Leonel : Vielen Dank für deine treuen Reviews. Ja, ich liebe auch Geschichten mit den beiden Brüdern und freue mich immer, wenn ich von dir was Neues über Faramir und Boromir lese.
Nun das dritte Kapitel...
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Kapitel 3: Der Weg nach Lórien
Am Abend des gleichen Tages hatte Faramir die befestigte Insel Cair Andros, die mitten im Anduin lag, erreicht. Es war praktisch die letzte Bastion Gondors, bevor die Wildnis begann. Hauptmann Cirdan begrüßte Faramir freundlich.
„Ihr könnt Euch hier ausruhen, solange Ihr wollt, Heermeister."
„Ich danke Euch, Cirdan," sagte Faramir höflich. „Aber ich habe noch eine lange Reise vor mir."
Er verriet dem Hauptmann nicht, wohin es gehen sollte. Zusammen mit den Soldaten nahm er das Nachtmahl ein und begab sich dann rasch in die kleine Kammer mit dem schlichten Soldatenbett, die man ihm zugewiesen hatte.
Obwohl Faramir hundemüde war von dem anstrengenden Ritt, konnte er nicht einschlafen. Er wusste, dass Boromir sich Sorgen um ihn machen würde. Er dachte an den Brief, den er eigentlich seinem Bruder persönlich hatte geben wollen. In letzter Sekunde jedoch hatte er es sich anders überlegt und den Brief auf seinen Schreibpult liegen gelassen. Er hoffte, dass Boromir ihn nicht fand. Normalerweise betrat sein Bruder nie unaufgefordert Faramirs Privatgemächer.
Und wenn schon, dachte Faramir bedrückt. Wenn ich gesund wiederkehre, dann ist der Brief sowieso nichtig.
„Wohin werdet Ihr reiten?" fragte Cirdan neugierig am nächsten Morgen beim Frühstück.
„Richtung Norden," erwiderte Faramir kurzangebunden. „Den Anduin entlang zu den Raurosfällen."
„Am besten, Ihr durchquert die Entwassermündungen," riet ihm der Hauptmann. „Auf der Ostseite des Flusses befindet sich das Fennfeld, ein schwer begehbares Sumpfgebiet. Wenn man nicht aufpasst, gerät man dort leicht zu weit nach Osten in die Totensümpfe. Und von dort sind schon viele Wanderer nicht wiedergekehrt. Außerdem gibt es im Osten Orks."
„Danke für Eueren Rat, Cirdan," sagte Faramir und erhob sich.
Cirdan gab ihm noch einige Vorräte mit und eine warme Decke.
„Oben im Norden ist es weitaus kälter als hier."
Faramir bedankte sich noch einmal und bestieg nun wieder sein Pferd Flammenmähne.
§
Boromir erschien an diesem Abend überpünktlich zum Abendessen. Sein Vater war noch gar nicht da. Schweigend sah er zu, wie die Diener riesige Platten mit Speisen und Krüge mit Getränken auftrugen. Dabei waren sie doch nur zu zweit!
Was für eine Verschwendung, dachte der junge Mann kopfschüttelnd. Es gibt bestimmt viele Familien in Gondor, die heute abend nicht satt werden.
Endlich erschien Denethor.
„Da bist du ja," meinte er lakonisch. „Laß uns anfangen!"
Ohne eine Antwort Boromirs abzuwarten, ließ er sich auf seinen schwarzen Stuhl in der großen Halle nieder und lud sich Fleisch, Weintrauben und weißes Brot auf den Teller. Boromir legte sich eine Hühnerkeule auf den Teller. Er starrte auf den leeren Platz, wo sonst Faramir immer saß. Er schob den Teller weg, weil ihm der Appetit vergangen war.
„Hast du Mithrandirs Botschaft gehört, Vater?"
„Der graue Pilger wird sich um ein paar Tage verspäten – na und?" meinte der Truchseß mit vollen Backen kauend.
„Du wusstest also von Mithrandirs Ankunft," sagte Boromir fassungslos. „Faramir hätte sich gefreut, wenn er ihn einmal wieder gesehen hätte. Mithrandir war seit einigen Jahren nicht mehr in Gondor."
„Die Anwesenheit dieses Zauberers ist nicht gut für deinen Bruder," erklärte Denethor kühl. „Mithrandir setzt dem Jungen nur Flaußen in den Kopf. Jedesmal wenn der graue Pilger hier ist, dann wird Faramir aufmüpfig."
„Das ist nicht wahr!" verteidigte Boromir seinen Bruder empört. „Faramir ist dir gegenüber stets demütig und gehorsam. Er hat noch nie gegen dich aufbegehrt, obwohl er oft guten Grund dazu hätte."
Denethor lächelte grimmig.
„Mithrandir macht Faramir langsam aber sicher zu seinem Zauberlehrling. Je weniger er den Alten sieht, desto besser. Es war ein kluger Zug von mir, Faramir jetzt wegzuschicken."
„Was soll Faramir überhaupt in Lothlórien?" fragte Boromir ungeduldig. „Was steht in dieser geheimnisvollen Schriftrolle: willst du etwa einen Traum deuten lassen?"
„Vielleicht," meinte Denethor geheimnisvoll. „Auf jeden Fall ist diese Sache sehr wichtig für mich."
Boromir wusste nicht, ob er seinem Vater noch glauben konnte. Es wäre unerhört, wenn Faramir wegen einer Nichtigkeit auf dieser Reise sein Leben aufs Spiel setzen würde.
„Darf ich mich jetzt zurückziehen?" fragte der junge Mann mit mühsam beherrschter Stimme.
„Hast du keinen Hunger?" Denethor tat sichtlich erstaunt.
Boromir schüttelte nur den Kopf und erhob sich.
„Und vergiß nicht deinen Auftrag in Lossarnach," mahnte der Truchseß. „Wann gedenkst du eigentlich loszureiten?"
„Darf ich wenigstens Mithrandirs Ankunft noch abwarten?"
„Meinetwegen," brummte Denethor gönnerhaft.
§
Drei Tage nach Faramirs Aufbruch erschien Gandalf in der Stadt. Die Menschen auf Minas Tiriths Straßen machten ihm bereitwillig Platz, als er auf seinem Grauschimmel die Zirkel durchquerte. Sein grauer Mantel wehte hinter ihm im Wind. Auf seinem Kopf saß ein spitzer Hut. Schon bald erreichte er die Zitadelle. Beregond, der gerade Wachdienst hatte, begrüßte Gandalf freundlich. Er nahm den Grauschimmel am Zügel und führte ihn zu den Stallungen. Gandalf eilte derweil über den Hof Richtung Portal.
Boromir, der bereits von der Ankunft des Zauberers in der Stadt gehörte hatte, kam ihm entgegen.
„Schön, Euch wiederzusehen, Boromir," meinte Gandalf lächelnd. „Ihr werdet mit jeden Jahr, das Ihr älter werdet, stattlicher. Laufen Euch nicht die Maiden Gondors in Scharen nach?"
Der junge Mann lächelte und errötete.
„Leider habe ich keine Zeit, mich nach einer Frau umzusehen. Es gibt viel zu tun für mich."
Gandalf klopfte ihn lachend auf die Schulter.
„Vielleicht wird es noch Zeiten geben, die ruhiger sind. Wo steckt denn Euer Bruder?"
Boromirs Miene verdüsterte sich.
„Faramir befindet sich auf den Weg nach Lórien. Vater hat ihn vor einigen Tagen dorthin geschickt mit einer wichtigen Botschaft für die Herrin des Waldes."
Gandalf runzelte die Stirn.
„Das ist fürwahr eine gefährliche Mission. Er wird doch nicht ganz alleine reiten, oder?"
„Doch," erwiderte Boromir bedrückt. „Vater wollte es so. Ich mache mir auch große Sorgen um Faramir. Ich fürchte, er hat ihn wegen Eueres angekündigten Besuches weggeschickt. "
„Denethor ist blind vor Eifersucht," murmelte der Zauberer traurig vor sich hin. „Dabei will ich ihm doch Faramir gar nicht wegnehmen. Ich wünschte, ich könnte ihm die Augen öffnen."
Boromir seufzte.
„Ich weiß, Mithrandir. Kommt mit! Vater erwartet Euch schon."
Denethor saß gerade im Thronsaal und nahm einen frugalen Imbiß ein, als der Zauberer erschien.
„Seid gegrüßt, Denethor, Ecthelions Sohn!" sagte Gandalf förmlich, nachdem er seinen Hut abgenommen hatte.
Denethor hörte auf zu essen und lächelte überheblich.
„Ich grüße Euch auch, grauer Pilger. Sicherlich wolltet Ihr meinen Sohn Faramir sehen, aber er ist nicht hier in der Stadt."
„Ich habe schon davon gehört," erwiderte der Zauberer mit beherrschter Stimme. „Faramir alleine nach Lothlórien zu schicken ist gewiß nicht die allerklügste Entscheidung. Ich hoffe, Ihr habt es nicht wegen mir getan."
Der Truchseß starrte Gandalf finster an.
„Ich habe andere Probleme als die Freundschaft zwischen Faramir und Euch, Mithrandir. Faramir ist in einer wichtigen Mission unterwegs, die keinen längeren Aufschub geduldet hat."
„Ich wünschte, ich könnte Euch glauben,"erwiderte Gandalf ungehalten. „Was hat Gondor plötzlich mit Laurelindórenan, dem Goldenen Wald, zu schaffen? Die Elben Lóriens dulden normalerweise keine ungebetenen Besucher. Und wenn Ihr erwartet, das Bündnis von Menschen und Elben auf diese Weise erneuern zu können, dann muß ich Euch sagen, ist das der falsche Weg."
„Schweigt, Zauberer!" rief Denethor verächtlich. „Was habt Ihr für eine Ahnung von Politik! Ihr seht Euch gerne selbst an der Seite von Königen stehen, um ihnen Euere Ratschläge einzuflüstern. Ich habe gehört, dass Ihr erst kürzlich wieder in Rohan wart, um Théoden zu beeinflussen. Mir dünkt, Ihr wollt Rohan gegen Gondor aufhetzen. Doch vergesst nicht: Rohan ist seit altersher ein Lehen Gondors und uns zu Treue verpflichtet."
Gandalf war ein wenig verdutzt über die harschen Worte des Truchsessen. Woher kam dieser unerbittliche Hass Denethors auf ihn? War es wirklich nur Eifersucht?
„Ich denke, wir haben genug geredet," erwiderte der Zauberer besonnen. „Erlaubt, dass ich mich zurückziehe, denn ich bin müde von der langen Reise."
„Von mir aus," erwiderte Denethor mit schiefem Grinsen und wandte sich wieder seinem Essen zu.
Leise seufzend verließ Gandalf den Thronsaal. Draußen auf dem Korridor traf er auf Boromir.
„Was ist mit Euerem Vater, junger Heermeister?"
„Ich weiß auch nicht, Mithrandir," sagte Boromir bedauernd. „In letzter Zeit sucht Vater oft den Weißen Turm auf. Ich sehe manchmal spät in der Nacht noch Licht oben im Turmzimmer. Immer wenn er im Turm war, ist er dannach schlechter gelaunt denn je. Und meistens bekommt dann Faramir seine Wut zu spüren."
Gandalf erschrak bei diesen Worten sichtlich.
„Sagt, Boromir, ist Euer Vater vielleicht im Besitze eines Palantírs? Ist dort oben im Turm am Ende der Stein von Anor verwahrt?"
„Ich vermute es," erwiderte Boromir leise.
„Dann weiß ich Bescheid," gab der Zauberer nachdenklich zurück und strich sich über seinen grauen, zotteligen Bart.
