Disclaimer: Alle Personen und Orte in meiner Story gehören Professor Tolkien. Mir gehört nur meine Phantasie.

Ein kostbares Andenken

Kapitel 1:

Faramir saß in der ehemaligen Schreibstube seines Vaters und bereitete alles für die Krönungszeremonie vor. Der Erbe Isildurs sollte in wenigen Wochen in Minas Tirith gekrönt werden. Nachdenklich kaute Faramir an dem Federkiel herum. Er kannte Aragorn eigentlich kaum. Sicher, er war der Mann, der ihn geheilt hatte, aus der Dunkelheit zurückgeholt hatte. Doch dann hatte Aragorn mit dem Heer Gondors und Rohans zum Schwarzen Tor eilen müssen, um Sauron herauszufordern. Sauron und sein Ring waren vernichtet worden und Aragorn war siegreich nach Minas Tirith zurückgekehrt. Das war nun auch schon wieder etliche Tage her. Faramir hatte kaum ein privates Wort mit dem zukünftigen König bisher wechseln können. Sie hatten nur über die Amtsgeschäfte gesprochen. Der ehemalige Waldläufer des Nordens hatte überhaupt keine Ahnung von dem ganzen Papierkrieg, der ihn erwartete. Auch Faramir tat sich schwer, denn man hatte ihn stets fern von den Regierungsgeschäften in Minas Tirith gehalten. Boromir war der Mann gewesen, der in die Fußstapfen seines Vaters treten sollte und auf die Regierung Gondors vorbereitet worden war.

Boromir! Bei dem Gedanken an seinen verstorbenen Bruder traten Faramir die Tränen in die Augen. Er konnte es immer noch nicht fassen, dass Boromir von ihm gegangen war. Bisher war keine Zeit zum Trauern gewesen. Mitten im Ringkrieg hatte Faramir vom Tode seines über alles geliebten Bruders erfahren müssen. Er hatte diese schreckliche Vision gehabt von dem Elbenboot, das über den nächtlichen Anduin glitt. In diesem Boot war Boromir aufgebahrt gewesen. Bald darauf hatte man das geborstene Horn am Flussufer gefunden. Und Faramirs ahnungsvoller Traum hatte sich erfüllt. Doch über die genauen Umstände seines Todes hatte er noch nichts erfahren. Vor kurzem hatte er den Elb Legolas in der Zitadelle getroffen und ihn nach Boromirs Sterben befragt.

„Ihr müsst mit Aragorn sprechen, Faramir," hatte der Elb nur geantwortet. „In seinen Armen ist Euer Bruder gestorben."

Diese Antwort hatte Faramir einen Stich versetzt. Ausgerechnet in den Armen des künftigen Königs war also Boromir verschieden. Dann wusste nur Aragorn, was Boromir in den letzten Minuten seines Lebens gesprochen hatte.

Es klopfte an der Tür. Rasch wischte sich Faramir die Tränen vom Gesicht und bat den Anklopfer herein. Es war Éowyn, seine künftige Gattin.

„Faramir, wo steckst du nur den ganzen Tag?" fragte sie mit gespielter Entrüstung.

„Es tut mir leid, Liebste," erwiderte Faramir bedrückt und gab ihr einen leichten Kuss auf die Wange.

„Diese Amtsgeschäfte sind zeitraubend. Ich wünschte, man hätte mich besser auf so eine Aufgabe vorbereitet."

„Eigentlich ist es ja Aragorns Aufgabe," meinte Éowyn ungehalten. „Als König sollte er sich selbst um seine Regierungsgeschäfte kümmern."

„Noch regiere ich dieses Land," seufzte Faramir bekümmert. „Leider!"

„Trotzdem: du hast genug für heute gearbeitet," beharrte die schöne Schildmaid. „Komm mit mir in den Garten und genieße mit mir diesen lauen Frühlingsabend."

Sie nahm ihn an der Hand, um ihn vom Schreibpult wegzuziehen. Lachend gab er schließlich nach und folgte ihr in den Garten.

Kaum hatten die Beiden das Gebäude verlassen, betrat Aragorn die Schreibstube. Er hatte eine Karaffe mit Wein und zwei Gläser dabei. Endlich einmal hatte er mit Faramir ein paar private Worte wechseln wollen, und ausgerechnet jetzt war der junge Mann nicht da. Aragorn ließ sich seufzend auf den großen Lehnstuhl nieder und sah auf den Papierstapel, der vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Lustlos blätterte er ihn mit einer Hand kurz durch. Er las irgendetwas von Steuern und neuen Gesetzen. Rasch schob er die Papiere wieder beiseite. Resignierend fuhr er sich durch das dunkle Haar. Das war nicht seine Welt. Eigentlich war er Waldläufer und das Leben in der Wildnis gewohnt. Mit diesem Papierkrieg würde er sich nie anfreunden können. Dafür brauchte er unbedingt Faramir, der sein künftiger Statthalter werden würde. Aragorn stand auf und blickte zum Fenster hinaus. Dort sah er Faramir und seine Braut, wie sie im Garten umhertollten. Sie wirkten wie übermütige Kinder. Aragorn beobachtete den jungen Mann: er sah Boromir sehr ähnlich. Die gleiche rotblonde Haarfarbe, die ausgeprägte Nase und dieses Lächeln. Doch Faramir hatte ein weitaus sanftmütigeres Wesen als sein Bruder. Und dann waren da diese blauen Augen, die so viel Sanftmut und Traurigkeit ausdrückten. Augen, in denen man sich verlieren konnte. Rasch verdrängte Aragorn diese merkwürdigen Gedanken und versuchte sich auf Arwen zu konzentrieren. Er hatte gerüchteweise gehört, dass eine Delegation aus Bruchtal unterwegs war nach Minas Tirith, um an den Krönungsfeierlichkeiten teilzunehmen. Er hoffte sehnlichst, dass auch Arwen sich unter dieser Delegation befand. Aber er wusste überhaupt nichts von ihr: Elrond hatte ihm in Dunharg erzählt, dass sie im Sterben lag. Bei dem Gedanken daran erschauderte Aragorn. Vielleicht war sie ja doch nach Valinor gegangen mit den anderen Leuten ihres Volkes.

Aragorn blickte wieder zum Fenster hinaus: diesmal fiel sein Blick auf Éowyn. Für eine kurze Zeit hatte er sogar erwägt, sie zu ehelichen. Es war dieser Abend in der Goldenen Halle gewesen, als Éowyn mit dem Kelch zu ihm gekommen war. Nie hatte sie schöner und strahlender ausgesehen als an diesem Abend. Damals hatte er sich zum ersten Mal vorstellen können, Éowyn als Gemahlin zu erwählen. Doch dann hatte Elrond ihn in Dunharg aufgesucht und Aragorn hatte erfahren, dass Arwen noch in Mittelerde weilte. An diesem Abend hatte der künftige König für immer mit dem Thema Éowyn abgeschlossen. Diese junge Frau hatte es nicht verdient, länger hingehalten zu werden. Es war schmerzvoll gewesen, sie ein für alle Mal zurückweisen zu müssen. Doch dannach hatte er sich endlich besser gefühlt.

Und nun war sie auf dem besten Weg, wieder glücklich zu werden. Lächelnd beobachtete Aragorn, wie sich Faramir und Éowyn nun im Garten küssten. Schnell wandte er sich wieder ab. Er wollte die beiden nicht länger beobachten.