Liebe Reviewer! Vielen Dank, dass euch das erste Kapitel so gut gefallen hat. Jetzt kommt das nächste Kapitel. Ist auch nicht so lang, dafür werden aber die folgenden Kapitel umso länger. Versprochen!

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Kapitel 2: Faramirs Testament

Kapitel 2: Faramirs Testament

Faramir sollte so schnell wie möglich abreisen. Denethor hatte es furchtbar eilig mit dieser geheimnisvollen Schriftrolle.

„Ich würde gerne wissen, was Vater da hineingeschrieben hat,"sagte Boromir neugierig. „Vielleicht will er sogar ein Bündnis mit den Galadhrim schließen."

„Frau Galadriel ist eine weise Frau,"erwiderte Faramir nachdenklich. „Ich könnte mir vorstellen, dass Vater etwas ganz anderes von ihr will. Sie besitzt einen Spiegel, mit dem sie in die Zukunft sehen kann. Aber sie kann auch Träume deuten."

„Meinst du, Vater hatte einen rätselhaften Traum?"fragte Boromir gespannt.

Faramir nickte.

„Das denke ich. Du weißt, dass wir alle zu ahnungsvollen Träumen und sogar zu Visionen neigen. Auf diesem Pergament wird Vater seinen Traum niedergeschrieben haben."

„Du bist wirklich ein schlaues Bürschchen!"lobte Boromir seinen Bruder grinsend. „Schade, dass du nicht hellsehen kannst. Dann könntest du nämlich sagen, was Vater für einen Traum hatte."

Faramirs Lächeln gefror plötzlich. Auch ihn quälte seit einiger Zeit ein bestimmter Traum, der fast jede Nacht wiederkehrte. Er träumte von einem riesigen schwarzen Vogel, der um die Stadt Minas Tirith flog und von einem weißen Reiter, der diesem nackten, federlosen Vogel trotzte. In seinem Traum lag die Stadt halb in Trümmern und war von unzähligen Feinden belagert.

Ob Denethor den gleichen Traum hatte?

Faramir wollte seinen Bruder nichts davon erzählen, denn er fürchtete, dass Boromir sich bei ihrem Vater verplappern könnte. Boromir war zwar ein exzellenter Krieger und Kämpfer, aber er redete oft, bevor er dachte. Und wenn er Denethor von Faramirs Traum erzählte, dann würde es so aussehen, als hätten die Brüder einen Blick in die Schriftrolle geworfen.

Der junge Mann stieg jetzt auf sein Pferd. Ein prächtiger Rotfuchs namens Flammenmähne. Er war ein Geschenk seines Onkels Imrahils von Dol Amroth zu seinem 30. Geburtstag gewesen.

Boromir streichelte dem Hengst gedankenverloren über die Nüstern.

„Pass nur gut auf dich auf, kleiner Bruder,"sagte er bekümmert.

„Das werde ich,"versprach Faramir tapfer.

Jetzt kam auch Denethor hinzu. Er kam rasch die Treppe von der Zitadelle in den Hof hinabgelaufen.

„Bist du immer noch hier?"fragte er Faramir barsch. „Die Sonne steht schon hoch am Himmel. Welche Route wirst du nehmen?"

„Ich werde den Anduin entlangreiten, durch das Hügelland und die Ebene des Celebrant,"erklärte Faramir besonnen.

„Gut," nickte Denethor. „Das ist, denke ich, der kürzeste Weg."

„Und der Gefährlichste,"fügte Boromir besorgt hinzu. „Vater, ist es nicht möglich, dass du ihm Geleitschutz gibst?"

„Unmöglich," sagte der Truchseß kopfschüttelnd. „Ich kann hier in Gondor keinen Mann entbehren."

Außer Faramir, dachte Boromir betroffen.

„Bleibe nicht länger als nötig!"mahnte Denethor seinen jüngsten Sohn.

Faramir nickte. Weitere Abschiedsworte hatte sein Vater für ihn nicht übrig. Er hoffte, in Lothlórien etwas erreichen und mit einer guten Nachricht nach Hause zurückkehren zu können.

Faramir setzte langsam sein Pferd in Bewegung und Boromir lief noch ein Stück neben ihm her.

„Ich wünsche dir alles Gute, kleiner Bruder,"sagte er zum Abschied. „Komm gesund wieder."

Faramir sah, dass Boromir Tränen in den Augen hatte, und plötzlich fühlte auch er einen Kloß im Hals aufsteigen.

„Ich werde bald wieder zurück sein, versprochen,"sagte Faramir mit belegter Stimme und schenkte seinem älteren Bruder ein verzerrtes Lächeln.

Boromir sah zu, wie er bald im nächsten Zirkel der Stadt verschwand. Dann ging er langsam wieder zu Zitadelle zurück.

Denethor unterhielt sich unbekümmert mit einigen seiner Ratgebern im Thronsaal. Boromir konnte es nicht fassen, als er eine gewisse Erleichterung in der Miene seines Vaters sah.

„Wir müssen reden, Vater,"sagte er kurzangebunden.

„Jetzt nicht, Sohn,"erwiderte Denethor ungehalten. „Siehst du nicht, dass ich gerade eine Unterhaltung führe? Wir werden uns beim Nachtmahl unterhalten."

Boromir sah ihn verständnislos an und verließ den Thronsaal. Er konnte es kaum erwarten, dass es Abend wurde. Den ganzen Nachmittag tigerte er unruhig in seinen Privatgemächern herum. Schließlich ging er auch hinüber in Faramirs Gemächer. Dort war alles sauber und aufgeräumt. Wie immer. Faramir war ein gewissenhafter Mensch, der Ordnung liebte. Boromir sah einen versiegelten Umschlag auf dem Schreibpult seines Bruders liegen. Er erkannte Faramirs geschwungene Handschrift:

„An Boromir: Bitte nur öffnen, falls ich nicht wiederkehre."

Mit zitternden Händen nahm Boromir den Umschlag an sich. Hatte sein Bruder wohl eine Art letzten Willen verfasst? Das taten doch nur Leute, die in Kürze mit ihrem Ableben rechneten. Sicherlich, die Reise nach Lothlórien war gefährlich, aber nicht gefährlicher als mancher Feldzug, zu dem Faramir in der Vergangenheit aufgebrochen war. Boromir nahm den Brief mit in sein Zimmer. Dort setzte er sich auf sein Bett und starrte immer wieder auf die Schrift. Er merkte nicht, dass ihm Tränen dabei herabliefen. Er musste jetzt sofort mit seinem Vater sprechen! Er hielt es einfach nicht mehr länger aus.

Denethor saß gerade im Thronsaal und sprach ein Urteil über einen Soldaten, der desertiert war. Es war natürlich die Todesstrafe. Der Soldat war noch jung, und zu allem Überfluß kannte Boromir ihn auch noch.

„Nimrod, ausgerechnet du,"flüsterte Boromir tonlos.

Zwei Wachsoldaten führten Nimrod jetzt ab. Er warf dem Sohn des Truchsessen einen angsterfüllten Blick aus grauen Augen zu.

„Eidbruch vergelte ich mit Strafe,"sagte Denethor zufrieden und lehnte sich in seinen schwarzen Thron zurück.

„Nimrod war ein guter Soldat,"erwiderte Boromir fassungslos. „Er stand unter Faramirs Kommando. Ich verstehe nicht, warum er desertiert ist."

„Er sollte heute Mittag mit einer Truppe nach Pelargir aufbrechen," erwiderte Denethor kühl. „Stattdessen ist er nach Norden geritten."

„Was glaubst du wohl, was er da wollte?"fragte Boromir seinen Vater finster.

Denethor erwiderte nichts, da er sich plötzlich unbehaglich fühlte.

„Nimrod wollte Faramir, seinen Hauptmann unterstützen,"fuhr Boromir ergrimmt fort. „Vater, die Soldaten lieben ihn. Als sie erfahren haben, dass er alleine nach Lórien reiten soll, haben sie begonnen, sich Sorgen zu machen. Du scheinst der einzige Mensch in Minas Tirith zu sein, der sich keine Sorgen um Faramir macht."

Zur Bekräftigung holte er den Briefumschlag aus seiner Tunika hervor und hielt ihn seinem Vater unter die Nase. Der Truchseß lächelte jedoch nur spöttisch.

„Vater, das ist ein Testament,"sagte Boromir eindringlich. „Ich möchte jetzt wissen, was hier vorgeht. Warum hast du Faramir wirklich nach Lothlórien losgeschickt? Willst du seinen Tod?"

Denethor erhob sich jetzt wutschnaubend.

„Ich habe dir gesagt, dass wir uns heute abend weiter darüber unterhalten werden. Wie kannst du es wagen, so etwas zu behaupten! Wie kann ich den Tod meines eigenen Kindes wünschen? Was für ein Vater wäre ich denn?"

Boromir stand vor seinem Vater mit geballten Fäusten. Er hatte eine passende Antwort auf der Zunge, aber er schluckte sie schließlich hinunter. Er wollte seinen Vater nicht noch mehr verärgern. Denethor übte zwar viel Nachsicht mit ihm, seinem Lieblingssohn, aber Boromir wusste, dass er bereits die Grenzen überschritten hatte. Würde Faramir sich so verhalten, wie er gerade eben, dann wäre ihm eine harte Strafe sicher.

„Geh jetzt bitte,"sagte Denethor mit grimmiger Miene. „Du siehst doch, dass ich gerade Recht sprechen muß."

Boromir seufzte leise und verließ den Thronsaal. Ein weiterer Übeltäter wurde gerade hereingeführt. Was mochte wohl dieser Mann verbrochen haben? Boromir kannte ihn nicht. Schnell entfernte sich der junge Heermeister des Weißen Turms.

Plötzlich betrat ein Bote die Zitadelle.

„Ich habe eine Mitteilung für Truchseß Denethor,"verkündete der Mann.

„Ihr könnt jetzt nicht zu ihm,"sagte Boromir ungehalten. „Er spricht gerade Recht. Ist es wichtig? Vielleicht eine Botschaft von meinem Bruder?"

„Nein, Herr Boromir,"sagte der Bote. „Ich komme von Mithrandir. Seine Ankunft wird sich um einige Tage verzögern. Mehr habe ich nicht zu sagen."

Gandalf war unterwegs nach Minas Tirith? Boromir wurde jetzt einiges klar. Denethor war die Freundschaft zwischen Faramir und Gandalf stets ein Dorn im Auge. Wann immer er konnte, versuchte er, die Zusammenkünfte der beiden zu stören oder zu unterbinden.