Am ersten Novemberwochenende war es dann soweit: das erste Quidditchspiel der Saison; Gryffindor gegen Slytherin. Beide Quidditchteams hatten wie besessen trainiert und am Samstagmorgen war am Frühstückstisch die Hölle los. Während die anderen Gryffindors einfach nur aufgeregt wegen des Spektakels waren, waren die Mitglieder des Quidditchteams vor Nervosität einem Nervenzusammenbruch nahe. Steward stopfte sich wie besessen mit Schinkentoasts voll, Joanna zitterte so sehr, dass sie immer wieder ihre Cornflakes verschüttete, Leo stocherte mit starrem Blick in seinem Rührei, Jonathan ging immer und immer wieder im Kopf die Spielzüge durch und James ließ sich von Remus, Peter und Sirius mit Weintrauben bewerfen, um ein letztes Mal das Schnatzfangen zu üben. Auch Honey und Lily waren aufgeregt. Schließlich war es Lilys erstes Quidditchspiel und da Gryffindor gegen Slytherin, den Sieger vom letzten Jahr antrat, war es eigentlich auch das wichtigste.
Auf dem Weg zum Stadion fragte Lily Honey noch einmal genauer nach den Quidditchregeln.
„Und was ist, wenn der Sucher den Schnatz fängt aber die Punkte trotzdem nicht zum gewinnen reichen?" Fragte sie.
„Dann gewinnt trotzdem die Mannschaft mit mehr Punkten. Wenn die Mannschaft, die den Schnatz fängt gewinnen würde, würde man doch keinen Quaffel, keine Jäger und keinen Hüter brauchen." Erklärte Honey zum tausendsten Mal. Plötzlich tauchten Remus, Sirius und Peter breit grinsend hinter ihnen auf. Gemeinsam trugen sie eine riesige scharlachrote Stoffrolle.
„Was habt ihr denn mit dem Ding vor?" Fragte Honey und starrte erstaunt auf die Rolle.
„Das wird ne Überraschung für James." Antwortete Sirius aufgeregt. „War ganz schön schwer das Ding vor ihm zu verstecken."
„Und was genau ist das?" Fragte Lily.
„Das ist ein Gryffindor-Plakat." Erklärte Peter.
„Hey, nicht alles verraten. Ihr seht das ja gleich." Unterbrach Sirius ihn.
Im Stadion angekommen hievten sie gemeinsam das Plakat die Stufen zur Tribüne hinauf, wobei sie ein paar unglückliche Schüler, die nicht schnell genug auswichen, gegen die Wand drückten. Oben angekommen drängelten sie sich ganz nach vorne, rollten das Plakat aus und ließen es über die Brüstung herab hängen. Nun prangte ein zwei Meter großer, goldener Gryffindorlöwe umrandet von spratzelndem Feuerwerk über einer eineinhalb Meter großen, durchgestrichenen Slytherinschlange, versehen mit dem Spruch „Potter vor für Gryffindor".
„Wow, das ist ja klasse! Da müssen wir ja gewinnen!" Sagte Lily begeistert, während Honey sich im Stadion umsah. Sie waren nicht die einzigen mit Plakaten und die Slytherins schrieen sich jetzt schon die Seele aus dem Leib.
„Macht mal Platz da. Vorsicht, hier komm ich!" Raunte plötzlich Hagrids Stimme hinter ihnen. „Na, ihr? Es hat doch noch nicht angefangen, oder?"
„Keine Sorge, Hagrid. Jonathan geht wohl zum tausendsten Mal seine heißgeliebten Spielzüge durch." Antwortete Remus kopfschüttelnd. „Was ist denn mit deinem Mantel passiert?" Hagrids Mantel war an einigen Stellen ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen worden; es sah ein wenig so aus als wäre er von kleinen scharfen Zähnchen zerbissen worden.
„Sieht mal wieder nach Gartengnomen aus." Sagte Sirius.
„Oh ja! Dieses dumme Viehzeug! Zum Glück hat Karlchen sie vertrieben!" Antwortete Hagrid.
„Es geht los!" Fiel Peter ihnen aufgeregt ins Wort.
„Willkommen zum ersten Quidditchspiel der Saison. Die langerwartete Begegnung zwischen Gryffindor und Slytherin." Hörte sie Professor Garbarecs magisch verstärkte Stimme durchs Stadion brüllen. „Im letzten Jahr gewann Slytherin den Pokal knapp vor Gryffindor, wir können also auf ein spannendes Spiel gefasst sein. Für Gryffindor fliegen Leo Jackson, Teamkapitän Jonathan Wood, Liza Thompson, Richard Williams, Joanna McDonald, Steward Fly und James Potter!" Etwa die Hälfte des Stadions brach in tosendes Gebrüll aus. Viele der Slytherins buhten laut, während alle Gryffindors jubelten.
„Und für Slytherin sind auf dem Feld", fuhr Professor Garbarec fort. „Alan Pierson, Tyler Bourbon, Jerry Lawson, Aaron Tyrell, Teamcaptain Maurus Grave, Rufus Craig und Norman Bloch!" Nun tobte die andere Stadionhälfte, während die Gryffindors, Sirius allen voran, laut buhten.
Honey beugte sich weit über die Brüstung und sah wie Professor Hawkins, mit einem unglaublich schickem, dunkelblauem Umhang bekleidet, den Rasen betrat und die beiden Kapitäne anwies sich die Hände zu schütteln. Mit entschlossenen Schritten trat Jonathan Wood auf den bulligen Slytherinkapitän zu und schüttelte mit finsterem Blick dessen Hand. Danach bestiegen die Teams ihre Besen und mit viel pompösem Getue ließ Professor Hawkins den Schnatz und die Klatscher los. Dann ließ er den Quaffel über seine Schultern rollen und warf ihn unter Applaus in die Höhe. Wieder erscholl Professor Garbarecs Stimme: „Und das Spiel beginnt! Williams fängt den Quaffel, wirft zu Thompson, zurück zu Williams, doch da kommt ein Klatscher direkt vom Slytherinteamkapitän Grave! Williams verliert den Quaffel und Tyrell schnappt ihn Wood knapp vor der Nase weg. Tyrell rast auf das Tor zu, vorbei an Wood und Thompson. Nun ist er im Torraum; er wirft und - Jackson blockt ab!"
Honey brüllte sich beinah heiser. Ihr Bruder spielte wirklich gut. Doch auch die anderen waren unglaublich. Jonathan, Liza und Richard spielten als hätten sie ein Gehirn und drei pfeilschnelle Körper und Steward und Joanna schlugen die Klatscher so hart auf die Gegner, als wären sie aus Gummi und nicht aus Eisen. Währendessen zog James wie ein Falke seine Kreise über Stadion und hielt Ausschau nach dem Schnatz, dicht gefolgt von dem rattigen Sucher der Slytherins, der nicht versuchte selbst den Schnatz zu finden sondern sich nur auf seinen guten Besen verließ.
„Gryffindor im Quaffelbesitz, Wood wirft zu Thompson. Thompson fliegt in den Torraum, doch nein der Klatscher von Craig hindert sie am Torschuss. Nun hat Slytherin den Quaffel. Lawson stößt vor, wirft zu Bourbon. Bourbon fliegt nach oben und wirft zu Tyrell! Eine wunderbare Porskoff-Täuschung! Da zeigt sich echtes Können! Tyrell wirft wieder aufs Tor, doch Jackson hält ihn! Es steht immer noch null zu null und vom Schnatz fehlt jede Spur! Gryffindor fliegt jetzt in einer wunderschönen Falkenkopf-Angriffsformation auf das gegnerische Tor zu. Wood weicht einem Klatscher aus, wirft und trifft! TOR! nun steht es Zehn zu null für Gryffindor!"
Die Gryffindors schrieen Woods Namen und Sirius ließ das Plakat wild funkeln. Nun da Gryffindor in Führung lag, spielten die Slytherins noch aggressiver. Grave und Craig hämmerten die Klatscher so hart durch die Luft, dass Honey befürchtete, wer von einem dieser Klatscher getroffen werden würde, würde die nächsten drei Wochen im Krankenflügel verbringen. Viermal hinderten sie die Gryffindors am Torschuss, doch auch Joanna und Steward waren eifrig bei der Sache und vereitelten die besten Spielzüge der Slytherins.
„Slytherin im Quaffelbesitz. Es steht immer noch zehn zu null. Lawson wirft, doch Jackson hält mit einem perfekten Seestern und Stiel! Doch was ist das? Teamcaptain Grave schlägt den Klatscher auf Jackson! Jackson ist getroffen und fällt! FOUL! FREIWURF FÜR GRYFFINDOR!"
Honey schrie kurz auf, doch zum Glück hörte das unter dem Geschrei der anderen niemand. Langsam glitt ihr Bruder auf seinem Besen in die Tiefe und wurde dann von zwei älteren Schülern in den Krankenflügel getragen.
Honey biss sich nervös in den Finger. Ob sie wohl gehen sollte, um zu kucken wie es ihrem Bruder ging? Plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter.
„Keine Sorge, Schokofröschchen." Beruhigte Remus sie. „Madam Pomfrey flickt ihn wieder zusammen."
„O-Okay." Stotterte sie und versuchte vergeblich nicht rot anzulaufen.
„Was machen die denn jetzt ohne Hüter? Kriegen sie einen Ersatzspieler oder sowas?" Fragte Lily plötzlich.
„Nein, sie müssen ohne Hüter weiterspielen. Hoffentlich findet James den Schnatz bald." Antwortete Honey.
Liza traf mit ihrem Freiwurf. Nun stand es zwanzig zu null, doch ohne Hüter konnte Slytherin ein Tor nach dem anderen schießen. Kaum fünf Minuten später stand es tragisch hundertsiebzig zu zwanzig für Gryffindor.
„Und Lawson wirft ein weiteres Tor! Damit steht es hundertachtzig zu zwanzig für Slytherin! Ohne Hüter hat Gryffindor kaum eine Chance weitere Torschüsse zu verhindern. Alle Hoffnung ruht jetzt auf Sucher Potter, doch von dem Schnatz fehlt noch immer jede Spur. Und noch ein Tor für Slytherin! Hundertneunzig zu zwanzig! Gryffindor im Quaffelbesitz. Wood wirft zu Thompson, Thompson gibt ab an Williams. Williams weicht beiden Klatschern aus, doch da kommt Bourbon, um ihm den Quaffel abzunehmen. Doch nein! Mit einer unglaublichen Treiber-Doppel-Verteidigung schmettern McDonald und Fly einen Klatscher auf ihn. Williams hat nun freie Bahn. Er wirft und Hüter Pierson verfehlt um Längen! TOR! Nun steht es Hundertneunzig zu dreißig für Slytherin. Doch was ist das? Potter beschleunigt! Er muss den Schnatz gesehen haben, doch Bloch ist ihm dicht auf den Fersen! Beide setzen zum Sturzflug an!"
Alle Augen ruhten auf James und dem Slytherinsucher Bloch, die wie Kanonenkugeln gen Boden schossen.
„Verdammt! Wenn James den Schnatz jetzt kriegt, haben wir trotzdem verloren!" Zischte Sirius.
Das dachte auch das Slytherinteam. Siegessicher beobachteten sie gespannt ihren Sucher und bemerkten nicht wie Jonathan Wood scheinbar aus dem nichts hervorschoss.
„Beide Sucher kommen dem Schnatz und auch dem Boden immer näher. Aber was? Völlig überraschend schießt Teamcaptain Wood ein Tor! Damit steht es jetzt hundertneunzig zu vierzig!"
Überrascht sahen nun alle auf Wood und auf das keifende Slytherinteam. Grave war drauf und dran auf Wood zu zu rasen und ihm eins mit dem Schläger zu verpassen, doch er kam nicht dazu. Denn gerade als er zum Schlag ausholte, explodierte das Stadion in Gejubel.
„UNGLAUBLICH! JAMES POTTER HAT DEN SCHNATZ! DAMIT IST DAS SPIEL UNENTSCHIEDEN! Ähm... jemand sollte Bloch vom Boden abkratzen. Er hätte wohl doch früher hochziehen sollen."
Bloch sah tatsächlich sehr fertig aus. Als seine Teamkollegen ihn aufhoben, konnte Honey selbst aus der Entfernung seine blutige, gebrochene Nase erkennen. James hingegen drehte übermütig, seine rechte Hand mit dem Schnatz ausgestreckt, Loopings über dem Stadion.
„Oh und eh ich´s vergesse!" Sagte Professor Garbarec überraschend. „Am 13. November ist wie jedes Jahr das erste Treffen des Duellierclubs. Also sollte sich jeder Duellinteressierte von euch pünktlich um sieben Uhr in der Großen Halle einfinden. Ein schönes Wochenende wünsch ich euch!"
„Klasse! Das wird wieder ein Spektakel!" Sagte Remus begeistert. Plötzlich wandte er sich an Honey und Lily. „Ihr kommt doch auch?"
„Ähm..." Stotterte Honey überrascht.
„Klar." Antwortete Lily locker. „Das wird doch nicht zu schwer für uns, oder?"
„Keine Sorge!" Antwortete Sirius lässig. „Wir werden euch vorwarnen, bevor wir euch plattmachen."
„Na Mädels, wollt ihr noch auf´n Tee mit zu mir?" Fragte Hagrid. „Ihr Jungs könnt natürlich auch mitkommen."
„Nö, lass mal Hagrid." Sagte Sirius. „Wir müssen James´ genialen Schnatzfang feiern. Bis später."
Mit gemischten Gefühlen sah Honey ihnen hinterher. Eigentlich wäre sie lieber bei Remus geblieben.
„Keine Sorge, Schokofröschen. Dein Bruder ist bestimmt schon wieder auf den Beinen und ärgert sich." Sagte Hagrid plötzlich. Achja! An Leo hatte sie schon gar nicht mehr gedacht!
„Du hast Recht, Hagrid." Antwortete Honey und bemühte sich in keinster weise Hagrids Irrtum richtig zu stellen. „Wir kommen mit."
Sie gab der kichernden Lily einen Stoß in die Rippen und folgte Hagrid zu seiner Hütte.
„Ui, sieh mal! Was ist das denn?" Rief Lily plötzlich und deutete in Richtung des Verbotenen Waldes. Aus dem Verbotenen Wald kamen mehrere große Gestalten. Ihre Körper waren die von Pferden, doch von der Hüfte aufwärts sahen sie aus wie Menschen.
„Das sind ja Zentauren!" Staunte Honey. „Hagrid, was wollen die wohl hier?"
„Hm, keine Ahnung. Ich werd sie mal fragen gehn." Entschlossen ging Hagrid auf den Zentauren zu, der ihr Anführer zu sein schien. Er war groß, hager und grau, seine Mähne und sein Bart waren silberweiß und lang wie Dumbledores. Neugierig tappten Honey und Lily hinter Hagrid her.
„Hallo Metatron. Was verschafft mir die Ehre?" Fragte Hagrid.
„Sei mir gegrüßt, Rubeus Hagrid." Antwortete der Zentaur Metatron. Seine Stimme klang tief und ruhig. „Wir brauchen deine Hilfe."
Ein junges Männchen, ein Rappe kaum dem Fohlenalter entwachsen, schnaubte verächtlich.
„Metatron, wir sollten unsere Angelegenheiten selber regeln und uns nicht mit einem niederen Menschen abgegeben."
„Schweig, Bane." Sagte Metatron immer noch ruhig. „Eines unserer Fohlen wurde angegriffen. Normalerweise heilen wir unsere Kranken selbst, doch es waren zu viele Doxys und wir brauchen ein Antidot."
„Ich wurde auch von Doxys angegriffen. Das ist keine zwei Monate her." Sagte Honey, doch als sich alle Blicke auf sie richteten, wünschte sie, sie hätte nichts gesagt.
„Normalerweise greifen Doxys nur an, wenn man sie aufschreckt." Sagte Metatron mit traurigem Blick. „Etwas Merkwürdiges wird geschehen. Ich fürchte uns allen, steht viel Übel bevor."
Honey schauderte. Lily blickte sie ängstlich an.
„Tut mir Leid, Mädels. Unsern Tee müssen wir wohl verschieben." Sagte Hagrid, verschwand kurz in seiner Hütte und kam mit einer großen Flasche Doxy-Antidot zurück. Während er mit den Zentauren im Wald verschwand (der junge Bane trottete mürrisch und misstrauisch hinter ihm her), wanderten Honey und Lily zur Schule hinauf.
„Was glaubst du, meinte Metatron mit dem Übel?" Fragte Lily besorgt.
„Keine Ahnung, aber es hat bestimmt irgendwas mit dem Durchdrehen von den Doxys und den Gartengnomen zu tun." Antwortete Honey.
„Glaubst du, der, der die Gartengnome durchdrehen lässt, hat auch Mrs Norris verrückt gemacht?"
„Schon möglich. Ich wette, es ist der alte Geier." Sagte Honey entschlossen. „Denk doch mal nach. In unserer ersten Woche verschwand er im dritten Stock und kurz darauf wird Bobby Joe von Wichteln angegriffen; und bevor ich von den Doxys angegriffen wurde, hab ich ihn im Verbotenen Wald verschwinden sehen. Filch hatte kurz bevor Mrs Norris abgedreht ist, seine Autorität in Frage gestellt und was war an Halloween? Da war er auch nicht da, als uns die Fledermäuse angriffen."Lily nickte.
„Vielleicht sollten wir einem Lehrer Bescheid sagen."
„Glaubst du, einer von denen hört eher auf zwei Erstklässlerinnen als auf einen Kollegen? Wir sollten lieber noch warten. Vielleicht verrät der alte Geier sich ja irgendwann selber und wir haben dann Beweise." Beide seufzten und stiegen beunruhigt die Steinstufen zum Tor hinauf.