihn zu untersuchen.
„Nee-san?", fragte er vorsichtig, als er ihr ernstes Gesicht sah. „Ist alles in Ordnung?"
Rukias Kopf schnellte in die Höhe. „Sieht es vielleicht aus, als wäre alles in Ordnung?", schnappte sie wütend. „Verdammt Kon, wir haben zwei Verletzte und du fragst mich, ob alles in Ordnung ist? Mach dich nützlich! Kümmere dich um Inoue und Arisawa!"
Kon schluckte schwer und wollte noch etwas erwidern, doch dann trollte er sich lieber. Wenn Rukia wütend war, ging man ihr lieber aus dem Weg, es sei denn, man war sehr masochistisch veranlagt. Kon wusste nur zu gut, wozu sie fähig war, er hatte es oft genug am eigenen Leib erleben dürfen; was seiner Zuneigung zu ihr jedoch keinen Abbruch tat. Lieben bedeutete eben auch Schmerzen zu ertragen.
Während er ging, versuchte er sich an diesen neuen Körper zu gewöhnen. Er war anders als Ichigos. Kon hatte das Gefühl, dass er irgendwie empfindlicher war, sein Sichtfeld schien größer zu sein und die Muskeln waren alle gut trainiert. In mancherlei Hinsicht war er besser geeignet als Ichigos um einen körperlichen Kämpfer wie Kon zu beherbergen. Prüfend bewegte Kon sich ein paar Mal und vergaß dabei völlig, wo er eigentlich war. Er atmete tief ein und nahm den Geruch der Straße und des herannahenden Regens wahr. Unwillkürlich schloss er die Augen und vernahm eine leichte Blumennote, die sich in die Gerüche mischte. Parfüm?
Er öffnete die Augen wieder und sah, dass er nun nahe vor Orihime stand, die ihn aufmerksam beobachtete. Als er ihr in die Augen sah, war Erkennen darin. Das überraschte ihn. Sollte sie sich tatsächlich an ihr erstes Treffen erinnern? Er erinnerte sich noch gut daran, aber da er damals in Ichigos Körper gesteckt hatte, hatte er nicht angenommen, dass jemand ihn wieder erkennen würde. Wenn er sonst in der Schule saß, hielt er den Kopf meist gesenkt oder sah aus dem Fenster. Ichigo mochte es nicht, wenn er mit jemandem sprach. Er meinte, es sei schlecht für sein Image.
„Ich kenne dich.", stellte Orihime schließlich fest. Sie kniete immer noch auf dem Boden und hatte die Seele ihrer Freundin auf dem Schoß. Unsicher trat er von einem Fuß auf den anderen Wie sollte er ihr erklären, was da gerade geschehen war? Er wollte ihr nicht wehtun, aber sie würde die Wahrheit sowieso irgendwann erfahren.
„Ich…", begann er und brach dann ab. Er war sonst sehr gut im Reden, zu gut, wie Ichigo oft genervt feststellte, aber das hier war etwas anderes. Das war nichts, worüber man lachen und Witze machen konnte. Dort, wo die Klaue des Hollows Tatsuki getroffen hatte, klaffte ein Loch in ihrer Brust, dahinter waberte Dunkelheit. Kon fröstelte. Anscheinend hatte der Hollow tatsächlich nicht gelogen. Sie würde sterben und im schlimmsten Fall sogar zu einem Hollow werden. Wenn sie Glück hatte, wurde sie vorher nicht mehr wach. Kon wollte ihr nur ungern erklären müssen, dass er jetzt in ihrem Körper steckte. Er konnte sich ihre Reaktion bildlich vorstellen.
„Du warst in dem Löwen, nicht wahr?", fragte Orihime Kon und musterte ihn immer noch aus großen Augen. „Aber du warst auch schon mal bei uns in der Schule. Wer bist du?"
„Mein Name ist Kon.", sagte er und setzte sich kurzerhand neben sie, um die Straße besser im Blick zu haben. „Ich gehöre zu Rukia."
„Du nanntest sie Schwester; ich hab´s gehört.", nickte Orihime. „Bist du auch ein Geist?"
Ein Geist, ja so könnte man ihn auch bezeichnen. „So etwas Ähnliches.", erklärte er bereitwillig. „Ich bin eine Seele ohne Körper." Es war schön, in so einer Situation mit jemandem reden zu können.
„Ach…", sagte Orihime nur und sah dann auf Tatsuki hinab. „Und jetzt bist du in Tatsukis Körper?"
Kon zuckte ein wenig zusammen und wartete darauf, dass sie ihn jetzt mit Vorwürfen überschütten würde, doch sie sah ihn nur weiter an.
„Ja", bestätigte er schließlich. „Ich bin jetzt hier drin."
„Das muss lustig sein.", überlegte Orihime und legte die Stirn in kleine Falten. „Ich würde auch gerne mal jemand anders sein. Vielleicht ein Filmstar oder unsere Lehrerin."
Kon musste lächeln. „Ganz so einfach ist das nicht.", sagte er traurig. „Ich weiß nämlich nicht, ob es einen Weg gibt, das wieder rückgängig zu machen. Wenn es ganz schlimm kommt, ist sie…" er sprach nicht weiter, doch anscheinend schien Orihime diesmal zu verstehen. Sie sah ihn ernst an.
"Du meinst, Tatsuki könnte sterben?", flüsterte sie ungläubig. „Nein, das kann nicht sein. Wir müssen ihr helfen. Hörst du? Wir müssen ihr helfen."
Kon versuchte aufmunternd zu lächeln und legte den Arm um sie „Ich bin sicher, wir finden einen Weg. Rukia wird einen Rat haben. Du wirst sehen, Prinzessin, es wird alles gut."
Als sie sich vertrauensvoll an ihn lehnte, begann sein Herz schneller zu schlagen. Nein, nicht sein Herz, aber es war trotzdem ein gutes Gefühl. Langsam strich er ihr durch die Haare. Er kam nicht umhin zu bemerken, dass er sich schon zum zweiten Mal an diesem Abend in nicht unweiter Entfernung von Orihimes körperlichen Vorzügen befand, auch wenn er sich tatsächlich ein bisschen schäbig vorkam, ausgerechnet jetzt an so was zu denken. Aber Kon war der Meinung, dass man durchaus das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden konnte, wenn sich eine Gelegenheit ergab. Aber ein echter Gentleman genießt eben schweigend und so wünschte er sich einfach nur, dass dieser Moment nie vergehen würde.
Dummerweise schien er das Schicksal nicht auf seiner Seite zu haben.
„Sieh an, wen wir da haben.", flötete eine bekannte Stimme hinter Kon. „den kleinen Unruhestifter."
Reflexartig sprang Kon auf. Vor ihm stand der Händler, der Kon damals an Rukia verkauft hatte. Unwillkürlich machte Kon noch einen Schritt zurück. Der Mann mit dem eigenartigem gestreiften Hut und den ewig klappernden Getas war Kon ein wenig unheimlich. Der Blick, der ihn aus den durch den Hut beschatteten Augen traf, war ebenso intensiv wie ahnungsvoll. Offensichtlich wusste e schon längst, wen er vor sich hatte. Unbehaglich sah Kon zu dem Spazierstock, den der Händler immer bei sich hatte. Wenn der Mann es darauf anlegte, war Kon schneller wieder aus diesem Körper draußen, als ihm lieb war.
Doch offensichtlich hatte der Mann andere Pläne. Lächelnd verbeugte er sich vor Orihime. „Guten Abend, junge Dame. Ich würde mir Eure Freundin gerne mal ansehen, wenn ich darf."
Auf Orihimes Nicken hin beugte er sich zu Tatsuki hinab und untersuchte vorsichtig das Loch in ihrer Brust. „Das sieht böse aus.", murmelte er vor sich hin. „Da müssen wir sofort etwas unternehmen."
Er wandte sich an Kon. „Diese Seele muss sofort wieder in ihren Körper zurück. Wo ist Kuchiki-san?"
„Sie… sie ist bei Ichigo.", stotterte Kon. Irgendwie hatte er das Gefühl, sich verteidigen zu müssen. „Es gab einen Kampf und Ichigo ist verletzt worden, glaube ich. Auf jeden Fall ist er ebenfalls bewusstlos. Und ich kann gar nichts dafür, das hat er sich alles selbst zuzuschreiben. Ich…"
Eine herrische Handbewegung schnitt ihm das Wort ab. „Du plapperst. Jetzt ist nicht die Zeit dafür. Außerdem bekommen wir Besuch."
Jetzt erst hörte Kon, die herannahenden Sirenen von Polizei und Feuerwehr. Die Zerstörung der Straße war anscheinend doch nicht so unbemerkt geblieben, wie es zunächst den Anschein gehabt hatte. Wahrscheinlich würde die Straße in den nächsten Augenblick voller Menschen sein.
„Inoue-san", richtete sich der Man nun wieder Kons Begleiterin. „Ich würde vorschlagen, dass wir eurem trauten Heim einen Besuch abstatten, bevor wir zu viele Zuschauer bekommen. Wäre euch das Recht?"
Orihime nicht nur und der Mann stand wieder auf. Wie ein Feldmarschall begann er die Aufgaben zu verteilen und zu Kons Erstaunen hatte noch nicht einmal Rukia etwas einzuwenden. Ihre besorgten Augen klebten förmlich an Ichigo und Kon spürte einen leichten Stich der Eifersucht. Doch dann packte er Tatsukis Seele fester und folgte Sado, der inzwischen wieder seine Rolle als Orihimes Träger eingenommen hatte.
Vor der Tür von Orihimes unscheinbarem Mietshaus erwartete sie eine neue Überraschung. De schnurrbärtige Riese, der, wie Kon wusste, ebenfalls im Laden des Unheimlichen arbeitete, wartete bereits mit Ichigos Körper auf sie. Noch an Orts und Stelle verschmolz der merkwürdige Händler Ichigo wieder mit seinem Körper und hieß „Tessai", wie er ihn nannte, den leblosen Jungen nach oben zu bringen.
Orihime dirigierte ihre Besucher in den ersten Stock und begann vor der Tür hektisch nach ihren Schlüssel zu suchen, den sie kurz darauf freudestrahlend in ihrem Strumpf fand.
Kon blieb an der Tür noch kurz stehen. In dem dunklen Flur roch es nach Bohnerwachs und Katzen. Hinter ihm waren lediglich Rukia und der komische Händler. Sie redeten leise miteinander.
Rukia runzelte ärgerlich die Stirn. „Ihr schreckt wohl vor nichts zurück, Urahara.", sagte sie gerade.
Er lächelte katzenhaft. „Aber mitnichten, Kuchiki-san. Ich bin nur gerne vorbereitet. Die Aktivitäten diese Nacht waren einfach nicht zu übersehen und ich dachte mir schon, dass Euer kleiner Kämpfer sich dabei ein wenig übernehmen könnte."
„Er ist nicht mein Kämpfer.", fauchte sie ärgerlich zurück. Dann bemerkte sie, dass Kon immer noch an der Tür stand. „Was?", fauchte sie.
„Dieser Hollow…", begann Kon zögernd. „Er hat gesagt, dass bereits Modifizierte Seelen in den Kampf gegen die Hollows geschickt wurden und dass er einmal eine von ihnen war. Ich wüsste nur gerne… ich wüsste gerne, ob er die Wahrheit gesagt hat."
Rukia verzog das Gesicht zu einer ärgerlichen Grimasse. „Natürlich stimmt das nicht. Keine Seele dieses Programms hat jemals Soul-Society verlassen. Ich wunder mich, dass du einen solchen Blödsinn glaubst." Damit rauschte Rukia an Kon vorbei und er war mit dem unheimlichen Händler alleine.
Die Augen des Mannes schienen in der Dunkelheit zu glühen. „Ich will dir einen Rat geben, Kon.", sagte er leise. „Manche Wahrheiten sind nicht für alle Ohren bestimmt. Es stimmt, was dir der Hollow sagte, doch sei gewarnt. Du wirst dir mit dieser Wahrheit mehr Feinde machen, als du verkraften kannst. Und nun sei brav und vergiss die ganze Sache einfach. Es ist besser für euch alle."
Kon schluckte. Die Warnung war mehr als deutlich gewesen. „Wird er zurückkommen?", fragte er trotzdem. Möglicherweise würde der Hollow erneut versuchen, ihn zu 'überreden'. Oder er würde Rache wollen. Kon musste einfach wissen, ob er weiterhin eine Gefahr für die anderen darstellte.
„Unwahrscheinlich.", brummte der Mann in versöhnlichrem Ton und trat noch einen Schritt auf Kon zu, so dass dieser sein Gesicht erkennen konnte. „Und wenn, werden andere da sein, um sich mit ihm zu befassen. Du brauchst dir keine Sorgen mehr zu machen."
Das Lächeln, das nun auf dem Gesicht des Mannes zu erkennen war, überzeugte Kon. Wer war er schon, dass er sich in die Geschäfte von Soul-Society einmischte. Erleichtert betrat Kon als Letzter die Wohnung und schloss leise die Tür hinter sich.
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Ichigo träumte. Dass er träumte, wusste er, denn normalerweise würde er nie im Leben barfuss über eine Wiese mit rosafarbenden Häschen laufen und Blumen pflücken. Das war so schwachsinnig, dass er stehen blieb und eines der Häschen böse anstarrte.
„Was machst du in meinem Traum?", zischte er das Tier an. „Scher dich gefälligst in Rukias Träume." Höchstbefriedigt beobachtete er, wie das Kaninchen platzte und als rosa Wolke am Horizont verschwand. Eins weniger.
Aber eigentlich hatte er wohl wichtigere Probleme, als sich mit der merkwürdigen Landschaft in seinem Unterbewusstsein zu beschäftigen, er musste den anderen helfen. Nur: Wie kam er hier raus?
Missmutig stapfte er durch das saftige Gras und kickte die Kaninchen vor seinen Füßen, die sich nicht schnell genug in Sicherheit brachten. Er wollte aufwachen, aber irgendetwas hielt ihn hier offensichtlich in Gaga-Land fest.
„Hey!", rief er aufs Geratewohl. „Ist hier jemand? Ich würde gerne aufwachen."
„Warum tust du es dann nicht einfach?", fragte eine Stimme zu seinen Füßen. Als Ichigo hinunterblickte, sah er eines der Kaninchen, das genüsslich an einem Gänseblümchen knabberte.
„Ach ja, und wie soll ich das anstellen?", fauchte Ichigo das Kaninchen an. Jetzt musste er sich schon mit Hasen unterhalten. Doch das Kaninchen drehte ihm einfach den Rücken zu und hoppelte davon.
„Hey, ich rede mit dir!", rief Ichigo ich hinterher, machte zwei lange Schritte und hob das Tier hoch. Er schüttelte es ein paar Mal. „Sag mir sofort, wie ich hier wieder rauskomme!"
„Wie wär´s denn hiermit?", grinste das Kaninchen und biss ihn kräftig in den Finger.
„AUA!", brüllte Ichigo, fuhr hoch und steckte sich den Finger in den Mund. „Sag mal, spinnst du?"
„Ich habe doch gesagt, dass es funktionieren würde." sagte mit einem Mal eine Stimme hinter Ichigo und als er sich umdrehte, wurde er mit einem nicht besonders willkommenen Anblick belohnt.
„Guten Abend, Kurosaki-kun.", sagte der Mann und steckte die Akkupunkturnadel, mit der er Ichigo offensichtlich gerade so charmant geweckte hatte. Seine Augen waren wie üblich im undurchdringlichen Schatten seines fürchterlichen, grün-gestreiften Hutes verschwunden. Ichigo selbst saß auf einem Sofa, auf dessen Lehne der Typ nun niederließ und begann, sich mit seinem Fächer Luft zuzufächeln, obwohl es mitten in der Nacht war.
„Angenehme Träume gehabt?", fragte er lächelnd.
Ärgerlich rieb Ichigo sich die Hand. „Der Sandalen- und- Hut-Typ!" brummte er. „Ja danke, es war ganz nett."
Neugierig sah Ichigo sich um. wenn er die Hinweise richtig deutete, waren sie in Orihimes neuem Zuhause. Er entdeckte neben ein paar Blumen und einer Schale mit Räucherwerk ein Foto ihres Bruders. In einer anderen Ecke des Zimmers saß Sado und fühlte sich offensichtlich nicht recht wohl in seiner Haut. Als er sah, dass Ichigo ihn ansah, winkte er matt und fuhr fort, mit etwas Buntem zu spielen. Etwas erstaunt, dass Sado ihn nun anscheinend sehen konnte, sah Ichigo an sich herab und stellte fest, dass er sich weder in seinem Körper befand.
„Wie…", begann er eine Frage und wurde sofort wieder unterbrochen.
„Ich war so frei, ihn mitzubringen.", gab der Mann neben Ichigo bereitwillig zur Auskunft und lächelte immer noch. „Ich dachte mir, das könnte nützlich sein."
Ichigo warf ihm einen bösen Blick zu. Der Kerl war listig wie eine Katze und dabei schlüpfrig wie ein Aal. Wahrscheinlich war es besser, sich nicht auf ein Wortgefecht mit ihm einzulassen.
„Wo ist Rukia?", versuchte er das Thema zu wechseln.
„Kuchiki-san ist nebenan und versorgt die verletzte Seele.", wurde er erneut von dem Sandelen-Typ informiert. Seine Stimme nahm jetzt einen schärferen Ton an. „Ich hatte euch gewarnt, aber ihr wolltet die modifizierte Seele ja unbedingt behalten. Aber wenn ich helfen kann, bin ich natürlich zur Stelle." Der Mann gönnte ichigo einen erneuten Blick auf seine blitzenden, weißen Zähne.
„Moment mal.", fuhr Ichigo auf. „Mit wessen Fehler hat das Ganze denn eigentlich angefangen. Außerdem, was heißt 'verletzt'?"
Noch bevor er von dem merkwürdigen Kerl eine Antwort erhielt war Ichigo von seiner Liegestatt aufgesprungen und durch die offene Tür in das Nebenzimmer gestürmt. Dor fand er Rukia neben einem Bett sitzen, auf das sie Tatsuki gelegt hatte. Leise trat er neben das Bett.
„Was ist mit ihr?", fragte er tonlos, denn eigentlich hatte er da Problem bereits entdeckt. Auf Tatsukis Brust befand sich eine wabernde, dunkle Stelle, die in etwa die Größe einer Pflaume hatte.
„Der Hollow hat sie verletzt.", erklärte Rukia. Ichigo konnte die leichte Anspannung in ihrer Stimme hören. Ich bin dabei, die Wunde zu heilen, bevor wir sie versuchen können, sie ihren Körper zurückzubringen. Wenn ich es nicht tue, könnte sie sich trotzdem in einen Hollow verwandeln. Aber…"
Ichigo kniete sich nun ebenfalls neben Rukia vor das Bett. Er legte ihr die Hand auf die Schulter und drehte sie zu sich herum. Sie war blass und auf ihrer Stirn standen kleine Schweißtropfen.
„Du musst dich ausruhen.", sagte er bestimmt.
„Das kann ich nicht", fauchte sie ärgerlich. „Wenn ich das Loch nicht bald schließe, wird es sich wieder ausbreiten und dann kann s nichts und niemand mehr aufhalten. Und jetzt geh und lass mich in Ruhe."
Ärgerlich verschränkte Ichigo die Arme vor der Brust. Er machte sich doch nur Sorgen um sie, was sollte denn daran so falsch sein?
Einen Moment lang herrschte Schweigen in seinem Kopf. Hatte er das tatsächlich gerade gedacht? Aber je mehr er darüber nachdachte, desto mehr konnte er die Wahrheit darin erkennen. Er machte sich tatsächlich Sorgen um sie. Und vor allem Sorgen darüber, dass sie irgendwann nicht mehr da sein könnte. Er hatte sich inzwischen so sehr an sie gewöhnt, dass ihm der Gedanke daran, dass ihr etwas zustoßen könnte, tatsächlich etwas ausmachte.
Er entdeckte einige Flaschen n einer Ecke des Raumes, die ihm vage bekannt vorkamen. Er hatte so ähnliche schon bei Rukia gesehen, doch sie hatte sie ihm au der Hand gerissen, bevor er entziffern konnte, worum es sich handelte. Ichigo ging hin und nahm eine von ihnen in die Hand. „Was ist das?", fragte er neugierig.
„Soma-Fixer.", informierte Rukia ihn knapp. „Damit werden wir Tatsukis Seele wieder in ihren Körper fixieren. Ich hoffe, es klappt. Andernfalls haben wir ein Problem."
„Ist es so schlimm?", wollte Ichigo wissen und trat wieder an das Bett.
Rukia wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und sah ihn geradeheraus an. „Ziemlich. Wenn wir es nicht schaffen, wird sie sterben. Aber es sieht gut aus. Die Wunde ist fast verschlossen." Ein kleines Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Keine Angst, ich werde nicht zulassen, dass ihr etwas passiert."
Ichigo nickte nur. Jedes weitere Wort wäre Verschwendung gewesen. Er hätte ihr gerne etwas von der Arbeit abgenommen, doch er wusste, dass er wirklich nicht mehr tun konnte. Zum Heilen war Dämonenmagie nötig und davon verstand er nun mal nichts. So trat er wieder in das andere Zimmer und ging stattdessen zu Sado hinüber, ohne den Mann auf dem Sofa auch nur eines Blickes zu würdigen.
„Alles klar bei dir?", fragte er seinen großen Freund. „Bist du auch verletzt?"
„Nein.", brummte der und lugte unter seinem dichten Pony hervor. „Mir geht es gut. Es ist nur alles etwas… verwirrend."
Ichigo ließ sich neben Sado an die Wand fallen. „Das glaube ich dir.", seufzte er. „Was ist denn eigentlich passiert? Bevor wir kamen, meine ich."
Sado überlegte eine Weile. Dann begann er stockend zu erzählen. Vom Rummel , Orihimes Unfall und dass sie den kleinen Löwen mitgenommen hatten. Dass der mit einem Mal sprechen konnte und dass dann die Straße explodiert war.
„Das war wieder eines von diesen Geister-Dingern, nicht wahr?", schloss Sado seine für ihn sogar recht ausführliche Erzählung. „Und es wollte den Geist haben, der in dem Kuscheltier wohnte."
„Es wollte was? Der Hollow war also tatsächlich hinter Kon her?", echote Ichigo. „Aber warum?"
Ein undurchdringlicher Blick aus der Richtung des Sofas traf Ichigo. Ichigo war sich sicher, dass der Typ mit dem Hut mal wieder mehr wusste, als er zugab. Aber Ichigo würde ihm nicht den Gefallen tun und ihn fragen.
Mit einem Mal erschien Rukia an der Tür. Sie sah müde aus, aber auch zufrieden. „Ich habe es geschafft. Wir können anfangen. Holt mal jemand Kon?"
Ich gehe schon.", erbot sich Ichigo und verließ eilig das Zimmer. Im Flur entdeckte er Licht unter einer Tür, hinter der leise Stimmen erklangen. Er blieb kurz stehen um zu lauschen, bevor er kofschüttelnd die Tür ganz öffnete. Es wurde Zeit, dass er dem Treiben da drin ein Ende bereitete.
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Nachdenklich betrachtete Orihime den zerfetzten Plüschkörper. „Das muss wehgetan haben.", meinte sie schließlich.
„Ziemlich!", bestätigte ihr Gegenüber. „Aber für Euch nehme ich das gerne in Kauf, Prinzessin. Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss."
Orihime kicherte. „Das klingt im Moment aber ziemlich komisch."
Missmutig sah Kon an sich herab. „Naja, hat auch Vorteile.", grinste er. „Jetzt weiß ich, dass Tatsuki keinen BH trägt."
„Das will ich gar nicht wissen.", rief Orihime lachende und wurde trotzdem rot bis über beide Ohren. „Ein Mann sollte sich auch nicht mit der Unterwäsche von Damen beschäftigen."
„Das ist aber ein interessantes Thema.", necke Kon und versuchte, nach Orihimes Hand zu greifen. „Ich würde gerne noch ein wenig bei dem Thema bleiben."
Hastig zog sie ihre Hand zurück und ließ dabei den Plüschlöwen fallen, Bei dem Versuch, ihn unter dem Tisch hervorzuholen, stieß sie sich den Kopf und kippte schließlich vom Stuhl. Unter dem Tisch traf sie auf Kon, der ihr bereitwillig das Kuscheltier hinhielt. „Suchst du etwas mich?", grinste er.
„Du bist frech.", rügte sie und drohte ihm lachend mit dem Zeigefinger.
„Oh, ich würde ich auch erziehen lassen.", schmachtete er zurück und Orihime musste schon wieder kichern. Der Kerl war eigentlich ganz nett und er brachte sie zum Lachen.
Wie er da so saß und sie anlächelte, war es schwer vorstellbar, dass er tatsächlich in dem Stofftier gesteckt hatte. Andererseits war es auch merkwürdig mit jemandem zu reden, der zwar aussah wie ihre beste Freundin, aber so vollkommen anders war.
Orihime wies auf den kaputten Löwen. „Wo wirst du danach wohnen?", wollte sie wissen. „So wirst du wahrscheinlich nicht da hinein zurückkehren können."
„Ich weiß nicht.", sagte Kon leise und musterte nun ebenfalls seinen zerrissenen Körper. „Wahrscheinlich werden sie sich irgendwas ausdenken. Oder ich bleibe ganz in meiner Pille."
„Aber das wäre ja schrecklich.", bemerkte Orihime ernstlich entrüstet. „Ich meine, da drin kannst du doch gar nichts essen."
Ungläubig sah Kon sie an. „Essen?", fragte er. „Wie kommst du denn jetzt da drauf?"
„Weil das eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen ist.", hörte Orihime eine Stimme über sich und stieß sich glatt noch einmal den Kopf bei dem Versuch, möglichst schnell unter dem Tisch hervor zu kommen.
„Ku-Kurosaki-kun!", stotterte sie und strich nervös ihren Rock über ihrem inzwischen bandagierten Bein glatt. „Ist Tatsuki-chan wieder gesund?"
Ichigo, der in der Küchetür lehnte schüttelte den Kopf. „Nein, gesund ist sie erst, wenn dieser Süßholzraspler langsam mal ihren Körper wieder rausrückt. Komm schon, Kon, es geht los."
Orihime hörte, wie Kon aufstand und langsam an ihr vorbeiging. Als er auf ihrer Höhe war, warf er ihr ein schiefes Grinsen zu. „Falls wir uns nicht mehr sehen, Prinzessin."
Dann beugte er sich schnell vor und drückte ihr einen raschen Kuss auf die Wange, bevor Ichigo ihn mit einem wütenden Knurren am Kragen packte und aus der Küche zerrte.
Ehe Orihime den beiden folgen konnte, schob sich schon Sados große Gestalt in die Küche. Er stand ein wenig ratlos Orihimes winziger Küche, die durch ihn fast noch winziger wirkte. Schließlich überwand Orihime ihre Überraschung und bot ihm einen der Stühle an. Er nickte dankbar und ließ sich vorsichtig auf dem Küchenmöbel nieder.
„Schon verrückt, was Sado-kun?", lachte Orihime, als sie sah, das Sado die Puppe mitgebracht hatte, die Tatsuki auf dem Rummel gewonnen hatte. „Dabei wollten wir doch eigentlich nur nach hause. Was wohl passiert wäre, wenn wir wirklich ein Abenteuer gesucht hätten."
Er brummte lediglich und betrachtete immer noch die Tischplatte vor sich. Dann holte er tief Luft und sagte langsam. „Sie ist kaputt."
Orihimes Blick fiel auf die Puppe, die inzwischen auch schon ziemlich mitgenommen aussah.
„Die Puppe?", fragte sie vorsichtig. Ich frage mich, was Tatsuki-chan damit gewollte hat. Sie hat gesagt, dass sie sie für Kurosaki-kun besorgt hat."
„Hat sie das?", fragte Ichigo von der Tür aus. Anscheinend hatte er seinen widerstrebenden Freund bei Kuchiki-san und dem unheimlichen Fremden abgegeben. „Was war es denn diesmal für eine Scheußlichkeit?"
Er betrachtete die Puppe mit einem wenig begeisterten Gesicht, legte sie neben den Plüschlöwen auf den Tisch, drehte sich schließlich den letzten Stuhl herum und setzte sich darauf.
„Dass sie es immer noch nicht aufgegeben hat.", schmunzelte er schließlich und stupste die Puppe, die daraufhin klickte und laut und deutlich: „Ich bin Sailormoon und im Namen des Mondes werde ich dich bestrafen" von sich gab.
Die Abscheu in Ichigos Gesicht steigerte sich noch um etliche Noten, bevor er stöhnend das Gesicht in de Händen verbarg. „Ich hasse sie.", seufzte er dahinter hervor.
„Du hast sie repariert.", stellte Orihime fest. „Magst du solche Puppen?"
„Bestimmt nicht!", widersprach Ichigo ehrlich entsetzt. „Aber meine Schwester Yuzu schwört auf solchen Kitschkram. Sie wird begeistert sein."
„Dann ist die Puppe für sie?", schaltete sich nun auch Sado in das Gespräch ein.
Ichigo seufzte tief. „Ich hatte früher nie Geschenke für meine kleinen Schwestern zum Geburtstag. Tatsuki hat mir deswegen regelmäßig die Hölle heiß gemacht, denn sie war der Ansicht, dass es meine Pflicht sei, auch ein Geschenk für meine kleinen Schwestern zu haben. Naja, irgendwann hat sie dann mal gesagt: „An dem Tag, an dem du es schaffst mich zu besiegen, fang ich an, für dich Geschenke zu besorgen."
Ein paar Wochen später war es dann soweit. Ich weiß noch, wie ich damals meine Wettschulden eingefordert habe. Das war, bevor ich wusste, was für Geschenke Tatsuki meinen Schwestern besorgte. Es waren die fürchterlichsten, kitschigsten und lautesten Geschenke, die sie finden konnte. Karin hat die Dinger meistens sofort selber entsorgt, aber Yuzu liebt diese Geschenke und ich bringe es einfach nichts über´s Herz, sie ihr nicht zu geben."
„Das ist auch gut so.", kam da eine weitere Stimme von der Küchetür.
Orihime vergaß alles, was an diesem Abend passiert war. Sie sprang auf und flog ihrer Freundin in die Arme. „Tatsuki-chan, du bist wieder gesund!", jubelte sie.
„Hey, hey", versuchte ihre Freundin sie zu beschwichtigen. „Wenn du so weiter machst, bin ich´s bald nicht mehr. Nun krieg dich mal wieder ein Ich hab mir doch schon öfter mal den Kopf angestoßen."
„Den Kopf angestoßen?", wollte Orihime ungläubig wissen. „Aber du…"
„Sie hat sich den Kopf angestoßen.", bestätigte der Mann, den Kuchiki-san vorhin 'Urahara' genannt hatte. Unwillkürlich drängte Orihime sich enger an Tatsuki. Der Kerl war ihr immer noch ein wenig unheimlich. „Aber jetzt ist nicht die Zeit, darüber zu reden. Kurosaki-kun, Kuchiki-san braucht ein wenig Unterstützung. Ich werde das hier regeln."
Damit zog er etwas aus der Tasche, dass Orihime nicht genau erkennen konnte, doch aus der anderen Tasche holte eine kleine, grünlich schimmernde Perle „Ach ja, und das hier, soll ich ja nicht vergessen."
Er war Ichigo die kleine Kugel zu, die dieser finster musterte und sie dann in seiner Hemdtasche verschwinden ließ.
„War er das?", fragte Orihime leise.
Ichigo warf ihr einen undefinierbaren Blick zu. „Ja, das war Kon. Ich werde das da wohl lieber auch mit nehmen.", schloss er an und langte nach den beiden Spielzeugen auf dem Tisch. Da trat Orihime einen Schritt vor und legte ihre Hand auf das Plüschtier.
„Ich werde es reparieren.", beeilte sie sich zu erklären. „Er wird aussehen wie neu. Ich kenne da jemanden in meiner Handarbeitsklasse, der mit so was wahre Wunder vollbringt."
Ichigo tauschte einen Blick mit dem grüngekleideten Fremden. „Ist das möglich?", fragte er schlicht.
Der Mann wiegte den Kopf ein wenig hin und her. „Ich werde sehen, was ich tun kann."
Ichigo drehte sich wieder zu Orihime um. „Gut, versuch dein Glück. Du wirst dich sowieso nicht daran erinnern."
Noch ehe Orihime fragen konnte, wie er das gemeint hatte, hatte er ihr den Plüschlöwen wieder in die Hand gedrückt und war mit einem knappen Nicken an dem Fremden vorbei aus der Küche getreten.
Lächelnd drehte sich der Mann zu den drei Freunden um „Wir müssten da noch etwas besprechen."
