Einsamkeit

Mit einem flauen Gefühl im Magen wartete Remus nun schon geschlagene 20 Minuten am Bahnsteig.

Lily war übers Wochenende nach London gefahren, um ihre Familie zu besuchen. Jetzt müsste sie jeden Augenblick zurückkommen.

Remus zog seinen Mantel enger um sich. Es hatte wieder gefroren. Die Blumen waren eingegangen und schwarze Wolken hingen tief über das Land.

Je länger er wartete, desto nervöser wurde er.

Seine Freunde, James, Sirius und Peter waren bei dem Quidditchspiel Huffelpuff gegen Slytherin.

Remus selbst war nie sehr sportbegeistert gewesen.

Wann kommt sie endlich, fragte er sich immer wieder.

Seit Freitag hatte er nicht mehr mit ihr gesprochen.

Wenn man genau wäre, hatten sie auch Freitag nicht viel geredet, sie waren anderweitig beschäftigt gewesen.

Das war auch der Grund, warum er jetzt hier stand.

„Hey du da", hörte er plötzlich eine Stimme hinter sich.

Als er sich umdrehte, erkannte er die Tochter des Besitzers der Drei Besen.

„Was willst du denn hier?", fragte er lächelnd das knapp zwölf-jährige Mädchen, welches er schon öfters gesehen hatte.

„Du stehst hier schon ziemlich lange. Wartest du auf deine Freundin?", fragte sie aufgeregt.

„Nicht meine' Freundin, eine Freundin von mir. Und sie müsste jeden Moment mit dem Zug ankommen", erklärte er und warf sehnsüchtig einen Blick über die Schulter zu den Schienen.

„Da kannst du aber noch lange warten! Der Zug kommt nämlich erst in ein paar Stunden an, hat mir mein Vater erzählt! In London schneit es nämlich seit gestern, und selbst mit Zauberei wäre es bei dem Wetter zu gefährlich über die vereisten Schienen zu fahren", erzählte die Kleine temperamentvoll und mit vielen Gesten.

Das Lächeln auf Remus Gesicht erstarb, und er richtete sich auf.

Erst in ein paar Stunden…?

„Und was soll ich jetzt machen?", sagte er seufzend mehr zu sich selbst.

„Du kommst am besten mit mir", rief das Mädchen freudig, griff nach seiner Hand und zog ihn in Richtung Dorf.

„Wenn du weiter hier draußen stehen bleibst, erkältest du dich noch. Und von unserer Gaststädte aus kann man prima auf die Schienen kucken, also wirst du deine Freundin schon nicht verpassen", sagte sie unglaublich schnell, und auch wenn das die Worte einer acht-jährigen waren, einleuchtend waren sie allemal.

Und Remus würde alles dem Rumstehen und Warten bei dieser Kälte vorziehen.

Also ließ er sich mehr oder weniger freiwillig von der Kleinen mitziehen, und ohne dass er es merkte, breitete sich wieder ein kleines Lächeln auf seinem Mund aus.

Mal wieder warf Remus einen Sehnsüchtigen Blick aus dem Fenster. Inzwischen hatte es auch hier angefangen aufs heftigste zu schneien, und man konnte kaum noch etwas erkennen.

Rosmerta, wie das Mädchen hieß, saß ihm gegenüber. Sie schlief. Ihren Kopf hatte sie auf ihre auf dem Tisch verschreckten Arme gebettet. Ihre strubbeligen Haare breiteten sich fast über die Hälfte des kleinen Tisches aus, an dem sie saßen.

Remus warf ihr einen liebevollen Blick zu. Die letzten Stunden waren unglaublich schnell vorüber gegangen.

Manchmal wünschte er sich Geschwister.

Langsam wendete er seinen Blick von ihr ab und sah in seinen fast leeren Butterbierkrug.

Jetzt, wo er Rosmerta nicht mehr mit tanzenden Gabeln und Tellern unterhielt und er ihr vergnügtes Lachen nicht mehr hörte, fühlte er sich wieder allein.

Mit einem Zug trank er seinen Becher aus, stand auf und ging um den Tisch herum. Er nahm Rosmertas zu großen Mantel vom Stuhl und deckte sie damit zu.

Dann griff er nach seinem Umhang und während er sich diesen überzog schritt er durch die leere Kneipe zum Tresen.

„Mein Gott", sagte Rosmertas Vater leise, als er seine Tochter liebevoll betrachtete, „Sie schläft wie ein Engel, nicht?"

Remus hatte inzwischen seinen Umhang fertig angezogen und drehte sich noch mal zu dem kleinen Mädchen um.

„Ja", sagte er eben so leise und griff in seine Tasche.

„Hier", sagte er und legte einige Münzen auf die Theke.

„Nein, behalt dein Geld. Du bist ein Freund meiner Tochter; das geht aufs Haus", flüsterte der gemütliche Kneipenbesitzer, dann fügte er mit einem Zwinkern hinzu: „Du darfst dich geehrt fühlen; Rosmerta ist ziemlich wählerisch was ihren Freundeskreis betrifft."

Remus lachte leise, hab die Hand zum Abschied und drehte sich zur Tür um.

„Ich glaube der Zug ist angekommen, falls du deine Freundin immer noch abholen möchtest", hörte Remus noch, dann schloss sich die Tür hinter ihm.

„Wo kann sie nur sein?", flüsterte Remus zu sich selbst. Seine Stimme hörte sich in der Stille rau und fremd an.

Es hatte ausgehört zu schneien, doch er konnte wegen der Dunkelheit immer noch nicht weit sehen.

Seit ein paar Minuten lief er durch die Straßen in der Nähe des Bahnsteigs. Als er die Schienen erreicht hatte, war der Zug schon leer gewesen.

Grade bog er in eine Straße, als er einen Schatten bemerkte, der aus einer anderen Straße herauskam, in der die Straßenlaternen schon angezündet sein mussten.

Er beeilte sich, an die Ecke zu gelangen, doch bevor er in die Straße einbog, verlangsamte er seine Schritte.

„Lily, bitte sag etwas. Es tut mir leid, wie oft soll ich dir das noch sagen? Wenn ich nüchtern gewesen wäre, hätte ich das niemals getan! Und das weißt du doch. Bitte Lily, glaub mir!"

„James, ich würde ja gern, aber ich kann nicht, ich-"

Vorsichtig lugte Remus um die Ecke. Sein Herz raste, doch er hielt den Atem an.

James hatte Lily an den Schultern gepackt und zu sich heran gezogen.

Sanft presste er seine Lippen auf ihre.

Einen Moment lang sah Lily überrascht aus, doch dann entspannten sich ihre Gesichtszüge, und sie schloss die Augen.

Remus wandte sich ab.

Er hatte genug gesehen.