Disclaimer: wie immer

Author's Note: Das ist ein schrecklich düsteres Kapitel, seid gewarnt! Ist ja auch kein Wunder, es handelt von Sirius' Kindheit bis zu seinem ersten Schultag in Hogwarts.

Und Cara ist es gewidmet :) Danke für viele schöne, interessante, lange reviews!!!

I. Die Blacks sind immer in Slytherin

All around me are familiar faces
Worn out places

Worn out faces

Bright and early for the daily races
Going no where
Going no where

Their tears are filling up their glasses
No expression
No expression

Hide my head I wanna drown my sorrow
No tomorrow
No tomorrow

And I find it kind of funny
I find it kind of sad
The dreams in which I'm dying are the best I've ever had

I find it hard to tell you
I find it hard to take
When
people run in circles its a very very
Mad world
Mad world

Michael Andrews, Mad World

(Ich finde ja, wer den Song geschrieben hat, sollte mal anfangen, Johanniskraut zu nehmen – aber um die Stimmung einzufangen, wie Sirius im Grimmauld Place 12 sitzt und unfreiwillig in Erinnerungen schwelgt, ist es genial.)

Grimmauld Place 12, London, 15. Juli 1995

„Autsch, verdammt!"

„Tatze?"

„Ja!"

„Was war das?"

„Ich würde sagen, ich bin über das Ersatzokular für das Teleskop meines seligen Vaters geflogen. Oder über mehrere davon."

Stille.

„Sirius?"

„Hm?"

„Warum kann ich nicht einfach Licht machen?"

„Hier wird nie Licht gemacht, man sieht sie sonst nicht mehr."

„Willst du sie denn sehen? Ich dachte, wir wollten nur mal einen Blick hier hineinwerfen und keine Sternkunde betr–"

„Sch---e!"

„Was treibst du da eigentlich?"

„Ach, schon gut. Es wird mir selber zu dumm. Lumos!"

Es gibt keine schwarzen Schafe in meiner Familie. Man könnte vielmehr sagen, zusammen sind sie eine schwarze Herde. Das fürnehme und gar alte Haus der Blacks. Ein Name, ein Programm.

Dass man dieses Haus mal wieder aufräumen könnte, sagen mir nicht erst die Unmengen Krempel, die sich bei Lichte betrachtet hier oben unter dem Dach stapeln und von denen ein Großteil irgendwannmal ausgeliehen und nie wieder zurückgegeben wurde, bis an Rückgabe überhaupt kein Drandenken mehr war, weil meine Familie ab einem gewissen Punkt lieber tausend Tode gestorben wäre, als dem Buhmann unter die Augen zu treten, dem der Krempel eigentlich gehört.

Wiltshire Observatorium für Himmelsphänomene steht auf dem Kartenständer, der mir heimtückischerweise ein Bein gestellt hat. Dieses Haus ist bösartig, es war noch nie anders. Der Kruschkram scheint genau zu wissen, dass das weiße Schaf der Familie heimgekehrt ist und will mir einen gebührenden Empfang bereiten. Als ob nicht meine liebe alte Mum und Kreacher ausreichen würden... Ich glaube, ich drehe langsam durch.

„Kuck dir das an," sage ich zu Remus. „Großtun können sie, meine Familie, und hintenrum werden die staatlichen Fördermittel eingesackt. Das ist wieder mal so typisch..." Wie der blöde Witz, wonach die Blacks an der Sternwarte von Stonehenge ihren eigenen privaten Droschkenparkplatz haben. (Okay, den gibt es – mein Vater und mein Onkel Alphard haben ihn benutzt, später Narzissa, noch später Regulus. Narzissa gebraucht ihn wohl noch immer.)

„Lass uns runtergehen." meint Remus und äugt nicht gerade begeistert im Observatorium umher.

Als ob es da drunten besser wäre. Albus versuchte natürlich, mir das hier schonend beizubringen, und als ich – nach einem der Lage angemessenen Tobsuchtsanfall – in dem Durcheinander, das ich in Remus' Küche angerichtet hatte, wieder zur Ruhe kam, wurde mir klar, dass ich mir das nicht leisten kann. Ich kann nicht über der Vergangenheit grübeln und darüber in ein schwarzes Loch fallen, während ich darauf warte, dass mein guter Name wiederhergestellt wird. (Ha! Die ganze Ironie dieses Ausdrucks wird mir hier erst so richtig klar.)

Das Haus ist nicht nur voll von Schwarzer Magie, es ist auch noch zu einer Müllhalde heruntergekommen, seit ich das letzte Mal hier war. Schon beim Gedanken, es hier Merlin-weiß-wie-lange aushalten zu müssen, bis die Schwachköpfe im Ministerium sich herablassen, uns Gehör zu schenken, kommt mir die Galle hoch. Vor gerade mal achtundvierzig Stunden habe ich das Haus meiner Väter zum ersten Mal in fünfzehn Jahren betreten und schon schlägt die altvertraute Düsternis über mir zusammen wie eine Sintflut, vor der es kein Entrinnen gibt.

Offiziell sind es sogar neunzehn Jahre, seit ich zum letzten Mal hiergewesen bin, aber ich bin offen gestanden nicht scharf darauf, meine Ordenskollegen darüber aufzuklären, dass ich später – nach meinem spektakulären Ausriss, als ich sechzehn war – doch noch einmal zurückgekommen bin. Für einen späten Nachmittag oder einen frühen Abend, ganz wie es beliebt. Allerdings ist das meine Sache, mein pivater Ausrutscher, der niemanden aus dem Orden etwas angeht.

Ich genieße das wiederhergestellte Vertrauen der Ordensmitglieder zu sehr, um es mit alten Familiengeschichten auf die Probe zu stellen. Nicht dass sie sich einen abbrechen würden, hierher zu eilen und das neue Hauptquartier zu inspektieren. Bis jetzt sind nur Remus und ich hier. Ich kann es ehrlich gesagt niemandem verdenken. Sogar die Luft, die ich einatme, scheint mir hier feindlich gesonnen. Allerdings haben Molly und Arthur gesagt, dass sie in den nächsten Tagen mit den Kindern herüberkommen wollen. Und ich wünsche mir Harry her, natürlich.

Aber das ist ein vorerst unerfüllbarer Wunsch, soviel hat Dumbledore mir schon klar gemacht. Wir werden ihn nicht herholen bis kurz vor Anfang des neuen Schuljahrs. Und von mir erwartet man, dass ichmich zusammenreiße, mich in Geduld übe, mit Leuten wie Severus Snape zusammenarbeite und von allen denkbaren Orten ausgerechnet hier meine Zeit totschlage.

Zugegeben: ein sicherer Platz als dieser lässt sich vermutlich in ganz Großbritannien nicht auftreiben. Die Blacks waren zu ihrer Zeit mit jedem Schnickschnack ausgerüstet, den die magische Sicherheitstechnik zu bieten hat. Und mit Dumbledore als Geheimniswahrer kann sowieso nichts mehr schiefgehen. Rein praktisch-zweckmäßig betrachtet sind wir hier am richtigen Fleck.

Das sehen eigentlich alle so. Aber alle andern sind nicht hier aufgewachsen wie ich es bin. Alle andern haben keine Erinnerungen an diesen Ort, die auf sie lauern und in unbedachten Momenten über sie herfallen. Ich hasse Dumbledore für seine Vernunft, seine Logik, uns gerade hierher zu bringen. Wo jeder Schritt, den ich tue, doch unausweichlich zurück an den Anfang führen muss, in die sternbeschienene Finsternis der frühen Jahre.

Zurück zu ihr.

Ich träumte von meiner Cousine. Es ist zum Verrücktwerden: Die ganze Zeit, die ich bei Remus verbrachte, auf dem Gelände von Hogwarts, auf der Flucht – wenn ich überhaupt träumte, dann von Stein und Eis, vom Klatschen der Wellen gegen die Küste einer Insel weit draußen in der Nordsee. Askaban hat sich so tiefund nachhaltig in mein Gehirn gebrannt, dass ich die ganze Zeit geglaubt habe, ich wäre zu anderen Träumen gar nicht mehr imstande.

Kaum setze ich einen Fuß in dieses Haus, träume ich von Bellatrix.

Oh, die Träume, die ich hatte, sind immer noch die gleichen wie vorher. Askaban. Stein und Eis. Aber Bellatrix kommt auch vor. Manchmal ist sie ein kleines Mädchen,

– konzentriert ziehen sich ihre dunklen Brauen über einem Buch zusammen, sie musste ja aus purer Bosheit schon mit fünf Jahren lesen können, bloß um mir eins reinzuwürgen –

manchmal eine Fünftklässlerin,

– spöttisch zucken ihre Mundwinkel, als sie neben mir innehält und mich fragt, wie die ZAG-Prüfung in Verwandlung verlaufen ist, und ich weiß ohne den Schimmer eines Zweifels, dass ihr Zauber mich und James die Nachtruhe gekostet hat als Vergeltungsmaßnahme für das, was wir mit Snape gemacht haben –

manchmal trägt sie ihr Hochzeitskleid, das ich nie wirklich zu Gesicht bekommen habe, nur im Tagespropheten, als ich die Anzeige gelesen habe,

– Samstag, der 4. Juni, ein Tag vor meinem Geburtstag, wie geschmackvoll, ich bin so betrunken wie noch nie in meinem Leben, Lily legt die Hand auf meine Stirn, „Komm, lass uns heimgehen..." Wissen es eigentlich alle, frage ich mich –

Erstaunlich, wie fest sie in meinem Kopf verankert ist, ihre Augen, ihre Stimme, nach all dieser Zeit. Und da sind die anderen, die sich auch nicht daraus vertreiben lassen. Aber kann es normal sein, dass ich nach zwei verdammten Tagen bereits anfange, diesen Mist zu träumen und mich an das Elend zu erinnern? Bin ich so schwach oder ist mein Erbe so stark?

Hier liegt meine Kindheit, in diesen Gemächern mit den absurd hohen Decken, in diesen finsteren, verschlungenen Korridoren, ob es mir nun passt oder nicht. Und es passt mir nicht. Ich bin hier anfälliger für Erinnerungen, die nicht ohne Grund jahrzehntelang begraben waren, das ist nur natürlich.

Dieses elende Haus ist voller Fotos, vielleicht ist das auch mit ein Grund. Die Blacks haben ein permanentes Bedürfnis, sich zur Schau zu stellen, das ist schon ziemlich krankhaft. Es ist einfach unmöglich, einen Haken um sämtliche Bilder meiner Leute zu schlagen.

Aus irgendwelchen sadistischen Gründen begegnet mir auf dem Weg nach unten natürlich auch wieder so eine Wand voller Fotos. Das Hochzeitsfoto meiner Großeltern mütterlicherseits. Mein Vater mit dem Schulsprecherabzeichen. Tante Elladora mit der kleinen Andromeda auf dem Arm. Alles hängt durcheinander – es gibt keine Chronologie. Und wie magisch angezogen bewegen sich meine Augen zu dem mit uns Kindern.

Wir sind alle drauf. Allerdings habe ich der Gesellschaft den Rücken zugewandt und Andromeda lehnt gelangweilt am Rahmen. Narzissa spielt mit ihren fedrigen, blonden Haarsträhnen. Regulus lächelt sein seltsames Lächeln – direkt in die Kamera gerichtet, aber doch eigenartig ziellos. Wie sein ganzes Leben eben so war, denke ich. Er war stark, mein Bruder, in vielerlei Hinsicht stärker als ich – solange es nicht um ihn selber ging, konnte er so ziemlich alles aushalten. Das war sein Verhängnis.

Bellatrix sitzt auf dem Rasen, die Arme um die Knie geschlungen, und blickt unter ihren schweren Augenlidern, die ihr schon als Kind einen ständigen Schlafzimmerblick gaben, zum Betrachter auf. Bis wir eingeschult wurden, trug sie die Haare relativ kurz, nicht mal bis zu den Schultern. Von da ab ließ sie sie wachsen. Zeitweise reichten sie ihr bis zu den Hüften, so dass sie sie fürs Quidditch rigoros mit Haarnadeln befestigen musste.

Ich erinnere mich daran, wie das Foto gemacht wurde. Im Sommer 1968. In derselben Woche, als wir zum Tee im Garten von Black Manor saßen – es war mein neunter Geburtstag –, ergriff Bellatrix vor unseren Augen ein scharfes Kuchenmesser und säbelte sich damit quer übers Handgelenk. Die Aufregung war groß. Ich persönlich hätte mir nie träumen lassen, dass so viel Blut aus einer einzigen Schnittwunde fließen konnte.

Bellatrix machte sich nie die Mühe, richtig zu erklären, was sie sich dabei gedacht hatte. Bleich und gespenstisch ruhig saß sie mit verbundenem Handgelenk auf Onkel Alphards Schoß und wusste auf die Fragen und fassungslosen Gesichter nichts anderes zu erwidern, als dass sie hatte herausfinden wollen, ob es „tatsächlich möglich" war (Zu verbluten? Uns einen Schrecken einzujagen?). Und wie es sich anfühlte.

Heute denke ich – falsch, heute weiß ich natürlich, dass mit meiner Familie etwas ganz Entscheidendes nicht stimmte. Über Generationen hinweg musste sich der exzessive Gebrauch der Dunklen Künste ja auf die geistige Stabilität der Familienmitglieder niederschlagen. Aber in meiner Kindheit – die, egal was ich später immer behauptet habe, in Anbetracht alldessen, was passieren sollte, geradezu abnormal glücklich war – schien mir diese die einzig mögliche Daseinsform. Ich nehme an, bei den meisten Leuten ist es so. Man stellt die Dinge als Kind einfach nicht in Frage. Zugegeben, ich bin noch nie gut ausgekommen mit den beiden letzten Einwohnern meines Elternhauses – weder mit meiner Mutter noch mit Kreacher.

Doch ich denke, am deutlichsten zeigt sich die relativ heile Welt meiner Kindheit daran, dass mir der Tag, an dem sie den ersten Riss bekam, nach wie vor in so lebhafter Erinnerung ist.

Wieder einmal hatten sich die diversen Familienhäupter des fürnehmen und gar alten Hauses der Blacks am Grimmauld Platz Nummer 12 eingefunden, um gemeinsam das Fest der Liebe und Hoffnung zu begehen. Das volle Programm harrte unserer: Festmahl, Ströme von Hochprozentigem und das unvermeidliche Gejaule unter dem Weihnachtsbaum.

Was für ein Quark, dachte meine zehnjährige Wenigkeit, als ich am späten Nachmittag missmutig in die Eingangshalle stiefelte. Es würde doch nur in ein trunkenes Zerwürfnis ausarten. Man konnte schließlich nicht erwarten, dass ein Klüngel wie der unsrige, der sich jahrein jahraus bei jeder Gelegenheit gegenseitig an die Kehle ging, einmal im Jahr eine schnucklige Bilderbuchfamilie abgab (und das auch noch unter Einfluss von Alkohol). Meine Mutter hasste ihre Schwägerin, mein Onkel Orion hielt meinen Onkel Alphard für einen totalen Versager und wir alle hätten liebend gern Araminta Meliflua, die Cousine meiner Mutter, sechs Fuß unter der Erde gesehen, wo sie in ihrem Alter verdammt noch mal hingehörte.

Bei einer solchen Konstellation blieb dem Christbaum eigentlich nicht mehr viel anderes übrig, als vor Frustration in Flammen aufzugehen. (Um die Wahrheit zu sagen, ich gedachte, dem etwas nachzuhelfen, und hatte auch schon alle Vorbereitungen getroffen. Was sollte man sonst mit seiner weihnachtlichen Freizeit anfangen, wenn die Alten einen zur Abwechslung mal nicht mit der Vorbereitung auf Hogwarts drangsalierten?)

Kreacher ließ einen Kreuzbrüller vom Stapel, als er der schlammigen Fußtappen gewahr wurde, die meine Stiefel nach einem ausgiebigen Erkundungsgang durch den verschneiten Garten auf dem Parkett hinterlassen hatten.

Plärr hier nicht rum, lass mir gefälligst ein Bad ein!" brüllte ich ohne das geringste Schuldbewusstsein zurück und schlug die Hand vor den Mund bei dem Gedanken, meine Mutter könnte das gehört haben. Wenn ich etwas jetzt nicht gebrauchen konnte, dann war es eine Standpauke bezüglich der Tatsache, dass ich ein leuchtendes Beispiel für meinen kleinen Bruder abzugeben hätte – anstatt mich schlimmer aufzuführen, als Regulus es je fertig gebracht hätte.

Ich trat die Flucht nach vorn an und folgte dem erbost vor sich hinbrabbelnden Hauselfen die Treppe hinauf in den zweiten Stock, wo sich mein Zimmer und das dazugehörige Bad befanden, als etwas plötzlich meine Neugier erregte. Es drang Licht durch einen Spalt unter der Tür zum verbotenen Zimmer. Was hatte das zu bedeuten? War das am Ende der Grund, weshalb meine Mutter nicht sofort auf der Matte gestanden hatte als ich unten herumgebrüllt hatte? Allerdings wusste ich sehr genau, dass meine Eltern dieses Zimmer ebenfalls nie betraten. Für gewöhnlich war es verschlossen – sehr zu meinem Leidwesen, und unsere Mutter verbot meinem Bruder und mir auch nur darüber zu sprechen.

Was in Salazars Namen hatte irgendein Unerschrockener also ausgerechnet an Heiligabend darin verloren?

Ich brauchte keine zwei Sekunden, um mir darüber klar zu werden, dass sich mir hier eine noch nie dagewesene Chance, in die tiefsten Geheimnisse des Black'schen Haushaltes vorzudringen, bot. In Nullkommanichts hatte ich mich von Kreacher abgesetzt und legte einen Lauscher an die massive Ebenholztür. Erwartungsgemäß drang kein Laut nach draußen. Hier waren andere Maßnahmen gefordert. Ich wog kurz die Freuden des bevorstehenden Festes gegen einen Abend unter Stubenarrest auf meinem Zimmer ab und drückte behutsam die schwere Klinke nach unten. Die Tür öffnete sich erstaunlich mühe- und geräuschlos.

Nachdem ich bereits damit gerechnet hatte, von meiner Mutter am Kragen hinausgeschleift zu werden, stand ich einen Moment recht unschlüssig auf der Schwelle zu einem gänzlich unbevölkerten und überraschend kleinen Raum. Wo waren sie? Ich brauchte ein paar Sekunden, um zu merken, dass es einen weiteren mit Vorhängen halbverhüllten Durchgang gab. Im Näherkommen hörte ich schließlich die Stimmen.

Und dann sah ich sie. Meine Tante Elladora saß auf einem roten Kanapee, die Beine unter ihrer schweren Robe übereinandergeschlagen. Hinter ihr konnte ich einen kunstvoll geschitzten Schreibtisch sehen sowie mehrere Bücherregale. Und noch jemand war im Raum. Jemand, von dem ich nur die Stimme hören konnte, eine andere Frau.

Ich halte das für keine gute Idee."

Wirklich nicht?" Meine Tante hob den Kopf. Ihr herrliches Haar schimmerte im diffusen Licht des Raums wie flüssiges Gold. Nur eine ihrer Töchter hatte diese Farbe geerbt, die Älteste und die Jüngste waren so rabenhaarig wie es sich für Blacks gehörte. „Vielleicht," sagte Elladora und stützte spöttisch – wie überlegend – das Kinn in die Hände, „vielleicht weiß ich ja am besten, was gut ist für meine Tochter."

„Bellatrix ist noch ein Kind", sagte die Fremde, in deren Stimme sich erschöpfter Widerstand breitzumachen begann. „Sie kann nicht entscheiden, wie sie leben will, aber du schon."Nun sah ich etwas von ihr, als sich zu Elladora herunterbeugte und sogar die Hand ausstreckte. „Gib sie mir. Albus und ich werden uns um sie kümmern, und er wird nie Gewalt über sie erlangen."

Elladora starrte die andere Frau mit einem Ausdruck an, den ich nur als ungläubige Verachtung interpretieren konnte. „Du denkst wohl wirklich, ich bin von gestern. Meinst du, ich weiß nicht, warum wir diese Unterredung überhaupt führen? Glaubst du, ich denke auch nur eine Sekunde daran, ausgerechnet dir unser Fleisch und Blut zu überlassen?" Ihr Unterkiefer zitterte ganz leicht. „Du kannst es nicht verwinden, dass ich sein Kind geboren habe, Minerva, und nicht du."

Unbemerkt zog ich mich zurück. Ich hatte genug gehört. Es ging um sie, natürlich. Wiedermal. Es ging eigentlich immer um sie. Ihre beiden älteren Töchter schienen für Elladora kaum zu existieren, ihr Mann im Grunde auch nicht so richtig. Wirklich von Bedeutung waren in ihrem Leben nur zwei Dinge: ihr Studium der Dunklen Künste und ihre Jüngste, Bellatrix.

Doch auch für den Rest der Familie nahm Bellatrix den Stellenwert ein, der eigentlich mir, dem Erben der Blacks, gebührt hätte. Obwohl sie bis auf meinen Bruder die Jüngste von uns allen und ein halbes Jahr jünger als ich war, kam nie der geringste Zweifel auf nie, wer in unserer Familie das Wunderkind war. (Und in den kommenden Jahren sollte dann auch ein für allemal festgestellt werden, wer das weiße Schaf war.) Ihre älteren Schwestern konnten da ebensowenig mithalten wie Regulus und ich. Die Erwachsenen vergötterten sie, am meisten mein Onkel Alphard, der nie geheiratet hatte und dessen anderes Lieblingskind aus irgendwelchen Gründen ich war.

Manchmal dachte ich, dass ich mir mit Freuden einen Arm abhacken lassen würde, wenn meine Mutter mir so viel Aufmerksamkeit zollte wie Elladora Bellatrix angedeihen ließ. So als ob sie mich wirklich gern hätte natürlich – nicht so wie sie es jetzt tat und mich nur als Fortbestand der Blutlinie betrachtete. Was immer die Fremde gewollt hatte, Elladora würde nicht darauf eingehen, das hatte ich begriffen. Weil sie das Beste für ihre Tochter wollte.

Unschlüssig stand ich mehrere Minuten auf dem Gang herum, bis ich schließlich in den grünen Salon hinüberschlurfte. Mein Tatendrang von vorhin war verflogen, ich fühlte mich entsetzlich müde. Als ob man mir ein Gebirge auf die Schultern geladen hätte – wie dem komischen Kerl in der Sage. Ich war sogar zu erschöpft, Licht zu machen. Und so dauerte es eine Weile, bis ich sie bemerkte.

Sie lag zusammengerollt auf dem Sofa vor dem Kamin, in dem kein Feuer brannte. Die einzige Lichtquelle waren ein paar grünliche Lampen, die meiner Meinung nach den Raum eher noch düsterer machten, als er ohnehin schon war. In diesem Licht konnte ich die Gesalt meiner Cousine – die halbgeschlossenen Augen, die grün angestrahlten Wangenknochen und das rabenschwarze Haar, das sich über ihr Kissen ergoss – nur undeutlich ausmachen.

Es war eine Angewohnheit von ihr – sie trug immer etwas zu große Klamotten. Vielleicht stammten sie auch von Narcissa, der Nächstälteren meiner Cousinen. Mir oder jedem anderen von uns Kindern hätten die Alten das nie durchgehen lassen, aber zu Bellatrix gehörte es wie das Netz zur Spinne.

„Soll ich Licht machen?" erbot ich mich.

„Nein," sagte sie abwesend. „Ich mag es so."

Ich wusste, dass das stimmte. Sie sah gut im Dunklen, alle Blacks tun das. Das kommt vom Sterngucken, die Nachtstunden sind unsere natürliche Wachzeit. Irgendwie ist das wohl in unseren Genen gespeichert – zusammen mit den schwarzen Haaren und den grauen Augen, der Begabung für Verwandlung und der Demenzabwehrvorrichtung, die die vielen über Generationen geschlossenen Ehen zwischen nahen Verwandten innerhalb der reinblütigen Gemeinde nötig gemacht haben.

Keine Sekunde spielte ich mit dem Gedanken, ihr von dem zu erzählen, was ich gerade gehört hatte, und so sollte ich nie erfahren, wieviel sie möglicherweise wusste. Wir saßen in Schweigen, bis Andromeda uns zur Bescherung holen kam.

Natürlich hatte ich nicht wirklich verstanden, was ich vom Gespräch meiner Tante mit Minerva McGonagall mitbekommen hatte. Noch heute frage ich mich manchmal, ob meine Erinnerung mir da nicht einen Streich spielt. Wie konnte meine jüngste Cousine – die zugegebenermaßen sehr wie ihre Mutter und überhaupt nicht wie mein Onkel Orion aussah – als Kind eines anderen Mannes in unserem Haus aufwachsen?

Bellatrix wäre ein besserer Erbe des Hauses Black gewesen als ich, das hatte ich in meiner Kindheit oft hinter vorgehaltener Hand zu hören bekommen. Es war das Drama meiner Teenagerzeit, dass sie das Wunderkind der Dunklen Künste war und ich das weiße Schaf der Familie. Ich hatte keine Begabung – zumindest keine herausragende, wie sie dem Erben angestanden hätte – für die Dunklen Künste, die eine Art von Magie, die in meiner Familie von Bedeutung war.

Und Bellatrix ist ein Parselmund. Der erste in fast dreihundert Jahren, der in die Familie geboren wurde. Damit hatte ich eigentlich von vorneherein verspielt. Ich glaube, es ist kein Wunder, dass meine Cousine sich einer Bewegung anschloss, der es darum ging, die Privilegien einer Minderheit zu erhalten, die nichts getan hatte, um diese zu verdienen.

Sie war in jeder Hinsicht auf der Sonnenseite des Lebens geboren - auch wenn das natürlich ein irreführender Begriff ist, wenn man in einem Haus aufwächst, das die Bewohner künstlich dunkel halten. Egal, zu welcher Tages- oder Nachtzeit man durch die Fenster von Grimmauld Place 12 nach draußen sieht - man kann stets das nächtliche Firmament bewundern.

Wie auch immer, ein Satz gefällt mir ausnehmend gut - auch wenn ich mich nicht erinnern kann, wo ich ihn gelesen habe: Sowie einer ein Gebrechen hat, so hat er eine Meinung.

So war es bei mir. Mein Handicap war meine Cousine und der lästige Umstand, dass ich in der Rivalität, die zwischen uns, da wir im Abstand von nur sechs Monaten geboren waren, von klein auf herrschte, stets den Kürzeren zog. Ich konnte machen, was ich wollte - Bellatrix hatte einfach eine natürliche Begabung für alles, was meine Familie so schätzte, die mir abging.

Dass es andere Talente gab, die von Nutzen waren und die ich tatsächlich besaß, ging mir erst in Hogwarts auf. Ich kam nach Gryffindor und stieß zum ersten Mal in meinem Leben auf Leute, die mich nicht geringschätzig ansahen, weil ich kein As in den Dunklen Künsten war – sie bewunderten mich sogar dafür, dass ich anders war als meine Leute.

Ich weiß, was Bellatrix sagen würde – gesagt hat bei verschiedenen Gelegenheiten mit einem spöttischen Kräuseln der Lippen: Das ging ja schnell. Zuhause kannst du nichts werden, weil ich immer besser sein werde als du, also verteufelst du die Dunklen Künste und uns und wirst zu einem Kämpfer für das Licht.

Kein besonders schöner Gedanke.

Noch heute regt er mich genug auf, dass ich den Drang verspüre, mich zu bewegen. Ohne zu überlegen, schwinge ich ein Bein über das Treppengeländer und rutsche herunter, wie Regulus, Bellatrix und ich es als Kinder zu tun pflegten. Ich springe ab, lande auf den Füßen wie in alten Zeiten – und schlage vor Entsetzen beinah lang hin.

Drunten in der Halle, den Ellbogen in Kopfhöhe gegen das Treppengeländer gestützt, steht die letzte Person, von der ich jetzt beobachtet werden möchte. Severus Fahr-zur-Hölle Snape.

Wenn ich Snape sehe, könnte ich ihm eine reinhauen. Und wenn ich ihn nicht sehe, könnte ich ihm auch eine reinhauen. Typisch irgendwie, dass von allen Ordensmitgliedern ausgerechnet er als erster aufkreuzt und dann noch in einem für mich höchst ungeeigneten Moment. Klar, wenn es um Snape geht, ist jeder Moment der verkehrte – aber dieser ganz besonders.

„Trautes Heim, Glück allein." begrüßt er mich hämisch.

„Gibt's einen Grund, warum du mir hier auflauerst?" fauche ich ihn an.

Ich," betont er, „komme gerade von einer Mission zurück. Und du solltest dich langsam mal mit dem Gedanken anfreunden, dass du nicht der Mittelpunkt der Welt bist."

Dieser freundliche Gedankenaustausch war eben einen Tick zu laut. Bevor ich ein weiteres Wort anbringen kann, lässt uns beide ein ohrenbetäubendes Geheul zusammenfahren.

„AAAABSCHAAAAUUUM! Dreckige Blutsverräter, die das Haus meiner Väter beschmutzen!"

„Mein Herz," flüstert Snape und greift sich tatsächlich an die Brust, als befürchtet er einen Anfall. „Man könnte meinen, sie steht hinter einem." So erschrocken hab ich ihn nicht mehr aus der Wäsche gucken sehen seit dem denkwürdigen Tag, als ich es vorzog, im Schloss abzuwarten, ob James noch rechtzeitig zu ihm gelangte oder Remus ihn zerfleischen würde.

"Elendes Gewürm, schert euch hinfort!"

„Ach, halt die Klappe," sage ich, während ich mit den schweren Vorhängen des Portraits herumhantiere und lasse es absichtlich dahingestellt, auf wen ich mich beziehe. Der Krach erstirbt langsam, so dass Snape nicht die Stimme zu heben braucht, als er bemerkt: „Muss ein schönes Gefühl sein, nach all der Zeit so wohlwollend zuhause aufgenommen zu werden... Aber jeder, was er verdient. "

Ist es ein Wunder, dass sich mir bei Snapes bloßem Anblick regelmäßig das Fell sträubt? Ich will ihm gerade mit einer Bemerkung über Moody und seinen eigenen schiefen Haussegen aufwarten, als mir auffällt, dass besagter Anblick ein wenig zu wünschen übriglässt. Ein wenig mehr als sonst.

Wasser rinnt aus seinem Haar und seinen gleichfalls schwarzen Klamotten und nässt den Perserteppich meiner Großmutter ein. Seine Augen sind riesig und dunkel in seinem kreidebleichen Gesicht, und er scheint nicht allzu sicher auf den Beinen zu sein – vielleicht hält er sich deswegen am Treppengeländer fest. Insgesamt kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es eine Weile her ist, seit er etwas zu sich genommen hat.

„Du siehst scheiße aus, Severus." Typisch Remus – ich denke und er redet. Das Geschrei hat ihn auf den Plan gerufen und nun sieht er unseren Überraschungsbesuch mit der ruhigen Selbstbeherrschung an, die ihm eigen ist. Nein, nicht Selbstbeherrschung. Es gibt nichts, weswegen er sich zusammenreißen müsste.

Um ehrlich zu sein, ich habe nicht den blassesten Schimmer, was Remus Snape gegenüber empfindet. Er würde nie durchsickern lassen, ob er ihm grollt, weil er vergangenes Jahr sein Geheimnis verraten hat. Remus Lupin ist der stolzeste Mensch, den ich kenne. Er trägt seinen Stolz nicht wie eine Waffe vor sich her wie Snape und ich es tun (deswegen laufen wir auch ständig Gefahr, dass er Schaden nimmt), aber gerade das macht ihn im Vergleich zu uns unangreifbar.

Snape fährt sich mit einer schlanken, weißen Hand übers Gesicht. „Ich sehe vermutlich aus, als hätte ich nach 72 Stunden ohne Schlaf eine selten benutzte Flohnetzwerkverbindung betätigt. Hab ich auch, nebenbei bemerkt."

„Ja, so siehst du aus." nickt Remus.

„Und baden könntest du auch mal wieder." kann ich mir nicht verkneifen hinzuzufügen.

Wie zu Tode erschöpft er sein muss, lässt sich daraus erschließen, dass er diesen Kommentar hinnimmt, ohne aus der Haut zu fahren, und sich einfach von Remus in Richtung Badezimmer komplimentieren lässt. Na, an dem wird er seine Freude haben. Schon zu meiner Zeit war das Bad im Erdgeschoss ein hoffnungsloser Fall.

Was hat er bloß wieder getrieben? Er würde es in hundert Jahren nicht erzählen – nein, damit wartet er, bis eine Versammlung einberufen wird. Wenn überhaupt. Was immer Voldemort von ihm verlangt hat, um seine Integrität wiederherzustellen, es kann kein Pappenstiel gewesen sein.

Aber jetzt hat er's hinter sich, da habe ich keinen Zweifel. Ich hab ihn nicht mehr gesehen seit jenem denkwürdigen Abend im Anschluss an das Trimagische Turnier. Ich weiß nur, dass Dumbledore ihn irgendwohin geschickt hat, um irgendwas zu tun. Seufzend folge ich Remus in die Küche. Die Chancen stehen gut, dass ich es nie rauskriegen werde.

In der Woche vor unserer Abreise nach Hogwarts zogen wir los: meine Cousinen, mein Vater, meine Tante Elladora, mein Onkel Alphard und ich. Unser Onkel Alphard hatte uns gern. Natürlich war Narzissa sein Liebling, die einzige echte Sternguckerin, die unsere Generation hervorgebracht hatte. Aber wir waren Blacks – Augen wie Stahl und Haare so schwarz wie der Nachthimmel. Onkel Alphard konnte sich dem nicht verschließen – er, der selbst keine Kinder hatte, war stolz auf uns und unsere Familienähnlichkeit.

Selbstredend waren Bellatrix und ich schon öfter in der Winkelgasse gewesen. Aber heute stand uns das wichtigste und aufregendste Ereignis im Leben eines jeden Erstklässlers bevor: die Wahl unserer Zauberstäbe. Und wir waren nicht wenig aufgeregt.

Während mein Vater mit Andromeda und Narzissa herumzog, wurden wir von Alphard und Elladora zu Ollivander's geschleppt. Ollivander begrüßte uns mit ausgesuchter Freundlichkeit – eine Familie mit fünf Kindern ist gute Kundschaft. Aber wir hätten die spezielle Ehrerbietung ohnehin eingefordert. Wir waren die Blacks, wenn's beliebte.

Natürlich wurde von mir erwartet, dass ich meiner Cousine den Vortritt ließ und obwohl ich nicht die geringste Lust dazu verspürte, hielt ich mich an das Protokoll. Der erste Zauberstab, den sie ausprobierte, lebte nicht lange genug, um ihren Ansprüchen zu genügen.

„Falsche Kombi?" fragte Bellatrix unschuldig, die Überreste des explodierten Stabs in der Hand haltend.

„So was hab ich ja noch nie gesehen!" meinte Onkel Alphard. Aber er klang nicht so sehr entsetzt, eher... angetan. Na klar, dachte ich und versuchte, nicht mit den Augen zu rollen, es ist mal wieder eine Bellatrix-Spezialität. Warum musste das Weib immer so was Besonderes sein? Schlimm genug, dass sie die Gabe hatte und nicht ich, aber manchmal nervte es mich schon gewaltig, was für ein Aufhebens um sie gemacht wurde.

Ollivander jedoch sah nicht so aus, als ob er das noch nie gesehen hätte. Nachdenklich strich er sich das Kinn ohne den Blick von meiner Cousine abzuwenden. „Ich frage mich, ob... Es könnte sein." Er wandte sich um und begann, im hinteren Teil seines Ladens herumzustöbern. Mit einer kleinen Schachtel aus schwarzem Leder, die nicht neu, aber gänzlich unbenutzt wirkte, kehrte er zurück.

Bellatrix brauchte das neue Modell nicht einmal zu schwingen, die Magie darin erwachte von selbst zum Leben. Sie drehte das Handgelenk ein wenig und mit einem silbrigen Klingen stoben blasse Funken hervor und wirbelten davon wie Blätter im Sturm. „Scheint zu passen," meinte sie erfreut.

„Eibe und Phönixfeder, 11 Inche." Ollivander schien tief in Gedanken. „Ausgezeichnet für Zauberkunst."

„Eibe und Phönixfeder," wiederholte Tante Elladora leise. „Das wusste ich."

„Komm schon, Sirius," ermunterte Onkel Alphard mich, bevor ich Gelegenheit hatte nachzuhaken, was sie damit meinte. „Du bist jetzt dran."

Zu meiner großen Enttäuschung gelang es mir nicht, Zauberstäbe zu zerstören, indem ich sie nur in die Hand nahm. Ich seufzte innerlich. Es sollte wohl eins von den vielen Dingen sein, in denen Bellatrix mir immer über wäre. Allerdings war das Chaos, das ich mit den ersten fünf oder zehn Stäben anrichtete,die man mir gab, mehr als zufriedenstellend. Das sei völlig normal, versicherte Ollivander mir, als Bellatrix und meine Tante begannen, ungeduldige Blicke auf die Uhr zu werfen. „Niemand findet auf Anhieb seinen Zauberstab."

Aber ich fand ihn doch, als ich schon nicht mehr daran glaubte. Wacholder und Faunzahn, 13 Inche. Sehr gut geeignet für Verwandlung, laut Ollivander. Ich strahlte. Ich wusste zwar noch nicht, ob mir Verwandlung gefallen würde. Aber mein Stab war länger als der meiner Cousine, das gab mir schon mal ein gutes Gefühl.

Die Zeit im Anschluss an unseren Besuch in der Winkelgasse verging wie im Flug. Bellatrix und ich überließen das Packen den Hauselfen und nutzten die verbleibenden Tage hauptsächlich, um uns mit unseren Zauberstäben vertraut zu machen. Wie durch ein Wunder gab es keine Toten. Doch schließlich – nach einer unterhaltsamen Zugfahrt, während der wir die üblichen Haken um Bellatrix' Schwestern schlugen, die unglücklicherweise Schulsprecherin und Vertrauensschülerin waren – war es soweit und wir betraten in einem Strom von anderen Erstklässlern die Große Halle von Hogwarts. Wie schwarze Gischt umschwappten uns die anderen, als wir im Mittelgang stehen blieben und durch die verzauberte Decke unsere Namesvettern am Himmel zu erspähen versuchten.

Es machte uns nocht das geringste aus, im Weg zu sein. Wir stiefelten bereits durch die Schule, als gehörte sie uns. Tat sie auch, in gewisser Weise. Unser Ururgroßvater war hier Schulleiter gewesen. Unsere Väter Schulsprecher und davor ihre Väter. Bellatrix' Mutter hatte hier die Höchstzahl an UTZen erzielt und Onkel Alphard mit seiner Mannschaft sechs Jahre in einer Reihe den Quidditchcup gewonnen. Es war wie nach Hause kommen.

Das unerschütterliche Traditionsbewusstsein meiner Familie zeigte sich für meine Begriffe speziell in einem Punkt: Niemand hatte es für nötig gehalten, uns eigens darauf aufmerksam zu machen, wie unabdingbar es für uns war, nach Slytherin zu kommen. Es war eine Selbstverständlichkeit und die Erwartungen, die an mich gestellt wurden, waren mir so vertraut wie die Gänge und Treppen in meinem Elternhaus.

Wenn die Älteren über die Häuser von Hogwarts redeten, dann hieß es grundsätzlich wurden die anderen drei Häuser immer als Ganzes abgetan, wie ein diffuses dreiköpfiges Konstrukt, das auf unser Leben keinen Einfluss haben sollte.

Mit der uns eigenen arroganten Selbstverständlichkeit hatten Bellatrix und ich uns, als wir unsere Sternstunde beendet hatten, einfach durch die Menge nach vorne geschoben, bis wir gute Sicht auf den Sprechenden Hut hatten. Jemand schubste mich plötzlich. Ungehalten drehte ich mich um und blickte in ein Paar erboste haselbraune Augen hinter Brillengläsern. Ich stöhnte innerlich auf. Potter - ich hätte es mir denken können.

Wir kannten uns flüchtig. Seine Eltern waren Reinblüter, allerdings beide Angehörige von alten Gryffindor-Dynastien. Man ging sich aus dem Weg, so gut es der bürgerliche Anstand eben erlaubte. Bellatrix zog mich weiter. Vermutlich befürchtete sie eine Prügelei, was nicht anging, wenn wir gleich aufgerufen werden konnten. Aufgrund unseres Nachnamens mussten wir nicht sicher nicht lange warten.

Wir wandten uns also wieder der Stellvertretenden Schulleiterin zu, als sie uns erklärte, wie die Auswahl funktionierte. Ich verschluckte mich vor Schreck, als sie zu sprechen begann. Kein Zweifel: es war dieselbe Frau, die uns an Heiligabend besucht hatte.

Sie ließ den Blick über unsere Schar schweifen, als sie den ersten Namen aufrief... und verweilte für einen Moment bei meiner Cousine. Die ernsten blauen Augen glommen mit Emotionen, die ich nicht benennen konnte.

„Diese Frau hasst mich." meinte Bellatrix knapp, als das erste Opfer des Sprechenden Huts am heutigen Abend die Aufmerksamkeit der Lehrerin beanspruchte. „Ich weiß nicht warum, aber es ist so."

Ich werde nie verstehen, was mich letztendlich zurückhielt. Da hätte ich es ihr sagen können. Ich hätte ihr erzählen können, dass ich Minerva McGonagall schon mal gesehen hatte und dass sie mit Elladora über Bellatrix gestritten hatte. Aberich tat es nicht, und dann war der Moment vorbei und Bellatrix saß unter dem Sprechenden Hut.

Ich beobachtete ihr Mienenspiel aufmerksam. Meine Tante hatte mir gesagt, dass die Möglichkeit bestand, dass der Hut sich ein bisschen mit einem unterhalten wollte. Bellatrix' feine, kräftige Augenbrauen wölbten sich in ihrem blassen Gesicht wie in einer gedanklichen Unterredung mit dem Hut. Ein Lächeln spielte um ihre Lippen. Sie schüttelte sehr bestimmt den Kopf. Und dann -

"SLYTHERIN!"

Jubel brach an dem grün und silber geschmückten Tisch links außen in der Halle aus, als meine Cousine hinübereilte, um sich von ihren Schwestern in Empfang nehmen zu lassen.

Ich beobachtete noch, wie Andromeda und Narzissa sie dort willkommen hießen, als ich selbst den Hut aufgesetzt bekam. Alle waren sie dort oder würden es bald sein, alle Kinder und Jugendlichen mit denen ich praktisch aufgewachsen war, die Sprösslinge der alten Häuser und ich würde auch dort sein, in einer Sekunde -

Aber der Hut rief „GRYFFINDOR!" - ohne mir auch nur die Gelgenheit zu geben, Einspruch zu erheben - und ich dachte, die Schande überlebe ich nicht.

Ich schaukle auf einem Stuhl in der Küche herum und denke: Was in Merlins Namen tust du da? Gibt es nichts anderes, worüber du jetzt nachgrübeln willst, als deine verdammte, elende Kindheit?

Nein, verhöhnt mich eine leise Stimme in meinem Kopf.

Ich sehe Remus zu, wie er Tee macht. Dazu Röstbrote. Snape ist noch nicht wieder aufgetaucht. „Siehst du mal nach ihm?" meint Remus zu mir. „Ich hab Kreacher schon vor einer halben Stunde mit was zum Anziehen reingeschickt." Ich kann mir Erhebenderes vorstellen, als Snape einen Besuch im Badezimmer abzustatten, aber brav und folgsam stehe ich von meinem Stuhl auf und tue wie mir geheißen.

Auf mein Klopfen reagiert niemand, also drücke ich vorsichtig die Klinke herunter – hin und hergerissen zwischen der Befürchtung, mehr zu sehen zu bekommen, als ich wollte und der vagen Hoffnung, dass er mit aufgeschnittenen Pulsadern in der Wanne liegen könnte.

Mich erwartet eine Mischung aus beidem: er liegt in der Badewanne und hat dementsprechend nichts an. Allerdings deutet das ruhige Sich-Heben und Senken seines Brustkorbs bedauerlicherweise nicht auf Selbstmord hin. Er schläft. Und im Schlaf sieht er keinen Tag älter aus als zwanzig. Seltsam.

Die Lippen sind blass und sein Mund steht leicht offen. Von dem kreidebleichen Gesicht heben sich die rabenschwarzen Wimpern und Augenbrauen deutlicher ab als je zuvor. Er muss träumen. Im Schlaf dreht er den Kopf hin und her. Ich kann sehen, wie sich unter seinen Lidern die Augen bewegen. Derart ungeschützt habe ich ihn noch nie zu Gesicht bekommen. Der Severus Snape, den ich kenne, würde nie - niemals - in der Badewanne eines Feindes einschlafen.

Post-Stress-Syndrom, denke ich. Er muss einiges hinter sich haben. Und ich möchte wissen, was es ist. Ich beuge mich zu ihm hinunter und will ihn an der Schulter wachrütteln, doch schon bei der ersten Berührung springen seine Augen auf.

„Nein!" keucht er. „Sprich das Wort nicht!" Dann erkennt er mich, begreift, wo er ist und sieht mich feindselig an.

„Hier sind ein paar frische Klamotten." sage ich. „Und dann gibt's Abendessen." Ich mache auf dem Absatz kehrt und eile hinaus. „Weißt du, was hier vor sich geht?" frage ich Remus. Remus weiß es nicht.

Was geht hier vor sich? fragte ich mich, als Bellatrix mich in der Eingangshalle stehen ließ und hinter ihren Hauskameraden her in den Kerker eilte, so dass mir nichts übrig blieb, als ihrem Beispiel zu folgen. Nur bedeutete das in meinem Fall, mit lauter rotgolden verzierten Gestalten die Treppe hinaufzusteigen.

Ich fühlte mich elend. Ich redete mit niemandem. Ich spielte mit dem Gedanken, mich hinunterzustürzen, wenn wir oben angekommen waren. Ich wollte meinen Eltern schreiben, dass sie mich nach Durmstrang schicken sollten.

Meine Eltern! Der Gedanke durchfuhr mich siedendheiß. Wie sollte ich ihnen das beibringen? Hatte Andromeda ihnen vielleicht schon geschrieben? Was würden sie sagen?

Na, was schon, Sirius Black? schaltete sich eine Stimme in meinem Kopf ein, die sich irritierenderweise wie mein kleiner Bruder Regulus anhörte. Bist du etwa völlig bekloppt?

Nein nein, versicherte ich. Ich weiß, was sie sagen werden. Ich bin so klar, wie ein Mann in meiner Lage es sein kann.

Einer der unbestreitbaren Nachteile, wenn man nach Gryffindor abgeschoben wurde, so stellte ich fest, war der Umstand, sich mit Gryffindors den Schlafraum teilen zu müssen. Ich hatte mich auf einem der Betten ausgestreckt, zwei weitere waren bereits belegt und zwar von einem schlanken braunhaarigen Jungen und einem kleinen Dunkelblonden. Sie hatten sich nicht vorsgestellt und ich hatte es auch nicht getan. Zeitverschwendung und Merlin wusste, ich hatte andere Probleme.

Eben wollte ich mich so schön in meinem Selbstmitleid suhlen und meinen Hass auf Hogwarts und die Welt im Allgemeinen kultivieren - als die Tür aufschwang und James Potter hereinkam.

Meine Glückssträhne wollte und wollte nicht abreißen, so schien es.

"Oh, meinen Glückwunsch," höhnte er umgehend los, als er mich erspähte. "Wer hätte gedacht, dass sich bei all den tapferen Walpurgisrittern, die deine Familie hervorgebracht hat, mal jemand nach Gryffindor verirrt."

"Halt dein ungewaschenes Maul, Vierauge," schoss ich zurück, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.

"Ihr müsst entschuldigen," mit einem breiten Grinsen drehte er sich zu den beiden anderen um, die unseren Wortwechsel neugierig verfolgten. "Ein kleiner Tratsch unter Bekannten. Mein Name ist James Potter, und das ist Sirius Black."

Die beiden stellten sich vor als Remus Lupin und Peter Pettigrew.

"Glaub ja nicht, dass du für mich sprechen kannst, Potter!" fuhr ich auf. "Bloß weil deine Familie von uns aus betrachtet noch nicht ganz am Ende der Nahrungskette steht - "

"Fall doch tot um, Black!" fauchte er zurück. "Dein Reinblutgetue nützt hier nichts, wir sind in Gryffindor." Er grinste süffisant. "Womit wir beim Ausgangspunkt deines Problems wären."

Darauf konnte es nur eine mögliche Antwort geben. In Sekundenschnelle hielt ich ihm meinen Wacholderzauberstab unter die Nase. Er grinste mich gönnerhaft an. "Boah, hast du aber ein langes Ding!" Er hatte nicht die geringste Angst vor mir, das war offensichtlich. Blacks schätzen es, gefürchtet zu werden. Es machte mich rasend, dass er keine hatte.

Pettigrew kicherte nervös. Lupin beobachtete uns aufmerksam, als ob er sich insgeheim fragte, ob wir beide noch ganz zurechnungsfähig waren, jedoch zu höflich war, seinen Verdacht laut zu äußern.

"PETRIFICUS TOTALUS!" rief ich. Potter riss die Augen auf und blieb wie angewurzelt stehen. Nichts geschah.

Tiefer kann ich nicht mehr fallen, dachte ich verzweifelt. Warum kann Bellatrix das und ich nicht?!

Severus Snape in einer anderen Farbe als schwarz ist ein denkwürdiger Anblick, vor allen wenn Rot die Farbe ist. Dunkelrot zwar, aber trotzdem rot, die Gryffindorfarbe. So verhungert, wie ich zuerst gemeint habe, kann er allerdings nicht sein. Er ist nur wenig und als wir fertig sind und das Geschirr beiseite räumen, verlässt er kurz den Raum und kehrt mit zwei Flaschen Hochprozentigem zurück. Als ich sehe, dass es Wodka ist und kein Feuerwhiskey, kommt mir ein erster Verdacht, was er getan haben könnte.

Worauf das hier abzielt, ist jedenfalls klar: Kollektivbesäufnis am Abend. Dass der Vorschlag von Snape kommt, ist allerdings irritierend. Soviel ich weiß, trinkt er nicht und wenn, dann vor allem nicht mit uns.

„Also, willst du jetzt nicht langsam mal ausspucken, was los ist?" rücke ich ihm auf die Pelle.

„Nein," knurrt Snape zurück. „Aber danke der Nachfrage."

Remus seufzt. „Irgendwas stimmt doch nicht..."

„Es stimmt alles, es ist alles gelaufen, wie es musste." fährt Snape ihm über den Mund. „Ich will nur – heute Nacht nicht allein bleiben." presst er mühsam heraus. Seine Augen funkeln, als ob es ihn schmerzt das einzugestehen. „Ist das so schwer zu kapieren?"

Author's Note: Wir sind uns ja wohl alle einig, dass es nicht ganz leicht ist, für Sirius ein Mädchen zu finden, oder? Eben. Wir kennen einfach zu wenig weibliche Charaktere, die damals mit MWPP in die Schule gegangen sind. Ich bin auf eine radikale Lösung des Problems verfallen. Meinetwegen erschlagt mich dafür - hauptsache, ihr reviewt! :)

Nächstes Kapitel: In Grimmauld Place: Snape packt aus, was er tun musste, damit Voldemort ihn wieder aufnimmt. Und Sirius erfährt etwas, das ihm ziemlich zu schaffen macht. Aber die Dinge werden dadurch erheblich klarer. In der Vergangenheit: Sirius wird ein Animagus, riskiert einen Blick in den Spiegel Nerhegeb, macht einen Fehler, den er bis ans Ende seines Lebens bereuen wird, haut glücklich von zu Hause ab und verliert seine Unschuld (gebt euch keine Mühe: ihr erratet sowieso nicht, an wen – aber Wetten werden angenommen ;))