Meleth : Jetzt geht es erst mal in Minas Tirith weiter mit Gandalf, Boromir und Denethor. Ein ziemlich bedrückendes Kapitel
Leonel : Genau, jetzt geht es erstmal in Gondor weiter. Unsere Reisegesellschaft ist ja noch ein bisschen unterwegs. Deshalb ändere ich mal den Schauplatz im nächsten Kapitel.
Lady of Ithilien : Danke für dein Review! Ich würde mich freuen, wenn du weiterliest.
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Kapitel 7: Radagasts Botschaft
Einige Wochen waren vergangen und Gandalf weilte immer noch in Minas Tirith. Normalerweise blieb er selten so lange an einem Ort. Aber er wollte unbedingt Faramirs Rückkehr abwarten, auch wenn es noch dauern würde. In der Zitadelle war der Zauberer inzwischen nur noch ein geduldeter Gast. Wenn es irgendwie ging, vermied Gandalf gemeinsame Mahlzeiten mit Denethor. Der Truchseß zeigte sich in letzter Zeit erschreckend übelgelaunt. So vertrieb sich Gandalf die Zeit mit Lesen in den Archiven, denn auch Boromir war nicht in der Stadt anwesend. Er führte den Auftrag seines Vaters in Lossarnach aus.
Eines Morgens trat der Zauberer seufzend auf den Balkon seines Gemaches und blinzelte in die Morgensonne, die gerade über dem Schattengebirge aufgegangen war. Plötzlich gewahrte er, dass ein großer Vogel dahergeflogen kam. Ein Adler war es nicht, aber ein ähnlich edles Tier. Schließlich erkannte Gandalf einen braunen Falken. Der große Raubvogel setzte sich schließlich auf die Brüstung des Balkons und blickte Gandalf an. Der Zauberer lächelte: sein Vetter Radagast hatte ihm eine Botschaft geschickt.
„Nun berichte, mein Freund," sagte er freundlich zu dem Falken.
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Kurze Zeit später beobachteten die Wachen des Weißen Baumes erstaunt, wie Gandalf zur Zitadelle eilte. So schnell hatten sie den alten Mann noch niemals laufen sehen.
Der Truchseß hatte gerade eine Besprechung mit seinen Ratgebern, als der Zauberer in den Thronsaal hereinplatzte.
„Ich bringe Euch Kunde von Euerem Sohn, Denethor!" rief er laut.
Denethor hob erstaunt die Augenbrauen und schickte seine Berater rasch weg.
„Von welchem meiner Söhne sprecht Ihr, grauer Pilger?" fragte er neugierig.
„Natürlich von Faramir!" sagte Gandalf fast verärgert. „Boromir befindet sich schließlich in unmittelbarer Nähe. Lossarnach liegt nur ein paar Tagesritte weg. Ich wette, Ihr seid über jeden seiner Schritte bestens informiert."
Denethors Miene verzog sich unwillig. Aber er hatte jetzt keine Lust, schon wieder mit Gandalf zu streiten. Außerdem war er neugierig, was mit Faramir war.
„Faramir ist wohlbehalten in Lothlórien angekommen," sagte Gandalf erfreut und lächelte. „Er schwebte zwar in Lebensgefahr, als er sich in den Sümpfen verirrte, doch mein Vetter Radagast hat ihn gefunden und ihm dann weitergeholfen."
„Was für ein Narr!" sprach Denethor mehr zu sich selbst als zu dem Zauberer. „Da nimmt er den gefährlichen Weg durch die Sümpfe, statt durch das sichere Rohan zu reisen!"
„Rohan ist längst nicht mehr sicher," widersprach Gandalf verärgert. „Längst durchziehen Orkbanden und feindlich gesinnte Dunländer die Riddermark."
„Ihr müsst es ja wissen," sagte der Truchseß spöttisch. „Ihr seid schließlich ein häufiger Gast in Theodens Goldener Halle."
„Euch scheint es wohl gar nicht zu erfreuen, dass es Euerem Sohn gut geht,"erwiderte Gandalf erschüttert.
„Natürlich bin ich froh, dass er meinen Auftrag bisher gut ausgeführt hat!" rief Denethor gereizt. „Vergeßt nicht, dass Faramir und ich in erster Linie Gondor dienen. Die Familie kommt erst an zweiter Stelle."
Gandalf verbiß sich eine harsche Antwort und verließ verärgert den Thronsaal. Nachdem er jetzt wusste, dass Faramir am Leben war und in Lothlórien weilte, gab es für ihn keinen zwingenden Grund, länger Denethors ungebetener Gast zu sein. Die Galadhrim würden dem jungen Mann bestimmt auf dem Rückweg Geleitschutz nach Gondor geben, da war sich Gandalf sicher.
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Das kleine Reisebündel war schnell gepackt und bereits gegen Mittag ritt Gandalf zum großen Tor von Minas Tirith hinaus. Hier begegnete ihm Boromir und seine Truppe.
„Seid gegrüßt, Mithrandir!" rief der junge Heerführer. „Ihr verlasst doch nicht etwa Gondor, oder?"
„Ich werde nun nicht länger bleiben," erklärte Gandalf müde lächelnd. „Ich habe heute morgen erfahren, dass es Euerem Bruder gut geht. Er weilt in Lothlórien bei der Herrin des Waldes."
„Das ist die beste Botschaft seit langem," sagte Boromir erleichtert. „Ich weiß gar nicht, wie ich Euch danken soll."
„Mein Vetter Radagast sandte mir die Nachricht," meinte der Zauberer wohlwollend. „Bei ihm müsstet Ihr Euch eigentlich bedanken."
„Ich finde es trotzdem bedauerlich, dass Ihr geht," bemerkte Boromir bedrückt. „Ich dachte, wir wollten zusammen auf Faramirs Rückkehr warten."
„Ich kann nicht länger bleiben," erklärte Gandalf schlicht.
Er wollte Boromir nichts von seiner Auseinandersetzung mit seinem Vater erzählen. Das würde nur böses Blut geben. Der junge Mann verabschiedete Gandalf bedauernd und machte sich dann auf den Weg in die Stadt hinein. Gandalf galoppierte auf seinen Grauschimmel davon. Sein Weg führte ihn nach Norden.
Die Einwohner von Minas Tirith begrüßten Boromir mit Jubel. Obwohl es nur ein kleiner Feldzug gegen eine Bande von Brandschatzern und Räubern gewesen war, ließen die Bürger begeistert den Heermeister hochleben. Boromir nahm das alles an diesem Tag nicht so wahr wie sonst: seine Gedanken kreisten um Faramir, der wohlbehalten nach Lothlórien gelangt war.
Silberne Trompeten erschallten, als Boromir den siebten Festungsring und somit den Hof vor der Zitadelle betrat. Er hastete an den Wächtern des Weißen Baumes vorbei und öffnete das Portal zum Thronsaal. Denethor war erfreut, seinen Lieblingssohn wiederzusehen. Es gab eine kurze Umarmung.
„Ist es nicht schön, Vater, dass Faramir unversehrt im Goldenen Wald angekommen ist?" fragte Boromir erfreut.
„Radagast Braunrock, Mithrandirs Vetter, hat ihn aus den Totensümpfen gefischt," erzählte Denethor mit einem verächtlichen Unterton. „Daran sieht man einmal wieder, dass Faramir zu nichts nütze ist. Er ist sogar zu töricht, den richtigen Weg nach Lórien zu nehmen. Ich wette, er hat sich in den Sümpfen verirrt wie ein kleines Kind."
Boromir erschrak, als er das hörte: so hatte Faramir also in größter Lebensgefahr geschwebt. Doch noch mehr erschreckte ihn das Verhalten seines Vaters, dem dies nichts auszumachen schien. Er ertrug die Gegenwart seines Vaters nicht länger.
„Darf ich mich zurückziehen?" fragte er mit mühsam beherrschter Stimme.
Denethor blickte ihn ein wenig beleidigt an.
„Kaum kommst du an, willst du schon wieder gehen."
Boromir verbiß sich eine harsche Antwort und sah seinen Vater mit vor Wut blitzenden Augen an.
„Dann geh!" sagte der Truchseß kurzangebunden und wandte sich ab.
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Erleichtert suchte Boromir seine Privaträume auf. Er streifte die schwere Rüstung ab und wusch sich erst einmal. Dann zog er sich eine leichte Tunika an und legte sich auf sein Bett. Immer noch spukte die Reaktion seines Vaters in seinem Kopf herum. Warum war es ihm so egal, dass Faramir bei seinem Auftrag fast ums Leben gekommen war?
Boromir seufzte laut. Er erinnerte sich an Faramirs Testament. Was hatte den jungen Mann dazu getrieben, einen letzten Willen zu verfassen? Boromirs Neugier wurde immer größer. Schließlich erhob er sich und zog die Schublade auf. Dort lag der versiegelte Brief. Liebevoll strich Boromir über die glatte Oberfläche des Kuverts. Sicher hatte Gandalf Faramir diese seltenen Briefumschläge geschenkt. Im fernen Auenland benutzte man so etwas. Doch Boromir hatte jetzt keinen Geist dazu, sich weiter Gedanken über das Auenland zu machen. Er wollte wissen, was in diesem Brief stand. Seine Finger glitten wiederholt über das Siegel. Schließlich holte er tief Luft und brach das Siegel auf. Er öffnete das Kuvert und holte das zusammengefaltete Papier heraus.
Vorsichtig faltete er es auseinander und begann zu lesen:
„Mein lieber Boromir!
Wenn du diese Zeilen liest, dann lebe ich nicht mehr. Du wirst dich wundern, dass ich soweit vorausgedacht habe und einen letzten Willen verfasst habe. Doch ich habe mehr Angst vor der Reise nach Laurelindórenan, als du ahnst. Vielleicht hat Vater Recht, und die Elben dort sind den Menschen feindlich gesinnt. Aber vielleicht werde ich auch gar nicht erst dort ankommen. In Vaters Gegenwart habe ich Mut und Zuversicht vorgetäuscht, in Wirklichkeit jedoch habe ich große Angst. Vaters Auftrag scheint eine ungeheuere Mutprobe zu sein, um meine Tapferkeit und Stärke zu testen. Doch beides besitze ich nicht in solchem Maße wie du und Vater. Deshalb werde ich wohl auch versagen, was in diesem Falle meinen Tod bedeutet.
Ich vermache dir den goldenen Dolch, den ich einst von Onkel Imrahil bekam und den kostbaren Umhang, der von unserer Mutter stammt. Vielleicht wirst du eines Tages eine Dame deines Herzens finden, der du diesen Mantel um die Schultern legst. Weiterhin sollst du auch meine Bücher und Kleider bekommen. Dort, wo ich mich jetzt befinde, brauche ich das alles nicht mehr.
Lebe du nun wohl und bewahre die Erinnerung an mich in deinem Herzen
Dein Faramir"
