Als der Zug endlich anhielt und die Türen sich öffneten, waren sie mit die Ersten, die aus dem Zug stürmten. Petronius kam ihnen bei dem Schülergewusel kaum hinterher, bis Honey ihn sicher am Halsband fasste. Aufgeregt sah sie sich um und versuchte Remus in der Menge zu entdecken, doch schon rief eine ihr bekannte Stimme: „Erstklässler zu mir!"
„Hagrid!" Begeistert lief sie auf den vollbärtigen, wild aussehenden Riesen zu, der mit seiner paddelgroßen Hand die Erstklässler herbeiwinkte. Er war Wildhüter in Hogwarts und ein Schulfreund ihrer Mutter. Lily hatte Mühe ihr zu folgen. Honey sprang fröhlich um ihn herum, während Lily mit großen Augen vor ihm stand und ihm dabei kaum bis zur Hüfte reichte.
„Honey! Is schön dich zu sehen! Deine Mum hat schon geschrieben, dass du dieses Jahr kommst!" Dröhnte er erfreut und geleitete die Erstklässler den extrem rutschigen Weg zum See entlang. Honey und Lily bemühten sich nicht ausrutschen, während Petronius umhersprang und gelegentlich Schüler mit Schlamm bespritzte. Am Ufer des Sees lagen mehrere kleine Boote.
„Immer vier Leute in ein Boot!" Rief Hagrid und kurz darauf fanden sie sich alle mitten auf dem See wieder. Die Boote schwankten bedenklich und ein paar Schüler sahen etwas seekrank aus, doch all das war vergessen als das majestätische Hogwarts in all seiner Pracht hinter einem Hügel auftauchte. Staunend und aufgeregt blickten sich alle um. Mittlerweile war es dunkel geworden und das beleuchtete Schloss ließ Honey und Lily sehnsüchtig seufzen. Sie fuhren in einen dunklen Tunnel hinein, der sie zu einer Art Hafen unter dem Schloss führte. Vorsichtig stiegen sie aus den immer noch schwankenden Booten und folgten Hagrid durch einen dunklen Steingang. Als sie den Gang verließen, erblickten sie die ganze Pracht des Schlosses. Mühselig versuchten sie Hagrid den Weg zum Schloss zu folgen, denn zwischendurch stolperten immer wieder staunende Schüler über ihre Umhänge oder liefen gegen andere die stehen geblieben waren.
Sie erreichten das riesige Schlosstor gerade als die ersten Regentropfen von dem bewölkten Himmel fielen. Hagrid klopfte dreimal mit seiner mächtigen Hand ans Tor. Als es sich öffnete, begann Honeys Herz wie wild zu schlagen. Eine sehr ernst aussehende, ältere Frau geleitete sie ins Schloss. Sie führte die Truppe durch die riesige Eingangshalle in einen kleinen leeren Raum.
„Willkommen in Hogwarts, Erstklässler. Ich bin Professor McGonagall, stellvertretende Schulleiterin und Hauslehrerin von Gryffindor. Gleich werdet ihr gemeinsam mit den anderen Schüler am ersten großen Fest in Hogwarts teilnehmen. Aber vorher werdet ihr auf eure Häuser verteilt. Es gibt Ravenclaw, Hufflepuff, Slytherin und Gryffindor. In Hogwarts ist euer Haus
wie eure Familie. Wenn ihr euch gut bewährt, gewinnt ihr Punkte für euer Haus; solltet ihr euch den Schulregeln widersetzen, werden euch Punkte abgezogen. Nun folgt mir. Die Auswahlzeremonie wird in wenigen Augenblicken beginnen." Die Schüler folgten ihr in die Große Halle. Honey kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Über den vier Haustischen, an denen schon die älteren Schüler saßen und neugierig auf den Neuzugang warteten, schwebten brennende Kerzen und verteilten ein warmes Licht. An der verzauberten Decke spiegelte sich der verregnete Nachthimmel wieder. Die Schülerschar wurde von Professor McGonagall vor die Tafel der Lehrer geführt. Honey erkannte Dumbledore in dem alten Zauberer in der Mitte der Tafel, dessen Haare und Bart ihm weit über die Brust fielen.
Vor dem Tisch stand ein kleiner Hocker. Darauf lag ein alter, zerfledderter Spitzhut, der mit Sicherheit schon mehrere hundert Jahre alt war. Nervös standen die Erstklässler in einer Reihe und warteten, was wohl mit dem Hut passieren würde, bis er plötzlich zu singen begann. Als er sein Lied beendet hatte, trat Professor McGonagall vor und hielt eine Pergamentrolle in der Hand.
„Wenn ich eure Namen aufrufe, nehmt bitte auf dem Stuhl Platz und setzt den Sprechenden Hut auf. Er wird euch auf eure Häuser verteilen." Sagte sie ruhig. „Abrasion, Samuel."
Ein kleiner dunkelhaariger Junge bahnte sich den Weg nach vorne, nahm mit zitternden Händen den Hut und setzte sich. Der Hut schien eine Weile zu überlegen und rief dann: „Ravenclaw!"
Unter großen Beifall, lief er auf den klatschenden Tisch zu. Während die anderen Namen aufgerufen wurden, versuchte Honey Remus am Gryffindortisch auszumachen. Da! Nur 2 Plätze von ihrem Bruder entfernt saß er und schien, wie die anderen die neuen Schüler zu mustern.
Nachdem der Hut zwei neue Slytherins und eine neue Hufflepuff ernannt hatte, war Lily endlich an der Reihe.
„Evans, Lily." Lily warf Honey einen ängstlichen Blick zu. Honey versuchte sie mit einem Lächeln aufzumuntern, doch dies half herzlich wenig.
Kaum hatte sie den Hut aufgesetzt, rief dieser: „Ganz klar! Gryffindor!" Ein riesiges Lächeln strahlte in ihrem Gesicht auf, während der Tisch der Gryffindors lautstark klatschte. Honey freute sich für sie und wartete ungeduldig darauf, dass Professor McGonagall endlich bei dem Buchstaben „J" ankam. Doch ihr kam es vor, als würden plötzlich unglaublich viele Namen mit „F", „G", „H" und „I" beginnen. Honey glaubte schon, sie wäre die Nächste, als Sarah Izenson zu einer Slytherin gemacht wurde. Genervt friemelte Honey an ihrem Umhang herum, bis Professor McGonagall endlich „Jackson, Honey Rubina" ausrief. Plötzlich bemerkte Honey, dass sie überhaupt nicht mehr auf den Stuhl wollte. Was würde ihr Bruder sagen, wenn sie nicht nach Gryffindor kommen würde? Was würden ihre Eltern sagen? Langsam schritt sie nach vorne und warf Leo und Lily einen hilfesuchenden Blick zu. Lily hob leicht die Fäuste, um ihr zu zeigen, dass sie ihr die Daumen drückte, ihr Bruder allerdings schien beinah noch nervöser als sie zu sein. Petronius, der sich zu Allegra in eine Ecke der Halle gesetzt hatte, wedelte aufgeregt mit dem Schwanz. Honey konnte es nicht fassen. Wie lang war denn der Weg zum Stuhl? Mussten sie denn alle anstarren? Als sie endlich den Stuhl erreicht hatte, zitterten ihre Finger so sehr, dass sie glaubte, den Hut fallen zu lassen, doch durch irgendein Wunder gelangte er doch auf ihren Kopf und rutschte soweit über ihre Augen, dass gerade noch sehen konnte. Wieder schweifte ihr Blick zum Gryffindortisch und wanderte zwischen Lily, Remus und ihrem Bruder hin und her. „Steck mich bloß nach Gryffindor! Ich warne dich! Wenn nicht, steck ich dich eigenhändig in die Häckselmaschine! Gryffindor! Nach Gryffindor!" Dachte sie aufgeregt.
„Ich sehe schon. Du gehörst nirgendwo anders hin als nach... GRYFFINDOR!" Honey fiel ein ganzes Gebirge vom Herzen. Sie hatte es geschafft. Der Gryffindortisch applaudierte mit unglaublicher Lautstärke. Ihr Bruder begann durch die Finger zu pfeifen, während Lily sich die Hände wund klatschte. Petronius und Allegra bellten begeistert. Irrte Honey sich oder lächelte Remus sie an? Als hätte sie gerade den Merlinorden verliehen bekommen, erhob sich Honey, legte zufrieden den Hut ab und lief auf den Gryffindortisch zu. Sie schlug bei Lily ein und ihr Bruder klopfte ihr kurz auf die Schulter.
„War doch von Anfang an klar." Sagte er, als wäre es selbstverständlich gewesen, dass Honey nach Gryffindor kam, doch sie sah ihm an, dass er sich ebenso freute. Plötzlich musste sie die Hände von unglaublich vielen Leuten schütteln, die ihr alle gratulierten, in einem erkannte sie Leos Freund Jonathan. Sie setzte sich neben gegenüber von Lily neben Leo und bemerkte, dass sie bereits wieder hungrig war, was allerdings schnell verging, als sich Remus nach hinten beugte und ihr an zwei Rücken vorbei ebenfalls gratulierte. Nachdem sie wieder ruhig atmen konnte, begann sie gemeinsam mit Leo, Jonathan Wood, Steward Fly, dem flachsblonden Gryffindortreiber und Lily über die anderen Neuzugänge zu lästern.
„Wie werden die Slytherins eigentlich ausgewählt?" Fragte Jonathan, nachdem Elenor Parten sich an den Slytherintisch setzte. „Nach Schönheit?" Doch das konnte er nur ironisch meinen, dachte sich Honey als sie Elenors fusseligen Haarschopf und ihre schiefen Zähne betrachtete. Als endlich alle auf ihre Häuser verteilt waren, seufzte Leo enttäuscht.
„Schon wieder so ein schwacher Jahrgang. Nur acht neue Gryffindors. Aber 25 neue Slytherins." Honey besah sich die anderen neuen Gryffindors. Die beiden anderen Mädchen schienen nicht sehr sympathisch zu sein. Marianna McKenzie beobachtete gelangweilt das Kaugummi, dass sie um ihren Finger drehte und Sally Warren starrte wie hypnotisiert auf Steward. Bei den Jungen sah es wenig besser aus. Bobby Joe Manson und Donald Simmons waren ausgiebig damit beschäftigt sich gegenseitig mit den Gabeln zu pieksen, während Timmothy Higgins und sein Zwillingsbruder Simon den Vertrauensschüler unaufhörlich mit Fragen löcherten.
„Na klasse." Flüsterte sie Lily zu. „Unser Jahrgang ist voller Idioten." Lily sah sie betreten an.
„Aber die scheinen alle aus magischen Familien zu kommen. Und ich? Meine Eltern sind Muggel."
„Mach dir nichts draus." Unterbrach sie Steward. „Meine Eltern auch, aber im ersten Jahr fangen alle von vorne an. Ob Muggelkind oder nicht, wirklich zaubern kann von euch Krümeln noch keiner!" Honey überhörte den „Krümel" großzügig und stimmte ihm zu. Doch Lilys Miene hellte sich erst auf als Professor Dumbledore mit zum Glück sehr wenigen Worten das Festmahl eröffnete. Von einem Moment auf den anderen erschienen die herrlichsten Leckereien auf den Tischen. Brathähnchen, Grillwürstchen, Schweineschnitzel, Roastbeef, Berge von Kartoffeln, Pommes und Kartoffelbrei, riesige Schüsseln voller Gemüse und Salat. Honey belud ihren Teller mit allerhand Essen und aß genüsslich. Petronius und Allegra schlichen sich unter den anderen Tischen zu dem der Gryffindors durch und verlangten ihren Anteil vom Festmahl. Leo warf den beiden je ein riesiges Schnitzel herunter und kümmerte sich dann um sein eigenes Wohl.
Kurz bevor alle ihr Mahl beendet hatten, schwebten die Hogwartsgeister durch die Wände und begrüßten die neuen Schüler mehr oder weniger freundlich. Dem Blutigen Baron, Hausgeist von Slytherin, schien es unglaublich Spaß zu machen, mit erhobenem Säbel durch die armen Erstklässler hindurch zufliegen. Einer der Drittklässler der Slytherins schien das besonders lustig zu finden. Honey erkannte ihn sofort. Es war Snape, den sie am Vormittag versehentlich zu Fall gebracht hatte. Es wunderte sie gar nicht, dass er ein Slytherin war.
Lily verschluckte sich vor Schreck an einem Stück Würstchen als der Fast Kopflose Nick, Hausgeist von Gryffindor, zur Begrüßung seinen Kopf wie einen Hut zog, der allerdings noch mit wenigen Sehnen am Körper verhaftet zu sein schien. Honey betrachtete ihn eher misstrauisch, doch er sprach sehr höflich mit Leo und Jonathan.
„Ich hoffe doch sehr, meine Herren, dass sie dieses Jahr den Quidditchpokal und den Hauspokal gewinnen werden. Es ist schon eine Schande, dass Hufflepuff letztes Jahr gewonnen hat. Man sollte doch meinen Mönche seien bescheiden, doch von unserem werten Kollegen kann man dies nicht behaupten." Er wies auf den Hausgeist von Hufflepuff, den Fetten Mönch, der sich an seinem Tisch ausgelassen über den Sieg von letzten Jahr freute. Der Kopflose Nick seufzte.
„Leider hat der Blutige Baron dieses Jahr, von der Anzahl seiner Schüler her höhere Chancen. Allerdings bin ich mir sicher, dass Gryffindor die Besseren zugeteilt bekommen hat." Er lächelte Honey und Lily zu, die bei einem Blick auf ihre Mitschüler nicht sehr siegessicher waren. Doch beim Anblick des mehr als üppigen Nachtischs vergingen ihre Sorgen. Riesige Eisbomben und Kuchenplatten türmten sich auf den Tischen, Tabletts übersäht mit Gummischnecken, Bertie Botts Bohnen in allen Geschmacksrichtungen („Igitt, schon wieder Rettich! Warum ess ich das Zeug eigentlich noch?"), Sahnebonbons und Schokoriegeln. Obwohl Lily meinte, man müsse sie wohl in den Schlafsaal hinein kugeln, wenn sie so weiter futtere, nahm sich Honey eine Riesenportion Vanilleeis, 2 Erdbeertörtchen und 4 Karamellschokoriegel und verzehrte diese in einer Geschwindigkeit, die selbst den Vielfraß Steward ins Staunen brachte.
Nach dem Essen und zu allem Überfluss der Hogwartsballade, wurden sie von den Vertrauensschülern in die Schlafräume geführt. Etwas ängstlich bestiegen einige Erstklässler die sich bewegenden Treppen, während andere noch über die ziemlich lebendigen Gemälde staunten. Für Honey waren sich bewegende Bilder nichts besonderes, schwingende Treppen waren ihr allerdings auch nicht sehr geheuer. Zurecht, wie sie bemerkte, als sie auch schon mit einem Bein in einer Trickstufe versank. Geschockt wichen die Schüler zurück, während Finn sie lässig aus dem Loch zog. Gerade als Honey dachte es könnte nicht schlimmer kommen, prasselte ein Papierknöllchenregen auf sie und die anderen Schüler nieder.
„PEEVES!" Kreischte der Vertrauensschüler in unglaublicher Lautstärke und erklärte danach mit plötzlicher Ruhe. „Das war Peeves. Ein Poltergeist. Er ist zwar nicht sonderlich gefährlich, aber ihr solltet ihm trotzdem lieber aus dem Weg gehen." Honey und Lily schüttelten sich die Knöllchen aus den Haaren und folgten ihm bis in den siebten Stock. Er stoppte vor einem Gemälde auf dem eine ziemlich fette Dame abgebildet war.
„Passwort?" Fragte sie.
„Merkt euch das Passwort gut, sonst kommt ihr nicht in den Gemeinschaftsraum." Erklärte er und sagte dann: „Mondkalb."
Das Bild schwang beiseite und gab den Weg in den Gryffindorgemeinschaftsraum frei. Aufgeregt betraten sie nacheinander den gemütlichsten Raum, den Honey je erblickt hatte. Mehrere Sessel standen um ein prasselndes Kaminfeuer. Der Vertrauensschüler wies auf eine der beiden Treppen, die nach oben führten.
„Euer Mädchenschlafsaal ist dort ganz oben." Gemeinsam mit den Jungs ging er die andere hinauf. Honey und Lily folgten Sally und Marianna die Treppe hoch. Der Schlafsaal war mindestens so gemütlich, wie der Gemeinschaftsraum. Vor vier gigantischen Himmelbetten standen ihre Koffer und Petronius ließ sich sofort auf dem Bett nieder, vor dem Honeys Koffer wartete. Auch hier prasselte ein Feuer im Kamin. Erst jetzt bemerkten die Mädchen, wie müde sie waren, zogen ihre Pyjamas an und ließen sich dann erschöpft in die Betten sinken. Viermal raunte ein müdes „Gute Nacht" durch den Schlafsaal und dann war alles still, bis auf den Regen vorm Fenster und Petronius´ leises Schnarchen.